Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Erinnerungsverfahrens
Prozesskostenhilfevergütungsverfahren und schließendes Erinnerungsverfahren als ein Gerichtsverfahren
Vorbereitungszeit und Bedenkzeit für ein Erinnerungsverfahren von in der Regel zwölf Monaten
Kompensation von Verzögerungszeiten
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B zum Aktenzeichen S 165 SF 203/18
E geführten Erinnerungsverfahrens.
Der Kläger, ein Rechtsanwalt, vertrat in dem vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 124 AS 8642/16 gegen das Jobcenter Berlin Pankow geführten Verfahren die Klägerin N S. Mit Beschluss vom 28. August 2017 bewilligte das
Sozialgericht dieser Prozesskostenhilfe (PKH) mit Wirkung ab dem 07. Juli 2016 unter Beiordnung des hiesigen Klägers. Das
Verfahren wurde im November 2017 durch angenommenes Anerkenntnis erledigt. Nachdem sich das Jobcenter sodann bereit erklärt
hatte, die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zur Hälfte zu übernehmen, und diese das Kostengrundanerkenntnis angenommen
hatte, beantragte der hiesige Kläger mit Schriftsatz vom 06. Dezember 2017 die Festsetzung der hälftigen erstattungsfähigen
außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Widerspruchsverfahren (249,90 €) gegen das Jobcenter - gestützt auf §
126 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) - im eigenen Namen. Die Kosten des Klageverfahrens (975,80 €) begehrte er, im Rahmen der gewährten PKH festzusetzen. Seinem
Vergütungsfestsetzungsantrag lagen u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sowie eine Einigungs-/Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG in Höhe von jeweils 400,00 € zugrunde.
Unter dem 11. Dezember 2017 erteilte die Kostenbeamtin dem Kläger einen rechtlichen Hinweis und forderte das Jobcenter zur
Stellungnahme zu dem Antrag innerhalb von fünf Wochen auf. Am 12. Dezember 2017 trat der Kläger der Rechtsauffassung der Kostenbeamtin
entgegen. Sein Schriftsatz wurde wenige Tage später dem Jobcenter zugeleitet. Unter dem 24. Januar 2018 wurde dieses an die
angeforderte Stellungnahme erinnert, die daraufhin fünf Tage später einging. Das Jobcenter erhob keine Einwände gegen die
für das Widerspruchsverfahren geltend gemachten Kosten, sah hingegen die für das Klageverfahren geltend gemachten als nicht
angemessen an. Diesbezüglich meinte es, seien Kosten in Höhe von 172,55 € und von ihm hiervon die Hälfte, mithin 86,28 € zu
erstatten. Unter dem 31. Januar 2018 bat das Sozialgericht das Jobcenter, die hälftigen Widerspruchskosten an den Kläger anzuweisen,
wies darauf hin, dass die Kosten des Klageverfahrens vollständig gegenüber der Landeskasse geltend gemacht worden seien, und
kündigte insoweit an, zu gegebener Zeit einen Forderungsübergang geltend zu machen. Am selben Tag leitete es den Schriftsatz
des Jobcenters sowie das gerichtliche Schreiben an den Kläger weiter.
Mit Beschluss vom 21. Februar 2018 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Landeskasse im Wege der PKH zu
zahlende Vergütung auf 529,55 € fest. Dabei legte sie eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 300,00 € zugrunde, rechnete 175,00 € auf der Grundlage von Nr. 2302 VV RVG an und ging von einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1006, 1005 VV RVG in Höhe von nur 300,00 € aus.
Gegen den ihm am 23. Februar 2018 zugestellten Beschluss legte der Kläger noch am selben Tag Erinnerung ein und begehrte weiterhin
eine Festsetzung der Kosten auf 975,80 €. In dem unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E registrierten Erinnerungsverfahren
bestätigte das Sozialgericht am 14. März 2018 den Eingang, übersandte den Schriftsatz dem Erinnerungsgegner zur Kenntnisnahme
und verfristete den Vorgang um drei Monate. Auf einen Schriftsatz des Jobcenters vom 16. April 2018 hin forderte die die Hauptsache
bearbeitende Kammer die Akten von der 165. Kammer zurück, übersandte diese sodann jedoch unter dem 23. April 2018 erneut.
Im Folgenden wurde der Vorgang mehrfach verfristet.
Am 30. April 2020 erhob der Kläger zum Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E Verzögerungsrüge.
Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 wies das Sozialgericht Berlin die Erinnerung gegen den Vergütungsfestsetzungsbeschluss des
Sozialgerichts vom 21. Februar 2018 unter Verweis auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung zurück. Der Beschluss wurde
dem Kläger am 13. Mai 2020 zugestellt.
Im Rahmen eines durch den Kläger vorprozessual eingeleiteten Entschädigungsverfahrens räumte der Präsident des Sozialgerichts
Berlin unter dem 30. Juni 2020 eine überlange Dauer des Erinnerungsverfahrens ein und brachte hierüber im eigenen Namen sowie
dem des Beklagten sein Bedauern zum Ausdruck, lehnte jedoch die Gewährung einer Entschädigung ab.
