Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Bewertung von Gesundheitsstörungen als Folgen rechts-staatswidriger Strafhaft in der DDR
und über den Umfang von darauf begründeten Versorgungsleistungen nach dem Häftlingshilfegesetz und dem BVG.
Die 1953 geborene Klägerin erlangte in der DDR den Abschluss als Diplomlehrerin für Polytechnik und arbeitete in diesem Beruf.
Sie ist Mutter dreier Kinder; der jüngste Sohn wurde im Mai 1985 geboren. Sie erlitt in der DDR in der Zeit vom 12. Mai 1988
bis 15. März 1989 eine rechtsstaatswidrige Haft und wurde am 15. März 1989 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.
Die Bescheinigung nach § 10 Abs 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) wurde ihr am 24. Juli 1989 erteilt. Sie beantragte am 28. April 1989 beim Beklagten als Versorgungsleistung eine Badekur
und füllte am 24. Mai 1989 den Formularantrag auf Versorgungsleistungen aus. Die Haft habe bei ihr zu Gesundheitsstörungen
in Form von depressiven Störungen, nervlicher Instabilität, Rückenbeschwerden und Beschwerden am rechten Handgelenk geführt.
Nach medizinischen Ermittlungen erteilte der Beklagte am 4. Mai 1990 einen Teilbescheid mit dem er als Schädigungsfolge rechtsstaatswidriger
Haft anerkannte: ein depressives Syndrom; der Grad der dadurch bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage weniger
als 25 v H. Die Klägerin habe Anspruch auf Heilbehandlung; die Durchführung einer Psychotherapie werde empfohlen. Zur abschließenden
Entscheidung über den Antrag sei noch eine orthopädische Untersuchung erforderlich. Der Beklagte bewilligte in der Folgezeit
der Klägerin mehrfach Badekuren. Er nahm weitere Ermittlungen auf dermatologischem, chirurgischem, augenärztlichem und internistischem
Fachgebiet vor. Mit dem auf den 9. August 1993 datierten Bescheid lehnte der Beklagte die Feststellung weitergehender Schädigungsfolgen
als im Teilbescheid ab. Der Teilbescheid sei nunmehr abschließend gültig. Die Klägerin hat bestritten, von diesem Bescheid
vor Januar 1995 Kenntnis erlangt zu haben.
Mit Schreiben vom 29. November 1994 beantragte die Klägerin einen Gesamtbescheid über die Schädigungsfolgen zu erhalten. Ihr
depressives Syndrom stelle sich weit stärker dar als die im Teilbescheid anerkannte MdE von 20 v H. Krankheitsbedingt sei
eine Berufstätigkeit weitgehend ausgeschlossen. Der Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 4. Januar 1995 mit, dass
er das Schreiben als Verschlimmerungsantrag werte, weil eine abschließende Entscheidung mit dem Bescheid vom 9. August 1993
gültig ergangen sei. Er forderte verschiedene medizinische Unterlagen an (u a Befundbericht der behandelnden Nervenärztin
Dr. M vom 14.03.1995, versorgungsärztliches Gutachten Dr. H vom 27.07.1995). Mit Bescheid vom 25. September 1995 lehnte der
Beklagte eine Änderung der erfolgten Feststellungen ab, weil sich das anerkannte Versorgungsleiden nicht verändert habe. Dies
ergebe sich aus dem Kurbericht, dem Ergebnis der versorgungsärztlichen Begutachtung und anderen ärztlichen Unterlagen.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Widerspruch vom 12. Oktober 1995. Trotz Stabilisierung in ihrem Leben habe sich
ihr psychischer Zustand verschlechtert. Es bestünden ein allgemeiner psychophysischer Erschöpfungszustand, erhebliche Antriebstörungen,
depressive Verstimmungen, nächtliche Alpträume und Phobien, insbesondere vor Menschenansammlungen. Dies sei auf das Hafttrauma
zurückzuführen. Nach Einholung eines Befundberichts von der behandelnden Gynäkologin wies der Beklagte den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 10. April 1996 zurück.
