Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Berufungsverfahrens
Wiedergutmachung auf andere Weise
Auf einen Rechtsanwalt übergegangene Kostenerstattungsansprüche
Begriff des materiellen Nachteils
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Landessozialgericht (LSG) zuletzt unter dem Aktenzeichen
L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens.
Dem beendeten Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
04.11.2014 Eingang der gegen das Jobcenter Pankow (JC) gerichteten Klageschrift des Klägers vom 01.11.2014 bei dem Sozialgericht
B (SG) mit dem Begehren, das JC unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 02. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 14. Oktober 2014 zu verpflichten, dem Kläger nach Forderungsübergang gemäß § 9 des Beratungshilfegesetzes (BerhG) weitere Kosten des Widerspruchsführers in den Verfahren gegen die Bescheide vom 27. Dezember 2013 i.H.v. 380,80 €
zu erstatten 14.11.2014 ·Registrierung unter S 59 AS 25977/14·Betätigung des Klageeingangs an den Kläger·Weiterleitung der
Klageschrift an das JC mit Anforderung der Klageerwiderung sowie der Verwaltungsakten binnen einer Frist von 1 Monat·Streitwertfestsetzung·Interne
Wiedervorlage (WV) 6 Wochen 15.01.2015 Eingang der sechsseitigen Klageerwiderung vom 13.01.2015 nebst Akten 02.02.2015 Weiterleitung an den
Kläger zur Stellungnahme binnen 1 Monats 09.02.2015 Eingang der Stellungnahme des Klägers vom 05.02.2015 20.02.2015 ·Weiterleitung
an das JC zur Kenntnisnahme·Verfügung in das Erörterungstermins-Fach 30.10.2015 Ladung zum Erörterungstermin am 16. Dezember
2015 16.12.2015 Durchführung des Erörterungstermins: Einverständniserklärung der Beteiligten mit einer Entscheidung des Gerichts
ohne mündliche Verhandlung durch Urteil 21.12.2015 Versendung des Protokolls an die Beteiligten 15.03.2017 Urteil: Klageabweisung
20.04.2017 Beschluss: Streitwertfestsetzung 24.04.2017 Zustellung an die Beteiligten 26.04.2017 Eingang der Beschwerdeschrift
des Klägers vom Vortag beim LSG 28.04.2017 ·Registrierung unter L 20 AS 883/17 NZB·Eingangsbestätigung an den Kläger·Anforderung einer Stellungnahme des JC nebst Aktenübersendung binnen 1 Monats·Interne
WV 5 Wochen 02.06.2017 ·Erinnerung an das JC·Gerichtlicher Hinweis an den Kläger zur Gerichtskostenpflicht·Interne WV 3 Wochen 06.06.2017 Eingang der Stellungnahme des JC vom selben Tag 09.06.2017 Eingang des klägerischen Schreibens vom 07.06.2017:
Bezifferung des Streitwerts 12.06.2017 ·Weiterleitung der Stellungnahme des JC an den Kläger zur freigestellten Stellungnahme·Interne
WV 6 Wochen 13.06.2017 Eingang der Stellungnahme des JC zum Streitwert vom 08.06.2017 16.06.2017 Weiterleitung des klägerischen
Schreibens vom 07.06.2017 an das JC zur Kenntnisnahme 27.06.2017 Weiterleitung des Schriftsatzes des JC vom 08.06.2017 an
den Kläger zur Kenntnisnahme 01.08.2017 Beschluss: Zulassung der Berufung 07.08.2017 Registrierung der Berufung unter L 20 AS 1637/17 Mitteilung des neuen Aktenzeichens an die Beteiligten 09.08.2017 Eingang des klägerischen Schreibens vom Vortag: Bezifferung
des Streitwerts nebst kurzer Begründung der Berufung 22.08.2017 Weiterleitung der Berufungsbegründung an das JC zur Stellungnahme
binnen 1 Monats 05.09.2017 Eingang der Berufungserwiderung vom 31.08.2017 12.09.2017 Weiterleitung an den Kläger zur Stellungnahme
22.09.2017 Eingang der Stellungnahme des Klägers vom Vortag sowie einer ergänzenden dreiseitigen Berufungsbegründung 29.09.2017
Weiterleitung an das JC zur Stellungnahme binnen 1 Monats 23.10.2017 Eingang der Stellungnahme des JC vom 18.10.2017 nebst
anliegender Rechtsprechung 02.11.2017 Weiterleitung an den Kläger zur Kenntnis- und freigestellten Stellungnahme 17.11.2017
Gerichtliche Anfrage bei den Beteiligten, ob das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt
wird 22.11.2017 Eingang der Einverständniserklärung des Klägers vom Vortag 01.12.2017 Eingang der Einverständniserklärung
des JC vom 27.11.2017 01.12.2017 Verfügung in das Entscheidungsfach „omV“ 14.12.2017 Eingang der zweiseitigen Stellungnahme
des Klägers vom Vortag zum Schriftsatz des JC vom 18.10.2017 28.12.2017 ·Weiterleitung an das JC zur Kenntnis- und freigestellten
Stellungnahme·Weiterhin Entscheidungsfach „omV“ 01.09.2019 Wechsel in die Zuständigkeit des 5. Senats: L 5 AS 1637/17 06.09.2019 ·Mitteilung des neuen Aktenzeichens an die Beteiligten·Fortschreibung Entscheidungsfach „omV“ 09.09.2019 Eingang
