Anerkennung einer Berufskrankheit nach BKV Anl. 1 Nr. 1301 in der gesetzlichen Unfallversicherung; Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität bei fehlender Dosis-Wirkungs-Beziehung
und Rauchen
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung und Entschädigung einer Harnblasenkarzinomerkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr. 1301 der Anlage
zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV - Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine).
Die 1961 geborene Klägerin war beruflich - soweit im Hinblick auf den Umgang mit Gefahrstoffen relevant - nach einer entsprechenden,
in der Zeit von September 1979 bis März 1983 absolvierten Ausbildung in den Chemischen Werken H ab Dezember 1987 als Chemielaborantin
in der Abteilung Toxikologie des früheren B Landesinstituts für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen (jetzt B Betriebe
für Zentrale Gesundheitliche Aufgaben) tätig. Dabei arbeitete sie in der Zeit von Dezember 1987 bis Dezember 1988 30 Stunden
die Woche, von Januar 1989 bis Oktober 1989 38,5 Stunden wöchentlich, von Oktober 1989 bis Oktober 1990 und ab Mai 1995 halbtags,
wobei sie ab April 1997 lediglich noch Aufgaben im Sekretariatsbereich erledigte. Von März 1993 bis Mai 1995 sowie ab Juli
1997 befand sich die Klägerin jeweils im Mutterschutz bzw. Erziehungsurlaub. Nach dem letztgenannten Erziehungsurlaub schied
sie bei Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus dem Berufsleben aus.
Im Oktober 1999 wurde bei der Klägerin ein infiltrierendes Blasenkarzinom entdeckt. Es erfolgten im U-Krankenhaus eine Totalresektion
der Harnblase und nachfolgend in der Universitätsklinik M die Anlage einer Sigma-Rektum-Blase.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2001 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und zeigte unter Hinweis auf ihre Karzinomerkrankung
das mögliche Bestehen einer BK an. Sie sei bei dem senatseigenen Landesuntersuchungsinstitut für Lebensmittel, Arzneimittel
und Tierseuchen im Fachbereich Toxikologie in einem Bereich, den es heute in dieser Form und mit der seinerzeit üblichen Arbeitsmethodik
nicht mehr gebe, tätig gewesen und habe hierbei u. a. Kontakt mit größeren Mengen organischer Lösungsmittel gehabt. Die Beklagte
befragte die Klägerin zu ihrem Krankheitsverlauf und zu ihrem beruflichen Lebenslauf. Sie holte eine Krankheitsauskunft der
Dr. K, Krankenhaus M gGmbH, vom 02. Mai 2001 ein, die u. a. angab, dass typische Beschwerden im Sinne der Krebserkrankung
wie Pollakisurie und Erythrozyturie zirka drei Jahre vor Feststellung der Erkrankung aufgetreten seien. Das behandelnde U-Krankenhaus
teilte am 02. Mai 2001 mit, dass bei der Klägerin ein muskelinvasives, fortgeschrittenes Urothel-Karzinom der Harnblase vorgelegen
habe. Nach Angaben der Klägerin bestünden bei dieser u. a. seit der Kindheit eine neurogene Blasenentleerungsstörung sowie
ein Nikotinabusus. Die Beklagte befragte ferner den Arbeitgeber der Klägerin, der eine Gefährdungsanalyse übersandte und mit
Schreiben vom 07. Mai 2001 mitteilte, dass ihm gefährdende Tätigkeiten der Klägerin nicht bekannt seien.
Der von der Beklagten sodann gehörte Facharzt für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin Dr. R teilte mit erstem Untersuchungsbefund
und Stellungnahme vom 11. Juni 2001 mit, dass eine weitere Überprüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen insbesondere
zu möglichen kanzerogenen Arbeitsstoffen erforderlich sei. Die erfragte spezielle Krankheitsvorgeschichte gab er dahin wieder,
dass die Klägerin bereits seit Jahren Probleme mit Restharnmengen gehabt habe, sie habe sich ab zirka 1987/88 zweimal täglich
katheterisiert, ab zirka 1989 habe ständig Katheterbedarf bestanden. Die Ursachen seien letztlich nicht geklärt. Die Klägerin
habe angegeben, von 1980 bis 2000 zirka zehn bis 15 Zigaretten täglich geraucht zu haben, zwischenzeitlich Nichtraucherin
gewesen zu sein und jetzt wieder zirka fünf Zigaretten täglich zu rauchen. Beigebracht wurden ferner pathologische Untersuchungsergebnisse
und der Entlassungsbericht der J-Universität M vom 14. Dezember 1999 über die Behandlung der Klägerin vom 03. November bis
29. November 1999. Hier ist zur Anamnese ausgeführt, dass seit mehreren Jahren rezidivierende Harnwegsinfektionen und hohe
Restharnmengen bestanden hätten, seit zehn Jahren werde die Blase mittels CIC entleert (Clean Intermittent Catheterisation,
intermittierender Einmalkatheterismus). Beigebracht wurden ferner Berichte des U-Krankenhauses über die Weiterbehandlung der
Klägerin mittels Chemotherapie sowie weitere Untersuchungsbefunde.