Mit ihrer dagegen gewandten Klage hat die Klägerin zunächst das Anliegen verfolgt, einen höheren Grad der MdE als 25 v H anerkennen
und Rentenleistungen gewähren zu lassen. Sie richtete ihr Begehren, nachdem der Beklagte mit Bescheid vom 31. Oktober 1996
als Schädigungsfolge eine posttraumatische Belastungsstörung ab 1. Dezember 1994 mit einer MdE von 30 v H und den Anspruch
auf Zahlung von Versorgungsbezügen anerkannt hatte, darauf, dass eine MdE von 30 v H bereits ab Antragstellung 1989 und infolge
der Verschlimmerung eine MdE von 40 v H ab Dezember 1994 anzuerkennen sowie ein Berufsschadensausgleich durchzuführen sei
(Schreiben vom 7.6.1997, 12.12.1997, 12.11.1998). Während des Gerichtsverfahrens erließ der Beklagte weitere Bescheide (20.10.1998
und 21.12.1998).
Das Sozialgericht holte die Befunde der behandelnden Nervenärztin (23.02.1999) und das psychiatrische Gutachten von Prof.
Dr. P vom 27. März 2000 ein. Mit Bescheid vom 27. November 2000 stellte der Beklagte eine MdE von 30 v H ab 1. Januar 1990
und eine MdE von 40 v H ab 1. Juli 1993 fest und erkannte einen Anspruch auf entsprechende Versorgungsrente an. Wegen des
Berufsschadensausgleich ergehe ein weiterer Bescheid. Der Beklagte erklärte den Rechtsstreit für erledigt. Mit Schreiben vom
7. Juni 2001 erklärten die Rechtsanwälte der Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich der Feststellungen der MdE ab Januar 1990
für erledigt; streitgegenständlich bleibe der Zeitraum von März bis Dezember 1989. Für diesen Zeitraum sei eine MdE von 30
v H festzusetzen. Mit Bescheid vom 6. Januar 2003 gewährte der Beklagte einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 2 BVG für die Zeiträume ab 1. Februar 1991 durch Erhöhung der im Bescheid vom November 2000 festgestellten MdE jeweils um 10 v
H. Ab 1. Februar 1991 könne eine besondere berufliche Betroffenheit festgestellt werden.
Die Klägerin hat verlangt, für den Berufsschadensausgleich als Vergleichseinkommen eine berufliche Tätigkeit als Hochschullehrerin
zu berücksichtigen. Als Schädigungsfolgen seien weiterhin Zahn- und Kieferschäden zu berücksichtigen. Es seien zudem wirtschaftliche
Schäden zu berücksichtigen, die sich aus der großen Bearbeitungsverzögerung des Beklagten ergeben hätten. Ihr seien insbesondere
Möglichkeiten entgangen, Wohnungseigentum zu erlangen; dabei seien Gebühren (Vermessungsnotar) und Erbbauzinsen als weitere
Aufwendungen entstanden. Ihr sei der entgangene Nutzungswert eines Einfamilienhauses zu zahlen (229.572 EUR). Darüber hinaus
habe der Beklagte im gesamten Zeitraum seit 1989 alle Förderungen zur Unterstützung der schulischen und beruflichen Entwicklung
der Kinder der Klägerin versäumt. Daraus seien auch den Kindern erhebliche Nachteile entstanden, weil diese die angestrebten
Abschlüsse nicht hätten erlangen können.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Urteil vom 17. Oktober 2006 die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, weil sich der
Rechtsstreit infolge der Erledigungserklärungen der Beklagten und der Bevollmächtigten der Klägerin vollumfänglich erledigt
habe. Der Streitgegenstand werde durch den ursprünglich angefochtenen Bescheid vom 25. September 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
umrissen. Mit diesem Bescheid habe der Beklagte eine Änderung der Feststellung zur Anerkennung eines depressiven Syndroms
als Schädigungsfolge abgelehnt. Durch die während des Gerichtsverfahrens ergangenen Bescheide sei diese Feststellung abgeändert,
eine höhere MdE festgestellt und Verletztenteilrente gewährt worden. Die daraufhin erteilten übereinstimmenden Erledigungserklärungen
hätten den Rechtsstreit vollständig erledigt. Die auf den Bescheid vom 23. Dezember 2005 erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
wegen weiterer Schädigungsfolgen (Zahn- und Kieferschäden) sei unzulässig, weil dieser Bescheid mangels Rechtshängigkeit nicht
mehr habe Gegenstand des Verfahrens werden können. Die Klage auf Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs sei unzulässig,
weil die im Bescheid vom 6. Januar 2003 enthaltenen Regelungen hinsichtlich des Berufsschadensausgleichs nicht Gegenstand
des Verfahrens haben werden können. Die weiteren Anträge der Klägerin seien auch deshalb unzulässig, weil der Beklagte hierüber
noch nicht durch Verwaltungsakt entschieden habe und auch ein Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung nicht durchgeführt
worden sei.