der Verzögerungsrüge des Klägers vom selben Tag 19.12.2019 Urteil: Zurückweisung der Berufung 08.01.2020 Zustellung an den
Kläger 10.01.2020 Zustellung an das JC
Am 24. April 2020 hat der Kläger die – dem Beklagten am 02. September 2020 zugestellte - zunächst auf Gewährung einer Entschädigung
in Höhe von 1.100,00 € wegen überlanger Dauer des Berufungsverfahrens L 5 AS 1637/17 gerichtete Klage erhoben. Das Berufungsgericht sei – nachdem bereits das erstinstanzliche Verfahren 28 Monate angedauert
habe – von Februar 2018 bis zur Bekanntgabe der abschließenden Entscheidung im Januar 2020, mithin 23 Monate lang, untätig
gewesen. Nach Abzug der dem Gericht zuzubilligenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten verbleibe eine entschädigungsrelevante
Untätigkeit von 11 Monaten.
Nachdem der Beklagte auf den außergerichtlichen Entschädigungsantrag des Klägers vom 10. März 2020 den Anspruch mit außergerichtlichem
Schreiben vom 17. Juni 2020 i.H.v. 900,00 € anerkannt und die entsprechende Summe auch an den Kläger gezahlt hat (Gutschrift
am 07. Juli 2020), begehrt der Kläger nunmehr mit am 06. August 2020 eingegangenem Schriftsatz die Zahlung einer weiteren
Entschädigung i.H.v. 200,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche
Rechtsanwaltskosten i.H.v. 201,71 €.
Der Kläger ist der Auffassung, seine anwaltliche Tätigkeit in eigener Sache sei dem privaten und nicht dem beruflichen Bereich
zuzuordnen, weshalb ihm ein Anspruch auf Zahlung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zustehe.
Der Kläger beantragt,
ihm wegen überlanger Dauer des vor dem Landessozialgericht zuletzt unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens eine weitere Entschädigung i.H.v. 200,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 02. September 2020 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 201,71 € zu zahlen, hilfsweise die unangemessene
Dauer des Verfahrens festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die entschädigungsrelevante Inaktivität habe von Februar 2018 bis Oktober 2019, mithin über 21 Kalendermonate,
angedauert. In Anlehnung an die Rechtsprechung des Entschädigungssenates im Falle einer mündlichen Verhandlung sei bei Verfahren,
die ohne mündliche Verhandlung entschieden würden, neben dem Entscheidungsmonat (hier Dezember 2019) für die Vorbereitung
ein weiterer Monat als Aktivitätsmonat (hier November 2019) zu werten. Von den verbleibenden 21 Inaktivitätsmonaten seien
nach Abzug der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Kalendermonaten – wie bereits geschehen - 9 Monate zu entschädigen. Ein
Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen bestehe aufgrund der Erfüllung vor Rechtshängigkeit nicht. Der Kläger habe auch keinen
Anspruch auf die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Vorliegend habe der Kläger als Rechtsanwalt keiner Hinzuziehung
eines Bevollmächtigten bedurft. Insofern dürfe nicht aus dem Blick verloren werden, dass nach §
198 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) eine „angemessene“ Entschädigung zu leisten sei. Der Gesetzgeber orientiere sich dabei an der im Bereich der Enteignungsentschädigung
verwendeten Terminologie. Danach sei die Vermögenseinbuße auszugleichen, die der Ausgleichsberechtigte durch Überschreiten
der Zumutbarkeitsgrenze erleide. Hingegen sei die Entschädigung nicht darauf ausgelegt, dem Anspruchsteller einen Gewinn zu
bescheren. Dass die bloße Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs für den Kläger als Rechtsanwalt eine Zumutbarkeitsschwelle
überschritten haben sollte, sei zweifelhaft. Dann diene die Geltendmachung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren aber
bloß der Vereinnahmung eines Gewinns aus dem Verfahren. Lediglich vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass der Anspruch auch
der Höhe nach nicht begründet wäre. Zum einen wäre die Gebührenforderung allenfalls auf der Grundlage des begründeten Anspruchsteils
zu berechnen. Zum anderen sei Umsatzsteuer nicht zu erstatten. Denn der Ausgangsrechtsstreit habe eine Forderung des Klägers
auf Erstattung weiterer Verfahrenskosten in einem Widerspruchsverfahren eines Dritten, den der Kläger dort vertreten habe,
betroffen. Es habe sich mithin schon im Ausgangsrechtsstreit um eine berufliche Angelegenheit des Klägers gehandelt, sodass
es sich bei der Verfolgung des Anspruchs um keine umsatzsteuerbare Tätigkeit gehandelt habe. Danach ergebe sich allenfalls
eine Gebührenforderung i.H.v. 124,00 €.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der nach §
