Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der
Berufskrankheitenverordnung (Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch
langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die
Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können - BK Nr. 2108).
Der 1941 geborene Kläger absolvierte von September 1956 bis August 1959 eine Ausbildung zum Kraftfahrzeugschlosser. Er arbeitete
anschließend in diesem Beruf bis Mai 1960 und von Juni 1964 bis April 1965. Von Mai 1960 bis November 1962 war er als Kraftfahrer
mit Ladetätigkeit, von April 1965 bis Juni 1974 als Montageschlosser und von Juli 1974 bis Januar 1996 als Betriebsschlosser
tätig. Seit 1. Februar 1996 war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig und bezog Krankengeld. Seit 1. April 1999 ist er erwerbsunfähig.
Mit Schreiben vom 15. November 1999 zeigte der Kläger und mit Schreiben vom 7. Dezember 1999 zeigte der den Kläger behandelnde
Facharzt für Orthopädie Dr. L der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Berufskrankheit nach einer BK Nr. 2108 wegen
einem chronischen Lumbalsyndrom bei Bandscheibenprolaps L4/5 an.
Die Beklagte holte Berichte des Dr. L vom 23. Dezember 1999, der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. H vom 29. Januar
2000, die Röntgenbefunde der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule von Juni 1992 beziehungsweise Dezember 1992 beifügte, sowie
eine Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. Rvom 10. März 2000, der ausführte, ein belastungskonformes Schadensbild
liege nicht vor, ein. Nach Beiziehung des Rentengutachtens des zuständigen Rentenversicherungsträgers vom 25. Juli/6. August
1997, eines Entlassungsberichtes der H-Klinik über eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme vom 31. August 1995
bis 28. September 1995 sowie einer gewerbeärztlichen Stellungnahme der Fachärztin für Arbeitsmedizin und Gewerbeärztin T vom
23. Mai 2000 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Entschädigung wegen einer BK nach Nr. 2108 mit Bescheid vom
27. Juni 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2000 ab. Zur Begründung führte sie u.a. aus, es sei festzustellen,
dass die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für die Anerkennung einer BK nicht gegeben seien. Es liege im Bereich der
Lendenwirbelsäule ein Zustand nach Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 mit degenerativen Veränderungen der Segmente L2/3 und
L5/S1 vor. Die übrigen Segmente würden sich röntgenologisch unauffällig zeigen. Darüber hinaus bestünden erhebliche degenerative
Veränderungen mit Bandscheibenbeteiligung an der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule. Ein mehrsegmentaler bandscheibenbedingter
Schaden der Lendenwirbelsäule, von oben nach unten zunehmend im Schadensbild, welcher über den altersmäßig zu erwartenden
Verschleiß hinausgehe, und damit ein belastungskonformes Erkrankungsbild an der Lendenwirbelsäule liege nicht vor. Eine besondere
Betroffenheit der Lendenwirbelsäule habe nicht festgestellt werden können, da auch in der Ausprägung gleichwertige bandscheibenbedingte
Schäden an der Halswirbelsäule und der Brustwirbelsäule festzustellen seien. Degenerative Veränderungen an der gesamten Wirbelsäule
würden gegen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen schädigenden Einwirkungen und der Lendenwirbelsäulenschädigung sprechen.
Die polysegmentale Verteilung der Bandscheibenerkrankung mit Beteiligung der Hals- und Brustwirbelsäule weise auf eine starke
konstitutionelle Veranlagung zum Bandscheibenverschleiß hin. Es handle sich somit um eine anlagebedingte und schicksalsmäßig
verlaufende Erkrankung.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Potsdam zunächst aus einem ebenfalls anhängigen Rentenversicherungsverfahren
das Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B vom 20. August 1999 beigezogen, diesen Arzt auch im vorliegenden Verfahren
zum Sachverständigen bestellt und von ihm ein Gutachten vom 24. August 2004 eingeholt, in welchem er ausführte, der Kläger
leide nicht an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Sinne der BK Nr. 2108.
Nachdem der Kläger im Oktober 2004 dargestellt hatte, welchen körperlichen Belastungen er in seinem Berufsleben ausgesetzt
gewesen sei, hat die Beklagte eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft
vom 8. Dezember 2004 sowie Stellungnahmen der Abteilung Prävention der Norddeutschen Metallberufsgenossenschaft vom 6. Januar
2004 und 1. September 2005 sowie ihrer Abteilung Prävention vom 15. März 2005 und vom 21. Oktober 2005 übersandt.