Mit ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, der Beklagte sei von einer "katastrophalen Ignoranz" gegenüber den bereits
unnötig angerichteten Schäden geprägt. Das gelte für den Berufsschadensausgleich, die Gesundheitsschäden an den Zähnen wie
auch bei der Benachteiligung der Kinder. Wer sich zehn Minuten den menschenverachtenden Verhören der DDR-Staatssicherheit
habe unterziehen müssen, leide zwangsläufig unter posttraumatischen Belastungsstörungen; auch die Kinder würden bis zwei Generationen
danach an posttraumatischen Belastungsstörungen erkranken. Dies sei dem Beklagten bekannt gewesen. Berufsschadensausgleich
sei deshalb für die Klägerin und ihre drei Kinder zu gewähren, der Klägerin ab 1989 auf der Grundlage eines Gehalts für Hochschullehrerinnen.
Der Beklagte sei die einzige Behörde, die umfassend Akten angelegt habe. Dies habe der Beklagte rechtsstaatswidrig zuungunsten
der Klägerin und ihrer 3 Kinder ausgenutzt. Deshalb seien die Akten zu vernichten. Das angefochtene Urteil sei fehlerhaft,
weil die Schöffen während der Verhandlung fest geschlafen hätten.
Der Senat hat die Verfahren hinsichtlich des Bescheides vom 6. Januar 2003 betreffend die Höhe des Berufsschadensausgleichs
und hinsichtlich des Bescheides vom 23. Dezember 2005 wegen der geltend gemachten weiteren Schädigungsfolge "Zahn- und Kieferschäden"
jeweils vom vorliegenden Rechtsstreit abgetrennt (neue Az: L 13 VH 83/09 und L 13 VH 84/09).
Die Klägerin beantragt im vorliegenden Rechtsstreit nunmehr sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2006 zu ändern, die Bescheide vom 9. August 1993 und vom 25. September
1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 1996 in der Form der Bescheide vom 31. Oktober 1996, der beiden
Bescheide vom 27. Dezember 1998 und der beiden Bescheide vom 27. November 2000 und des Bescheides vom 6. Januar 2003 zu ändern
und
den Beklagten zu verurteilen,
der Klägerin eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 für die Zeit vom 1. März bis 30. April 1989, nach einer MdE von 50
vom 1. Mai 1989 bis 30. Juni 1993 und nach einer MdE von 60 seit 1. Juli 1993 bis auf weiteres zu gewähren,
der Klägerin Ausgleichszahlungen wegen der entgangenen Möglichkeit, Wohnungseigentum zu bilden, zu gewähren und
die Ausbildungskosten, die Heil- und Krankenkosten sowie die Lebenshaltungskosten für ihre drei Kinder, die im Zusammenhang
mit der jeweils angestrebten Berufsausbildung entstanden sind und noch entstehen werden, zu gewähren,
die Akten zu vernichten.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 17. Oktober 2006 zurückzuweisen und die im Berufungsverfahren
erhobene weitergehende Klage abzuweisen.
