Tatbestand:
Im Streit zwischen den Beteiligten ist noch, ob ein ursprünglicher Sachleistungsanspruch, der im Laufe des sozialgerichtlichen
Verfahrens in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt wurde, gemäß §
44 Abs.
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) zu verzinsen ist. Begehrt werden 2.155,07 € aus Zinsen für den Betrag von 21.843,25 € gemäß §
44 SGB I vom 1. Mai 2006 bis zum 30. November 2008.
Die 1965 geborene Klägerin erlitt im April 1997 ein Polytrauma mit Oberschenkelamputation links. Die endgültige prothetische
Versorgung des linken Beines erfolgte im Mai 1998. Bereits in den Jahren 2001 und 2004 hatte sie gegenüber dem Sozialmedizinischen
Dienst der Beklagten die Auffassung geäußert, sie habe mit ihrer damaligen Prothese keine ausreichende Standsicherheit mehr.
Am 8. Juni 2005 verordnete ihr der Dipl.-Med. R eine Oberschenkelprothese mit einem C-Leg-Kompakt-System links. Beigefügt
war ein Kostenvoranschlag des Orthopädie- und Reha-Teams Z GmbH S vom 1. Juli 2005, das Gesamtkosten von 21.853,26 € auswies.
Die Beklagte zog eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes bei und lehnte die Versorgung ab (Bescheid vom 2. November
2005). Den Widerspruch der Klägerin hiergegen wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 2006 zurück.
Dagegen hat sich die am 20. Februar 2006 vor dem Sozialgericht Cottbus erhobene Klage gerichtet. Das Sozialgericht hat zunächst
gemäß §
106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein Gutachten des Sachverständigen Dr. B eingeholt, der die Notwendigkeit der begehrten Versorgung verneint hat. In dem
daraufhin auf Antrag der Klägerin erstatteten Gutachten nach §
109 SGG hingegen ist der Facharzt für Orthopädie Prof. Dr. N am 27. August 2007 zu der Auffassung gelangt, die Versorgung der Klägerin
mit dem begehrten Prothesensystem sei notwendig.
Die Klägerin hatte sich das streitige Prothesensystem bereits am 3. März 2006 verschafft und dafür den Betrag von 21.843,25
€ bezahlt.
Am 21. November 2008 hat die Z GmbH der Beklagten eine Rechnung für das begehrte System in Höhe von 19.758,35 € übersandt.
In dieser Höhe hat die Beklagte ein Anerkenntnis abgegeben, das die Klägerin angenommen hat. Die Differenz zwischen 19.758,35
€ und 21.873,26 € erhalte die Klägerin von der Firma Z erstattet. Die Beklagte hat die Zahlung von Zinsen in der mündlichen
Verhandlung vor dem Sozialgericht am 25. November 2008 abgelehnt.
Die Klägerin hat danach noch beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Zinsen gemäß §
44 SGB I auf den Betrag von 21.843,25 € zu zahlen.
Die Beklagte ist dem mit der Auffassung entgegengetreten, ein Zinsanspruch bestehe nicht, da um einen Sachleistungsanspruch
und nicht um eine Geldleistung gestritten worden sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. November 2008 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Sachleistungsanspruch
der Klägerin habe sich erst durch die Selbstbeschaffung des Hilfsmittels in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt. Der
Kostenerstattungsanspruch folge aus §
13 Abs.
3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V), der keine Regelung über eine Verzinsung enthalte. Daher beziehe sich die Regelung des §
44 Sozialgesetzbuch Erstes Buch -
SGB I - nur auf einmalige oder laufende Geldleistungen. Die entgegenstehenden Rechtsauffassungen vermöchten nicht zu überzeugen,
zumal eine höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu nicht bestünde.
Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 4. Dezember 2008 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung vom
5. Januar 2009, einem Montag, mit der die Auffassung vertreten wird, auch ein Sachleistungsanspruch, der in einen Kostenerstattungsanspruch
umgewandelt sei, sei von der Verzinsungsregelung des §
44 SGB I umfasst.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 25. November 2008 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom
25. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2009 zu verurteilen, an die Klägerin 2.041,66 € (4
% Zinsen aus 19.758,35 €) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten beantragen, die Revision zuzulassen.
Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte das Vorverfahren über den Verzinsungsanspruch durchgeführt und mit Widerspruchsbescheid
vom 13. Juli 2009 den Widerspruch gegen die Entscheidung vom 25. November 2008 zurückgewiesen.
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung sein werden, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verzinsung des ihr zustehenden Kostenerstattungsanspruches.