Mit Urteil vom 17. März 2006 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne nicht
mit der für die Überzeugungsbildung des Gerichts erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass ein für die Berufskrankheit
Nr. 2108 typisches medizinisches Schadensbild an der Wirbelsäule vorliege. Nach Nr. 2108 der Anlage zur
BKV sei dann von einer berufsbedingten Schädigung der Lendenwirbelsäule auszugehen, wenn eine bandscheibenbedingte Erkrankung
der Lendenwirbelsäule vorliege, die durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten
in extremer Rumpfbeugehaltung hervorgerufen worden sei. Voraussetzung eines belastungskonformen Schadensbildes für die Berufskrankheit
Nr. 2108 sei eine langjährige die Wirbelsäule belastende Tätigkeit, die im Durchschnitt als Untergrenze 10 Jahre erreichen
müsse, um eine berufsspezifische Ursache plausibel machen zu können. Ferner sei als einwirkungskonformes Krankheitsbild dabei
zur Abgrenzung anderweitiger privater Ursachen aus arbeitsmedizinischer Sicht zu fordern, dass die bildtechnisch nachweisbaren
segmentalen Bandscheibenveränderungen das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreiten und insbesondere die Lendenwirbelsäule
besonders betroffen sein müsse. Ein solches Schadensbild lasse sich im Falle des Klägers nicht nachweisen. Nach dem Gutachten
des Dr. B vom 24. August 2004 seien an der Wirbelsäule des Klägers Verschleißerscheinungen in sämtlichen Wirbelsäulenabschnitten
feststellbar, welche Ausdruck eines schicksalhaft aufgetretenen Verschleißprozesses seien, der zwar irreversibel sei, nicht
aber einer lokalen, bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule zugeordnet werden könne. Soweit der Kläger darauf
hinweise, das von Anfang an eine betonte Schädigung der Lendenwirbelsäule vorgelegen habe, welche erst in neuerer Zeit um
eine weitere Symptomatik der übrigen Wirbelsäulenabschnitte ergänzt worden sei, könne dem so nicht gefolgt werden. Zum einen
könne die Kammer dem schlicht gehaltenen Bestätigungsschreiben des Dr. Sch vom 10. Januar 1977 keinen maßgeblichen Beweiswert
beimessen. Zum anderen lasse sich zwar aus den beigezogenen Unterlagen entnehmen, dass der Kläger im Jahr 1980 einen Bandscheibenvorfall
der Lendenwirbelsäule im Segment L4/5 erlitten habe. Es fänden sich aber auch Hinweise, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die
Brustwirbelsäule linkskonvex und die Halswirbelsäule rechtskonvex gekrümmt gewesen seien. Bereits 1992 sei für die Halswirbelsäulenabschnitte
C5/6 und C6/7 eine Osteochondrose mit reaktiver Spondylose und Bandscheibenabflachungen beider Segmente festgestellt worden.
In diese Richtung weise auch ein Befund von 1999, wonach sich im Halswirbelsäulenbereich eine Osteochondrose und Ventralspondylosen
an der Halswirbelsäule hätten feststellen lassen. Auch 2000 seien die unteren drei Segmente der Halswirbelsäule als deutlich
altersvorauseilend verändert beschrieben worden.
Gegen das ihm am 24. Mai 2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22. Juni 2006 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingelegt und sein Begehren weiter verfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 17. März 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit
nach Nr. 2108 der Anlage der
Berufskrankheitenverordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v. H. ab 7. November 1999 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und die Gutachten der Sachverständigen Dr. B und Dr. W. Ergänzend
hat sie eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. P vom 3. Februar 2009 übersandt.
Der als Sachverständiger bestellte Facharzt für Orthopädie Dr. WR hat in seinem Gutachten vom 20. Dezember 2007 und einer
ergänzenden Stellungnahme vom 13. Mai 2009 unter anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einem chronisch degenerativen
Halswirbelsäulensyndrom mit deutlichen Bewegungseinschränkungen und möglichen sensiblen Wurzelirritationen beidseits sowie
einem chronisch degenerativen Lendenwirbelsäulensyndrom mit Osteochondrose L5/S1, ausgeprägten Facettengelenkarthrosen L4/5
beidseits und möglichen, intermittierenden, sensiblen Nervenwurzelreizerscheinungen des linken Beines. Alle Indizien würden
für eine genetisch verursachte, allgemeine Wirbelsäulendegeneration sprechen, welche bereits frühzeitig zu behandlungsbedürftigen
Wirbelsäulenbeschwerden nicht nur der Lendenwirbelsäule geführt hätten. Eine Berufskrankheit nach der BK Nr. 2108 liege nicht
vor.