201 Abs.
1 GVG sowie §
202 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
202 Satz 2,
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 24. September 2020 bzw. 13. Januar 2021
ihr Einverständnis erteilt hatten.
A. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte, auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem LSG
zunächst unter dem Aktenzeichen L 20 AS 1637/17 und zuletzt unter dem Aktenzeichen L 5 AS 1637/17 geführten Verfahrens gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß §
90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder
einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Denn nachdem das streitgegenständliche Ausgangsverfahren nach Zustellung
des für den Kläger am 10. Februar 2020 rechtskräftig gewordenen Urteils vom 19. Dezember 2019 beendet worden ist, hat der
Kläger durch Einreichung der Klageschrift beim LSG bereits am 14. April 2020 Entschädigungsklage erhoben i.S.v. §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
202 Satz 2,
90 SGG. Auf die Voraussetzungen des §
167 Zivilprozessordnung (
ZPO) kommt es für die Fristwahrung nicht an (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. A. 2020, Rn. 30 zu §
202). Soweit der Kläger am 06. August 2020 (und mithin noch binnen der Frist von 6 Monaten nach Eintritt der Rechtskraft am 10.
Februar 2020) die Klage um die Zinsforderung erweitert hat, ist dies nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
202 Satz 2,
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG unschädlich. Soweit er mit demselben Schriftsatz – und somit ebenfalls fristgemäß - auch eine Entschädigung für einen Vermögensschaden
begehrt, kann dahinstehen, ob es sich um eine Klageänderung oder eine unschädliche Klageerweiterung handelt, da auch die Klageänderung
fristgemäß wäre und der Beklagte sich im Übrigen eingelassen hat (§
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
202 Satz 2,
99 Abs.
1 SGG). Auch die Wartefrist des §
198 Abs.
5 Satz 1
GVG ist ohne Zweifel gewahrt.
B. Die sich unter Berücksichtigung des §
200 Satz 1
GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Berlin richtende Entschädigungsklage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat
weder Anspruch auf die Zahlung einer weiteren Entschädigung wegen des erlittenen immateriellen Nachteils (hierzu unter I.)
noch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Ausgangsverfahrens (hierzu unter II.) oder auf Zahlung einer Summe zum
Ausgleich eines ihm entstandenen Vermögensschadens (hierzu unter III.).
I. Nach §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil
erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach
den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4 GVG ausreichend ist (§
198 Abs.
2 Satz 2
GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer
des Verfahrens gerügt hat (§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG).
Der Kläger hat die Dauer des Ausgangsverfahrens ordnungsgemäß gerügt (Verzögerungsrüge vom 09. September 2019).
Ausgangspunkt der Angemessenheitsprüfung bildet die - in §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definierte - Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss, auch wenn
der Kläger seine Klage auf einen Teil des Verfahrens beschränkt hat. Nicht von Bedeutung für das Entschädigungsverfahren ist
hingegen die Dauer eines Widerspruchsverfahrens (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris Rn. 25, 27). Zu überprüfen ist damit vorliegend das mit Klageerhebung am 04.
November 2014 begonnene und sich bis zur Rechtskraft des Urteils des LSG vom 19. Dezember 2019 am 10. Februar 2020 über fünf
Jahre und rund drei Monate hinziehende Verfahren. Hiervon entfallen 2 Jahre und rund sechs Monate auf das zum Streitgegenstand
erklärte Berufungsverfahren (Zulassung der Berufung Anfang August 2017 bis zum Eintritt der Rechtskraft Anfang Februar 2020).
