Befangenheitsanträge gegen alle Richter eines Gerichts
Rechtsmissbräuchliches Befangenheitsgesuch
Weitere Mitwirkung der abgelehnten Richter
Gründe:
Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 2015 hat Rechtsanwalt L "namens und in Vollmacht der Mandantschaft zunächst den Vorsitzenden
Richter der Kostenkammer, Herrn M D, wegen Besorgnis der Befangenheit" abgelehnt. Er sei nicht in der Lage, Kostensachen unvoreingenommen
zu entscheiden, weil er vom Jobcenter OSL im Rahmen einer gewerblichen Nebentätigkeit bezahlt würde und damit rechnen müsse,
bei Entscheidungen gegen die Behörde von dieser keine Aufträge mehr zu erhalten. Außerdem lehnte er "ferner- auch im Namen
des Klägers- sämtliche Vertreter des abgelehnten Richters und deren jeweilige Vertreter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Es stehe zu befürchten, dass die abgelehnten Richter einer Entscheidung über das Befangenheitsgesuch schon deshalb nicht unvoreingenommen
gegenüberstünden, weil im Falle einer erfolgreichen Ablehnung die Arbeit der Kostenkammer durch diese übernommen werden müsse.
Eine konkrete Vollmacht für das Verfahren hat Rechtsanwalt L nicht vorgelegt.
Im Hinblick auf den Befangenheitsantrag gegen alle Richter des Sozialgerichts Cottbus hat das Sozialgericht Cottbus den Rechtsstreit
dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg "mit der Bitte um Entscheidung über den inzident gestellten Befangenheitsantrag
bzw. Zuständigkeitsbestimmung" vorgelegt.
Die Anträge sind unzulässig.
Für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen gelten die §§
41-
46 Abs.
1 und die §§
47-
49 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) entsprechend (§
60 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes -
SGG).Nach §
42 Abs.
2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen; der Ablehnungsgrund ist glaubhaft zu machen (§
44 Abs.
2 ZPO).Gemäß §
45 Abs.
1 ZPO entscheidet über das Ablehnungsgesuch das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung. Wird ein Richter
beim Amtsgericht abgelehnt, so entscheidet ein anderer Richter des Amtsgerichts über das Gesuch (§
45 Abs.
2 S. 2
ZPO). Wird das zur Entscheidung berufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig, so entscheidet
das im Rechtszug zunächst höhere Gericht (§
45 Abs.
3 ZPO).
Gemäß §
58 Abs.
1 Nr.
1 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsame nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn
das an sich zuständige Gericht in einem einzelnen Falle an der Ausübung der Gerichtsbarkeit rechtlich oder tatsächlich verhindert
ist. Zur Feststellung der Zuständigkeit kann jedes mit dem Rechtsstreit befasste Gericht und jeder am Rechtsstreit Beteiligte
das im Rechtszug höhere Gericht anrufen, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§
58 Abs.
2 SGG).
Nach diesen Regelungen hat der erkennende Senat weder über die Anrufung nach §
58 SGG noch über die Befangenheitsgesuche in der Sache selbst zu entscheiden, weil beide Anträge unzulässig sind.
Die Anrufung des Gerichts zur Bestimmung des zuständigen Sozialgerichts nach §
58 SGG ist schon deshalb unzulässig, weil gemäß §
45 Abs.
3 ZPO im Falle einer Beschlussunfähigkeit des zur Entscheidung berufenen Sozialgerichts Cottbus nicht ein anderes Sozialgericht
innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit über die Befangenheitsanträge zu entscheiden hätte, sondern dass zunächst höhere Gericht,
also hier das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Folglich wäre in einem solchen Fall einer (kompletten) Beschlussunfähigkeit
eines Sozialgerichts nicht ein anderes Sozialgericht zur Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch zu bestimmen.
