Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).
Den Feststellungsantrag der 1976 geborenen Klägerin vom 14. März 2013 lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 17. Juli 2013
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2013 mit der Begründung ab, dass bei ihr kein GdB von wenigstens
20 bestehe. Der Beklagte ging hierbei von psychischen Störungen der Klägerin aus, die er mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete.
Mit der Klage bei dem Sozialgericht Potsdam hat die Klägerin einen GdB von mindestens 30 begehrt. Mit Schreiben vom 3. Juli
2014 hat der Beklagte erklärt, bei der Klägerin mit Wirkung ab 14. März 2013 einen GdB von 20 festzustellen. Dieses Teilanerkenntnis
hat die Klägerin angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten - unter
anderem des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. B vom 12. Dezember 2014 und der Fachärztin für Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie Dr. V vom 15. Januar 2015 - das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S vom 24. Januar
2016 mit ergänzender Stellungnahme vom 27. Juni 2016 eingeholt. Der Sachverständige hat nach Untersuchung der Klägerin am
22. Januar 2016 vorgeschlagen, bei ihr einen GdB von 50 festzustellen. Der Sachverständige legte dem folgende Einzelbehinderungen
zugrunde:
1. rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig,
2. Syndrom der unruhigen Beine.
Das weitere Teilanerkenntnis des Beklagten vom 27. April 2016, bei der Klägerin einen Grad der Behinderung von 30 mit Wirkung
ab 22. Januar 2016 festzustellen, hat die Klägerin angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt.
Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 20. Oktober 2016 den Beklagten verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab
10. Juli 2014 (Konsultation bei Dr. B) einen GdB von 30 und mit Wirkung ab dem 7. Oktober 2014 (erste Konsultation bei Dr.
V) einen GdB von 50 festzustellen. Der Beklagte hat mit Bescheid vom 30. Dezember 2016 das Urteil des Sozialgerichts Potsdam
ausgeführt.
Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie einen höheren GdB ab 1. Juni 2016
begehrt. Sie hat hierzu das für die Deutsche Rentenversicherung Bund erstattete Gutachten der Fachärztin für Neurologie und
Psychiatrie Dr. Hvom 28. März 2017 vorgelegt.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F vom 23. Juni
2018, der nach Untersuchung der Klägerin am 8. Januar 2018 einen GdB von 70 bei der Klägerin empfohlen hat. Der Sachverständige
hat folgende Behinderungen festgestellt:
1. schweres Restless-legs-Syndrom (Einzel-GdB von 50),
2. depressiv ängstliches Syndrom (Einzel-GdB von 30),
3. Borderline-Symptomatik (Einzel-GdB von 20),
4. frühe Störung (Einzel-GdB von 20).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 20. Oktober 2016 zu ändern sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom
17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2013 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom
30. Dezember 2016 zu verpflichten, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 1. Juni 2016 einen GdB von mindestens 60 und mit Wirkung
ab dem 1. Januar 2018 einen GdB von mindestens 70 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge
des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Denn die Klägerin hat für den Zeitraum ab dem 1. Juni 2016 nkeinen
Anspruch auf Festsetzung eines Gesamt-GdB von mehr als 50.
Nach den §§ 2 Abs. 1,
69 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (
SGB IX a.F.) bzw. nach §
152 Abs.
1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (
SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei
sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.
Der Senat ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere den medizinischen Feststellungen in den Gutachten der Sachverständigen
Dr. S vom 24. Januar 2016 und Dr. F vom 23. Juni 2018, nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Behinderungen der Klägerin
im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" einen GdB von mehr als 50 bedingen. Der Bewertung des GdB durch den Gutachter
Dr. F, der auf der Grundlage verschiedener Einzel-GdB für das Restless-Legs-Syndrom und für die einzelnen von ihm diagnostizierten
psychischen Erkrankungen der Klägerin einen Gesamt-GdB gebildet hat, folgt der Senat nicht. Denn die nach A 2e Satz 2 VMG
vorgeschriebene zusammengefasste Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen in einem Funktionssystem verbietet es, die hierunter
fallenden Behinderungen jeweils mit einem Einzel-GdB im Sinne von A 3a Satz 1 Halbsatz 1 VMG zu bewerten. Vielmehr ist für
das gesamte Funktionssystem - hier "Gehirn einschließlich Psyche" - ein einziger Einzel-GdB zu bestimmen. Zur Bestimmung dieses
Einzel-GdB ist in analoger Anwendung des A 3c VMG für das jeweilige Funktionssystem in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung
auszugehen, die den höchsten Einsatz-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen,
ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung in diesem Funktionssystem zunimmt.