Gemäß §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten
und Dritten sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfahrens an, wobei nicht nur die Bedeutung für den auf
Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern auch die
Bedeutung für die Allgemeinheit.
1. Das streitgegenständliche Ausgangsverfahren war zur Überzeugung des Senats von allenfalls durchschnittlicher Schwierigkeit,
Bedeutung und Komplexität.
Die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich dabei zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen
und ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung
bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition des Klägers bzw.
der Klägerin und das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf seine/ihre weiteren geschützten Interessen
auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 31, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 35, - B 10 ÜG 2/14 R
- Rn. 38, jeweils zitiert nach juris).
Streitgegenständlich war im Ausgangsverfahren die Festsetzung höherer Kosten i.H.v. 380,80 € für die Vertretung in zwei Widerspruchsverfahren
gegen zwei Bescheide des Jobcenter Pankow von Berlin, nachdem dieses bereits Kosten i.H.v. 380,80 € übernommen hatte. Der
Anspruch des Widerspruchsführers auf Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens nach § 63 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X) war nach § 9 Abs. 2 BerhG auf den Kläger übergegangen. Der Sache kam damit aus der Sicht des insoweit maßgeblichen verständigen Betroffenen keine
besondere Bedeutung zu, die es hätte rechtfertigen können, das Verfahren einer bevorzugten – und damit zu Lasten aller anderen
Kläger gehenden – Erledigung zuzuführen. Eine weiterreichende Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Allgemeinheit ist nicht
ersichtlich.
Die für die Verfahrensdauer weiter bedeutsame Schwierigkeit des Verfahrens ist als (allenfalls) durchschnittlich einzustufen.
Eine Notwendigkeit tatsächlicher Ermittlungen bestand nicht, insbesondere wurden keine Zeugen befragt oder Sachverständigengutachten
eingeholt. Eine gesteigerte Komplexität kam dem Ausgangsverfahren zur Überzeugung des Gerichts ebenso wenig zu.
2. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen.
Dabei sind dem Ausgangsgericht gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die regelmäßig je Instanz zwölf Monate betragen, als
angemessen zuzugestehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt
angesehen werden können. Für Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beläuft sich die Vorbereitungs- und Bedenkzeit nach der ständigen
Rechtsprechung des erkennenden Senats auf sechs Monate (vgl. Urteile vom 25. Februar 2016 – L 37 SF 128/14 EK AL – juris Rn. 59 sowie vom 26. April 2018 – L 37 SF 38/17 EK AS – juris Rn. 70). Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer in Hauptsacheverfahren regelmäßig zudem dann, wenn sie
den genannten Zeitraum überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder
durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 33, 54 f.). Bedeutsam ist dabei zudem, dass dann keine inaktive Zeit
der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das
Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt. Denn eingereichte Schrift-sätze, die
einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und
Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57). Weiter ist zu beachten, dass die Übersendung eines Schriftsatzes,
z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis
stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet sowie die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme
zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative
unterliegt und - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht
nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten ist (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43). Schließlich ist kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbereich
des GRüGV stets der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –,
Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).
Übereinstimmend und insoweit zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass es jedenfalls von Februar 2018 bis Oktober 2019
und damit in 21 Kalendermonaten zu Phasen der gerichtlichen Inaktivität gekommen ist.
Darüber hinaus ist zur Überzeugung des Senats – und insoweit entgegen der Ansicht des Beklagten – auch der Monat November
2019 (Monat vor dem Urteil vom 19. Dezember 2019) als Verzögerungsmonat zu werten. Anders als im Falle einer mündlichen Verhandlung
fehlt es vorliegend an dem nach außen wirkenden Akt der Ladung und der Notwendigkeit der Einräumung eines – von der Ladungsfrist
unabhängigen – zeitlichen Vorlaufs zur Berücksichtigung der Postlaufzeiten bzw. besseren Planung und Vorbereitung auch für
die Beteiligten (vgl. hierzu das Senatsurteil vom 25. Februar 2016 – L 37 SF 128/14 EK AL – juris Rn. 52). Ebenso als Monat der Verzögerung zu werten ist der Monat Januar 2018. Zwar war zuvor am 14. Dezember
2017 eine zweiseitige Stellungnahme des Klägers eingegangen, die dem damaligen Beklagten 14 Tage später zur Kenntnis- und
freigestellten Stellungnahme zugeleitet wurde. Mit der gleichzeitigen Fortschreibung der Verfügung „Entscheidungsfach“ hat
das Ausgangsgericht jedoch deutlich gemacht, dass es seine eigenen Überlegungen zu der Rechtssache abgeschlossen hat und eine
weitere Stellungnahme des damaligen Beklagten weder erwartet noch für die Entscheidung als notwendig erachtet.