Auch die Anrufung zur Entscheidung über die Befangenheitsanträge ist unzulässig, weil das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
hierfür nicht zuständig ist.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg kann nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung des §
60 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
45 Abs.
3 ZPO erst dann zu einer Entscheidung über die Befangenheitsanträge berufen sein, wenn "das zur Entscheidung berufene Gericht durch
Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig" wird. Da über das Ablehnungsgesuch durch Richter des Sozialgerichts
Cottbus grundsätzlich zu entscheiden ist (§
45 Abs.
2 S. 2
ZPO), kommt eine Entscheidung durch das Landessozialgericht mithin erst in Betracht, wenn sämtliche Richter und Richterinnen
am Sozialgericht Cottbus "ausscheiden" im Sinne von §
45 Abs.
3 ZPO. Die Zuständigkeit des übergeordneten Gerichts tritt gemäß §
45 Abs.
3 ZPO mit anderen Worten erst ein, wenn das gemäß §
45 Abs.
1 ZPO zuständige Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, infolge der verbotenen Mitwirkung nach §
44 Absatz
1 ZPO beschlussunfähig wird, d.h. keine ordnungsgemäße Besetzung (§
22,
75,
105,
122 GVG) mehr aufbieten kann; dafür müsste auch die Vertretungsregelung erschöpft sein (vergleiche Hüßtege in Thomas/Putzo,
ZPO, 35. Aufl., 2014, §
45 Rn. 5).
Vorliegend bedeutet dies, dass eine Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg über die Befangenheitsanträge
erst dann in Betracht kommt, wenn sämtliche 25 Richterinnen und Richter des Sozialgerichts Cottbus nach Ausschöpfung des Geschäftsverteilungsplanes
des Sozialgerichts Cottbus zur Entscheidung ausgeschieden sind. Eine solche Situation ist jedoch nicht ansatzweise erkennbar.
Zwar hat der Rechtsanwalt nicht nur den Richter am Sozialgericht D, sondern "sämtliche Vertreter des abgelehnten Richters
und deren jeweilige Vertreter" und damit wohl letztlich alle weiteren 24Richterinnen und Richter am Sozialgericht Cottbus
ablehnen wollen.
Es ist jedoch schon zweifelhaft, ob überhaupt ein wirksames Ablehnungsgesuch vorliegt, weil der Rechtsanwalt zwar behauptet,
"namens und in Vollmacht der Mandantschaft" aufzutreten, eine konkrete Vollmacht für das Verfahren aber nicht vorlegt. Es
besteht daher der Verdacht, dass der Rechtsanwalt auch hier- wie in zahlreichen anderen gerichtsbekannten Verfahren- als vollmachtloser
Vertreter auftritt. In wessen Namen gehandelt wird ist auch deshalb zweifelhaft, weil der Rechtsanwalt die übrigen Richter
des Sozialgerichts Cottbus "im Namen des Klägers" ablehnt, ein Kläger in diesem Verfahren aber gar nicht existiert, sondern
lediglich drei Klägerinnen.
Zudem sind die Ablehnungsgesuche zumindest was die Ablehnungen der nicht einmal namentlich benannten Richterinnen und Richter
angeht, als offensichtlich unzulässig anzusehen, weil eine pauschale Ablehnung eines gesamten Gerichts oder Senats ohne Vortrag
der Befangenheitsgründe, die sich individuell auf den oder die beteiligten Richter beziehen, rechtsmissbräuchlich ist (vergleiche
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 11. März 2013,1 BvR 2853/11, zitiert nach juris, mit weiteren Nachweisen). Entsprechend hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auch schon in
mehreren gleich gelagerten Verfahren identische Befangenheitsgesuche des Rechtsanwalts als rechtsmissbräuchlich angesehen
(vergleiche 31. Senat, Beschluss vom 15. Oktober 2015, L 31 SF 274/15 AB, 32. Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2015, L 32 SF 288/15 AB und wohl auch 19. Senat, Beschluss vom 20. Oktober 2015, L 19 SF 277/15 AB). Die von dem Rechtsanwalt als Befangenheitsgrund letztlich erhobene Behauptung, die übrigen 24Richterinnen und Richter
würden eine eventuell entstehende Arbeit scheuen, ist zu einer Glaubhaftmachung einer Voreingenommenheit nicht ansatzweise
geeignet. Sie erfüllt demgegenüber wohl eher den Tatbestand einer kollektiven Beleidigung dieser weiteren 24 Richterinnen
und Richter am Sozialgericht Cottbus (vergleiche OLG München, Beschluss vom 18. Dezember 2013, 4 OLG 13 Ss 571/13, mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris).