Am 02. Juli 2020 hat der Kläger daraufhin die vorliegende Entschädigungsklage erhoben und eine Entschädigung wegen überlanger
Dauer des Kostenerinnerungsverfahrens in Höhe von 1.300,00 € nebst Zinsen, hilfsweise die Feststellung, dass das Verfahren
eine unangemessene Dauer aufgewiesen hat, begehrt. Zur Begründung macht er geltend, selbst Inhaber des Kostenerstattungsanspruchs
zu sein und keine Zahlungen von der früheren Klägerin erhalten zu haben. Auch habe keine Rechtsschutzversicherung die Gebühren
getragen. Das Verfahren habe für ihn erhebliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt. Nicht nur sei es um einen erheblichen Differenzbetrag
gegangen, sondern auch um in der Rechtsprechung ungeklärte Fragen des Gebührenrechts. Zudem betrachte er die Festsetzung von
Gebühren, insbesondere wenn es um die in § 14 des Ersten Sozialgesetzbuches geregelten Aspekte der Schwierigkeit und des Umfangs
der anwaltlichen Tätigkeit gehe, stets auch als Bewertung seiner Tätigkeit. Er könne daher versichern, dass Fragen der Gebührenfestsetzung
neben dem materiellen Aspekt auch ganz erhebliche immaterielle Bedeutung für ihn hätten, insbesondere wenn er – wie im vorliegenden
Verfahren – die Schwierigkeit und den Umfang seiner Tätigkeit als nicht hinreichend gewürdigt sehe. Die Verfahrensdauer sei
insbesondere im Hinblick auf die dürre Begründung des das Verfahren abschließenden Beschlusses ein erhebliches Ärgernis. Es
sei ärgerlich und nicht erklärlich, wie das Gericht über 24 Monate habe brauchen können, um sodann lapidar auf den Ausgangsbeschluss
zu verweisen. Dies habe ganz erhebliche psychische Auswirkungen im Sinne des Erregens von Ärger bei ihm. Eine Wiedergutmachung
auf andere Weise sei daher nicht ausreichend. Im Erinnerungsverfahren sei er als Beteiligter wie jeder andere auch in eigenen
Interessen betroffen. Er habe einen Kanzleibetrieb mit Räumlichkeiten sowie der Vergütung einer Mitarbeiterin etc. aufrecht
zu erhalten, Versicherungen, Kammerbeiträge, Fortbildungsaufwendungen etc. zu tragen und mithin erhebliche Kosten auch im
Zusammenhang mit dem hiesigen Verfahren vorgeschossen, ohne wegen §
122 Abs.
1 Nr.
3 ZPO Vergütung auf andere Weise erlangen zu können. Die Feststellung der Überlänge durch den Präsidenten des Sozialgerichts stelle
schließlich keine hinreichende Wiedergutmachung auf andere Weise dar.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihm wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18
E geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
hilfweise die unangemessene Dauer des vor dem Sozialgericht B unter dem Aktenzeichen S 165 SF 203/18 E geführten Verfahrens
festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte, dem die Klage am 29. Juli 2020 zugestellt worden ist, meint, das Verfahren habe zwar überlang gedauert. Eine
materielle Entschädigung scheide jedoch aus. Es reiche die Feststellung der Überlänge, die der Präsident des Sozialgerichts
B bereits außergerichtlich ausdrücklich erklärt habe. Die Angelegenheit sei für den Kläger auch deshalb von nur untergeordneter
Bedeutung gewesen, weil das Ausgangsgericht die Vergütungsfestsetzung nicht insgesamt abgelehnt habe. Es sei um einen Differenzbetrag
in Höhe von 446,25 € gegangen. Der Kläger sei folglich zu keiner Zeit im Ungewissen über die Festsetzung seiner Vergütung
an sich oder die Berechtigung der von ihm zugrunde gelegten Gebührenziffern gewesen. Gegen die Notwendigkeit einer materiellen
Entschädigung spreche auch, dass der Kläger als Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege sei, von Prozessen grundsätzlich
profitiere und keinesfalls in gleichem Maße wie Laien durch eine lange Verfahrensdauer psychisch belastet werde. Wegen der
Unbestimmtheit der Rahmengebühren wisse er von vornherein, dass die korrekte Gebührenbestimmung mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor
belastet sei, und trage von Berufs wegen das Risiko einer billigen Ermessensbetätigung. Schließlich wisse er im PKH-Vergütungsverfahren,
dass ihm bei Anerkennung des Vergütungsanspruchs in jedem Fall ein potenter Schuldner gegenüberstehe. Im Übrigen sei zu beachten,
dass der Kläger zwei Jahre habe verstreichen lassen, bevor er Verzögerungsrüge erhoben habe. Aus dieser Passivität lasse sich
schließen, dass die Angelegenheit für ihn keine Bedeutung gehabt habe. Es sei auch sonst weder ersichtlich noch ansatzweise
substantiiert vorgetragen, dass der Kläger sich im Rahmen des Ausgangsverfahrens in einer wirtschaftlich schwierigen Situation
befunden habe. Dem behaupteten Ärgernis wegen des Erinnerungsverfahrens komme kaum der Stellenwert ganz erheblicher psychischer
Auswirkungen zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der nach §
201 Abs.
1 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) sowie §
202 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
202 Satz 2,
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 27. August bzw. 11. September 2020 ihr Einverständnis
erteilt hatten.