Insgesamt ist es damit in 23 Kalendermonaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen.
3. Dies bedeutet indes nicht, dass dem Kläger eine Entschädigung für 23 Monate zustehen würde. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung
und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten
und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei sind - wie bereits ausgeführt - dem Ausgangsgericht Vorbereitungs-
und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen, falls sich nicht aus dem Vortrag eines
Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien des §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert
nach juris).
Anlass, von der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten jeweils für das Klage- und Berufungsverfahren abzuweichen,
besteht zur Überzeugung des Senats weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten.
Ein Ausgleich der Verzögerungen im Berufungsverfahren durch eine etwaige nicht verbrauchte Vorbereitungs- und Bedenkzeit der
ersten Instanz scheidet selbst unter weiterer Berücksichtigung einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
von sechs Monaten bereits deshalb aus, weil es im erstinstanzlichen Verfahren jedenfalls in der Zeit von März 2015 bis September
2015 (sieben Kalendermonate: Monat nach der Verfügung in das Erörterungstermins-Fach bis einschließlich des Monats vor der
Ladung zum Erörterungstermin) sowie von Januar 2016 bis Februar 2017 (14 Kalendermonate: Monat nach der Durchführung des Erörterungstermins
bis zum Monat vor dem die Instanz abschließenden Urteil), mithin also im Umfang von 21 Kalendermonaten zu Inaktivitätszeiten
gekommen ist.
Es verbleibt daher bei einer entschädigungsrelevanten Überlänge des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens von elf Kalendermonaten.
4. Dies heißt jedoch nicht, dass dem Kläger eine finanzielle Entschädigung für elf Kalendermonate zusteht. Denn zwar nimmt
der Senat nicht an, dass die „starke“ gesetzliche Vermutung des Eintritts eines Nachteils (vgl. §
198 Abs.
2 Satz 1
GVG) widerlegt ist. Wohl aber geht er mit Blick auf die geltend gemachte Entschädigung für den erlittenen immateriellen Nachteil
davon aus, dass im vorliegenden Einzelfall eine Entschädigung insoweit nicht erforderlich ist, vielmehr eine Wiedergutmachung
auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4, Abs.
2 Satz 2
GVG ausreichend ist.
Diese ist gemäß §
198 Abs.
4 Satz 1
GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine
solche Feststellung ausreichend im Sinne von §
198 Abs.
2 Satz 2
GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls. In diese ist regelmäßig
einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein
Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge
den einzigen Nachteil darstellt (BT-Drucks. 17/3802 S. 20; BSG, Urteile vom 05.05.2015 - B 10 ÜG 8/14 R – juris Rn. 30 und vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 36; BSG, Beschluss vom 08.01.2018 - B 10 ÜG 14/17 B - juris Rn. 8; ebenso Bundesgerichtshof <BGH> Urteil vom 23.01.2014 - III ZR 37/13 - juris Rn. 62). Darüber hinaus kann es darauf ankommen, wie lange das Verfahren sich verzögert hat, ob das Ausgangsverfahren
für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (Bundesverwaltungsgericht
<BVerwG> Urteil vom 11.07.2013 - 5 C 23/12 D - juris Rn. 57). Bedeutung erlangen können auch durch die überlange Verfahrensdauer erlangte Vorteile, die das Gewicht
der erlittenen Nachteile aufwiegen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 2 WA 1/17 D - juris Rn. 36).
Zwar ist es im Ausgangsverfahren zu einer nicht unerheblichen Überlänge von elf Kalendermonaten gekommen. Allerdings ist dem
Ausgangsverfahren, in dem es, auch wenn formal der auf den Kläger übergegangene Kostenerstattungsanspruch des Mandanten im
Streit stand, letztlich ausschließlich um weitere Vergütungsansprüche des Klägers i.H.v. rund 380 € ging, weder eine besondere
ideelle noch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für den Kläger beizumessen. Zwar ist das Interesse von Rechtsanwälten
an einer möglichst zügigen Durchsetzung ihrer Honoraransprüche für geleistete Tätigkeit legitim. Auch kann der Senat einen
gewissen Ärger nachvollziehen, wenn sie aufgrund verzögerter Bearbeitung seitens der Gerichte lange auf ihre Vergütung warten
müssen. Dennoch vermag er nicht zu erkennen, dass hier – jedenfalls typischerweise – Fallkonstellationen vorlägen, für die
der Gesetzgeber die Gewährung einer finanziellen Entschädigung im Auge hatte. Mit den Regelungen der §§
198 ff.
