Vergütung einer Krankenhausbehandlung in der gesetzlichen Krankenversicherung; Abrechnung einer Motivationsbehandlung Abhängigkeitskranker
Tatbestand:
Im Streit ist die Vergütung einer Krankenhausbehandlung.
Die Beklagte betreibt u. a. eine in den Krankenhausplan des Landes Berlin aufgenommene Klinik für Abhängigkeitserkrankungen.
Dort wird ein Behandlungskonzept des motivierenden Entzuges umgesetzt. Es umfasst zum einen die Behandlung des Alkoholentzugssyndroms,
also der körperliche Entzug, zum anderen eine Motivationsbehandlung mit dem Ziel, Schritte des alkoholkranken Patienten aus
seiner Abhängigkeit einzuleiten. Zu diesem sog. Qualifizierten Entzug (QE) gehören eine psychiatrische Diagnostik und Begleitung
des Patienten sowie eine Therapie der Alkoholfolge- oder Alkohol-Begleiterkrankungen. Die Behandlung wird durch ein multiprofessionelles
Team durchgeführt, das neben Ärzten und Pflegepersonal auch Suchtberater und Ergotherapeuten umfasst. Für die Patienten wird
ein psychosoziales Motivationsangebot von mindestens drei Stunden täglich bereitgehalten, das u. a. körperliche Aktivitäten,
Informationsveranstaltungen, Einzel- und Gruppengespräche umfasst. Die Patienten sollen zudem in ein Suchthilfesystem integriert
werden.
In dieser Klinik wurde die bei der Klägerin versicherte Frau V vom 16. Juni 2008 bis zum 27. Juni 2008 im QE behandelt. Die
Aufnahmediagnose lautete "Alkoholkrankheit". Die Versicherte wurde am 19. Juni 2008 dem Konsiliararzt Dr. H, Facharzt für
Psychiatrie und Neurologie, vorgestellt. Ausweislich des schriftlich dokumentierten Befundes stellte dieser fest, dass eine
zusätzliche behandlungsbedürftige psychiatrische Störung zur Zeit nicht vorliege.
Die Beklagte stellte mit Rechnung Nr. 3800007386 vom 18. Juli 2008 für die Behandlung der Versicherten 2.510,73 € in Rechnung.
Dabei legte sie die DRG V 60A zu Grunde.
Die Klägerin zahlte unter Vorbehalt und meldete Zweifel an der Kodierung der durchgeführten Prozedur an (OPS 8-985/Motivationsbehandlung
Abhängigkeitskranker - Qualifizierter Entzug). Sie informierte die Klägerin über eine Einleitung eines Prüfverfahrens durch
den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK).
Die Gutachterin des MDK H gelangt in ihrem Gutachten vom 17. Oktober 2008 zu dem Ergebnis, dass die Abrechnung der DRG V 60A
falsch sei. Sachgerecht sei vielmehr V 60B. Die Prozedur OPS8-985 sei nicht bestätigt. Dazu wäre eine kontinuierliche systematische
Supervision durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein Therapiemanagement unter Einsatz differenzierter
Therapieelemente in Kombination von Gruppen- und Einzelarbeit mit mindestens drei Stunden pro Tag erforderlich gewesen. Auch
die Zweitgutachterin des MDK C gelangte unter dem 20. Januar 2009 zum selben Ergebnis. Hinsichtlich der Therapien fehle ein
konkreter datenbezogener Nachweis der Therapieteilnahme, zum Beispiel durch Vorlage eines patientenbezogenen Wochentherapieplanes.
Die Klägerin forderte die Beklagte zur Rückzahlung von 1.008,18 € auf (erstmaliges Rückforderungsschreiben vom 24. Oktober
2008, weitere Schreiben vom 25. Februar 2009 - und vom 2. Juli 2010).
Sie hat am 10. März 2011 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben.
Sie hat sich ergänzend auf eine Auskunft des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) vom
27. November 2008 berufen. Darin heißt es unter anderem, Konsiliartätigkeit bedeute, dass sich der Konsiliararzt nachweislich
(erkennbar an der Dokumentation) mit Fragen der Motivationsbehandlung jedes einzelnen betroffenen Patienten auseinander zu
setzen habe.
Die Beklagte hat vorgebracht, es sei ausreichend, wenn der Konsiliarpsychiater/-psychotherapeut prinzipiell verfügbar und
mehrmals wöchentlich anwesend sei, um dem Behandlungsteam - nicht zwingend dem Versicherten - unterstützend zur Verfügung
zu stehen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass zwischen ihnen nur noch streitig sei, ob eine ausreichende psychiatrische
Begleitung der Versicherten stattgefunden habe.
Das SG hat die auf Zahlung von 1.008,18 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 22. November 2008 gerichtete Klage mit Urteil vom 20. August 2013 abgewiesen.
