Off-Label-Use; MADSAM; CIDP; Immunglobulin; seltene Erkrankung
Tatbestand:
Der 1962 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet an einer chronischen inflammatorischen
demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) in Form einer MADSAM (multifocal acquired demyelinating sensory and motor neuropathy,
Lewis-Sumner-Syndrom). Das Leiden äußert sich in Gefühls- und Kraftminderung im linken Arm. Die Lähmungserscheinungen haben
sich mittlerweile auf das linke Bein, den Schulterbereich, das Gesicht und ausstrahlend auf die rechte Körperhälfte ausgedehnt.
Zur Behandlung seiner Erkrankung erhält der Kläger seit längerem regelmäßig alle vier Wochen im Rahmen eines kurzzeitigen
stationären Aufenthaltes von zwei Tagen intravenös Immunglobuline (IVIG-Therapie).
Das Arzneimittel G ist unter anderem zur Behandlung von Immunmodulationen bei CIDP zugelassen.
Das Legen des erforderlichen Venenzugangs ist aufgrund vernarbter Venen mit Schwierigkeiten und für den Kläger mit Schmerzen
verbunden.
Aufgrund der Dickflüssigkeit der Infusionen leidet dieser auch danach unter Schmerzen. Die intravenöse Applikationsform führt
zwangsläufig zur häufigen Abwesenheiten am Arbeitsplatz.
Für den Kläger beantragte Dr. H, behandelnde Arzt der C, mit Schreiben vom 18. Juli 2011 die Kostenübernahme für eine subkutane
Immunglobulintherapie, z. Bsp. mit V. Die subkutane Immunglobulin-therapie stelle gegenüber der intravenösen Immunglobulintherapie
die kostengünstige Variante dar. Dabei werden die Immunglobulinesubkutan über eine Pumpe appliziert.
Der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) teilte im
sozialmedizinischen Gutachten vom 17. August 2011 (Verfasserin: Dr. S) mit, dass weder das zugelassene Arzneimittel Vnoch
andere subkutan applizierbare Immunglobuline für die Krankheit des Klägers CIDP zugelassen seien. Begehrt werde deshalb ein
sogenannter "Off-Label-Use".Die Erkrankung des Klägers sei weder akut lebensbedrohlich, noch handle es sich bei der CIDP um
eine Erkrankung, bei der aufgrund der Seltenheit die Erforschung neuer Arzneimitteltherapien nicht möglich sei. Zur Behandlung
gebe es andere Therapien, insbesondere die mit intravenös verabreichten Globulinen.
Mit Bescheid vom 24. August 2011 lehnte die Beklagte daraufhin die Kostenübernahme ab.
Der Kläger erhob am 29. August 2011 Widerspruch. Das Legen der Infusionsnadel sei mittlerweile extrem kompliziert und für
ihn sehr schmerzhaft. Sein Arbeitgeber sei noch bereit, alle vier Wochen den Arbeitsausfall mitzutragen. Es stelle für ihn
eine erhebliche Minderung der Lebensqualität dar, seine Aktivitäten immer danach planen zu müssen, wieder ins Krankenhaus
zu müssen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2011 zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er unter anderem ausgeführt, mit dem begehrten Arzneimittel könne der Immunglobulinspiegel permanent
hoch gehalten werden und es sei damit zu rechnen, dass Schmerzzustände und Missempfindungen unterdrückt würden.
Er leide an einer seltenen Erkrankung leide und deshalb nicht auf das Fehlen von Phase III-Studien verwiesen werden könne.
Zum Ende der bisherigen Behandlungszyklen verstärkten sich die Schmerzen und Sensibilitätsstörungen in den Extremitäten. Es
deuteten sich Zerstörungsprozesse der Nervenhäute an. Er erhalte in den Therapiepausen zur Schmerzlinderung ein Schmerzmittel,
welches Nebenwirkungen habe.
Das SG hat Befundberichte der behandelnde Ärzte eingeholt, auf die ergänzend verwiesen wird.