GVG strebt dieser eine Kompensation von Verstößen gegen Grund-/Menschenrechte an, und nach seinen Vorstellungen gehört zu den
zu kompensierenden immateriellen Nachteilen eines überlangen Verfahrens insbesondere die durch die Unangemessenheit der Verfahrensdauer
verursachte seelische Unbill auf Seiten des Klägers (Gesetzesentwurf BT-Drucks 17/3802, S. 19). Dass Rechtsanwälte als Organe
der Rechtspflege, deren beruflicher Alltag gerade vom Führen von Prozessen geprägt ist und die wissen, wie ein Verfahren vor
Gericht typischerweise abläuft, durch die Dauer eines einem Kostenfestsetzungsverfahren bei einer Behörde nachfolgenden Klage-/Berufungsverfahren
in auch nur annähernd vergleichbarem Maße wie juristische Laien seelisch belastet werden, dürfte in aller Regel nicht anzunehmen
sein. Jedenfalls geht der Senat im vorliegenden Fall nicht davon aus, dass der Kläger vergleichbaren Belastungen ausgesetzt
war. In diesem Zusammenhang ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass der dem letztlich geltend gemachten Vergütungsanspruch
zugrunde liegenden Ausübung des Gebührenbestimmungsrechtes im Rahmen des § 14 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in jedem Fall ein gewisser Unsicherheitsfaktor immanent ist. Ein Rechtsanwalt muss bei der Gebührenbestimmung im Rahmen
des § 14 RVG wegen des ihm eingeräumten Ermessens immer damit rechnen, dass Ermessenserwägungen oder die Auslegung kostenrechtlicher Bestimmungen
bei der Festsetzung durch die gegnerische Behörde oder nachfolgend im Klage-/Berufungsverfahren durch das Gericht nicht geteilt
werden. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des
Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse
des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Dabei kann nach Abs. 1 Satz 2 ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts bei
der Bemessung herangezogen werden. Ist die Gebühr – wie hier – von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt
getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Der Rechtsanwalt weiß wegen der Unbestimmtheit der zu beachtenden Bemessungskriterien also von vornherein, dass die korrekte
Gebührenbestimmung mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor belastet ist und trägt von Berufs wegen das Risiko einer billigen
Ermessensbetätigung. Dem Senat erschließt sich daher nicht, wie vor diesem Hintergrund eine besondere psychische Belastung
bei einem Rechtsanwalt wegen der Dauer eines der Durchsetzung von Vergütungsansprüchen dienenden Verfahrens eintreten soll.
Dass das Verfahren für den Kläger eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt hätte, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Der Kläger hat als Rechtsanwalt im streitgegenständlichen Berufungsverfahren eine weitergehende Vergütung in Höhe von rund
380 € verfolgt. Davon, dass es sich hierbei um einen für ihn erheblichen, gar seine Berufsausübungsfreiheit tangierenden Betrag
handeln könnte, vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Zwar bleibt unbestritten, dass dem Kläger wie einem Unternehmer
laufende Kosten für den Betrieb (etwa in Gestalt von Personal- oder Raumkosten) anfallen, welche er durch seine Einnahmen
zu decken erstrebt. Der Umstand schwankender Einnahmen sowie die Schwierigkeit, Honoraransprüche – sei es gegen Behörden,
Prozessgegner oder die Mandanten – durchzusetzen, sind jedoch zunächst schlicht Teil seines unternehmerischen Risikos. Auch
eine wesentliche Dringlichkeit – über das allgemeine Interesse an einer zügigen Durchsetzung von Ansprüchen hinaus – kann
dem Ausgangsverfahren nach Akteninhalt nicht beigemessen werden. Darüber hinaus ist jedenfalls im hiesigen Verfahren auch
zu beachten, dass der Kläger im Berufungsverfahren gerade keinen Erfolg hatte, sodass dessen Dauer auf seine wirtschaftliche
Situation keinerlei Auswirkungen hatte.