Der gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ebenfalls als Sachverständiger bestellte Facharzt für Orthopädie/Sportmedizin Dr. L hat in seinem Gutachten vom 5. September
2008 unter anderem ausgeführt, der Kläger leide unter einem chronischen Wurzelreizsyndrom L5 links bei höhergradiger Chondrose
und Spondylose L5/S1, Begleitspondylose L2/3, L1/2 und L3 bis L5 sowie Chondrose und Spondylose der mittleren Halswirbelsäule
mit lokalem Schmerzsyndrom. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass diese Erkrankungen durch schädigende Einwirkungen, denen
der Kläger als Schlosser und Transporteur ausgesetzt gewesen sei, verursacht worden seien. Die medizinischen Voraussetzungen
der Konsensempfehlungen seien erfüllt. Zwar seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht oder nur zum Teil erfüllt.
Ihre Erfüllung sei bei der Gutachtenerstellung jedoch wie gefordert als positiv unterstellt worden. Die MdE betrage 20 v.
H..
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. BK ...) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage
hinsichtlich der Anerkennung einer BK Nr. 2108 zu Recht abgewiesen, weil der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er
durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, rechtmäßig ist und den Kläger nicht beschwert. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108.
Rechtsgrundlage sind die Rechtsvorschriften des Dritten Buchs der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), da der Eintritt einer Berufskrankheit und der Beginn der Leistung für einen Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Siebten Buchs
des Sozialgesetzbuchs (
SGB VII) am 01. Januar 1997 geltend gemacht wird (§§
212,
214 SGB VII). Der Kläger hat die gefährdende Tätigkeit als Schlosser am 01. Februar 1996 vollständig aufgegeben. Ab diesem Zeitpunkt
war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig erkrankt und hat hiernach keine berufliche Tätigkeit - gleich welcher Art - mehr aufgenommen,
so dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls nur der 01. Februar 1996 in Betracht kommt. Etwas anderes würde sich im übrigen
auch bei Zugrundelegung der Vorschriften des
SGB VII nicht ergeben, da im Hinblick auf die Anerkennung von Unfallfolgen und die Bewertung der MdE keine Rechtsänderungen zwischen
der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden
RVO und dem ab 01. Januar 1997 geltenden Recht des
SGB VII festzustellen (vgl. § 548
RVO und §
8 SGB VII einerseits § 580
RVO und §
56 SGB VII andererseits) sind.
Nach §§ 547 ff.
RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalls Leistungen aus der Unfallversicherung. Als Arbeitsunfall
gilt nach § 551 Abs. 1 Satz 1
RVO auch eine Berufskrankheit. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit
Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2
RVO). Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die
nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen
durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann Berufskrankheiten
auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen.
Gemäß diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-Berufskrankheit im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die
ggf. bei einzelnen Listen-Berufskrankheiten einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten
Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt
haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).
Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises,
also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden
Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile
vom 27. Juni 2006, Az. B 2 U 20/04 R, SozR 4-2700 § 9 Nr. 7 und vom 09. Mai 2006, Az. B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher
Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG aaO.).
Von der BK Nr. 2108 werden "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer
Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen
haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben ursächlich waren oder sein können", erfasst.
Nach dem Tatbestand der BK Nr. 2108 muss also der Versicherte auf Grund einer versicherten Tätigkeit langjährig schwer gehoben
und getragen bzw. in extremer Rumpfbeugehaltung gearbeitet haben. Durch die spezifischen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden
besonderen Einwirkungen muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule entstanden sein und noch bestehen.
Zwischen der versicherten Tätigkeit und den schädigenden Einwirkungen muss ein sachlicher Zusammenhang und zwischen diesen
Einwirkungen und der Erkrankung muss ein (wesentlicher) Ursachenzusammenhang bestehen. Der Versicherte muss darüber hinaus
gezwungen gewesen sein, alle gefährdenden Tätigkeiten aufzugeben. Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden
Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt eine BK Nr. 2108 nicht vor (vgl. BSG, Urteile
vom 30. Oktober 2007, Az. B 2 U 4/06 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 sowie vom 18. November 2008, Az. B 2 U 14/07 R und B 2 U 14/08 R, jeweils zitiert nach Juris und ist nicht anzuerkennen.