Es hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Mai 2013 abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt hat.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. Mai 2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 24. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27. September 2011 zu verpflichten, die Kosten für die Anwendung
des Medikamentes Vivaglobin im Rahmen des Off-Label-Use nach ärztlicher Verordnung zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Veranlassung des Senats hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme des MDK vom 11. Oktober 2013 eingeholt. Darin wird
unter anderem ausgeführt, dass den zunehmend schwieriger werdenden Venenverhältnissen durch die Anlage eines subkutanen Zentralvenösen-Port-Systems
zur Sicherung eines geeigneten Zugangs für regelmäßige intravenöse Infusionen begründet werden könne. Bei dem stabilen Allgemeinzustand
und der dokumentierten guten Verträglichkeit der bisherigen IVIG-Therapie sei die medizinische Notwendigkeit stationärer Bedingungen
nicht ableitbar.
Derzeit liefen Studien (auch der Phase-III) hinsichtlich der Beeinflussung des Krankheitsverlaufes einer CIPD mit intravenösen
Immunglobulinen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Unterlagen und Befundberichte wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine nach §§
155 Abs.
3,
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entschieden werden. Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.
Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben. Das SG hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.
Der Kläger hat (derzeit) keinen Anspruch auf die begehrte Versorgung mit den intravenös zu applizierenden Immunglobulinen.
Nach §
31 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Medikamenten, soweit die Arzneimittel nicht nach §
34 SGB V oder durch Richtlinie nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
6 SGB V ausgeschlossen sind.
Grundsätzlich ist dabei ein Fertigarzneimittel, welches keine arzneimittelrechtliche Zulassung für dasjenige Indikationsgebiet
besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll, mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§
2 Abs.
1 Satz 1, §
12 Abs.
1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach §§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 u. 3, 31 Abs.
1 Satz 1
SGB V umfasst (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG -; vgl. Urteil vom 30. Juni 2009 - B 1 KR 5/09 R, Rdnr. 19 m. w. N.).
Die intravenös verabreichten Infusionen des Arzneimittel Gamunex erfolgen zulassungsgemäß: Es ist u. a. zur Behandlung der
CIDP zugelassen. Hingegen haben die subkutan verabreichten Globuline bislang kein entsprechendes zugelassenes Anwendungsgebiet.
Ausnahmen vom Grundsatz, dass nur für andere Anwendungsgebiete zugelassene Arzneimittel nicht geleistet werden dürfen, gibt
es nach der Rechtsprechung des BSG zum sogenannten Off-Label-Use (grundlegend: BSG, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R, BSGE 89, 184) bei einer schwerwiegenden Erkrankung, für die eine andere Therapie nicht verfügbar ist und aufgrund einer spezifischen Datenlage
ein begründete Annahme für einen Behandlungserfolg in der Form besteht, dass mit einer künftigen Zulassung gerechnet werden
kann (BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 1/06 R juris-Rdnr. 19).
Auch wenn der Kläger unter einer seltenen Form der der Erkrankung CIDP leidet, muss er sich auf die Behandlung mit Immunglobulinen
in intravenöser Gabe verweisen lassen. Es ist insoweit eine andere Therapie verfügbar.
Dabei könnte den zunehmenden Schmerzen und Beschwerden durch das Anlegen des Zugangs durch das Legen eines Dauerports begegnet
werden.
Es ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Schmerzen während der Behandlung selbst bzw. aufgrund der Infusion
der Immunglobuline und die durch das Nachlassen der heilenden Wirkung am Ende des Zyklus nicht zumutbar entgegengewirkt werden
könnte.
Solange der Anwendungsbereich der subkutan applizierbaren Immunglobuline nicht auf den Krankheitstyp des Klägers erweitert
ist, muss sein Begehren erfolglos bleiben.
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es nach der Rechtsprechung des BSG die Besonderheiten seltener Erkrankungen grundsätzlich nicht rechtfertigen, die Evidenzanforderungen an Qualität, Unbedenklichkeit
und Wirksamkeit von Arzneimitteln für ihre Verordnungsfähigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abzusenken.
Es bestünde sonst nämlich die Gefahr, dass das für die Besonderheiten seltener Erkrankungen geschaffene differenzierte Zulassungssystem
umgangen werde. Arzneimittelverwendung außerhalb der zugelassenen Indikationen bedeute, Arzneimittel ohne die arzneimittelrechtlich
vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen. Diese Kontrolle solle in erster Linie Patienten vor inakzeptablen
unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen (BSG, Urt. v.3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R- Rdnr. 20 mit weiteren Nachweisen).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Ein Revisionsgrund nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegt nicht vor.