II. Hieraus folgt jedoch kein Anspruch des Klägers auf gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer.
Denn zur Überzeugung des Senats ist dieser so genannte kleine Entschädigungsanspruch (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 57 und vom 15.12.2015 – B 10 ÜG 1/15 R – Rn. 15 f., zitiert jeweils nach juris)
vorliegend bereits erfüllt.
Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des §
198 Abs.
2 Satz 2, Abs.
4 GVG ist in den Fällen, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Gewährung einer Entschädigung nicht erforderlich ist,
Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer
unangemessen war, möglich. Die gerichtliche Feststellung stellt mithin nur eine Form der Wiedergutmachung auf andere Weise
dar. Sie kann in der Praxis hingegen auf vielfältige Art erfolgen. Denkbar sind dabei verschiedene Arten einer nichtfinanziellen
Genugtuung, beispielsweise der Verweis auf bereits erfolgte dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen, eine Aussprache beim Gerichtspräsidenten
mit einer Erläuterung der Belastungssituation des Gerichts oder auch eine Entschuldigung von Seiten des Beklagten (Ott in
Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, §
198 GVG Rn. 159 f. m.w.N.).
Vorliegend hat der Beklagte dem Kläger bereits eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des Ausgangsverfahrens gewährt, wenn
auch nicht in der vom Kläger erstrebten Höhe. Vor dem Hintergrund, dass im Rahmen der gerichtlichen Feststellung der Überlänge
nicht zu konkretisieren ist, in welchem Umfang das Verfahren eine unangemessene Dauer aufweist (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – juris Rn. 56), ist mit der Anerkennung sowie Befriedigung des Anspruchs auf finanzielle
Entschädigung der „kleine Entschädigungsanspruch“ mit erfüllt. Der Senat vermag keinen Grund zu erkennen, der es erfordern
könnte, darüber hinaus nunmehr auch noch gerichtlich festzustellen, dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufwies. Dass
dies für den Kläger einen im hiesigen Verfahren beachtenswerten Mehrwert haben sollte, ist für den Senat nicht erkennbar.
III. Der Kläger hat darüber hinaus auch keinen Anspruch aus §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG auf Zahlung von Rechtsanwaltskosten für die vorgerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs gegenüber dem Beklagten.
Zwar können die für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs angefallenen Anwaltskosten grundsätzlich eine
Vermögenseinbuße und damit einen materiellen Nachteil im Sinne des §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG darstellen. Dies allerdings nur, soweit sie notwendig waren (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D - juris, Rn. 40, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 17/3802, S. 19; BGH, Urteil vom 23.01.2014 – III ZR 37/13 - juris Rn. 48, 50: zur Wahrnehmung der Rechte erforderlich und zweckmäßig; siehe auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. A. 2017, §
198 GVG, Rn. 108). Anspruchsgrundlage für den Erstattungsanspruch eines Klägers, der Mandant eines Rechtsanwaltes ist, ist gegenüber
dem beklagten Land unmittelbar §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG (vgl. auch Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 24. A. 2019, Rn. 244 zu § 1), während der Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch gegen seinen Mandanten – den Kläger – aus Vertrag hat. Maßgeblich ist
für die Feststellung der Notwendigkeit die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person (vgl. BGH, Urteil
vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14 – juris Rn. 8; BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 - VIII ZR 277/11 -, NZM 2012, 607 Rn. 4). Hierbei geht der BGH davon aus, dass etwa eine erste Leistungsaufforderung gegenüber einer Versicherung in einem
einfach gelagerten Schadensfall grundsätzlich vom Geschädigten ohne Einschaltung eines Anwalts zu erfolgen hat (BGH, Urteil
vom 11. Juli 2017 – VI ZR 90/17 – juris 12; Müller-Rabe a.a.O. Rn. 263, 270). Verfügt der Geschädigte über eigene Fachkenntnisse und Erfahrungen, muss er
diese in zweifelsfreien Fällen bei der erstmaligen Geltendmachung eines Schadens einsetzen (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006
– VI ZR 175/05 – juris Rn. 11).