Sie hat der Klageerweiterung hinsichtlich der Aktenvernichtung widersprochen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsakten
des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, sie hat jedoch keinen Erfolg. Die während des Berufungsverfahrens erhobene Klage auf Aktenvernichtung
ist unzulässig. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist hinsichtlich der Klageforderungen, soweit nicht die Abtrennung erfolgt
ist, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klage ist hinsichtlich der Forderungen für Zeiträume seit Januar 1990 unzulässig,
d h eine Entscheidung in der Sache ist dem Senat verwehrt. Dies folgt aus der Erledigung des Rechtsstreites hinsichtlich der
Klageforderungen für die Zeiträume seit Januar 1990 und dem Fehlen des Verwaltungsverfahrens für die weitergehenden Forderungen
der Klägerin (dazu 1.). Die im Berufungsverfahren erfolgte Klageerweiterung mit dem Begehren der Aktenvernichtung war nicht
sachdienlich, weshalb dem Senat eine Entscheidung in dieser Frage nach §
99 SGG verwehrt war (dazu 2.). Die Klage hinsichtlich der Forderungen für das Jahr 1989 hat in der Sache keinen Erfolg, weil der
Bescheid vom 9. August 1993 ab Februar 1995 bestandskräftig war und eine rückwirkende Leistungserbringung auf eine Überprüfung
nach § 44 SGB X hin für Zeiträume vor Januar 1990 wegen § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen war (dazu 3.).
1. Dem Senat ist eine Entscheidung über die Forderungen seit Januar 1990 in der Sache verwehrt. Dem steht die Erledigung des
Streitgegenstandes bzw. das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin entgegen.
a) Der Rechtsstreit ist erledigt, soweit die Klägerin eine Verletztenrente nach einer MdE von 50 vom 1. Januar 1990 bis 30.
Juni 1993 und nach einer MdE von 60 seit 1. Juli 1993 bis auf weiteres begehrt. Die Erledigungserklärungen der Klägerin und
der Beklagten haben insoweit den Rechtsstreit beendet, so dass dem Senat eine weitere Befassung verwehrt ist. Die Forderungen
wurden auch nicht in anderer Weise (erneut) Gegenstand des Verfahrens.
Der Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens wird entsprechend der auch im Sozialgerichtsverfahren geltenden Dispositionsmaxime
vom Kläger bzw von der Klägerin vorgegeben. Werden Leistungen geltend gemacht, ist bei Auslegungsbedarf des Begehrens im gerichtlichen
Verfahren das Leistungsbegehren ausgehend vom im Verwaltungsverfahren gestellten und ggf ganz oder teilweise abgelehnten Antrag
her zu ermitteln. Entsprechend der ständigen BSG-Rechtsprechung ist bei Zweifeln über die Auslegung des Begehrens in Antrag
und Antragsgründen das Günstigkeitsprinzip anzuwenden. Dabei ist bei Versorgungsrechtsstreiten ebenfalls mit der ständigen
Rechtsprechung des BSG davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles und des Kenntnisstandes
im Zeitpunkt der Entscheidung umfassend Leistungen beantragt werden (vgl. BSG Urteil vom 02.10.2008, B 9 VH 1/07 R, RdNr 40).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich im Falle der Klägerin, dass diese mit ihrer Klage angesichts ihres wiederholten
schriftlichen Vorbringens (Schreiben vom 7.6.1997, 12.12.1997, 12.11.1998) die Feststellung einer MdE von 30 v H bereits ab
Antragstellung 1989 und einer MdE von 40 v H infolge der Verschlimmerung ab Dezember 1994 sowie die darauf beruhende Rentengewährung
verlangt hat. Durch wirksame Klageerweiterung mit Schreiben vom 10. November 1999 begehrte sie überdies dem Grunde nach,
einen Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs 2 BVG durchzuführen. Die Klageforderung hinsichtlich des Berufsschadensausgleichs wurde hinsichtlich ihrer zeitlichen Geltung nicht
konkretisiert, so dass angesichts der Konkretisierung der geforderten MdE-Grade als frühestmöglicher Zeitpunkt erst der Dezember
1994 (Erhöhung um 10 auf 40) in Betracht kommen kann. Ein weitergehendes Klagebegehren lässt sich bis zum Zeitpunkt der Erklärungen
im Juni 2001 nicht feststellen, auch nicht unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände des konkreten Falles.
