Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch um die Zuerkennung der Merkzeichen "aG" und "T".
Die im Jahre 1942 geborene Klägerin leidet unter Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule, der unteren und oberen Extremitäten,
im Hals-Nasen-Ohrenbereich, im Verdauungstrakt und am Herz-Kreislauf-System. Ihr wurde ein Gesamt-Grad der Behinderung (GdB)
von 80 zuerkannt, ebenso die Merkzeichen "G" und "B".
Am 7. März 2011 beantragte die Klägerin u. a. die Zuerkennung auch der Merkzeichen "aG" und "T". Nach Durchführung medizinischer
Ermittlungen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2013
den Antrag mit der Begründung ab, die medizinischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt.
Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin hat aufgrund richterlicher Beweisanordnung am 22. September 2014
der Facharzt für Orthopädie Dr. W ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Der in ist er zu der Einschätzung
gelangt, die Klägerin könne sich selbständig aus ihrem Kraftfahrzeug begeben, Gehstützen ergreifen und z. B. auch einen Laden
aufsuchen. Sie könne dies mit einer Begleitperson bewerkstelligen.
Mit Urteil vom 17. Februar 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil es die medizinischen Voraussetzungen der
Merkzeichen "aG" und "T" als nicht erfüllt ansah.
Mit ihrer Berufung zum Landessozialgericht verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sie macht geltend, die Voraussetzungen für
die Zuerkennung des Merkzeichens "aG" seien nach den Kriterien der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfüllt.
Auch seien die Voraussetzungen für das Merkzeichen "T" nach dem Landesrecht des Landes Berlin gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Februar 2015 zu ändern und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 14.
Oktober 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2013 zu verpflichten, zugunsten der Klägerin mit Wirkung
vom 7. März 2011 die Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "T" festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen
haben.
Entscheidungsgründe:
Das Urteil konnte durch den Vorsitzenden im Wege des schriftlichen Verfahrens ergehen gemäß §
155 Abs.
3 i. V. m. §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben und diese Verfahrensweise als zweckmäßig erscheint.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §
144 SGG, sie ist in der Sache auch begründet. Das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide waren zu ändern, weil der Klägerin
mit Wirkung vom 7. März 2011, dem Tag der Antragstellung, die Voraussetzungen der Merkzeichen "aG" und "T" zustehen.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung ist §
69 Abs.
4 Sozialgesetzbuch / Neuntes Buch (
SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung
für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehören sowohl die
außergewöhnliche Gehbehinderung (Merkzeichen "aG") als auch das Merkzeichen "T".
Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Verwaltungsvorschriften-Straßenverkehrsordnung. Diese Verwaltungsvorschriften sind als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Art.
84 Abs.
2 Grundgesetz wirksam erlassen worden (Bundessozialgericht, Urteil vom 29. März 2007, B 9 a SB 5/05 R m. w. N.). Hiernach ist außergewöhnliche
gehbehindert im Sinne des §
6 Abs.
1 Nr.
14 Straßenverkehrsgesetz, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines
Kraftfahrzeuges bewegen kann. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte,
Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine
Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach
versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen, dem vorstehenden Personenkreis gleichzustellen sind.
Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Allerdings lässt sich ein anspruchsausschließendes
Restgehvermögen griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG, aaO., juris, Rn. 14). Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich
dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter
Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies
nur noch möglich ist: nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (BSG, aaO., juris, Rn. 14).
Hiernach steht fest, dass in der Person der Klägerin jedenfalls ab Antragstellung die Voraussetzungen des Merkzeichens "aG"
erfüllt sind. Denn sie kann, wie der Sachverständige zweifelsfrei festgestellt hat und wie insoweit von den Beteiligten auch
nicht in Zweifel gezogen wird, Wegstrecken außerhalb ihres Kraftfahrzeuges praktisch von den ersten Metern ab Verlassen des
Kraftfahrzeuges an nur mit Hilfe einer Begleitperson und damit nur mit fremder Hilfe bewerkstelligen.
Ebenso liegen nach den landesrechtlichen Vorschriften auch die Voraussetzungen des Merkzeichen "T" vor. Die Klägerin hat,
wie bereits festgestellt, einen Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens "aG", nach § 9 Abs. 3 Satz 2 Landesgleichberechtigungsgesetz
i. V. m. der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderes Fahrdienstes begründet dies zugleich den Anspruch auf Zuerkennung
des Merkzeichens "T".
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.