Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung; Verfassungsmäßigkeit der alleinigen Berücksichtigung
gemeinsamer unterhaltsberechtigter Kinder bei den Freibetragsregelungen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Beitragshöhe.
Die 1971 geborene Klägerin erhielt bis zum 1. März 2013 Leistungen von der Agentur für Arbeit. Auf Anfrage der Beklagten zum
Fortbestand der Versicherung erklärte sie, dass sie seit dem 1. März 2013 bis auf weiteres selbstständig als Rechtsanwältin
tätig sei. Der Umfang ihrer Tätigkeit betrage zwei Tage pro Woche mit max. 18 Stunden. Am 15. März 2013 habe sie geheiratet,
ihr Ehemann sei als Beamter privat krankenversichert. Sie legte ihr erteilte Steuerbescheide für die Jahre 2011 und 2010 mit
Einkünften aus selbständiger Tätigkeit sowie einen Einkommensnachweis für ihren Ehemann vor.
Durch Bescheide vom 3. April 2013 stellten die Beklagten fest, dass die Klägerin seit dem 1. März 2013 freiwillig krankenversichert
und in der Pflegeversicherung pflichtversichert sei. Bis zum 14. März 2013 habe sie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
auf der Grundlage der gesetzlichen Mindestbemessungsgrundlage von 898,33 € zu zahlen. Ab dem 15. März 2013 sei sie dagegen
auf der Grundlage der gesetzlichen halben Beitragsbemessungsgrenze in Höhe von 1.968,75 € zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet.
Daraus errechne sich ein monatlicher Beitrag zur Kranken und Pflegeversicherung ab 1. April 2013 von 333,70 €.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie machte geltend, dass in dem gemeinsam mit ihrem Ehemann geführten Haushalt fünf minderjährige
Kinder leben würden. Das Kind M sei ein gemeinsames Kind. Ihre zwei anderen Kinder A und M würden ebenfalls ständig im Haushalt
leben. Zwei weitere Kinder ihres Ehemannes aus einer anderen Beziehung würden an acht Tagen im Monat im gemeinsamen Haushalt
leben. Ihr Ehemann würde diesen Kindern monatlich Unterhalt in Höhe von 582,- € gewähren und die private Krankenversicherung
für seine drei Kinder zahlen. Daneben müsse er auch Beiträge zu seiner eigenen privaten Krankenversicherung entrichten. Für
ihre beiden Kinder erhalte sie monatlichen Unterhalt in Höhe von zusammen 700,- €. Ihr maximales Einkommen aus ihrer Erwerbstätigkeit
werde 500,- € nicht übersteigen. Die Beiträge seien nachvollziehbar und unter Berücksichtigung von Freibeträgen für die Kinder
erneut zu berechnen.
Die Beklagten wiesen durch Schreiben vom 10. April 2013 darauf hin, dass sie auch nach Prüfung der Angaben keine Änderungen
bei der Beitragshöhe vornehmen könnten.
Daraufhin hat die Klägerin am 13. Mai 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin mit dem Ziel erhoben, die Beklagte zur Neuberechnung
der Beiträge zu verurteilen. Es sei zu überprüfen, ob § 2 der Verfahrensgrundsätze Selbstzahler verfassungsgemäß nicht dahingehend
auszulegen sei, dass auch für nicht gemeinsame Kinder Freibeträge zu gewähren seien bzw. ob diese Vorschrift gegen das
Grundgesetz verstoße und daher rechtswidrig sei. In ihrem - der Klägerin - Haushalt würden neben dem gemeinsamen Kind zwei weitere Kinder
der Klägerin und an acht Tagen im Monat zwei Kinder ihres Ehemannes leben. Es handele sich um eine Patchworkfamilie. Die Versagung
weiterer Freibeträge verstoße gegen das
Grundgesetz. Das Fehlen einer Gleichbehandlung der anderen Kinder sei umso unverständlicher, als sich der Gesetzgeber im Sozialrecht
für das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft entschieden habe und darunter auch nicht eigene bzw. Kinder nur eines Elternteils
erfasse, solange sie im gemeinsamen Haushalt mitlebten.