Zur Ermittlung der arbeitstechnischen Belastung der Klägerin holte die Beklagte sodann eine Stellungnahme ihrer Abteilung
Prävention ein, für die am 13. November und 20. Dezember 2001 Frau B und Frau G nach einem Gespräch mit der Klägerin und mit
dem Leiter Forensische Toxikologie des früheren Arbeitgebers der Klägerin, Dr. R, sowie einer Besichtigung vor Ort zu dem
Ergebnis kamen, dass die Klägerin während ihrer Tätigkeit Kontakt mit krebserzeugenden Arbeitsstoffen in geringem Umfang gehabt
habe, als relevante Noxen kämen 2-Naphthylamin und N-(1-Naphthyl)-ethylendiamindihydrochlorid in Betracht. Denn die Klägerin
habe wöchentlich drei Dünnschichtplatten mit einer Lösung besprüht, die nach den Angaben des Herstellers M mit ≤ 0,01 % 2-Naphthylamin
verunreinigt gewesen sei. Beigefügt waren eine Stellungnahme der Klägerin vom 27. November 2001, die Produktauskunft der Firma
M über den von der Klägerin verwandten Stoff sowie eine schriftliche Stellungnahme des Dr. R vom 14. Dezember 2001, der u.
a. ausführte, dass die Mitarbeiter des Fachbereiches aufgrund einer Arbeitsplatzrotation nicht dauerhaft an einem Arbeitsplatz
tätig gewesen seien; die Klägerin dürfte das Besprühen von Dünnschichtplatten insgesamt in etwa zwei bis drei Monaten pro
Jahr durchgeführt und hierbei wöchentlich im Mittel zirka drei Dünnschichtplatten besprüht haben, dies sei grundsätzlich in
einem Abzug geschehen. Für den früheren Ausbildungsbetrieb der Klägerin, die Chemischen Werke H, beantwortete die I am 19.
Februar 2002 eine Arbeitgeberanfrage, in deren Auswertung die insoweit zuständige Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie
am 10./19. April 2002 mitteilte, dass in allen drei Bereichen, in denen die Klägerin während der Ausbildung tätig gewesen
sei, kein bestimmungsgemäßer Umgang mit krebserzeugenden Gefahrstoffen bestanden habe. Es bestehe allerdings grundsätzlich
die Möglichkeit, dass in einzelnen Laboratorien übliche Kleinstmengen für bestimmte Einsätze bereitgehalten worden seien,
die Krebs erzeugend seien, ohne dass ein solcher Einsatz im Einzelnen bekannt sei; auch ein Umgang mit diesen zu Lehrzwecken
könne nicht ausgeschlossen werden.
Die Beklagte holte sodann ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. K vom 10. Juni 2003 ein, der ausführte, dass die minimale
Verunreinigung des bei der von der Klägerin durchgeführten Dünnschichtchromatographie eingesetzten Detektorprodukts mit 0,01
% 2-Naphthylamin die einzige Substanz sei, für welche Kanzerogenität für die Harnblase nachgewiesen sei. Verwendete Mengen
des Präparates und äußerst geringe Kontaktzeiten im Rahmen der Teiltätigkeit der Klägerin schlössen jedoch den ursächlichen
Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Exposition im Falle der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit aus, weil das denkbare Zeit-Intensitäts-Produkt
viel zu gering sei. Zur Induktion beruflich verursachter Harnblasenkrebse seien offenbar sehr lange Expositions- und Latenzzeiten
erforderlich, für beide Größen werde mit durchschnittlich 20 bis 25 Jahren unter industriellen Bedingungen bei Vollbeschäftigung
gerechnet. Expositionszeiten unter zehn Jahren seien nur bei extrem ungünstigen arbeitstechnischen Bedingungen diskussionsfähig,
wie sie unter Laborbedingungen nicht bekannt seien.
Nach Einholung einer Stellungnahme des Gewerbearztes Dr. S vom Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische
Sicherheit Berlin vom 18. Juli 2003, der die Anerkennung einer BK Nr. 1301 nicht vorschlug, lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 03. September 2003 die Anerkennung des Bestehens einer BK 1301 der Anlage zur
BKV sowie die Gewährung von Leistungen ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin, mit dem diese ausführte, dass vorhandene
Absaugvorrichtungen nicht immer ordnungsgemäß funktioniert hätten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni
2004 zurück.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 26. April 2005 unter Bezugnahme auf das Gutachten
des Dr. K abgewiesen.
Gegen dieses ihr am 31. August 2005 zugegangene Urteil richtet sich die am 28. September 2005 eingegangene Berufung der Klägerin.
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass es des Nachweises einer Mindestdosis für die schädlichen Einwirkungen bei
der BK 1301 nicht bedürfe. Die Einwirkungszeit sei auch größer als von Dr. R eingeschätzt gewesen. Sie sei zwar in der Tat
aufgrund der Arbeitsplatzrotation nicht dauerhaft an dem Arbeitsplatz tätig gewesen, an dem die Dünnschichtplatten zu besprühen
gewesen seien, tatsächlich habe sie sich in dem entsprechenden Arbeitsraum jedoch jährlich über sechs Monate aufgehalten,
da in diesem Raum neben dem Ansprühen der Dünnschichtplatten mindestens zwei weitere Tätigkeiten ausgeübt worden seien, wie
die Prüfung auf Cannabis, die Vorbereitung der Radio-Immuno-Essays und zeitweise die Aufarbeitung von Leichenmaterial. Außerdem
habe sich ihr Schreibtisch in diesem Arbeitsraum befunden. Auch habe die Arbeit zwar nur im Abzug durchgeführt werden dürfen,
dieser Abzug habe jedoch sehr oft nicht funktioniert, mit der Folge, dass das vom Abzug nicht aufgenommene Sprühmaterial als
Aerosol in den Arbeitsraum eingetreten sei. Ferner seien zu den regelmäßigen Arbeiten mit dem Besprühen der Dünnschichtplatten
zusätzliche Schnellfälle, die Leichenaufarbeitung und auch der Spätdienst hinzugetreten. Ihr Nikotinkonsum sei recht gering
und sporadisch gewesen. Selbst bei Einräumung einer Teilursächlichkeit im Hinblick auf das inhalative Zigarettenrauchen komme
der arbeitstechnischen Exposition gegenüber aromatischen Aminen (2-Naphthylamin) jedenfalls eine wesentliche, teilursächliche
Bedeutung zu. Einen Dauerkatheter habe sie nur für zwei Monate getragen. Insbesondere ihr junges Alter im Zeitpunkt der Karzinomerkrankung
spreche für eine berufliche Verursachung, da das Blasenkarzinom ein Tumor des Alters sei. Die überwiegend monokausal geprägte
Bewertung in den einzelnen Gutachten sei untauglich. Denn eine Bewertung der verschiedenen Ursachen habe nach dem Prinzip
der so genannten "Synkanzerogenese" zu erfolgen, wobei einzelne Krebsrisiken in ihrer möglichen Kombination zusammenfassend
zu bewerten seien. Diesbezüglich verweist die Klägerin auf ein Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 31. Oktober
2003 (Az.: L 11/3 U 740/02 ZVW). Eine derartige Bewertung, wie sie hier vorgenommen worden sei, müsse auch in ihrem Falle erfolgen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2005 und den Bescheid der Beklagten vom 03. September 2003 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2004 aufzuheben, festzustellen, dass sie an einer Berufskrankheit nach der Nr. 1301
der Anlage zur
BKV erkrankt ist, und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Verletztenteilrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in
Höhe von mindestens 80 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, dass rein rechnerisch lediglich eine vollschichtige Belastung der Klägerin von zirka sechs Jahren
vorgelegen habe, wobei Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Kur, Erkrankung oder Erkrankung des Kindes noch nicht einmal berücksichtigt
worden seien; dies ergebe sich, wenn man aus dem Tätigkeitszeitraum von Dezember 1987 bis Oktober 1999 die Zeiten von Mutterschutz
und Erziehungsurlaub, die Zeiten einer reinen Bürotätigkeit sowie die Zeiten geringerer Belastung aufgrund einer Teilzeittätigkeit
in Anrechnung bringe. Auch seien bereits drei Jahre vor der Krebsdiagnose hierfür typische Symptome aufgetreten. Ferner hätten
nur sehr geringe Einwirkungen bestanden. Messungen der Raumluft seien zwar nicht möglich gewesen, weil es den seinerzeitigen
Arbeitsbereich bereits im Zeitpunkt der erstmaligen Anzeige einer möglichen BK nicht mehr gegeben habe. Von Mengen wie unter
industriellen Bedingungen könne jedoch keine Rede sein.
Die Beklagte verweist weiter auf eine von ihr beigebrachte Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin
Prof. Dr. B Diplom-Chemikers Dr. W vom 17. Juli 2008, die u. a. ausführten, dass Rauchen heute das Hauptrisiko für eine Harnblasenkarzinombildung
darstelle. Etwa 50 bis 70 % dieser Karzinome würden durch Rauchen verursacht, wobei längerer Abusus und eine erhöhte Rauchmenge
das Risiko erhöhten. Aufgrund der Angaben der Klägerin gegenüber Dr. R am 05. Juni 2001 sei von zirka 9,9 bis 14,9 Packungsjahren
im Zeitpunkt der Diagnose der Krebserkrankung auszugehen, aufgrund der späteren, im Juli 2006, mitgeteilten Rauchmengen von
zirka 6,6 bis 9,9 Packungsjahren. Durch ihren Tabakkonsum zwischen 6,6 und 14,9 Packungsjahren habe die Klägerin kumulativ
human kanzerogene aromatische Amine äquivalent zu einer Höhe zwischen 2,65 und 5,96 mg 2-Naphthylamin aufgenommen.
Unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin, mehr als die doppelte Arbeitszeit als vom Leiter der Forensischen Toxikologie
Dr. R geschätzt, pro Jahr im Mittel mit zirka drei zu besprühenden Dünnschichtplatten wöchentlich beschäftigt gewesen zu sein,
und unter Zugrundelegung der Worst-case-Annahme, dass dies sogar zweimal täglich durchgeführt worden sei, habe die Klägerin
kumulativ während ihrer gesamten Beschäftigungsdauer etwa 500 µg (0,5 mg) aufnehmen können. Bystander-Expositionen (z. B.
der Schreibtisch im Labor) führten in der Regel zu deutlich darunter liegenden Expositionen, zumal sich entsprechende Aerosole
vergleichsweise schnell absetzten und eine vergleichsweise geringe Reichweite besäßen und 2-Naphthylamin kaum flüchtig sei.
Auch bei Zugrundelegung der Worst-Case-Abschätzung zeige sich, dass die berufliche Exposition alleinig nicht ausreichend gewesen
sei. Die kumulative Höhe der Exposition über das Tabakrauchen liege mindestens um den Faktor 5 höher als die berufliche Exposition.
Vor diesem Hintergrund trete die über das Worst-Case-Szenario abgeschätzte kumulative berufliche Belastung gegenüber 2-Naphthylamin
mit 0,5 mg deutlich in den Hintergrund und angesichts der zusätzlichen Disposition der Klägerin allenfalls in den Bereich
einer Gelegenheitsursache. Eine Diskussion der vergleichsweise kurzen Latenzzeit erübrige sich daher, ebenso wie eine Diskussion
des jungen Erkrankungsalters der Klägerin. Es sei davon auszugehen, dass Urothelkarzinome der Harnblase durch erhöhte Proliferatonsraten
aufgrund chronischer Blasenentzündungen bzw. jahrelanger Katheterisierung in ihrer Entstehung begünstigt würden.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes zunächst den früheren Arbeitgeber der Klägerin zu den genauen Zeiten und
dem Umfang der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit um Auskunft gebeten, diesbezüglich wird auf das Antwortschreiben vom 06. März
2007 und die sich hieraus ergebenden, bereits genannten Zeiten Bezug genommen.
Das Gericht hat sodann ein Gutachten des Facharztes für Arbeitsmedizin, Praktischen Arztes/Umweltmedizin Dr. W vom 30. September
2007 eingeholt, der ausführte, dass die Klägerin an einem Harnblasenkarzinom mit teils papillärer Tumorformation gelitten
habe, welches den Kriterien zur BK 1301 entspreche. Die Erkrankung sei im Sinne der wesentlichen Verschlimmerung eines berufsunabhängigen
Leidens ursächlich auf die Tätigkeit der Klägerin als Chemielaborantin mit aromatischen Aminen zurückzuführen. Die expositionelle
Belastung am Arbeitsplatz müsse als wesentlicher Einfluss auf die Entwicklung der chronisch-entzündlichen Harnwegserkrankung
zu einer bösartigen Erkrankung gewertet werden. Entzündliche Veränderungen der Harnwege könnten Vorboten einer bösartigen
Erkrankung sein. Lang anhaltende Stauungen im Harnabfluss seien als ungünstig zu betrachten.
Die Expositionsbewertung im Falle der Klägerin ergebe, dass für ihr Krankheitsbild die betriebliche Tätigkeit mit 2-Naphthylamin
als ausschlaggebend angesehen werden müsse. Im Hinblick auf eine Schwellendosis befinde man sich zwar mehrheitlich im Stadium
der Hypothesen und die Datenlage reiche nicht aus, um Grenzwerte festzulegen. Da man nicht in der Lage sei, Expositionsgrenzen
zu bestimmen, müsse man immer noch vom "Alles-oder-nichts" bei der Verursachung eines Krebses ausgehen. Auch wenn die Klägerin
nicht zu den in typischen Tätigkeitsbereichen für die Verursachung von Harnblasenkarzinomen Tätigen gehört habe, sei doch
ihre Exposition gegenüber einer sicher human kanzerogen wirkenden Substanz nachgewiesen und stelle mehr als eine Gelegenheitsursache
dar. Für die außerberuflichen Faktoren werde keine Mitbeteiligung gesehen. Rauchen werde zwar als wichtigster außerberuflicher
Risikofaktor angesehen. Die Rauchgewohnheit der Klägerin liege nach ihren Angaben bei 14 Raucherjahren und sei als mittelhoch
zu bewerten. Möglicherweise sei die nur geringe berufliche Belastung aufgrund eines überadditiven Synergismus bei dem Kombinationseffekt
Nikotinabusus und berufliche Exposition wesentlich verstärkt worden. Auch seien aromatische Aminoverbindungen seit über 100
Jahren vielfältig genutzte Chemikalien für unterschiedlichste chemische Produkte, so dass es nicht verwundere, dass auch bei
biologischen Monitorings der Allgemeinbevölkerung Belastungen gefunden worden seien. Als Expositionsquellen seien angeführt
worden: Rauchen, Pharmaka, Pestizidrückstände, Kosmetika, Kugelschreiberminen, Lebensmittelfarbstoffe, schwarzer Tee, Wasser
und Lederprodukte. Dennoch müsse die berufliche Tätigkeit als ausschlaggebend angesehen werden. Die Höhe der Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 80 v. H. Beigefügt waren Befundberichte der Dipl.-Med. W vom 10. September 2007 sowie der Fachärztin
für Psychosomatische Medizin Dr. W vom 14. September 2007.
Auf Einwände der Beklagten und die bereits genannte Stellungnahme des Prof. Dr. B vom 17. Juli 2008 hielt Dr. W in einer Rückäußerung
vom 26. Oktober 2008 an seiner Einschätzung fest. Der Diskussion über die Konkurrenznoxe Rauchen solle gar nicht widersprochen
werden. Allerdings sei das Blasenkarzinom ein Tumor des fortgeschrittenen Alters, die Erstdiagnose werde in der Regel in der
Altersspanne von 65 bis 70 Jahren gestellt. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung ihrer Erkrankung im Jahr 1999
erst 38 Jahre als gewesen, zudem sei sie keine starke Raucherin und zeitweise Nichtraucherin gewesen. Er habe auch nie behauptet,
dass die Arbeitsbedingungen allein ursächlich für die Entwicklung des Krebses gewesen seien, Krebs sei ein multikausales Geschehen.
Die berufliche Exposition sei hierbei mehr als eine Gelegenheitsursache gewesen.
Das Gericht hat sodann ein weiteres Gutachten des Prof. Dr. F, V-Klinikum N, erstellt unter Mitwirkung des Arztes D, vom 09.
Juli 2009, eingeholt, der zu dem Ergebnis kam, dass das Harnblasenkarzinom nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich
auf die berufliche Exposition zum kanzerogenen aromatischen Amin 2-Naphthylamin zurückzuführen sei. Der entscheidende Punkt
sei wie bei allen Intoxikationen die Dosis. Viele Untersuchungen und Erfahrungen hätten gezeigt, dass eine Induktion beruflich
bedingter Harnblasenkarzinome eine sehr lange Expositionszeit unter industriellen Bedingungen bei Vollzeitbeschäftigungen
sowie eine lange Latenzzeit von mindestens 20 Jahren voraussetze. Expositionszeiten von weniger als 50 % der genannten Dauer
seien nur bei äußerst ungünstigen Arbeitsbedingungen denkbar, nicht jedoch unter den in einem Labor anzunehmenden Konditionen.
Im Falle der Klägerin hätten ferner eine Vielzahl von Risikofaktoren für ein Harnblasenkarzinom bestanden, wenngleich in unterschiedlichen
Gewichtungen. Als wichtiger Faktor sei der Nikotinkonsum zu bemerken, welcher im Falle der Klägerin als mittelstark einzuschätzen
sei, wenngleich auch ein Harnblasenkarzinom erst in höherem Lebensalter zu erwarten gewesen wäre. Als hauptursächlich für
die Entstehung des Karzinoms sei im Falle der Klägerin die langzeitig bestehende Harnblasenentleerungsstörung anzusehen, durch
welche kanzerogene Noxen länger in der Blase verweilten mit der Folge einer höheren neoplastischen Entartungstendenz des Urothels.
Der Nikotinkonsum sowie die berufliche Exposition seien begünstigend in überadditiv-synkanzerogener Wirkung hinzugekommen.
Der berufliche Umgang mit Aminen habe eine nur untergeordnete Rolle gespielt.
Auf Antrag der Klägerin nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat das Gericht sodann ein Gutachten der Fachärztin für Arbeitsmedizin/Umweltmedizin Dr. B, Universitätsklinikum H, vom
26. März 2010 eingeholt, die zu dem Ergebnis kam, dass zwar mit ausreichender Sicherheit eine Exposition gegenüber 2-Naphthylamin
bestanden habe, dass unter Zugrundelegung einer Verdoppelungsdosis als Richtwert für die Anerkennung von kumulativen 6 mg
auch bei Zugrundelegung der von der Klägerin gemachten Angaben zu einer Beschäftigung in dem Laborraum im Umfang von sechs
Monaten jährlich sie von dem Wert, ab dem die Wahrscheinlichkeit für eine berufliche Verursachung anzunehmen sei, sehr weit
entfernt sei. Unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin zum Umfang ihrer beruflichen Exposition errechne sich eine kumulative
Belastung von zirka 0,9 mg über das gesamte Berufsleben. Die "Verdoppelungsdosis" als Richtwert für die Anerkennung erfordere
bei 2-Naphthylamin als grobem Orientierungswert eine lebenslange Belastung von kumulativ 6 mg. Von diesem Wert sei die Exposition
der Klägerin sehr weit entfernt. Relevante außerberufliche Risikofaktoren seien der Zigarettenkonsum und die chronische Erkrankung
der Harnblase. Möglicherweise habe die Exposition gegenüber aromatischen Aminen im Zusammenspiel mit den außerberuflichen
Faktoren die Tumorentstehung beschleunigt, möglicherweise lägen auch noch genetische, bislang unbekannte Faktoren vor. Die
Möglichkeit allein sei jedoch nicht ausreichend für den Nachweis des Zusammenhanges, eine wesentliche Teilursache sei in der
beruflichen Exposition nicht zu sehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Anerkennung ihrer Harnblasenkrebserkrankung
als BK 1301. Das erstinstanzliche Urteil und der angefochtene Bescheid der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin
nicht in ihren Rechten.
Berufskrankheiten sind nach §
9 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die
Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach Nr. 1301 der Anlage zur
BKV sind Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine eine BK.
Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die Verrichtung einer -
grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem
auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität), ferner müssen die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende
Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne
des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen. Lediglich für die nach der Theorie der
wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung
einerseits und zwischen der schädigenden Einwirkung und der eingetretenen Erkrankung andererseits reicht die hinreichende
Wahrscheinlichkeit aus. Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal
und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich
mitgewirkt haben. Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit der Ursache ist maßgebend, dass es mehrere rechtlich
wesentliche Mitursachen geben kann. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis bzw. die schädigende Einwirkung
wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig"
oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende
Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Eine
Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache ausscheidet,
kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale
Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen
ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter
Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere
alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der
Ursachenzusammenhang positiv festgestellt werden muss und dass es keine Beweisregel gibt, wonach bei fehlender Alternativursache
die naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist. Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs
genügt dann die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht
und ernsthafte Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (so insgesamt BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, Az.: B 2 U 1/05 R, und Urteil vom 02. April 2009, Az. B 2 U 9/08 R, m. w. N., zitiert nach juris.de).
Vorliegend sind zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1301 im Sinne einer Exposition gegenüber 2-Naphthylamin
als aromatischem Amin nachgewiesen. Auch handelt es sich bei dem bei der Klägerin aufgetretenen Harnblasenkarzinom um ein
Krankheitsbild im Sinne einer BK 1301. Der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung einer BK 1301 scheitert jedoch daran,
dass die Erkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die berufliche Exposition rückführbar ist.
Es ist nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Harnblasenerkrankung durch die berufliche Exposition gegenüber 2-Naphthylamin
verursacht worden ist. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts fest aufgrund der Ausführungen der Gutachter Prof. Dr. F in
dessen Gutachten vom 09. Juli 2009, Prof. Dr. B in dessen Stellungnahme vom 17. Juli 2008 und Prof. Dr. K in dessen Gutachten
vom 10. Juni 2003, die jedenfalls im Ergebnis übereinstimmend eine hinreichend wahrscheinliche Verursachung nicht feststellen
konnten. Die im Berufungsverfahren auf Antrag der Klägerin nach § 109 gehörte Frau Dr. B hat mit ihrem Gutachten vom 26. März
2010 dieses Ergebnis in jeder Hinsicht bestätigt.
Während Prof. Dr. K eine mögliche Verursachung der Erkrankung durch die berufliche Exposition bereits allein aufgrund der
nur geringen Exposition der Klägerin "mit hoher Wahrscheinlichkeit" sogar ausschloss, haben Prof. Dr. F und Prof. Dr. B, für
den Senat überzeugend, die Expositionen der Klägerin gegenüber 2-Naphthylamin auf der einen Seite und die bei der Klägerin
bestehenden besonderen Risiko- und außerberuflichen Verursachungsfaktoren auf der anderen Seite gegeneinander abgewogen und
sind aufgrund dessen übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass die sehr geringe Exposition der Klägerin gegenüber dem
kanzerogenen 2-Naphthylamin gegenüber den anderen Risikofaktoren deutlich zurücktritt und daher nicht wahrscheinlich ursächlich
für die Erkrankung war. Diesen Feststellungen schließt sich das Gericht an. Zunächst einmal begegnet es keinen Bedenken, dass
die Gutachter die Höhe der beruflich bedingten Exposition in ihre Erwägungen einfließen ließen, auch wenn eine exakte Dosis-Wirkungsbeziehung
nicht medizinisch-wissenschaftlich begründet feststeht. Im Merkblatt zur BK 1301 (Bek. des BMA vom 12. Juni 1963, BArbBl.
Fachteil Arbeitsschutz 1964, 129 f., zitiert nach Mehrtens/Brandenburg, die
Berufskrankheitenverordnung) ist zur erforderlichen Dosis der Einwirkung zwar noch formuliert, dass Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege im Allgemeinen
"nach mehrjähriger, gelegentlich auch mehrmonatiger Exposition mit aromatischen Aminen" entstehen können. Allerdings können
derartige Merkblätter nur dann für die Beurteilung herangezogen werden, wenn sie zeitnah erstellt oder aktualisiert worden
sind und sich auf dem neuesten Stand befinden (BSG; Urteil vom 27. Juni 2006, Az. B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris.de); davon kann im vorliegenden Fall wegen des Alters des Merkblattes nicht mehr ausgegangen werden.
Es ist daher davon auszugehen, dass über die Anforderung einer Mindestdosis für eine Dosis-Wirkungs-Beziehung der Belastung
mit aromatischen Aminen derzeit noch kein Konsens besteht. Dies hat Dr. Win seinem Gutachten vom 30. September 2007 ausgeführt.
Etwas anderes ist auch der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur nicht zu entnehmen (vgl. etwa Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Seite 1122; ebenso unter Auswertung weiterer Veröffentlichungen LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 07. September 2010, Az. L 1 U 2869/09, zitiert nach juris.de, m. w. N.). Dies führt jedoch weder dazu, dass auf die Überprüfung einer arbeitstechnischen Exposition
verzichtet werden könnte, noch dazu, dass bereits jede minimale Exposition als wesentlicher Verursachungsfaktor im Sinne der
im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre anerkannt werden könnte (so bereits LSG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 20. Januar 2011, Az. L 2 U 324/08). Die beruflich bedingte Exposition der Klägerin hat Prof. Dr. B unter Zugrundelegung ihrer Angaben mit höchstens 0,5 mg
2-Naphthylamin kumulativ während der gesamten Beschäftigungsdauer errechnet. Die auf Antrag der Klägerin nach §
109 SGG gehörte Dr. B kam in ihrem Gutachten vom 26. März 2010 auf eine kumulative Belastung über das gesamte Berufsleben von zirka
0,9 mg, also eine Belastung in einer nicht wesentlich abweichenden Höhe. Übereinstimmend haben Prof. Dr. B, Prof. Dr. F und
Dr. Bdiese Belastung jedenfalls nicht für ausreichend gehalten.
Prof. Dr. F hat mit hoher Wahrscheinlichkeit die Harnblasenentleerungsstörung als Hauptursache für das Krankheitsgeschehen
angesehen. Die hierfür gegebene Begründung überzeugte, zumal dies grundsätzlich auch von den anderen Gutachtern so gesehen
wurde. So hat auch der vom Gericht gehörte Gutachter Dr. W in seinem Gutachten vom 30. September 2007 beschrieben, dass in
der Blasenentleerungsstörung grundsätzlich ein Risikofaktor zu sehen ist, als er ausführte, dass lang anhaltende Stauungen
im Harnabfluss als ungünstig zu betrachten seien. Denn infolge der Blasenentleerungsstörung verweilen kanzerogene Noxen länger
in der Blase mit der Folge einer höheren neoplastischen Entartungstendenz des Urothels. Eine derartige Blasenentleerungsstörung
besteht nach den Angaben der Klägerin gegenüber dem ihre Krebserkrankung behandelnden U-Krankenhaus ausweislich des Krankheitsberichtes
vom 02. Mai 2001 bereits seit ihrer Kindheit. Prof. Dr. F sah deshalb in dieser Vorerkrankung die wesentliche Ursache für
die Entstehung des Urothelkarzinoms.
Im Hinblick auf die Bewertung des Rauchverhaltens der Klägerin sind sich sämtliche Gutachter zunächst einmal dahin einig gewesen,
dass Rauchen grundsätzlich ein erheblicher Risikofaktor für die Ausbildung eines Harnblasenkarzinoms ist. Die Gutachter haben
hierbei die von der Klägerin zu ihrem Rauchverhalten gemachten unterschiedlichen Angaben berücksichtigt, die von zehn bis
15 Zigaretten täglich über einen Zeitraum von 20 Jahren (von 1980 bis 2000) entsprechend den Angaben der Klägerin gegenüber
Dr. R zu Beginn des Verwaltungsverfahrens, über 10 bis 15 Zigaretten täglich für die Zeit von 1980 bis 1993, fünf bis zehn
Zigaretten im Jahre 1996 und Nichtraucherin ab 1997 gegenüber Dr. W reichten, ohne dass für die abweichenden Angaben Begründungen
genannt worden wären. Prof. Dr. B hat insoweit überzeugend die bereits genannte Exposition gegenüber 2-Naphthylamin aufgrund
der beruflichen Tätigkeit und die gegenüber aromatischen Aminen aufgrund der Rauchergewohnheiten gegenübergestellt und ist
hierbei zu dem Ergebnis gekommen, dass die kumulative Höhe der Exposition über das Tabakrauchen mindestens um den Faktor 5
höher liegt als die berufliche Exposition, und zwar selbst dann, wenn man die Angaben der Klägerin sowohl zu ihrer höheren
beruflichen Belastung, auch soweit sie vom Arbeitgeber bzw. Dr. R nicht bestätigt worden sind, und auch die erst im Berufungsverfahren
gemachten Angaben der Klägerin zu ihrem geringeren Rauchverhalten zugrunde legt, obgleich nach Einschätzung des Gerichtes
Angaben in einem frühen Stadium des Verfahrens grundsätzlich glaubhafter sind als später gemachte Angaben.
Übereinstimmend kamen die Gutachter Prof. Dr. F und Prof. Dr. B nach einer Abwägung der möglichen Verursachungsfaktoren sodann
zu dem Ergebnis, dass die von sämtlichen Gutachtern nur als sehr gering angesehene Exposition aufgrund ihrer Tätigkeit im
Labor gegenüber den anderen Risikofaktoren bzw. Expositionen weit zurücktritt, dies war überzeugend. Eine weit zurücktretende
Ursache ist jedoch nicht mehr teilursächlich im Sinne der Wesentlichkeitstheorie.
Die Ausführungen des Gutachters Dr. W in dessen Gutachten vom 30. September 2007 zur Kausalität überzeugten hingegen nicht.
Zunächst einmal ging Dr. W davon aus, dass wegen des Fehlens einer medizinisch-wissenschaftlich anerkannten Dosiswirkungsbeziehung
von einem "Alles-oder-nichts"-Prinzip auszugehen sei und dass für die Ablehnung einer BK gegenwärtig keine genügend gesicherten
Erkenntnisse bestünden. Dieser Ausgangspunkt des Gutachters entspricht nicht der ständigen Rechtsprechung in der gesetzlichen
Unfallversicherung, wonach die wahrscheinliche Verursachung positiv festgestellt werden muss und es nicht Aufgabe der Beklagten
oder des Gerichts ist, vom Bestehen einer BK ausgehend die Ablehnung der Anerkennung einer BK besonders zu begründen. Ferner
führt - wie bereits dargelegt - das Fehlen einer anerkannten Dosis-Wirkungs-Beziehung nicht per se dazu, dass bereits eine
minimale Exposition als wesentlicher Verursachungsfaktor im Sinne der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden
Kausalitätslehre anerkannt werden könnte (so wohl Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 7. September 2010, Az.
L 1 U 2869/09, zitiert nach juris.de). Es ist wissenschaftlich nicht umstritten, dass aromatische Amine nicht nur in Stoffen vorkommen,
mit denen Versicherte beruflich Umgang haben. Dr. W beschrieb dies dahin, dass aromatische Aminoverbindungen seit über 100
Jahren vielfältig genutzte Chemikalien für unterschiedlichste chemische Produkte sind. Krebserzeugende aromatische Amine finden
sich ubiquitär in der Umwelt. Sie finden sich in Nahrungsmitteln wie gegrilltem Fleisch, als Rückstände von Pflanzenschutzmitteln
in Lebensmitteln, gelangen als Gummiabrieb von Reifen in die Umwelt, finden Verwendung in der Lokalanästhesie, stellen Verunreinigungen
von Haarfärbemitteln dar und sind Bestandteil des Tabakrauches (vgl. Weiß, Hennig, Brüning, Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed.
45, 5, 2010, mit Hinweis auf die einschlägigen wissenschaftlichen Studien). Dr. W nannte zusätzlich noch Pharmaka, Pestizidrückstände,
Kosmetika, Kugelschreiberminen, Lebensmittelfarbstoffe, schwarzen Tee, Wasser und Lederprodukte. Wenn jede Exposition gegenüber
aromatischen Aminen, die größer als null ist, ausreichen soll für die Verursachung einer Krebserkrankung der Harnwege, so
ist nicht nachvollziehbar, weshalb ausgerechnet eine auch noch so geringe berufliche Exposition für die Erkrankung wesentlich
ursächlich gewesen sein soll, während die sonstigen, nach den Ausführungen des Gutachters vielfältigen anderen Nutzungen der
Chemikalie nicht in die Abwägung einbezogen werden und insbesondere auch der nicht unerhebliche Zigarettenkonsum, der - wie
von Prof. Dr. B dargelegt - vom Umfang her die berufliche Exposition um eine Vielfaches übersteigt, nicht relevant gewesen
sein soll. Will man geringste berufliche Einwirkungen als wesentlichen Verursachungsfaktor ausreichen lassen, lässt sich wissenschaftlich
nicht mehr erklären, warum die übrigen beispielhaft genannten nicht-beruflichen Expositionsquellen, die ebenfalls geringfügige
Einwirkungen verursachen, nicht auch Verursachungsfaktoren sein sollten. Dass nur eine dieser Geringfügigkeiten - nämlich
die berufliche - dann wesentlich sein soll, ist nachvollziehbar nicht mehr zu begründen. Letztlich begründete Dr. W auch für
den Fall der Klägerin nicht nachvollziehbar, weshalb hinter den auch von ihm als nur sehr geringfügig angesehenen beruflichen
Expositionen der Klägerin die übrigen Expositionen und ihre erheblichen Risikofaktoren derart zurücktreten sollten, dass nach
wie vor die geringfügige Exposition aufgrund der beruflichen Tätigkeit als wesentlich ursächlich anzusehen sein soll.
Auch die Einwände der Klägerin überzeugten nicht. Ob ihren Angaben zu einer gegenüber den arbeitgeberseitig gemachten Ausführungen
erhöhten beruflichen Exposition oder zu einem geringeren Rauchverhalten als zunächst etwa gegenüber Dr. Reimer angegeben zu
folgen ist, kann dahinstehen, da der Kausalitätsbetrachtung jeweils die der Klägerin günstigsten Werte zugrunde gelegt worden
sind. Die von der Klägerin beschriebenen Bystander-Expositionen aufgrund des Umstandes, dass sie sich aus verschiedenen Gründen
auch dann in dem Raum aufhielt, in dem mit mit 2-Naphtylamin verunreinigtem Material gearbeitet wurde, wurde von Prof. Dr.
B mit oben dargelegter überzeugender Begründung als nicht relevant eingestuft. Die zeitliche Länge der Dauerkatherisierung
spielte bei sämtlichen vom Gericht gehörten Gutachtern keine Rolle, so dass es auch hierauf nicht ankam. Zuletzt führte die
Klägerin aus, dass eine Bewertung der verschiedenen Ursachen nach dem Prinzip der Synkanzerogenese zu erfolgen habe und dass
dies die Gutachter verkannt hätte. Unter dem Gesichtspunkt einer Synkanzerogenese ist das Einwirken von Arbeitsstoffen mehrerer
Listen-BKs zu verstehen, die im Zusammenwirken eine Krebserkrankung verursachen können (BSG, Urteil vom 12. Januar 2010, Az.:
B 2 U 5/08 R, zitiert nach juris.de). Vorliegend ist das Zusammenwirken verschiedener Arbeitsstoffe jedoch in keiner Weise streitig. Sämtliche
Gutachter sind vielmehr davon ausgegangen, dass im Falle der Klägerin lediglich ein einziger Stoff kanzerogen wirksam gewesen
sein kann, nämlich 2-Naphthylamin. Jedenfalls in einem derartigen Fall ist es unabdingbar zu prüfen, ob dieser einzige in
Betracht kommende Arbeitsstoff nach der Theorie der wesentlichen Bedingung ursächlich zumindest im Sinne einer wesentlichen
Teilursache war. Dies ist aus den genannten Gründen vorliegend nicht der Fall gewesen. Soweit die Klägerin gemeint haben könnte,
dass die von den Gutachtern als möglich beschriebene überadditive Wirkung von Zigarettenrauch einerseits und beruflicher Exposition
andererseits stärker berücksichtigt werden müsste, führt dies ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Denn im Falle der Klägerin
ist gesichert, dass die Exposition gegenüber dem Zigarettenrauch um ein Vielfaches höher als die aus der beruflichen Exposition
folgende Belastung war, wie dies überzeugend insbesondere Prof. Dr. B dargestellt hat. Auch Dr. W hat dies offensichtlich
so gesehen, als er formulierte, dass sich die "möglicherweise nur geringe berufliche Belastung" durch den Nikotinabusus wesentlich
verstärkt habe. Jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die berufliche Exposition gegenüber außerberuflichen Verursachungsfaktoren
deutlich zurücktritt, kann ein - zudem nur als möglich bezeichneter - überadditiver Mechanismus nicht dazu führen, dass die
eigentlich nicht wesentliche berufliche Exposition deswegen als wesentlich anzuerkennen wäre.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch den Ausführungen des Hessischen LSG in dem von ihr zitierten Urteil nichts anderes
zu entnehmen. Hier ging es um die Wechselwirkung mit einer anderen Noxe aufgrund von mehreren beruflich bedingten Einwirkungen,
die zudem zu Recht lediglich im Rahmen einer - vorliegend nicht streitgegenständlichen - so genannten Wie-BK im Sinne des
§
9 Abs.
2 SGG überprüft worden ist, also um einen mit dem vorliegenden nicht vergleichbaren Fall. Im Hinblick auf den Zigarettenkonsum
hat auch das LSG Hessen im Anschluss an die gutachterlichen Feststellungen die kumulativen Dosen aufgrund des Zigarettenkonsums
des Klägers den arbeitsbedingt verursachten Einwirkungen gegenübergestellt und für diesen Fall eine arbeitsbedingt zirka 15-fach
höhere Einwirkung der aus beruflicher Exposition aufgenommenen krebserzeugenden Noxe angenommen. Genau diese Abwägung hat
vorliegend Prof. Dr. B ebenfalls vorgenommen, lediglich ist sie im Falle der Klägerin eindeutig zu ihren Lasten ausgefallen.
Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §
193 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG bestanden nicht.