Ob der Anspruch des Klägers daran scheitert, dass die so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen, d. h. die im Sinne
der BK Nr. 2108 erforderlichen Einwirkungen durch langjähriges schweres Heben und Tragen bzw. Arbeit in Rumpfbeugehaltung,
nicht gegeben sind, kann offen bleiben, denn jedenfalls sind die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt. In der medizinischen
Wissenschaft ist anerkannt, dass Bandscheibenschäden und Bandscheibenvorfälle insbesondere der unteren Lendenwirbelsäule in
allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vorkommen. Sie sind von multifaktorieller Ätiologie. Da diese Bandscheibenerkrankungen
ebenso in Berufsgruppen vorkommen, die während ihres Arbeitslebens keiner schweren körperlichen Belastung ausgesetzt waren,
genauso wie in solchen, die wie der Kläger schwere körperliche Arbeiten geleistet haben, kann allein die Erfüllung der arbeitstechnischen
Voraussetzungen im Sinne des MDD die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines wesentlichen Kausalzusammenhanges nicht begründen
(vgl. Merkblatt zu der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur
BKV, BArbBl. 10-2006, S. 30 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind die medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen der BK Nr. 2108 nicht gegeben.
Das Vorliegen einer durch die berufliche Tätigkeit verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ist
nicht nachgewiesen. Der Senat stützt sich hierbei auf die umfangreichen, gründlichen und an dem neuesten Stand der medizinischen
Wissenschaft und Forschung ausgerichteten Gutachten der Sachverständigen Dr. und Dr. B sowie auf die Stellungnahme des beratenden
Arztes der Beklagten Dr. P vom 3. Februar 2009.
Die beim Kläger festgestellten Veränderungen der Wirbelsäule stellen keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule
im Sinne der BK Nr. 2108 dar. Zu der Frage, was unter einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS zu verstehen sein soll,
hat der Verordnungsgeber in der Begründung zur zweiten Änderungsverordnung (2. ÄndVO), durch welche die BK Nr. 2108 in die
Berufskrankheitenliste aufgenommen worden ist (BR-Druck 773/92 S.8), eingehende Ausführungen gemacht. Danach sind unter bandscheibenbedingten
Erkrankungen zu verstehen: Bandscheibendegeneration (Diskose), Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall (Prolaps),
degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlussplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen seitlichen
Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose) mit den durch derartige
Befunde bedingten Beschwerden und Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule. Erforderlich ist ein Krankheitsbild, das über
einen längeren Zeitraum andauert, also chronisch oder zumindest chronisch wiederkehrend ist, und das zu Funktionseinschränkungen
führt, die eben eine Fortsetzung der genannten Tätigkeit unmöglich machen. Erforderlich sind daher ein bestimmtes radiologisches
Bild sowie ein damit korrelierendes klinisches Bild (vgl. das aktuelle Merkblatt zur BK Nr. 2108, BArbBl. 10-2006, S. 30ff
sowie die Konsensempfehlungen Punkt 1.3). Der Senat hat keine Bedenken, sich im Rahmen seiner Beurteilung auf die so genannten
Konsensempfehlungen zu stützen. Im Hinblick auf die Schwierigkeiten der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK Nr.
2108 war die medizinische Wissenschaft gezwungen, weitere Kriterien zu erarbeiten, die zumindest in ihrer Gesamtschau für
oder gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Diese sind niedergelegt in den medizinischen Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten
Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule, die als Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung auf Anregung der vom Hauptverband
der gewerblichen Berufsgenossenschaften eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe anzusehen sind (vgl. Trauma und Berufskrankheit
Heft 3/2005, Springer Medizin Verlag, S. 211 ff). Es ist davon auszugehen, dass diese nach wie vor den aktuellen Stand der
nationalen und internationalen Diskussion zur Verursachung von Lendenwirbelsäulenerkrankungen durch körperliche berufliche
Belastungen darstellen (vgl. auch BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 13/05 R - in SozR 4-2700 §
9 Nr. 9). Zur Gewährleistung einer gleichen und gerechten Behandlung aller Versicherten im Geltungsbereich des
SGB VII begegnet es daher keinen Bedenken, wenn die befassten Gutachter und die Sozialgerichtsbarkeit diese Konsensempfehlungen anwenden.