Die vorliegend alleine streitige Frage, welche Hauptdiagnose der Abrechnung der Leistungen der Beklagten im Zusammenhang mit
der Alkoholentzugsbehandlung zugrunde zu legen sei, sei dahingehend zu beantworten, dass die Beklagte zutreffend den OPS-Code
8-985 als Hauptdiagnose codiert habe. Daraus habe mit den weiteren unstreitigen Nebendiagnosen und Prozeduren die DRG V60A
resultiert. Der OPS-Code in der Fassung von 2008 setze nicht voraus, dass der Konsiliararzt regelmäßig, also mehrfach wöchentlich,
sich hinsichtlich jedes einzelnen Patienten mit Fragen der Motivationsbehandlung auseinander setzen müsse. Dies ergebe sich
weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck des Behandlungskonzeptes QE. Nach dem Wortlaut des Codes sei nicht einmal zwingend,
dass ein Psychiater überhaupt verfügbar sein müsse. Seine Anwesenheit sei nämlich nur als Beispiel genannt ("zum Beispiel
mehrmals wöchentliche Konsiliartätigkeit eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie"). Nach der Definition müsse lediglich
ein Behandlungsteam über psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverstand verfügen. Hingegen sei nicht davon die Rede, dass
jeder einzelne Patient auf kontinuierlichen psychiatrischen-psychotherapeutischen Sachverstand zurückgreifen können müsse.
Konkrete Angaben hinsichtlich der Häufigkeit ließen sich dem Wortlaut des Codes nicht entnehmen. Vergütungsregelungen seien
aber streng am Wortlaut auszulegen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 25. November 2010 - B 3 KR 4/10 R).
Gegen dieses ihr am 3. September 2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 1. Oktober 2013, zu deren
Begründung sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Die Beklagte habe für ihren Vortrag zum Umfang der Konsiliartätigkeit
bislang keine Nachweise eingereicht. Sinn und Zweck der Motivationsbehandlung des einzelnen Patienten sei es, diesen dazu
zu bewegen, zukünftig ein suchtfreies Leben zu führen. Dies bedürfe nach Auffassung der Klägerin eines regelmäßigen Kontaktes
mit einem Facharzt. Also müsse sich der Konsiliararzt nicht nur dem Team zur Verfügung stellen, sondern sich konkret mit dem
einzelnen Patienten beschäftigen.
Sie hat eine neue Stellungnahme des DIMDI eingereicht, auf die ergänzend Bezug genommen wird.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.008,18 € nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22. November 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Weder das Sozialgericht noch sie verträten die Auffassung, dass zur Erfüllung der Mindestanforderungen des OPS-Codes 8-985
kein Patientenkontakt des Konsiliararztes notwendig sei. Unstreitig habe der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H
am 19. Juni 2008 die Patientin untersucht und seinen psychiatrischen Befund in der Krankenakte dokumentiert. Das SG habe es folgerichtig dahinstehen lassen, ob der vorgesehene psychiatrische Befund durch einen Facharzt für Psychiatrie erhoben
werden müsse oder ob dies auch durch einen Internisten erfolgen könne.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden, §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Beide Beteiligte haben sich mit dieser Vorgehensweise im Erörterungstermin am 13. März 2015 einverstanden erklärt.
Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben.
Die zutreffend als allgemeine Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG erhobene Klage ist nicht begründet.
Das SG hat zu Recht einen Erstattungsanspruch gegen den beklagten Krankenhausträger abgelehnt.
Der Vergütungsanspruch der Beklagten ist nämlich in der geltend gemachten Höhe entstanden.
Seine Rechtsgrundlage ist §
109 Abs.
4 Satz 3
SGB V, § 17b Abs. 1 Satz 10 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und § 7 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG - jeweils in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 26. März 2007 - BGBl I S. 378) sowie des Fallpauschalen-Katalog G-DRG-Version 2008 als Anlage der Fallpauschalenvereinbarung 2008 - Teil a. Eine Zahlungsverpflichtung
der Krankenkasse entsteht dabei unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch
den Versicherten.
Nach der Rechtsprechung des BSG, welcher der hiesige Senat folgt, sind die Vergütungsregelungen stets nach ihrem Wortlaut und allenfalls ergänzend nach ihrem
systematischen Zusammenhang auszulegen. Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Da das DRG-basierte Vergütungssystem
vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zu Tage tretenden Unrichtigkeiten
oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 - B 1 KR 25/13 R - Rdnr. 13 m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben konnte die Beklagte hier die DRG V60 A (in der einschlägigen Version des G-DRG) abrechnen.
Die DRG V60 A setzt entweder entsprechende Hauptdiagnosen voraus (Alkoholintoxikation und -entzug oder Störungen durch Alkoholmissbrauch
und Alkoholabhängigkeit mit psychotischem Syndrom, Diagnosen F 10.0 bis F 10.9) oder den QE mit dem Erfordernis der Prozedur
OPS8-985.