Vertritt ein Rechtsanwalt sich selbst, ist bereits fraglich, ob überhaupt eine Vermögenseinbuße bzw. Schaden des Klägers/Rechtsanwaltes
vorliegt. Denn im Gegensatz zu der Konstellation Rechtsanwalt – Kläger/Mandant – Beklagter fehlt es an einer vom Kläger gegenüber
dem Rechtsanwalt vertraglich geschuldeten Vergütung. Der Kläger/Rechtsanwalt schuldet nicht sich selbst eine Vergütung. Allenfalls
könnte ein Vermögensnachteil in dem Fall in Frage kommen, dass aufgrund der Tätigkeit in eigener Sache ein anderes Mandat
hätte abgelehnt werden müssen. Hierfür ist vorliegend allerdings nichts ersichtlich. Darüber hinaus fehlt es aber – einen
Vermögensnachteil grundsätzlich unterstellt – an der Notwendigkeit der Rechtsanwaltskosten im oben genannten Sinne. Zwar ist
umstritten, ob in dem Fall, in dem sich der Rechtsanwalt - wie hier – außergerichtlich selbst vertritt, auf dessen eigene
Sachkunde abzustellen ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 06. Mai 2004 – I ZR 2/03 – juris Rn. 10ff; Bundesarbeitsgericht <BAG>, Beschluss vom 27. Juli 1994 – 7 ABR 10/93 – juris Rn. 38; zum Streitstand auch: Pankatz in Riedel/Sußbauer, RVG, 10. A. 2015, Rn 178 zu §
1). Die Regelung des §
91 Abs.
2 Satz 3
ZPO kann für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts in eigener Sache jedenfalls nicht herangezogen werden (BGH, Urteil vom
06. Mai 2004 a.a.O. Rn. 14). Letztlich kann hier aber dahin stehen, ob im vorliegenden Fall auf die konkrete Sachkunde des
Klägers als Rechtsanwalt oder eine vernünftige, wirtschaftlich denkende Person abzustellen ist. Denn bei dem vorliegenden
Fall – erste außergerichtliche Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs für ein objektiv langes und tatsächlich auch überlanges
Gerichtsverfahren bei einem überschaubaren Sachverhalt und weitgehend geklärter obergerichtlicher Rechtsprechung zu den Voraussetzungen
eines Entschädigungsanspruchs – war auch für einen vernünftigen Laien die Heranziehung eines Rechtsanwaltes nicht erforderlich.
Vielmehr wäre einem vernünftigen Laien zuzumuten gewesen – wie bei einer ersten Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber seiner
Versicherung -, sich ohne anwaltliche Hilfe direkt an das beklagte Land, ggf. über das Ausgangsgericht, zu wenden. Dies insbesondere
vor dem Hintergrund, dass die vorgerichtliche Geltendmachung zwar zur Reduktion des Kostenrisikos in einem eventuell nachfolgenden
Prozess sinnvoll sein mag (BVerwG, Urteil vom 17. August 2017 – 5 A 2/17 D – juris Rn 43), jedoch das Durchlaufen eines solchen vorprozessualen Verfahrens im Gegensatz zu dem im
SGG oder in der
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) vorgeschriebenen Widerspruchsverfahren gerade keine Bedingung für die Zulässigkeit einer Entschädigungsklage ist. Zur Minimierung
des Kostenrisikos wiederum ist es ausreichend, den Anspruch unter Hinweis auf die aus Sicht des Anspruchstellers vorhandene
Überlänge zu benennen, weitergehender juristischer Ausführungen bedarf es hierfür nicht. Entscheidend für die Reduzierung
des Kostenrisikos in einem späteren Klageverfahren ist nämlich allein, dass das (später beklagte) Land sich zu dem geltend
gemachten Entschädigungsanspruch äußert. Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei Heranziehung des Rechtsgedankens des §
1835 Abs.
3 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] (siehe etwa § 1 Abs. 2 Satz 3 RVG). Danach kann ein Vormund Ersatz seiner Aufwendungen verlangen; als solche gelten auch Dienste, die zu seinem Gewerbe oder
Beruf gehören. §
1835 Abs.
3 BGB ist zu entnehmen, dass ein Dritter nicht davon profitieren soll, dass der Rechtsanwalt eine Tätigkeit selbst vornimmt, für
die ein juristischer Laie in gleicher Lage sich vernünftigerweise eines Rechtsanwaltes bedienen würde (vgl. Müller-Rabe a.a.O.
Rn. 278; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2020 – 5 W 14/20 – juris Rn. 6). Ein juristischer Laie in gleicher Lage hätte sich wiederum – wie bereits dargelegt - angesichts der geringen
Anforderungen an eine solche mit einer Geltendmachung eines Schadens bei einer Versicherung vergleichbaren Anmeldung eines
Entschädigungsanspruchs bei dem beklagten Land - auch zur Minimierung seiner Kosten – weder eines Rechtsanwaltes bedienen
müssen noch bedient.
Anlass, die Revision nach §§
160 Abs.
2,
202 Satz 2
SGG,
201 Abs.
2 Satz 3
GVG zuzulassen, bestand nicht.