Unter Auswertung der CT-Untersuchung der Lendenwirbelsäule vom 3. April 1995 und der Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule
vom 30. Juli 1999 läßt sich bei dem Kläger feststellen, dass 1999, also knapp vier Jahre nach Beendigung der wirbelsäulenbelastenden
Tätigkeit, eine Chondrose II. Grades im Segment L5/S1 vorliegt, die übrigen Segmente jedoch keine Chondrose zeigen. Auch das
CT der Lendenwirbelsäule von April 1995, also aus dem Jahr der Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit, zeigt im
Segment L4/5 einen nach kaudal sequestrierten rechtslateralen Bandscheibenvorfall. Das Segment L5/S1 zeigte zwar keinen Bandscheibenvorfall,
jedoch eine deutliche Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes. Zum Zeitpunkt der Beendigung der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit
lag somit ein bisegmentaler Schaden vor, der sich in die unteren zwei Lendenwirbelsäulensegmente projizierte. Nach den Konsensempfehlungen
gilt eine Chondrose II. Grades, also eine Höhenminderung des Bandscheibenfaches von mehr als 1/3 bis 1/2, immer als altersuntypisch.
Ebenso gelten Sklerosierungen die mehr als 2 mm in die Spongiosa hineinziehen immer als altersuntypisch. Retrospondylophyten,
wie sie sich im Segment L5/S1 zeigen, sind ebenfalls immer als altersuntypisch zu betrachten. Auch eine Spondylarthrose mit
vermehrten Sklerosierungen und Verplumpungen oder Randanbauten an den Wirbelgelenken, also eine Spondylarthrose II. Grades,
gilt nach den Konsensempfehlungen immer als altersuntypisch. Ein Prolaps beziehungsweise ein Prolaps mit Sequestrierung, wie
er im CT von April 1995 für das Segment L4/5 nachgewiesen werden konnte, gilt ebenso immer als altersuntypisch. Damit steht
fest, dass die Bandscheibenerkrankung des Klägers in die unteren zwei Lendenwirbelsäulesegmente projiziert, deutlich das in
diesem Alter durchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreitet.
Es fehlt jedoch an mit dem morphologischen Bild korrelierenden chronischen klinischen Beschwerden und Funktionseinschränkungen,
wie die Beklagte durch die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. P zutreffend ausgeführt hat. Das CT der Lendenwirbelsäule
von April 1995 zeigte einen sequestierten Bandscheibenvorfall im Segment L4/5. Hier wäre eine Irritation der Wurzel L5 möglich.
Klinisch war aber eine Schädigung im Segment L5/S1 anzunehmen. In diesem Segment zeigte das CT jedoch keine Hinweise für einen
Bandscheibenvorfall. Weitere Diskrepanzen ergeben sich in Bezug auf die betroffene Seite, denn der Kläger schilderte Schmerzen
mit Ausstrahlung in das linke Bein. Der sequestierte Bandscheibenvorfall lag hingegen rechtslateral, so dass die Schmerzen
hätten ins rechte Bein ausstrahlen müssen. Dem ärztlichen Entlassungsbericht der H-Klinik von September 1995 ist zu entnehmen,
dass der Kläger über Rückenschmerzen klagte, welche in das rechte Bein ausstrahlten. Der Bericht erwähnt ein lumbales Schmerzsyndrom
bei bekanntem Bandscheibenprolaps L4/5 rechts. Das periphere Schmerz- und Hypästhesiefeld der L5-Wurzel ist die Außenseite
des entsprechenden Ober- und Unterschenkels, medialer Fußrücken sowie Großzehe. Motorische Störungen zeigen sich am M. Extensor
hallucis longus als Kennmuskel. Reflexabschwächungen betreffen den M. tibialis-posterior-Sehnenreflex. Als Nervendehnungsschmerz
resultiert ein positives Laségue-Zeichen. Bei der neurologischen Untersuchung zum damaligen Zeitpunkt waren die grobe Kraft
und die Sensibilität unauffällig. Das Laségue-Zeichen war beiderseits bei 65° positiv, wobei der Patellasehnenreflex beiderseits
negativ und der Achillessehnenreflex abgeschwächt auslösbar waren. Zeichen der Reizung oder Schädigung der entsprechenden
Nervenwurzel waren demnach klinisch nicht nachweisbar. Folglich erwähnt der Bericht in der Epikrise auch, dass in der klinischen
Untersuchung kein Anhalt für eine akute Radikulärsymptomatik bestand, denn die Reflexe zeigten zwar eine allgemeine Abschwächung,
jedoch ohne Seitendifferenz. Damit lässt sich für das Jahr 1995, festhalten, das keine bandscheibenbedingte Erkrankung im
Sinne der Konsensempfehlungen vorlag. Da der Kläger 1995 die wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten einstellte und bis zu diesem
Zeitpunkt der bildgebende Befund die klinische Symptomatik nicht zu erklären vermochte, bestand folglich bis zur Beendigung
der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit keine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Konsensempfehlungen.