Mit dem Bescheid vom 27. November 2000 hat der Beklagte für Zeiträume ab 1. Januar 1990 dem klägerischen Begehren hinsichtlich
der MdE-Feststellung und der Rentengewährung vollumfänglich entsprochen. Entsprechend erfolgten übereinstimmende Erledigungserklärungen
durch die Beteiligten, welche den Rechtsstreit insoweit beendeten. Auch dies folgt aus der Dispositionsbefugnis der Beteiligten.
Offen geblieben ist der Rechtsstreit daher nur hinsichtlich der Leistungsforderung vor Januar 1990 und hinsichtlich der Forderung
auf Verurteilung des Beklagten zur Durchführung des Berufsschadensausgleiches dem Grunde nach ab Dezember 1994. Sofern die
Klägerin inzwischen eine höhere MdE geltend macht, kann sie dies nur im Wege der Überprüfung nach §§ 44, 48 SGB X erreichen. Die entsprechenden Verwaltungsverfahren sind vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durchzuführen.
Der Bescheid vom 6. Januar 2003 hat die Klageforderung hinsichtlich des Berufsschadensausgleiches umfassend erfüllt, weil
der Anspruch darauf bereits für Zeiträume ab Februar 1991 zuerkannt wurde. Damit entfiel das Rechtsschutzbedürfnis für eine
weitere Rechtsverfolgung insoweit. (Nach dem sich der Rechtsstreit hinsichtlich des Berufsschadensausgleichs in der Sache
erledigt hatte, konnten die weitergehenden Forderungen nur im Wege einer Klageänderung nach §
99 SGG Gegenstand des Verfahrens werden. Die dafür erforderliche Einwilligung des Beklagten ist mit der rügelosen Einlassung auf
den Inhalt der Forderung in den Schreiben vom 27. November 2003 und vom 12. März 2004 erfolgt - §
99 Abs
2 SGG. Um den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das insoweit noch nicht abgeschlossene Widerspruchsverfahren nachzuholen, wurde
der Rechtsstreit insofern abgetrennt und ist nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Gleiches gilt für das Verfahren
wegen eines Versorgungsleiden "Zahn- und Kieferschäden".)
b) Hinsichtlich der Forderungen nach Ausgleichszahlungen wegen der entgangenen Möglichkeit, Wohnungseigentum zu bilden, und
der Forderung nach Ausbildungskosten, die Heil- und Krankenkosten sowie die Lebenshaltungskosten für ihre drei Kinder während
der Ausbildung fehlt es bereits am entsprechenden Verwaltungsverfahren. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist insoweit nicht
zu beanstanden. Zwingende Prozessvoraussetzung ist, dass vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes die Sozialverwaltung
mit dem konkreten Anliegen befasst wird und deren Entscheidung in einem Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) überprüft wurde
(§§
54 Abs
4,
78 SGG). Ohne Vorbefassung der Behörde fehlt es nach ständiger Rechtsprechung am Bedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen
Rechtsschutzes.
c) Soweit die Klägerin rügt, dass in der Verhandlung vor dem Sozialgericht die ehrenamtlichen Richter geschlafen hätten, kommt
eine Verweisung zurück an das Sozialgericht zur erneuten Verhandlung nicht in Betracht. Falls ein solcher Verfahrensfehler
aufgetreten sein sollte, wäre er durch die ordnungsgemäß durchgeführte Verhandlung vor dem erkennenden Senat unbeachtlich
geworden.