Die Beklagten haben durch Widerspruchsbescheid vom 8. August 2013 den Widerspruch zurückgewiesen. Nach § 2 der Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler sei bei Mitgliedern, deren Ehegatten nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert seien, für die
Beitragsberechnung neben den Einnahmen des Mitglieds auch die Einnahmen des Ehegatten bis zur Höhe der halben Beitragsbemessungsgrenze
zu berücksichtigen. Freibeträge könnten nur für jedes gemeinsame unterhaltsberechtigte Kind abgesetzt werden. Auch nach Berücksichtigung
des Freibetrages für das gemeinsame Kind M bleibe das Einkommen des Ehemannes zusammen mit dem Arbeitseinkommen oberhalb der
halben Beitragsbemessungsgrenze, so dass diese für die Beitragsberechnung maßgeblich sei.
Das Sozialgericht hat die Klägerin zunächst auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 14. Mai 2013 - L 11 KR 1553/11 hingewiesen, wonach es nicht gegen das
Grundgesetz verstoße, dass bei der Berücksichtigung von Ehegatteneinkommen Freibeträge nur für gemeinsame Kinder gewährt würden. Nach
Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht dann durch Gerichtsbescheid vom 23. April 2014 die Klage abgewiesen. Zur Begründung
hat es auf die Ausführungen im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg Bezug genommen, dem es sich nach eigener
Prüfung anschließe.
Gegen den ihr am 2. Mai 2014 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. Mai 2014 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingegangene Berufung der Klägerin. Zur Begründung nimmt sie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug. Zudem trägt sie vor,
dass der Vater ihrer Kinder A und M nicht in Deutschland sozialversichert sei, so dass die Kinder nicht im Inland über ihren
Vater familienversichert werden könnten. Das Sozialgericht habe versäumt, die Parallele der von ihm zitierten Gerichtsentscheidungen
zum vorliegenden Fall deutlich zu machen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. April 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. April 2013 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2013 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, die Beiträge neu zu berechnen
unter Berücksichtigung von Freibeträgen für die Kinder A K-M, M K-M, ES und E S.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten
verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts erweist sich als zutreffend. Der Bescheid
der Beklagten vom 3. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. August 2013 ist nicht rechtswidrig und verletzt
die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die von ihr zur freiwilligen Kranken-und
gesetzlichen Pflegeversicherung zu entrichtenden Beiträge unter Berücksichtigung von zusätzlichen Freibeträgen für Kinder
berechnet werden.
Die Klägerin war nach §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) ab dem 1. März 2013 freiwilliges Mitglied bei der Beklagten zu 1) und damit nach §
20 Abs.
3 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) versicherungspflichtig bei der Beklagten zu 2). Nach §
240 SGB V war die Bemessung der von der Klägerin an die Beklagte zu 1) zu entrichtenden Beiträge dann einheitlich durch den Spitzenverband
Bund der Krankenkassen zu regeln, wobei sicherzustellen war, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
berücksichtigt. Gemäß §
240 Abs.
4 SGB V waren als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag mindestens der 90. Teil der monatlichen Bezugsgröße zu Grunde
zu legen. §
240 Abs.
4 S. 2
SGB V, wonach für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, eine höhere Mindestbemessungsgrundlage
gilt, fand auf die Klägerin trotz der von ihr ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwältin keine Anwendung. Denn die hauptberufliche
Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit setzt voraus, dass ihr in einem Umfang nachgegangen wird, der den einer Halbtagsbeschäftigung
übersteigt (BSG v. 29. Februar 2010 - B 12 KR 4/10 R - juris Rn 17). Das war bei der Klägerin nicht der Fall, die lediglich an zwei Tagen in der Woche mit maximal 18 Stunden
einer Tätigkeit als selbständige Rechtsanwältin nachgehen wollte. Mit Recht hat die Beklagte zu 1) daher der Beitragsbemessung
ab dem 1. März 2013 die Mindestbeitragsbemessungsgrundlage nach §
240 Abs.
4 Satz 1
SGB V zugrunde gelegt.
Gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler war seit dem 15. März 2013 wegen der Heirat der Klägerin
bei der Bemessung ihrer Beiträge auch das Einkommen ihres Ehemannes zu berücksichtigen. Denn dieser gehörte als beihilfeberechtigter
und freiwillig versicherter Beamter nicht einer gesetzlichen Krankenkasse im Sinne des §
4 Abs.
2 SGB V an. Die rechnerische Umsetzung der für die Beitragsbemessung maßgebenden Vorschriften durch die Beklagte zu 1) ist nicht
zu beanstanden. Nach § 2 Abs. 4 Satz 2 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler ist von den Einnahmen des Ehegatten für
jedes gemeinsame unterhaltsberechtigte Kind, für das eine Familienversicherung nur wegen der Regelung des §
10 Abs.
3 SGB V nicht besteht, ein Betrag in Höhe von einem Drittel der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB Viertes Buch abzuziehen.
Die Beklagte zu 1) hat das Einkommen des Ehegatten der Klägerin auf der Grundlage des vorliegenden Besoldungsnachweises ermittelt
und für den gemeinsamen Sohn der Eheleute einen Freibetrag entsprechend der in den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler
enthaltenen Vorgabe abgezogen. Danach hat sie die eigenen Einnahmen der Klägerin zusammen mit den um den Freibetrag verminderten
Einnahmen ihres Ehegatten bis zur Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt. Eine der in § 2 Abs. 4 Satz 4 Beitragsverfahrensgrundsätze
Selbstzahler geregelten Ausnahmen, bei denen von der Anrechnung des Ehegatteneinkommens bis zur halben Beitragsbemessungsgrenze
abzusehen war, lag nicht vor.
Für das Begehren der Klägerin, weitere Freibeträge für nicht gemeinsame Kinder abzuziehen, gibt es keine Rechtsgrundlage.
§ 2 Abs. 4 Satz 2 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler beschränkt den Abzug eines Freibetrags ausdrücklich auf gemeinsame
unterhaltsberechtigte Kinder. Das steht in Übereinstimmung mit der höherrangigen Regelung in §
240 Abs.
5 SGB V. Nach dieser Vorschriftist, soweit bei der Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder des Einkommen des Ehegatten berücksichtigt
wird, von diesem Einkommen für jedes gemeinsame unterhaltsberechtigte Kind ein bestimmter Betrag abzusetzen, und zwar in Höhe
von einem Drittel der monatlichen Bezugsgröße, wenn eine Familienversicherung für das jeweilige Kind nicht besteht; und in
Höhe von einem Fünftel der monatlichen Bezugsgröße, wenn eine Familienversicherung für das Kind besteht. In beiden Alternativen
sieht die Vorschrift nur den Abzug von Freibeträgen für gemeinsame unterhaltsberechtigte Kinder vor (ebenso SG Köln v. 9.
März 2012 - S 29 KR 152/11 - juris Rn 27; LSG Baden-Württemberg v. 14. Mai 2013 - L 11 KR 1553/11 - juris Rn 25; LSG Nordrhein-Westfalen v. 9. Oktober 2014 - L 16 KR 388/13 - juris Rn 33).
Der Senat ist nicht der Auffassung, dass die im Gesetz angelegte Beschränkung des Abzuges eines Freibetrages auf gemeinsame
unterhaltsberechtigte Kinder verfassungswidrig ist (ebenso SG Köln v. 9. März 2012 - S 29 KR 152/11 - juris Rn 28; LSG Baden-Württemberg v. 14. Mai 2013 - L 11 KR 1553/11 - juris Rn 26). Insoweit weist er darauf hin, dass es dem Gesetzgeber grundsätzlich freisteht zu entscheiden, wie er die
ihm nach Art.