Da es also an einem mit dem morphologischen Bild korrelierenden chronischen klinischen Beschwerdebild fehlt, ist hier eine
bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule zu verneinen. Soweit der gemäß §
109 SGG bestellte Sachverständige Dr. L in seinem Gutachten vom 5. September 2008 eine andere Auffassung vertritt, ist dies nicht
überzeugend, denn er hat diese Auffassung nicht näher begründet.
Im Übrigen fehlt es an weiteren Kriterien, die zumindest eine positive Indizwirkung für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs
zwischen einer - unterstellten - bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule und einer - ebenfalls unterstellten
- adäquaten beruflichen Belastung haben.
So liegt eine so genannte Begleitspondylose nicht vor. Als Begleitspondylose wird nach den Konsensempfehlungen Punkt 1.4 definiert
eine Spondylose in/im nicht von Chondrose oder Vorfall betroffenen Segment(en) bzw. in/im von Chondrose oder Vorfall betroffenen
Segment(en), die nachgewiesenermaßen vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung im Sinne einer Chondrose oder eines
Vorfalls aufgetreten ist. Um eine positive Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung zu haben, muss die Begleitspondylose
über das Altersmaß (s. Punkt 1.2 der Konsensempfehlungen) hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen. Hieran fehlt
es. Zwar hat der gemäß §
109 SGG bestellte Sachverständige Dr. L Spondylosen in zwei Wirbelsäulenabschnitten angenommen. Während er jedoch auf Seite 13 unten
seines Gutachtens selbst angibt, dass im vorliegenden Fall hierbei nur die Segmente L1/2 bis L4/5 zu berücksichtigen sind,
stellt er auf Seite 14 oben seines Gutachtens fest, dass in dem Segment L2/3 eine Spondylose III° und im Segment L5/S1 eine
Spondylose IV° vorliegt. Sodann schlussfolgert er, dass zwei Segmente betroffen seien, rechnet hierbei aber das von ihm selbst
zuvor ausgeschlossene Segment L5/S1 hinzu. Es liegt damit lediglich in einem Segment eine Spondylose vor.
Des Weiteren lassen sich an der oberen Lendenwirbelsäule und der unteren Brustwirbelsäule keine belastungsadaptiven Veränderungen
feststellen, die auf eine mechanische Überlastung des Achsenorgans hindeuten würden. Darunter sind vor allem Osteochondrosen,
bevorzugt an den unteren Lendenwirbelsäulensegmenten sowie eine Spondylose deformans im Bereich der oberen Lendenwirbelsäulensegmente,
unter Einbeziehung der unteren Brustwirbelsäulenetagen zu verstehen. Die Lendenwirbelsäule des Klägers zeigt Osteosen im Segment
L2/3, eine Chondrose zeigt dieses Segment nicht. Das Segment L5/S1 zeigt zwar eine Chondrose II. Grades, jedoch keine Osteose.
Damit findet sich weder im Segment L3/4 noch im Segment L4/5 oder L5/S1 eine Osteochondrose. Im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule
und der unteren Brustwirbelsäule fehlt eine zentrale Spondylose derformans.
Auch eine plausible zeitliche Korrelation zwischen der beruflichen Belastung und der vorgetragenen klinischen Symptomatik
sowie den bildtechnisch zur Darstellung kommenden Bandscheibenschaden haben sowohl der Sachverständige Dr. W als auch Dr.
P für den Senat überzeugend verneint. Des weiteren fehlt es an einem von kranial nach kaudal zunehmendem Schadensbild, worauf
insbesondere der Sachverständiger Dr. Whingewiesen hat.
Nach alledem liegen zur Überzeugung des Senats die medizinischen Voraussetzungen der Anerkennung einer BK Nr. 2108 nicht vor;
die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG gegeben ist.