Im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" ist bei der Klägerin das Restless-Legs-Syndrom führend. Es erfordert vorliegend
die Bewertung mit einem Einsatz-GdB von 50. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 15. Januar 2015 - L 13 SB 52/11 -, Rn. 17 bei juris) sind bei der Bewertung des Restless-Legs-Syndrom die Vorgaben in B 3.1.2 VMG für Hirnschäden mit isoliert
vorkommenden bzw. führenden Syndromen heranzuziehen. Zwar wird dort das Restless-Legs-Syndrom nicht ausdrücklich in der Reihe
der beispielhaft genannten Krankheiten aufgeführt. Genannt werden Hirnschäden mit psychischen Störungen, zentrale vegetative
Störungen als Ausdruck eines Hirndauerschadens, Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Hirnschäden mit kognitiven Leistungsstörungen,
zerebralbedingte Teillähmungen und Lähmungen, das Parkinsonsyndrom und epileptische Anfälle. Jedoch sind "andere extrapyramidale
Syndrome", zu denen auch das Restless-Legs-Syndrom zählt, analog nach Art und Umfang der gestörten Bewegungsabläufe und der
Möglichkeit ihrer Unterdrückung zu bewerten. Diese beispielhaften Aufführungen von Auswirkungen der Hirnschäden von isoliert
vorkommenden bzw. führenden Syndromen unterscheiden der Sache nach sämtlich zwischen leichten, mittelgradigen und schweren
Störungen und konkretisieren hierbei die in B 3. VMG1.1 genannten Grundsätze der Gesamtbewertung von Hirnschäden.
Der Senat ist zu der Überzeugung gelangt, dass das Restless-Legs-Syndrom bei der Klägerin bereits zu mittelschweren Leistungsbeeinträchtigungen
führt. Denn nach den gutachterlichen Feststellungen beeinträchtigt das Restless-Legs-Syndrom am Tag die Aufmerksamkeit und
Konzentrationsfähigkeit, da die Erkrankung vorliegend infolge einer überwiegend episodisch auftretenden Schmerzbelastung im
Bereich der Beine und unwillkürlicher Beinbewegungen zu einer erheblichen Störung des Nachtschlafs und konsekutiv einer Beeinträchtigung
des Wohlbefindens am Folgetag führt. Analog zu der Bewertung des Schlaf-Apnoe-Syndroms bei nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung
(B 8.7 VMG) ist ein Einzel-GdB von 50 angemessen. Da der Sachverständige Dr. F keine die Funktionsbeeinträchtigungen betreffenden
Veränderungen des Gesundheitszustandes der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum hat feststellen können, verbieten sich
zeitliche Differenzierungen der Höhe des Einzel-GdB.
Daneben leidet die Klägerin an stärker behindernden psychischen Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und
Gestaltungsfähigkeit im Sinne von B 3.7 VMG. Bei ihr bestehen nach den gutachterlichen Feststellungen depressive Störungen,
die - wie der Sachverständige Dr. S ausführlich und überzeugend dargelegt hat - einerseits nicht lediglich leicht ausgeprägt
sind, andererseits noch nicht zu mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten führen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen
Dr. F liegen bei der Klägerin auch eine Borderline-Symptomatik und - in Anlehnung an die Diagnose der Gutachterin im rentenrechtlichen
Verfahren Dr. H - eine frühe Störung der Persönlichkeit vor. Entgegen dem Vorschlag des Sachverständigen Dr. F ist im Hinblick
auf diese Behinderungen keine Erhöhung des Einzel-GdB im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" angezeigt. Denn bei
der Bildung des GdB ist nicht auf die Diagnosen der verschiedenen Erkrankungen, sondern auf die aus den Behinderungen folgenden
Teilhabebeeinträchtigungen abzustellen. Relevante Auswirkungen der psychischen Erkrankungen der Klägerin auf deren Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft, die maßgeblich über die Folgen des Restless-Legs-Syndrom hinausgingen oder es verstärkten -
und deshalb eine Erhöhung des Einsatz-GdB notwendig machten - ergeben sich aus den medizinischen Unterlagen, insbesondere
den gutachterlichen Feststellungen, nicht. Vielmehr sind die Auswirkungen der aus den psychischen Leiden folgenden Funktionsbeeinträchtigungen
in allen Lebensbereichen (vgl. A 2a Satz 2 VMG) nach der Überzeugung des Senats in dem für das Restless-Legs-Syndrom anzusetzenden
Einsatz-GdB von 50 mit abgebildet.
Dieser hiernach für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" zu bildende Einzel-GdB von 50 stellt mangels weiterer
Behinderungen bei der Klägerin den Gesamt-GdB dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht erfüllt.