Liegt somit jedoch ein rechtsmissbräuchliches Befangenheitsgesuch vor, so ist der abgelehnte Richter trotz des rechtsmissbräuchlichen
Ablehnungsgesuches entgegen §
45 Absatz
1 ZPO und entsprechend des Rechtsgedankens aus §
26a Abs.
2 der
Strafprozessordnung (
StPO) nicht an einer weiteren Mitwirkung gehindert, damit ein aufwendiges und zeitraubendes Ablehnungsverfahren verhindert werden
kann (ständige Rechtsprechung, siehe Bundesverfassungsgericht, aaO., mit weiteren Nachweisen). Trotz der rechtsmissbräuchlichen
Ablehnung wohl aller Richterinnen und Richter am Sozialgericht Cottbus ist damit eine Entscheidung durch das Sozialgericht
Cottbus weiterhin möglich.
Soweit der 32. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seiner oben genannten Entscheidung vom 29. Oktober 2015
die Ansicht vertritt, es stünde im Ermessen eines rechtsmissbräuchlich abgelehnten Richters den Rechtsstreit zur Entscheidung
dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vorlegen, folgt dem der erkennende Senat nicht.
Es kann dahinstehen, ob es überhaupt im freien "Ermessen" eines abgelehnten Richters steht, bei einem rechtsmissbräuchlichen
Ablehnungsgesuch dieses an andere zur Entscheidung zu verweisen. Hieran bestehen Zweifel, weil grundsätzlich auch einrechtsmissbräuchlich
abgelehnter Richter der gesetzliche Richter nach Art.
101 Absatz
1 S. 2
GG bleibt und deshalb selbst an einer rein formalen Prüfung des Ablehnungsgesuches nicht gehindert ist (vergleiche BVerfG, aaO.,
mit weiteren Nachweisen). Selbst wenn jedoch ein abgelehnter Richter Zweifel an der Rechtsmissbräuchlichkeit des Ablehnungsgesuches
hat und sich deshalb an einer eigenen Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gehindert sieht, führt dies zunächst zum Eingreifen
der Vertretungsregelung nach dem Geschäftsverteilungsplan des jeweiligen Gerichts. Vorliegend also der Notwendigkeit einer
Entscheidung über den Antrag durch eine Vertretung am SG Cottbus.
Demgegenüber tritt nach der eindeutigen Regelung des §
45 Abs.
3 ZPO eine Zuständigkeit des Landessozialgerichts erst bei einer Beschlussunfähigkeit des gesamten Sozialgerichts ein. Mithin müssten
alle 25 im Geschäftsverteilungsplan des zuständigen Sozialgerichts Cottbus vorgesehene Richterinnen und Richter zur Entscheidung
"ausgeschieden" sein. Bei Ablehnungsgesuchen kann ein solcher Zustand jedoch allenfalls dann eintreten, wenn sämtliche Richterinnen
und Richter sich an einer Entscheidung gehindert sehen und die Sache zur Entscheidung dem jeweiligen Vertreter vorgelegt haben.
Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Es ist vielmehr gerade nicht ersichtlich, dass sämtliche 25 Richterinnen und Richter
am Sozialgericht Cottbus sich im Fall der rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuche an einer Entscheidung gehindert sehen und
dadurch das Sozialgericht letztlich beschlussunfähig würde. Nicht einmal die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichts
Cottbus zuständige weitere Vertretung wurde um eine Entscheidung ersucht. Kann aber auch nur eine einzige Richterin oder ein
einziger Richter- in der Reihenfolge ihrer Vertretungszuständigkeit- über das rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuch selbst
entscheiden, so entwickelt sich die Entscheidungskette wieder in die ursprüngliche Richtung zurück und das Sozialgericht ist
insgesamt nicht beschlussunfähig und damit das Landessozialgericht nicht zur Entscheidung berufen.
Gegen diesen Beschluss ist eine Beschwerde nicht statthaft (§
177 SGG).