Die Verzinsung von Sozialleistungsansprüchen ist in §
44 SGB I, dem Allgemeinen Teil, geregelt. Bereits daraus ergibt sich, dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht überall
dort, wo in den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches Geldleistungen - wie die Kostenerstattungspflicht aus §
13 Abs.
5 SGB V - normiert sind, eine gesonderte Regelung über die Verzinsung notwendig ist. Dann wäre nämlich die Regelung des §
44 SGB I überflüssig. Sie soll aber gerade im Gegenteil dazu dienen, dass eine einheitliche Regelung in Bezug auf die Verzinsung dem
Sozialgesetzbuch vorangestellt wird. Darüber hinaus besteht keinerlei sachlicher Grund, einem Versicherten, der ursprünglich
einen Sachleistungsanspruch hatte, diesen aber, wie es Anspruchsvoraussetzungen z. B. des §
13 Abs.
3 SGB V ist, die Beklagte nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie, wie hier, die Leistung zunächst zu Unrecht abgelehnt hat und
dadurch dem Versicherten Kosten entstanden sind, die Verzinsung nicht zu gewähren. Ein solcher Versicherter ist ebenso einem
Zinsverlust für das aufgebrachte Geld ausgesetzt wie ein Versicherter, dem eine Leistung, die von Anfang an eine Geldleistung
war, wie z. B. eine Rente, zu Unrecht vorenthalten wurde. Die Verzinsung schien dem Gesetzgeber deshalb geboten, weil der
Berechtigte bei einer verspäteten Auszahlung der Leistungen oftmals gezwungen wird, Ersparnisse aufzulösen oder Einschränkungen
in der Lebensführung hinzunehmen (vgl. BT-Drucksache 7/4067). Dementsprechend wird auch in der Literatur, soweit erkennbar,
ausschließlich (abweichend Meyer, Die Verzinsung von rückständigen Geldleistungen und des Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht
entrichteter Beiträge nach §
24 und §
27 SGB IV in RV 1978, 128 ff.) die Auffassung vertreten, dass ursprüngliche Sachleistungen von dem Zeitpunkt an, an dem sie in Geldleistungen umgewandelt
sind, der Verzinsung gemäß §
44 SGB I unterliegen (Kurzkommentar der Deutschen Rentenversicherung zu
SGB I, Allgemeiner Teil, 11. Auflage, April 2007, §
44 Seite 192; Kretschmer/von Maydell/Schellhorn, Gemeinschaftskommentar zum Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, 3. Auflage,
§
44 Nr. 11; Hauck/Haines,
SGB I, §
44 Rdnr. 3; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, §
44 Nr. 2). Schließlich hat das Bundessozialgericht (BSG) bereits in seinem Urteil vom 25. Juni 1985 - 9 a RV 23/83 (SozR 1200
§ 44 Nr. 13) - dargelegt, dass eine versorgungsberechtigte Kriegswitwe, die Zuschüsse zu den Kosten notwendiger Krankenhausbehandlungen,
also einer Sachleistung, erhält, einen Verzinsungsanspruch hat. Denn, so das BSG (aaO.), zu den Geldleistungen gemäß §
44 SGB I rechneten grundsätzlich alle an Leistungsberechtigte erbrachten Sozialleistungen in Geld, mit denen soziale Rechte im Sinne
der §§
1 - 10, 18 ff., 38 ff.
SGB I erfüllt würden (Hinweis auf BSGE 50, 40, 44 = SozR 2100 § 27 Nr. 2; BSG SozR 1200 §
44 Nr. 9). Allgemein sei der Begriff der Geldleistungen im Sinne des
SGB I schon deshalb einheitlich zu verstehen, weil sich dieses Gesetz die Vereinheitlichung des Sozialrechts zum obersten Ziel
gesetzt habe (Hinweis auf Gitter in: Bochumer Kommentar zum Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -, 1979, § 44 Rz. 2). Wenn
ein Versorgungsberechtigter auf die Krankenhausbehandlung als Sach- und Dienstleistung verzichte und stattdessen den Zuschuss
gemäß § 18 Abs. 5 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Anspruch nehme und damit die von ihm selbst direkt zu bezahlenden Krankenhausleistungen teilweise selbst bestreite, sei
die übliche Sachlage gegeben, die eine Verzinsung rechtfertigen. Zinsen seien Vergütungen für die Möglichkeit, Kapital auf
Kosten eines anderen, des Zinsgläubigers, zu nutzen.
Es ist nicht ersichtlich, weshalb diese Darlegungen nicht auf den Fall zutreffen, wenn ein Leistungsträger einem Versicherten
rechtswidrig eine diesem zustehende Leistung gemäß §
13 Abs.
3 SGB V vorenthält und diesen dadurch veranlasst, Aufwendungen in Geld zu erbringen und damit der Krankenkasse gewissermaßen ein
"Darlehen" gewährt. Der Zinsanspruch beginnt zur Überzeugung des Senats mit dem Zeitpunkt, an dem die Sachleistung in eine
Geldleistung umgewandelt wird, mithin von dem Tage an, an dem die Lieferung des begehrten Heilmittels erfolgt. Dies war hier
der 3. März 2006. Die Verzinsung begann demgemäß am 1. Mai 2006 und endete am 30. November 2008.
In Anbetracht dessen waren der Beklagten die Kosten des Verfahrens gemäß §
193 SGG aufzuerlegen.
Der Senat hat die Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG zugelassen; dem BSG soll Gelegenheit gegeben werden, sich dazu zu äußern, ob seine nunmehr über 20 Jahre alte Rechtsprechung
auch auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt zu übertragen ist.