2. Die Entscheidung über die Forderung der Aktenvernichtung ist ausgeschlossen, weil die Klägerin ihre Klagen insoweit nicht
wirksam erweitern konnte. Nach §
99 SGG ist eine Klageänderung nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich
hält. Die Beklagte hat der Änderung der Klage widersprochen. Eine Klageänderung war hier nicht sachdienlich, weil die Aktenvernichtung
einen völlig anderen Gegenstand betrifft als die unmittelbar mit dem Leistungsverhältnis verbundenen anderen Klagegegenstände
und die Klage zudem mangels Vorbefassung des Beklagten unzulässig wäre.
3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung einer höheren MdE und entsprechende Leistungen für Zeiträume vor 1990.
Zutreffend hat das Sozialgericht insoweit ausgeführt, dass eine rückwirkende Änderung über § 48 SGB X deshalb ausgeschlossen ist, weil eine Verschlimmerung nach dieser Vorschrift keine Wirkung für Zeiträume vor Erlass des Teilbescheides
vom 4. Mai 1990 bewirken kann. Dies gilt auch für die Möglichkeit rückwirkender Korrekturen nach § 60 Abs 2 BVG.
Unzutreffend hat das Sozialgericht allerdings das Schreiben der Klägerin vom 29. November 1994 nur als Verschlimmerungsantrag
und nicht auch als Antrag auf Überprüfung nach § 44 SGB X bewertet. Zwar kann dieses Schreiben nicht als Widerspruch gegen den Bescheid vom 9. August 1993 gewertet werden, weil dieser
Bescheid der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag erst im Januar 2005 zur Kenntnis gelangte und ein früherer Zeitpunkt der
Bekanntgabe vom Beklagten auch nicht bewiesen werden konnte. Dem Schreiben fehlt deshalb der Anfechtungswille hinsichtlich
des Bescheides vom 9. August 1993. Allerdings lässt das Schreiben hinreichend deutlich erkennen, dass der Klägerin an einer
vollständigen inhaltlichen Überprüfung des Teilbescheides vom 4. Mai 1990, insbesondere an der Feststellung einer höheren
MdE und entsprechenden Versorgungsleistungen gelegen war. Dieser Teilbescheid erlangte endgültige Wirkung mit Kenntnis des
Bescheides vom 9. August 1993 seitens der Klägerin im Januar 1995 (spätestens 12.01.1995). Weil sie gegen diesen Bescheid
nicht innerhalb der Monatsfrist Widerspruch einlegte, erlangte der Bescheid Bestandskraft spätestens am 12. Februar 1995.
Die Leistungsablehnung wurde damit für alle Beteiligten verbindlich, soweit nicht durch die Zugunstenüberprüfung nach § 44 SGB X eine rückwirkende Korrektur ermöglicht ist.
Nach § 44 Abs 4 SGB X kann eine Leistungserbringung längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erfolgen, wobei nach Satz
3 der Vorschrift der Zeitpunkt des Antrages maßgeblich ist. Die vom Beklagten mit Bescheid vom 27. November 2000 vorgenommene
Rückbewirkung ihrer Entscheidung auf Zeiträume ab 1. Januar 1990 schöpft den zeitlichen Rahmen von § 44 Abs 4 SGB X vollständig aus. Ein weiteres Zurückreichen von Leistungen für die Vergangenheit lässt das Gesetz nicht zu.
Ein Anspruch, der nur auf eine abweichende Feststellung des Grades der MdE reduziert ist, bestand nicht, weil eine rückwirkende
Zugunstenüberprüfung insofern wegen § 44 Abs 2 Satz 2 SGB X in das Ermessen der Sozialverwaltung gestellt ist Im Falle der Klägerin ist angesichts des Leistungsausschlusses und der
Feststellungen und Leistungsbewilligungen für Zeiträume ab 1990 die Ablehnung entsprechender Feststellungen nicht ermessensfehlerhaft.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Sie berücksichtigt den überwiegenden Erfolg der Rechtsverfolgung im Sozialgerichtsverfahren erster Instanz und die Erfolglosigkeit
der Rechtsverfolgung im Übrigen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 SGG).