6 Grundgesetz (
GG) obliegende Verpflichtung zur Förderung von Ehe und Familie erfüllt. Er ist deswegen nicht verpflichtet, einen Ausgleich
für die mit Kindern verbundenen Unterhaltslasten gerade im Rahmen der Berechnung von freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen
Krankenversicherung vorzusehen (ebenso SG Köln v. 9. März 2012 - S 29 KR 152/11 - juris Rn 30; LSG Baden-Württemberg v. 14. Mai 2013 - L 11 KR 1553/11 - juris Rn 28). Aus diesem Grund ist nicht zu beanstanden, wenn Einkommen der Beitragsbemessung zugrunde gelegt wird, obwohl
es wegen bestehender Unterhaltspflichten nur eingeschränkt zur Finanzierung des Lebensbedarfs zur Verfügung steht. Daran ändert
auch nichts die Einführung des Rechtsinstituts der Bedarfsgemeinschaft im Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Es ist kein verfassungsrechtlicher Rechtssatz ersichtlich, wonach der Gesetzgeber bei der Regelung unterschiedlicher Lebensbereiche
nicht verschiedene Maßstäbe zugrunde legen dürfte. Der Gesetzgeber darf unterschiedliche Anknüpfungspunkte wählen, soweit
unterschiedliche Lebensbereiche betroffen sind (BSG v. 23. Mai 2013 - B 4 AS 67/11 R - juris Rn 16).
Auch eine Verletzung des Art.
3 Abs.
1 GG scheidet nach Auffassung des Senats aus (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen v. 9. Oktober 2014 - L 16 KR 388/13 - juris Rn 34; LSG Baden-Württemberg v. 14. Mai 2013 - L 11 KR 1553/11 - juris Rn 29). Art.
3 Abs.
1 GG verbietet dem Gesetzgeber, eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere Gruppe zu behandeln, wenn zwischen beiden
Gruppen keine Unterschiede bestehen, welche die Ungleichbehandlung rechtfertigen können. Nach Auffassung des Senats liegt
es noch im Rahmen der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers, wenn er den Abzug von Freibeträgen bei der Berücksichtigung von
Ehegatteneinkommen im Rahmen der Bemessung von Beiträgen zur freiwilligen Krankenversicherung auf gemeinsame unterhaltsberechtigte
Kinder beschränkt. Denn typischerweise besteht nur bei gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kindern eine Unterhaltsbelastung,
die ausschließlich den freiwillig Versicherten und seinen Ehegatten trifft. Bei Kindern aus anderen Beziehungen werden dagegen
die Unterhaltslasten und die Verpflichtung zur Personensorge jedenfalls typischerweise dadurch verringert, dass zusätzlich
auch der jeweils andere außerhalb der (neuen) Ehe stehende Elternteil verpflichtet ist. Dies trifft auch hier zu. Die Klägerin
erhält für ihre beiden anderen Kinder, die nicht von ihrem jetzigen Ehemann abstammen, Unterhaltszahlungen des Vaters. Insoweit
wird der zwischen ihr und ihrem Ehemann bestehende Unterhaltsverbund entlastet. Entsprechendes gilt für die nicht gemeinsamen
Kinder ihres Ehemannes. Durch den Unterhalt und die Personensorge für diese beiden Kinder wird weder die Klägerin noch ihr
Ehemann so betroffen, wie dies bei einem gemeinsamen Kind der Fall wäre. Dies zeigt sich schon daran, dass die Kinder nur
in zeitlich beschränkten Umfang in der gemeinsamen Ehewohnung leben.
Das für die Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung Gesagte gilt gleichermaßen für die Beiträge zur Pflegeversicherung.
Nach §
57 SGB XI gelten für die Bemessung der Beiträge zur Pflegeversicherung die für die Krankenversicherung maßgebenden Vorschriften entsprechend.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision im Hinblick auf die beim BSG zu den Aktenzeichen B 12 KR 15/13 R und B 12 KR 21/14 R in Parallelfällen bereits anhängigen Revisionen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugelassen.