Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 25. August 2002.
Der 1950 geborene Kläger war seit Dezember 1993 bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) als Zugfahrer beschäftigt. Am 25. August 2002 wechselte er in dem Tunnel nach dem Endbahnhof "Alt-Tegel" den Führerstand,
um die Fahrt anschließend in entgegengesetzter Richtung wieder fortzusetzen. Als er dabei am Zug vorbeiging, bemerkte er,
dass drei Fahrgäste versäumt hatten, am Endbahnhof "Alt-Tegel" auszusteigen. Nachdem er seine Fahrt wieder aufgenommen hatte
und erneut im Bahnhof "Alt-Tegel" hielt, kam der weibliche Fahrgast zu ihm an das Führerhaus und zog ihn an der Dienstkrawatte.
Er wehrte diesen Angriff ab. Daraufhin kamen die beiden männlichen Begleiter der Frau ebenfalls zu ihm und nahmen ihm gegenüber
eine drohende Haltung ein, die sie unter anderem mit der Aussage: "mach die Tür auf, sonst bringe ich dich um" untermauerten.
Zudem traten und sprangen sie gegen die Fahrertür. Der Kläger schaffte es, diese etwa 20 Minuten lang bis zum Eintreffen der
Polizei geschlossen zu halten. Die drei Fahrgäste blieben die ganze Zeit vor seinem Fahrerhaus.
Am 26. August 2002 begab sich der Kläger zum Chirurgen und Durchgangsarzt Dr. H, der ein ängstliches, angespanntes Auftreten
sowie eine spürbare Enttäuschung über das späte Eintreffen der Hilfe und die Erkenntnis, auf sich selbst gestellt zu sein,
feststellte und die Diagnose einer akuten Belastungsreaktion stellte. Er überwies den Kläger an einen Psychologen beziehungsweise
Psychotherapeuten. Die Beklagte zog Behandlungsunterlagen der den Kläger behandelnden Dipl.-Psychologin K und des Arztes für
Neurologie und Psychiatrie Dr. T bei und veranlasste eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik für
psychosomatische Medizin Sch vom 8. Oktober 2002 bis zum 10. Dezember 2002.
Die Klinik Sch teilte mit Bericht vom 27. November 2002 unter anderem mit, für eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit
sei weiterhin eine Konfrontation in vivo mit der angstauslösenden beruflichen Situation notwendig. Diese Konfrontationsbehandlung
werde im ambulanten Bereich durch die behandelnde Psychotherapeutin durchgeführt. Aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme
wurde der Kläger am 10. Dezember 2002 weiterhin arbeitsunfähig entlassen. Es wurden Leerfahrten mit Fahrlehrer für eine Woche
empfohlen. Bei Bedarf solle eine vierwöchige Belastungserprobung anschließend stattfinden. Weiter wurde mitgeteilt, am Ende
des Therapieaufenthaltes sei die posttraumatische Symptomatik weitestgehend reduziert gewesen. Geblieben sei eine leichte
Angstsymptomatik bezüglich seiner Arbeitsplatzsituation. Der Kläger habe befürchtet, erneut in eine ähnliche Situation am
Arbeitsplatz geraten zu können. Die depressive Symptomatik sei abgeklungen. Er sei medikamentenabstinent gewesen.
Nachdem der Kläger am 3. Januar 2003 eine Probefahrt absolviert hatte wurde in der Folgezeit ab 15. Januar 2003 eine Belastungserprobung
zunächst für zwei Wochen durchgeführt, die mehrmals verlängert wurde, letztlich aber nicht zur Wiedereingliederung des Klägers
in das Berufsleben geführt hat. Die den Kläger behandelnde Diplom-Psychologin K teilte unter anderem in Folgeberichten vom
4. März 2003, 14. April 2003 und 12. Juni 2003 mit, es sei bei dem Kläger ab Mitte Januar 2003 zu einer starken depressiven
Nachschwankung, einem normalen Symptom bei der Traumaverarbeitung, gekommen. Sie empfehle eine erneute stationäre Rehabilitationsmaßnahme.
Dieser Einschätzung schloss sich auch der Neurologe und Psychiater Dr. H in seinem Gutachten vom 23. Juni 2003 an. Die Beklagte
veranlasste eine solche in der Hklinik. Dort wurde der Kläger am 8. Juli 2003 aufgenommen und am 16. Juli 2003 wegen des Gefühls
der Überforderung auf eigenen Wunsch entlassen.
Die Beklagte veranlasste die Begutachtung des Klägers durch den Chefarzt der neurologischen Abteilung der Klinik R, B, Dr.
Dr. W, der in seinem Gutachten vom 29. März 2004 unter anderem ausführte, bei dem Kläger habe eine in der Zwischenzeit weitgehend
abgeklungene Anpassungsstörung nach Überfallereignis vom 25. August 2002 bestanden. Jetzt bestehe eine in Chronifizierung
übergegangene länger andauernde Depression mit den Leitsymptomen der Herabstimmung, Antriebshemmung und Zwanghaftigkeit. Die
Anpassungsstörung sei zweifelsohne rechtlich auf den Überfall zurückzuführen, habe sich jedoch bis zum Jahresende 2002 im
Zuge der stationären Behandlung in der Klinik Sch deutlich zurückgebildet. Zum Entlassungszeitpunkt dort habe auch keine depressive
Symptomatik mehr vorgelegen. Die sich mit sekundärem zeitlichen Versatz auf diesen stationären Aufenthalt entwickelnde länger
andauernde depressive Reaktion stehe in keinem Ursachenzusammenhang zu dem Unfallgeschehen mehr, sondern sei begründet durch
die Persönlichkeitsstruktur des Versicherten mit ausgeprägter Leistungsorientierung und narzisstischer Kränkbarkeit. Der Kläger
sei im letzten Quartal 2001 wegen des Verdachts auf Multiple Sklerose arbeitsunfähig gewesen. Substantielle ärztliche Berichte
hierzu lägen nicht vor. Schon allein die Länge der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise der Umstand, dass diese
Arbeitsunfähigkeit wenige Monate vor dem Überfallgeschehen bescheinigt worden sei, lasse "den Umstand eines Vorschadens mit
der Gültigkeit des Vollbeweises herausstellen". Bei objektiver Abwägung habe es sich bei dem Ereignis vom 25. August 2002
zweifelsohne nicht um ein solches gehandelt, welches die diagnostischen Grundvoraussetzungen einer posttraumatischen Belastungsstörung
erfüllen würde. Es habe hier bei objektiver Sichtweise weder eine Lebens- noch Existenzbedrohung vorgelegen. Allerdings lasse
sich nachvollziehen, dass der Kläger durch den auf ihn verübten Angriff, insbesondere während der Zeit, da er allein im Führerstand
seiner U-Bahn gestanden habe und die Tür gegen den Zugriff der Täter von innen festgehalten habe, einer erheblichen seelischen
Belastung ausgesetzt gewesen sei, so dass sich die hiernach entwickelten seelischen Belastungssymptome im Sinne einer Anpassungsstörung
bewerten ließen. Ab Beginn des Jahres 2003 sei es tatsächlich zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen, da die weitere
Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit durch die Manifestation einer längeren depressiven Entwicklung bedingt worden
sei. Festzuhalten sei, dass der Kläger nach dem Entlassungsbericht aus der Klinik Sch ausdrücklich deutlich gebessert und
ohne depressive Symptome entlassen worden sei. Festzuhalten sei des Weiteren, dass zum Jahresbeginn 2003 eine erste Probefahrt
nach Meinung der begleitenden Diplom-Psychologin K erfolgreich verlaufen sei. Der Kläger selbst habe dies allerdings nicht
realisieren können, sondern im Rahmen seiner leistungsorientierten und narzisstischen Persönlichkeit den weiteren Verlauf
anders gewertet und sei gegenüber seinen Arbeitskollegen in Rechtfertigungsdruck geraten, woraufhin er dann zunehmend depressiv
dekompensiert sei. Diese neue Entwicklung lasse sich nicht mehr dem eigentlichen Überfallgeschehen und seinen Folgen anlasten,
sondern sei persönlichkeitsimmanenten Verarbeitungsmechanismen des Klägers zuzurechnen. Hierzu habe auch seine Ehefrau überzeugend
geschildert, dass sich die Persönlichkeitsstruktur des Klägers allmählich und schleichend verändert habe. Aus dem primärpersönlich
fröhlichen und geselligen sowie arbeitsfreudigen Mann sei nunmehr ein introvertierter, zwanghafter und gehemmt depressiver
Mensch geworden, welcher vor allem die Eigeninitiative verloren habe. Insofern sei die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und
Behandlungsbedürftigkeit auf das Jahresende 2002 festzulegen. Die weitere Entwicklung danach mit sekundärer Verschlechterung
sei als Ausdruck einer nicht unfallabhängigen, überwiegend persönlichkeitsbedingten Fehlentwicklung zu bewerten. Schließlich
müsse nochmals und ganz entschieden auf den Umstand hingewiesen werden, dass ein in seinem Ausmaß noch gar nicht recht greifbarer
Vorschaden aus dem Jahre 2001 hier maßgeblich mitgewirkt haben könne.
Mit Bescheid vom 12. Mai 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2004 lehnte die Beklagte wegen der
Folgen des Arbeitsunfalles vom 25. August 2002 die Gewährung einer Rente ab. Des Weiteren führte sie aus, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit
und Behandlungsbedürftigkeit würden bis zum 31. Dezember 2002 anerkannt. Zur Begründung stützte sie sich im Wesentlichen auf
das Gutachten des Dr. Dr. W.
Der im anschließenden Klageverfahren durch das Sozialgericht Berlin als Sachverständiger bestellte Facharzt für Neurologie
und Psychiatrie Dr. A hat in seinem Gutachten vom 18. August 2005 unter anderem ausgeführt, der Kläger habe unter einer abgeklungenen
posttraumatischen Belastungsstörung gelitten und leide nunmehr unter einem neurasthenischen Syndrom. Vor dem Hintergrund einer
relevanten anankastischen (zwanghaften/ordnungsgebundenen) Persönlichkeitsstruktur, die sich bis in das frühe Erwachsenenalter
zurückverfolgen lasse, sei es mit dem Überfallereignis im August 2002 zu einer den Kläger tief verstörenden und erschütternden
Situation gekommen. Nicht nur die dadurch entstandene Schreckreaktion mit Furcht vor Verletzung, sondern auch die Störung
des persönlichkeitsimmanenten Ordnungsgefüges habe eine tiefe Verunsicherung einerseits und in den Wochen darauf zu Wiedererinnerungen,
vegetativer Angstsymptomatik sowie signifikanter Verstärkung bereits zuvor vorhandener Schlafstörungen geführt. Selbst wenn
man das Ereignis nicht als außergewöhnliche Bedrohung katastrophenartigen Ausmaßes, "die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung
hervorrufen würde", werten möge, so sei aufgrund der geschilderten typischen Symptomatik und der bereits prämorbiden Labilisierung
durch eine ängstlich anankastische Struktur an einer posttraumatischen Belastungsstörung kein Zweifel. Vor diesem Persönlichkeitshintergrund
komme dem Überfall die Qualität eines Traumas zu. Durch rasch begonnene therapeutische Interventionen ambulanter und stationärer
Art habe diese Symptomatik weitgehend beherrscht und zum Abklingen gebracht werden können. Der Abschlussbericht der Rehabilitationsklinik
Sch schildere dieses Behandlungsergebnis in nachvollziehbarer und konsistenter Weise aufgrund des Beobachtungsverlaufs und
psychopathologischen Befundes bei Entlassung. Dennoch seien die daraufhin und begründeter Weise in Angriff genommenen Maßnahmen
zur beruflichen Wiedereingliederung gescheitert. Bei einer ersten Zugfahrt seien wiederum Beschwerden aufgetreten. Der Kläger
sei in innere Unruhe, Aufregung, Stress geraten, habe sein Scheitern befürchtet und in zunehmender Weise eine depressive Symptomatik
mit Insuffizienzgefühlen, eine ängstliche Aufgeregtheit und regressive Phänomene mit Rückzugstendenz entwickelt. Nunmehr stehe
die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung nicht mehr im Vordergrund und spiele sowohl in qualitativer wie auch
in quantitativer Hinsicht keine prägende Rolle mehr. Vielmehr habe sich im Laufe der Jahre eine regressive Tendenz verstärkt,
die im Ergebnis zu einer gewissen Schonhaltung des Klägers dahingehend geführt habe, dass er nunmehr sein häusliches Leben
seinem Ordnungsbedürfnis entsprechend führe und dabei eine gewisse Einengung des sozialen Aktionsradiuses eingetreten sei.
Diese psychopathologischen Phänomene seien jedoch nicht Ausdruck einer traumabedingten Vermeidenshaltung, sondern vielmehr
Ausdruck einer anankastisch bedingten Reduktion an Freiheitsgraden und Bescheidung auf eigene Gepflogenheiten und Tagesrhythmen.
Intrusive Wiedererinnerungen der Traumasituation als besonders charakteristisches Symptom fänden sich nicht mehr. Lediglich
bei aktivem Wiedererinnern im Rahmen von Gesprächen über die damalige Situation beziehungsweise das damalige Ereignis träten
Unbehaglichkeit und Ängstlichkeit auf, weswegen der Kläger sich richtigerweise mit diesem Thema nicht mehr befasse, sondern
sich anderen Aufgaben zugewandt habe. Auf diese Weise werde akute Angst vermieden. Eine schwere depressive Symptomatik sei
ebenfalls nicht festzustellen; insofern sei die Diagnose einer "schweren depressiven Störung", wie vom behandelnden Nervenarzt
und der Psychotherapeutin gestellt, nicht nachvollziehbar. Sie werde vom behandelnden Nervenarzt auch nicht durch einen validierenden
psychopathologischen Befund gestützt. Derzeit liege vielmehr ein ängstlich-neurasthenisches Syndrom vor, dass im Sinne einer
Verschiebung der Wesensgrundlage zu bewerten und unfallunabhängig sei. Die Störung sei von leichter bis mäßiger Ausprägung.
Für diese Beurteilung sei es keineswegs erforderlich, dass die geschilderte anankastische Struktur bereits vor dem Unfallereignis
in manifester, klinischer Form hätte vorliegen müssen, vielmehr seien nach Abklingen der typischen Symptomatik der posttraumatischen
Belastungsstörung, an der wenig Zweifel herrsche, ein Symptomwandel eingetreten, der auf diese Persönlichkeitsanlage in wesentlicher
Weise zurückzuführen sei. Die prämorbide Persönlichkeitsanlage habe also die heute bestehende Symptomatik qualitativ ausgeprägt,
während die Symptomatik der Reaktion auf das Trauma mit dem Ende der therapeutischen Maßnahmen nicht mehr von Relevanz sei.
Im Rahmen einer Verschiebung der Wesensgrundlage seien unfallunabhängige, auf die beschriebene prämorbide Persönlichkeitsstruktur
(Schadensanlage) zu beziehende Gesundheitsstörungen hinzugetreten, nämlich das neurasthenische Syndrom. Die unfallbedingte
Gesundheitsstörung, die posttraumatische Belastungsstörung, sei abgeklungen. Sie habe nicht zu Behandlungsbedürftigkeit über
den 31. Dezember 2002 hinaus geführt. Eine unfallbedingte MdE bestehe nicht. Die derzeitige Symptomatik (anankastisch-neurasthenische
Symptomatik) sei nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Auch in einer ergänzenden Stellungnahme vom 14. November 2005
ist der Sachverständige im Wesentlichen bei seiner Einschätzung verblieben.
Der gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ebenfalls als Sachverständiger bestellte Professor Dr. Studt hat in seinem Gutachten vom 27. Juli 2006 unter anderem ausgeführt,
bei dem Kläger liege eine abklingende posttraumatische Belastungsstörung und eine zunehmende andauernde Persönlichkeitsänderung
nach extremer Belastung vor. Diese Gesundheitsstörungen seien wahrscheinlich auf das Ereignis vom 25. August 2002 zurückzuführen.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 24. August 2006 hat er ausgeführt, er schätze die MdE für die Zeit vom 29. Januar 2003
bis zum 14. März 2003 auf 30 v.H., vom 15. März 2003 bis 31. Dezember 2004 auf 50 v.H. und für die Zeit vom 1. Januar 2005
bis zum Tag der Begutachtung auf 70 v.H. ein.
Nachdem beide Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ihre jeweiligen Einschätzungen im Wesentlichen bestätigt hatten,
hat das Sozialgericht Berlin die Klage mit Urteil vom 4. Juni 2007 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt,
zwar liege ein Arbeitsunfall vor, er habe jedoch keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente wegen der Unfallfolgen,
denn seine Erwerbsfähigkeit sei nicht um mindestens 20 v.H. gemindert. Das Gericht folge im Wesentlichen dem Gutachten des
Sachverständigen Dr. A und halte das Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. St für wenig überzeugend.
Gegen das ihm am 13. Juni 2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 11. Juli 2007 eingelegte Berufung des Klägers.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Juni 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai
2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2004 zu verurteilen, ihm aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25.
August 2002 ab 23. Februar 2004 (Ende der Verletztengeldzahlung) eine Verletztenrente nach einer MdE von 40 v. H. und über
den 31. Dezember 2002 hinaus Leistungen zur Heilbehandlung für die auf den Unfall zurückzuführende psychische Störung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils und das Gutachten des Sachverständigen
Dr. A. Das im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. St hält sie ebenso wenig für
überzeugend wie das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. M.
Der im Berufungsverfahren als Sachverständiger bestellte Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Sozialmedizin, Psychoanalyse, Psychotherapie,
Rehabilitationswesen und psychosomatische Medizin Dr. M hat in seinem Gutachten vom 14. April 2009 unter anderem ausgeführt,
der Kläger habe zunächst unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen und agoraphoben Symptomen gelitten.
Nunmehr leide er unter einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige bis schwere Episode. Beide Störungen
seien überwiegend wahrscheinlich ursächlich auf den Unfall vom 25. August 2002 zurückzuführen. Die MdE schätze er mit 40 v.H.
ein.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. ...) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet. Er hat wegen der Unfallfolgen einen
Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.
Anspruchsgrundlage für die Gewährung einer Verletztenrente ist §
56 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalles über die sechsundzwanzigste Woche nach
dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente und Heilbehandlung.
Unstreitig hat der Kläger am 25. August 2002 einen Arbeitsunfall erlitten, den die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid
anerkannt hat. Die Beklagte ist bei ihm auch davon ausgegangen, dass bis Ende 2002 Arbeitsunfallfolgen in Form einer behandlungs-
und therapiebedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung vorlagen, die - nach Auffassung der Beklagten - über diesen Zeitpunkt
hinaus jedoch keine MdE in rentenberechtigendem Grade bedingen.
Zur Überzeugung des Senats lag bei dem Kläger zunächst eine posttraumatische Belastungsstörung mit dissoziativen und agoraphoben
Symptomen vor, jetzt leidet der Kläger unter einer rezidivierenden depressiven Störung mit einer gegenwärtig mittelgradigen
bis schweren Episode, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 25. August 2002 zurückzuführen ist. Bereits
in der Unfallanzeige wird erwähnt, dass der Kläger Angst vor weiteren Angriffen der Fahrgäste hatte. Auch der zuerst aufgesuchte
Chirurg und Durchgangsarzt Dr. H hat in seinem Durchgangsarztbericht vom 26. August 2002, also bereits einen Tag nach dem
Unfall, ein ängstliches, angespanntes Auftreten des Klägers mit spürbarer Enttäuschung über das späte Eintreffen der Helfer
beschrieben und die Diagnose einer akuten Belastungsreaktion gestellt. Dies ist eine psychiatrische Störung, die in der Regel
innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen nach dem Ende des belastenden Ereignisses wieder abklingt. Als Körperschaden sind
in dem Durchgangsarztbericht lediglich kleine punktuelle Schürfungen auf der Streckseite der Unterarme genannt. Eine deutlich
psychische Angstreaktion auf den Unfall ist demnach zeitnah zum Ereignis zweifelsfrei dokumentiert, wesentliche körperliche
Unfallfolgen ließen sich nicht feststellen. Diese hat der Kläger auch nicht geltend gemacht. Die Schürfungen sind aber ein
Hinweis darauf, dass die Täter dem Kläger sehr nahe gekommen sein müssen, so dass Abwehrbewegungen erfolgt sind, was wiederum
ein Hinweis darauf ist, dass ein Gefühl von Bedrohung berechtigt gewesen sein kann. Aus den Berichten des Arztes für Neurologie
und Psychiatrie Dr. Tund der Diplom-Psychologin K, die den Kläger in der Folgezeit behandelt haben, ergibt sich, dass die
psychische Symptomatik von vornherein recht ausgeprägt war. Dr. T hatte am 1. Oktober 2002 ohne eine eigentliche Diagnose
zu stellen von Angststörungen, intrusiven Gedanken, Albträumen sowie Konzentrationsstörungen berichtet und bescheinigte mit
einem Attest vom 28. Januar 2005, dass der Kläger zwei Tage nach dem Unfall, also bereits am 27. August 2002, deswegen bei
ihm in Behandlung stand. Als Diagnose werden eine ausgeprägte posttraumatische Belastungsstörung und eine anhaltende, therapieresistente,
schwere depressive Episode genannt. Ein Zusammenhang zu einer Arbeitsunfähigkeit aus dem Jahre 2001 bestünde nicht. Der Kläger
sei bei einem Expositionsversuch im Januar 2003 sofort dekompensiert und seither arbeitsunfähig. Auch die den Kläger behandelnde
Diplom-Psychologin K teilte in einer Bescheinigung vom Januar 2005 mit, dass der Kläger sich seit September 2002 in ihrer
ambulanten therapeutischen Behandlung befand und seit dem Überfall vom 25. August 2002 an einer starken posttraumatischen
Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode leidet. Auch in ihren Folgebescheinigungen wiederholt und bestätigt
sie diese Darstellung und Einschätzung. Die festgestellte psychische Veränderung des Klägers entwickelte sich entgegen der
ersten Prognose des chirurgischen Durchgangsarztes Dr. H, jedoch im Einklang mit den ersten nervenfachärztlichen und psychologischen
Feststellungen trotz intensiver Behandlung dann so ungünstig, dass sie ab Dezember 2003 - also immer noch in relativer zeitlicher
Nähe zum Unfallereignis - zur Rente wegen Erwerbsunfähigkeit führte. Auch die im Rentenverfahren tätigen Gutachter haben eine
posttraumatische Belastungsstörung und eine schwere depressive Störung festgestellt, die sie als so gravierend eingeschätzt
haben, dass sie mit einer Erwerbstätigkeit nicht mehr vereinbar waren. Eine ähnliche Diagnose stellt auch der im Verwaltungsverfahren
tätige Gutachter Dr. Dr. W, wenn er bei dem Kläger eine in Chronifizierung übergegangene länger andauernde Depression mit
den Leitsymptomen der Herabstimmung, Antriebshemmung und Zwanghaftigkeit feststellt.
Soweit der Sachverständige Dr. A davon ausgeht, dass bei dem Kläger im Anschluss an die posttraumatische Belastungsstörung
keine depressive Störung vorlag beziehungsweise vorliegt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Hiergegen spricht, dass sowohl
der den Kläger behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T als auch die Diplom-Psychologin K seit dem Unfall
durchgehend erhebliche Ängste und depressive Verstimmungen beschreiben, die auch der durch die Beklagte beauftragte Gutachter
Dr. Dr. W in seinem Gutachten vom 29. März 2004 beschrieben hat. Dementsprechend hat Dr. Dr. W auch eine in Chronifizierung
übergegangene längerandauernde Depression mit den Leitsymptomen der Herabstimmung, Antriebshemmung und Zwanghaftigkeit festgestellt.
Bestätigt hat diese Diagnose der im Berufungsverfahren beauftragte Sachverständige Dr. M.
Die von Dr. A gestellte Diagnose eines neurasthenischen Syndroms vor dem Hintergrund einer anankastischen (zwanghaften/ordnungsgebundenen)
Persönlichkeitsstruktur überzeugt dagegen nicht. Zunächst lässt sich weder den Rehabilitationsentlassungsberichten der Klinik
Sch noch der H oder dem Gutachten des Dr. Dr. W entnehmen, dass der Kläger bereits vor dem Überfall unter Zwanghaftigkeit
gelitten hat. Zwar wird in dem Bericht der Klinik Sch ausgeführt, der Kläger wirke im Aufnahmegespräch "leicht zwanghaft".
Hieraus lässt sich jedoch kein Rückschluss auf Zeiten vor dem Überfall ziehen. Anlässlich der Begutachtung des Klägers durch
Dr. Dr. W hatte die Ehefrau berichtet, dass sich der Zustand des Klägers nach dem Aufenthalt in der Klinik Sch nochmals verschlechtert
habe. Sie gab an, er sei nach der Kur in Sch voller Hoffnung gewesen, danach sei es nur noch bergab gegangen. Er sei nicht
mehr fröhlich, nicht motiviert, dies alles habe sich schleichend und allmählich verschlechtert. Ihr Ehemann ordne zwanghaft
Schlafanzüge und Kissen auf dem Bett, er sei umständlich geworden, drehe sich gedanklich im Kreise, fahre zum Beispiel auch
zwei- bis dreimal am Tag für Kleinigkeiten einkaufen. Auch hieraus lässt sich nicht auf eine vor dem Überfall bereits bestehende
Zwanghaftigkeit schließen. Soweit der Sachverständige Dr. A in seinem Gutachten vom 18. August 2005 ausführt, die Ehefrau
des Klägers habe ausdrücklich eine bereits prämorbid bestehende Zwangsstruktur, die jedoch nach Ende der Berufstätigkeit an
Prägnanz zugenommen habe, bestätigt, lässt sich dies in den Gutachten des Dr. Dr. W und des Sachverständigen Dr. M so nicht
wieder finden. Insbesondere anlässlich der Anamneseerhebung durch Dr. M hat die Ehefrau des Klägers ausgeführt, Dr. A habe
sie in dieser Hinsicht völlig falsch zitiert. Der konkrete Nachweis solcher Ursachen wäre aber für die Annahme einer Verschiebung
der Wesensgrundlage erforderlich, da eine so schwere Störung ohne Ursache nicht vorstellbar ist.
Für den Senat wenig überzeugend ist auch, dass nach kurzfristiger Besserung der posttraumatischen Belastungsstörung Ende 2002
ab Januar 2003 eine Neurasthenie (neu) aufgetreten sein soll, die im übrigen nach Aussage des Sachverständigen Dr. M depressive
Symptome einschließt, die der Sachverständige Dr. A nach seinem erhobenen Befund jedoch nicht feststellen konnte, insoweit
widerspricht sich Dr. A selbst.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger aus der Behandlung in der Klinik Sch auch nicht mehr oder weniger symptomfrei
entlassen worden ist. Zwar ist dem Entlassungsbericht vom 10. Dezember 2002 zu entnehmen, dass die posttraumatische Symptomatik
am Ende des Therapieaufenthaltes als weitestgehend reduziert angesehen wurde. Geblieben sei eine leichte Angstsymptomatik
bezüglich der Arbeitsplatzsituation. Andererseits wird jedoch auch ausgeführt, dass der Kläger befürchtete, erneut in eine
ähnliche Situation am Arbeitsplatz geraten zu können. Der Kläger ist aus dieser Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig entlassen
worden. Bereits mit Bericht vom 27. November 2002 hatte die Klinik Sch mitgeteilt, dass für eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit
eine Konfrontation in vivo mit der angstauslösenden beruflichen Situation notwendig sei. Zu Recht hat hierauf auch der Sachverständige
Dr. M hingewiesen und ausgeführt, dass von einer nachhaltigen Besserung so lange nicht auszugehen ist, bis diese durch die
"Nagelprobe" Exposition in vivo, also durch die tatsächliche Tätigkeit als Zugführer bewiesen ist. Dies war zum Zeitpunkt
der Entlassung aus der Klinik Sch noch nicht der Fall. Unter dieser Belastung in vivo ist der Kläger dann auch kurz darauf
wieder psychisch dekompensiert. Da U- und S-Bahnen ein spezifischer Trigger (Auslöser) für die traumatische Erinnerung waren
und sind, wurde die durch den Unfall hervorgerufene Angst und die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung wieder
aktiviert, da sie eben nicht abschließend behandelt war. Die unmittelbar im Zug erlebte phobische Angst und die damit verbundene
Unfähigkeit, seine Arbeit wieder ausüben zu können, der deshalb drohende Verlust des Arbeitsplatzes sind die Ursachen der
nachfolgenden Depression, die insofern auch Unfallfolge ist. Für diese Auffassung spricht zudem, dass der Kläger während des
gesamten Aufenthaltes in der Klinik Schwedenstein, das heißt also bis zuletzt, ein auffallendes Vermeidungsverhalten gezeigt
haben soll. Dies ist mit der unterstellten nachhaltigen Besserung einer Traumafolgestörung nicht zu vereinbaren, weil sich
das Vermeidungsverhalten gerade auf eine noch florierende Traumaerinnerung bezieht, die vermieden werden soll. Anderenfalls
wäre Vermeidung unnötig. Aus diesem Grund sind auch die darauf fußenden Annahmen im Gutachten von Dr. A nicht plausibel.
Auch die von dem gemäß §
109 SGG bestellten Sachverständigen Prof. Dr. St gestellte Diagnose einer zunehmenden andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung
überzeugt nicht. Diese Diagnose wurde für Überlebende von KZ-Folter als Folge "verheerender traumatischer Erfahrung" geschaffen
und soll nur gestellt werden, wenn sie auf eine "tiefgreifende existenzielle extreme Erfahrung zurückgeführt werden kann"
(Zitat aus ICD-10) und nicht auf einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung fußt. Auch wenn die zwanzigminütige Bedrohung
des Klägers anlässlich des Überfalls subjektiv lebensbedrohlich gewesen ist, ist dieses Erlebnis einer KZ-Haft oder einer
Extremerfahrung wie Folter über einen langen Zeitraum keineswegs vergleichbar.
Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger unter einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig
mittelgradiger bis schwerer Episode leidet.
Das Unfallgeschehen ist auch kausal für die psychische Erkrankung des Klägers. Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung ist es erforderlich, dass sowohl zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis als auch
zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dabei müssen die
versicherte Tätigkeit, der Arbeitsunfall und die Gesundheitsschädigung im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung für die Entschädigungspflicht,
der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die
(hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (ständige Rechtsprechung, vgl. nur
BSG Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 16/00 R, SozR 3-2200 § 551
RVO Nr. 16 m. w. N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den
Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt
werden kann (BSG, Urteil vom 06. April 1989, Az. 2 RU 69/87, zitiert nach iuris; Urteil vom 02. Februar 1978, Az. 8 RU 66/77, BSGE 45, 285, 286).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist zur Überzeugung des Senats die bei dem Kläger vorliegende psychische Erkrankung auch
über den 31. Dezember 2002 hinaus hinreichend wahrscheinlich auf den Überfall am 25. August 2002 und damit auf den Arbeitsunfall
zurückzuführen.
Eine klinisch manifeste vorbestehende psychische Erkrankung oder eine psychische Schadensanlage, die so leicht ansprechbar
gewesen wäre, dass sie durch austauschbare Ereignisse hätte ausgelöst werden können, lässt sich im vorliegenden Verfahren
trotz der Mutmaßungen des Dr. Dr. W und des Dr. At zur Überzeugung des Senats nicht feststellen.
Eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur des Klägers vor dem Unfall lässt sich nicht feststellen, insoweit kann auf das oben
gesagte verwiesen werden.
Soweit Dr. Dr. W auf die Frage nach einer bereits vor dem Unfallzeitpunkt relevanten psychischen Erkrankung auf eine mehrmonatige
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im vierten Quartal 2001 wegen eines Verdachts auf "Multiple Sklerose" (chronisch entzündliche
Entmarkungserkrankung des zentralen Nervensystems) verweist, überzeugt dies den Senat nicht, da die Multiple Sklerose keine
psychische Erkrankung darstellt. Der den Kläger behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin B hat mit Attest vom 9. August 2004
ausgeführt, dass der Kläger vom 11. September 2001 bis zum 27. Dezember 2001 wegen Magenbeschwerden, Schluckbeschwerden und
Schwindel in Behandlung war und schließlich am 26. November 2001 und am 1. Dezember 2001 operiert wurde.
Soweit der Sachverständige Dr. A davon ausgeht, dass eine Neigung zu "Stress" darüber hinaus seit Jahren bestehe und hierzu
ausführt, dass der Kläger schon zweimal, nämlich 1987 und 1993, stationäre Rehabilitationsmaßnahmen wegen chronischer Schmerzen
im Bereich des Knochen- und Gelenkssystems mit Schwerpunkt Wirbelsäule absolviert habe, kann der Senat dem schon deshalb nicht
folgen, weil die Beklagte trotz intensiver Recherchen eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme 1993 gar nicht bestätigen konnte,
da weder die BfA noch die LVA noch die angebliche Rehabilitationsklinik eine Rehabilitationsmaßnahme bestätigen konnten. Auch
Unterlagen über eine Rehabilitationsmaßnahme 1987 ließen sich nicht mehr finden, da diese - unterstellt eine Rehabilitationsmaßnahme
habe stattgefunden - bereits vernichtet wären. Selbst wenn der Kläger, wie von Dr. A unterstellt, wegen Wirbelsäulenbeschwerden
in Behandlung gewesen sein sollte, stellt dies für den Senat keine psychische Erkrankung dar. Auch die von Dr. A genannten
Behandlungen wegen teilweise lang anhaltender Schwindelgefühle und ähnlicher psychosomatischer Beschwerden, die seiner Ansicht
nach eindeutige Anzeichen einer Neigung zu psychosomatischen Reaktionen beziehungsweise vegetativer Instabilität sind, lassen
sich den Akten nicht entnehmen. Ähnlich verhält es sich mit den Sehstörungen und der notfallmäßigen Behandlung im Krankenhaus.
Eine tatsächlich vorbestehende Erkrankung des Klägers auf psychiatrischem Gebiet lässt sich nach alledem nicht feststellen.
Zum Unfall zeitgleich konkurrierende oder nach dem Unfall einsetzende Ursachen, die vergleichbare psychische Störungen hätten
hervorrufen können, sind ebenfalls nicht bekannt und wurden von sämtlichen Gutachtern gleichfalls nicht festgestellt. Auch
die durch den Sachverständigen Dr. M durchgeführte ausführliche biografische Anamnese ergab keine besonderen belastenden Ereignisse
oder Faktoren, die eine anderweitige Veranlassung der festgestellten psychischen Störungen wahrscheinlich machen könnte.
Da also weder vorbestehende noch konkurrierende oder später einsetzende unfallfremde Ursachen nachgewiesen sind, bleibt als
einzige bekannte Ursache der Unfall übrig. Dabei steht das Fortbestehen der posttraumatischen Belastungsstörung und der Depression
vollständig im Einklang mit dem auslösenden Ereignis des Unfalls und dem Verlust der Arbeitsfähigkeit als Zugführer. Es überrascht
allein die Schwere und die Dauer der Störung. Diese erklärt der Sachverständige Dr. M für den Senat überzeugend und nachvollziehbar
damit, das der Kläger ein recht rigides und idealisierendes Selbstbild hat und die psychische Störung als Beschämung erlebt,
was zur Vermeidung führt und damit die Genesung erschwert. Dies ist jedoch nicht als vorbestehende psychische Krankheit einzuordnen,
sondern als eine Konstellation, die den Heilungsprozess erschwert hat, ohne selbst eine psychische Krankheit zu sein. Ähnliche
Überlegungen hatte bereits die Klinik Sch in ihrem Bericht vom 21. Oktober 2002 angestellt und ausgeführt, auffällig sei der
hohe Perfektionismusanspruch des Klägers sowie die vorhandene narzisstische Kränkung (durch die Patientenrolle und die erlebte
Hilflosigkeit während des traumatischen Erlebnisses). Dies sei als Ursache für das Fortbestehen der Erkrankung und als aufrechterhaltender
Faktor für die psychischen Störungen zu werten.
Zur Überzeugung des Senats beträgt die MdE ab 23. Februar 2003 (Ende der Verletztengeldzahlung) 40 v.H..
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet den durch die körperlichen, seelischen und geistigen Folgen des Versicherungsfalles
bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 SGB VII). Steht die unfallbedingte Leistungseinbuße fest, so ist zu bewerten, wie sie sich im allgemeinen Erwerbsleben auswirkt (BSG,
Urteil vom 29. November 1956, Az: 2 RU 121/56, BSGE 4, 147, 149; Urteil vom 27. Juni 2000, Az: B 2 U 14/99 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 7; Urteil vom 02. Mai 2001, Az: B 2 U 24/00 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Dabei sind die medizinischen und sonstigen Erfahrungssätze ebenso zu beachten wie die Gesamtumstände
des Einzelfalles (vgl. BSG, Urteil vom 02. Mai 2001, Az. B 2 U 24/00, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Wie weit die Unfallfolgen bzw. die Folgen der anerkannten Berufskrankheit die körperlichen und
geistigen Fähigkeiten des Versicherten beeinträchtigen, beurteilt sich in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet.
Um die MdE einzuschätzen sind die Erfahrungssätze zu beachten, die die Rechtsprechung und das versicherungsrechtliche sowie
versicherungsmedizinische Schrifttum herausgearbeitet haben. Auch wenn diese Erfahrungssätze das Gericht im Einzelfall nicht
binden, so bilden sie doch die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der
täglichen Praxis (BSG, Urteil vom 26. Juni 1985, Az: 2 RU 60/84, SozR 2200 § 581 Nr. 23; Urteil vom 26. November 1987, Az: 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27; Urteil vom 30. Juni 1998, Az: B 2 U 41/97 R, SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, §
56 SGB VII Rn. 10.3). Sie sind in Rententabellen oder Empfehlungen zusammengefasst und bilden die Basis für einen Vorschlag, den der
medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet. Hierdurch wird gewährleistet, dass alle Betroffenen nach einheitlichen
Kriterien begutachtet und beurteilt werden. Insoweit bilden sie ein geeignetes Hilfsmittel zur Einschätzung der MdE (vgl.
BSG, Urteil vom 19. Dezember 2000, Az: B 2 U 49/99 R, HVBG-INFO 2001, 499, 500 ff.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ist die MdE wie dargestellt zu bemessen. Der Senat folgt hinsichtlich der Einschätzung der
MdE dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M. In der einschlägigen unfallrechtlichen Literatur werden folgende Abstufungen
gebildet:
Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel manche Phobien,
pathologische Entwicklungsstörungen)
|
MdE 20-40
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Schwere Störungen mit erheblichen sozialen Anpassungsschwierigkeiten
|
MdE 50-100.
|
Bei dem Kläger liegt eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit
im oberen Bereich vor, so dass die MdE mit 40 v.H. zutreffend zu bewerten ist. Erhebliche soziale Anpassungsschwierigkeiten
wie bei einer schweren Störung liegen andererseits nicht vor, da etwa im Freizeitbereich noch gewisse Aktivitäten möglich
sind und sich auch anlässlich der Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. M im psychischen Befund zumindest zeitweilige
Auflockerung herstellte.
Liegt nach alledem über den 31. Dezember 2002 hinaus eine Arbeitsunfallfolge weiterhin vor, so hat die Beklagte dem Kläger
insoweit auch Heilbehandlung zu gewähren.
Nach alledem ist der Berufung stattzugeben.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG genannten Gründe vorliegt.