Hier ist (nur noch) im Streit, ob die Voraussetzung der letzten Alternative, QE vorlag.
Die OPS 8-985 (Version 2008) lautet wie folgt:
1. Behandlung durch ein multidisziplinär, systematisch supervisiertes Behandlungsteam (Ärzte, psychologische Psychotherapeuten
oder Suchttherapeuten, Sozialpädagogen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Krankenpflege mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation
wie z. B. Fortbildung in motivierender Gesprächsführung) unter Leitung eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie, eines
Arztes mit der Zusatzweiterbildung "spezielle Schmerztherapie" oder eines Facharztes für Innere Medizin mit belegter Fachkunde
bzw. Zusatzweiterbildung "suchtmedizinische Grundversorgung". Im letztgenannten Fall muss das für den qualifizierten Entzug
zuständige Team über kontinuierlichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverstand verfügen (z. B. mehrmals wöchentliche
Konsiliartätigkeit eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie)
2. Somatische Entgiftung, differenzierte somatische und psychiatrische Befunderhebung mit Behandlung der Folge- und Begleiterkrankungen,
Aufklärung über Abhängigkeitskrankheiten, soziale Stabilisierung, Motivierung zur Weiterbehandlung und Einleitung suchtspezifischer
Anschlussbehandlungen
3. Standardisiertes suchtmedizinisches und soziales Assessment zu Beginn der Behandlung und vor der Entlassung
4. Ressourcen- und lösungsorientiertes Therapiemanagement unter Einsatz differenzierter Therapieelemente in patientenbezogener
Kombination von Gruppen- und Einzelarbeit mit mindestens drei Stunden pro Tag: Psychoedukative Informationsgruppen, medizinische
Informationsgruppen, Ergotherapie, Krankengymnastik/Bewegungstherapie, Entspannungsverfahren, Angehörigeninformation und -beratung,
externe Selbsthilfegruppen, Informationsveranstaltungen von Einrichtungen des Suchthilfesystems
5. Eingliederung des Patienten in das bestehende regionale ambulante und stationäre Suchhilfesystem.
Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, ist nach dem Wortlaut die Behandlung durch ein qualifiziertes Team notwendig. Dieses muss über
kontinuierlichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Sachverstand verfügen (z. B. mehrmals wöchentliche Konsiliartätigkeit
eines Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie).
Keine Voraussetzung ist nach dem Wortlaut, dass der Sachverstand auch zu tragen kommen muss.
Die Mindestbehandlung in psychiatrisch-/psychotherapeutischer Hinsicht ist der zweiten Voraussetzungsgruppe zu entnehmen,
wonach eine psychiatrische Befunderhebung erfolgen muss.
Dass sich der Psychiater/Psychotherapeut kontinuierlich auch mit Fragen der Motivationsbehandlung jedes einzelnen betroffenen
Patienten auseinander zu setzen hat, ist hingegen dem Wortlaut nicht zu entnehmen.
Soweit es in der E-Mail des DIMDI vom 19. Dezember 2013 heißt, die hier angefochtene SG-Entscheidung sei insoweit nicht korrekt, dass nicht für jeden einzelnen Patienten auf einen kontinuierlichen psychiatrisch-psychotherapeutischen
Sachverstand zurückgegriffen werden müsse, der OPS-Code vielmehr patientenbezogen sei und dementsprechend die Mindestmerkmale,
die bei einem Code angegeben seien, für jeden einzelnen Patienten zutreffen müssten, hat dies das SG im angegriffenen Urteil gar nicht in Frage gestellt.
Der qualifizierte Sachverstand muss für jeden Patienten zur Verfügung stehen.
Auch nach Ansicht des Senats kommt es aber nicht darauf an, dass der hinzugezogene Psychiater jeden einzelnen Patienten konkret
psychiatrisch oder psychotherapeutisch betreut, unabhängig davon, ob hierfür eine medizinische Notwendigkeit besteht oder
nicht.
Vielmehr muss nach der ersten Anforderungsgruppe dieses OPS (Anforderungen an das Team) die psychiatrische Betreuung (nur)
im Bedarfsfalle gewährleistet sein.
Im Falle der hier einschlägigen Fallpauschale in der hier streitigen Variante bezahlt die Krankenkasse die Dienstleistung
eines QE.
Dieser definiert sich danach, dass ein entsprechend qualifiziertes Team tätig wird, das die im Einzelnen näher dargestellten
Therapiemaßnahmen trifft. Ein solches Team behandelte im Krankenhaus des Beklagten die konkrete Versicherte im ausreichenden
Umfang.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 2 VWGO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.
Der Beschluss zur Streitwertfestsetzung, der unanfechtbar ist, folgt aus §
197a SGG in Verbindung mit §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 Gerichtskostengesetz.