Die auf Gewährung einer Entschädigung, hilfsweise die Feststellung der Überlänge des beim Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen
S 165 SF 203/18 E geführten Erinnerungsverfahrens gerichtete, als allgemeine Leistungsklage statthafte Klage kann keinen Erfolg
haben.
A. Zwar ist die Entschädigungsklage zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß §
90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder
einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Auch ist es hier unschädlich, dass die Klage bereits am 02. Juli 2020 und
damit – entgegen §
198 Abs.
5 Satz 1
GVG – vor Ablauf von sechs Monaten ab Erhebung der Verzögerungsrüge am 30. April 2020 erhoben wurde. Denn zwar handelt es sich
bei der Einhaltung der Wartefrist um eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen
zu prüfen ist, und wird eine vor Fristablauf erhobene Klage auch nicht nach Ablauf der Frist zulässig (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/14 R – juris, Rn. 18 ff.). Allerdings ist mit Blick auf den Sinn der Wartefrist, dem Gericht
die Möglichkeit einzuräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden,
anerkannt, dass eine Klage ausnahmsweise vor Fristablauf erhoben werden kann, wenn nämlich das betroffene Verfahren schon
vor Fristablauf beendet wurde (vgl. Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.05.2014 – III ZR 355/13 – Rn. 17 und Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.02.2015 – 5 C 5/14 D – Rn. 18 ff., zitiert jeweils nach juris). So aber liegt der Fall hier.
B. Die Entschädigungsklage ist jedoch unbegründet.
Nach §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil
erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung indes nur beansprucht werden, soweit nicht
nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4 GVG ausreichend ist (§
198 Abs.
2 S. 2
GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer
des Verfahrens gerügt hat (§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG).
Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Gewährung einer finanziellen Entschädigung (hierzu im Folgenden zu I.) noch auf gerichtliche
Feststellung der Unangemessenheit des streitgegenständlichen Erinnerungsverfahrens zu (hierzu unter II.).
I. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer finanziellen Entschädigung sind nicht gegeben, da vorliegend das negative Tatbestandsmerkmal
des §
198 Abs.
2 Satz 2
GVG – das Ausreichen einer Wiedergutmachung auf andere Weise – eingreift.
Das Bundessozialgericht hat bereits entschieden, dass das Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren nach §
197 SGG ein eigenständiges Gerichtsverfahren im Sinne des §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG darstellt, mithin Gegenstand eines Entschädigungsanspruchs sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 10.07.2014 – B 10 ÜG 8/13 R – juris, Rn. 16 ff.). Nichts anderes kann zur Überzeugung des Senats für das PKH-Vergütungsverfahren
nach § 55 RVG und ein sich an dieses anschließendes Erinnerungsverfahren gelten.
Auch ist der Kläger aktivlegitimiert in Bezug auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch, denn er ist Verfahrensbeteiligter
des Ausgangsverfahrens im Sinne des §
198 Abs.
1 Satz 1, Abs.
6 Nr.
2 GVG. Im Vergütungsfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren nach §§ 55, 56 RVG ist der beigeordnete Rechtsanwalt selbst antrags- bzw. erinnerungsberechtigt (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, § 55 Rn. 4 und § 56 Rn. 7). Dementsprechend wurde der Kläger vom Sozialgericht auch als Antragsteller bzw. Erinnerungsführer geführt.
Zu Recht gehen weiter sowohl der Kläger, der am 30. April 2020 eine ordnungsgemäße Verzögerungsrüge erhoben hat, als auch
der Beklagte davon aus, dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufweist (hierzu zu 1.). Allerdings bedarf es vorliegend
nicht der Gewährung einer Entschädigung (hierzu zu 2.).
1. Zur Überzeugung des Senats ist das streitgegenständliche Erinnerungsverfahren als im Umfang von neun Kalendermonaten überlang
anzusehen.
a) Ob die Verfahrensdauer angemessen ist oder nicht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der
Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten (§
198 Abs.
1 Satz 2
GVG). Über die in §
198 GVG ausdrücklich genannten Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit der Verfahrensdauer hinaus hängt die Unangemessenheit
der Verfahrensdauer wesentlich davon ab, ob dem Staat zurechenbare Verhaltensweisen des Gerichts zur Überlänge des Verfahrens
geführt haben. Maßgeblich sind Verzögerungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Zeiten des Verfahrens, insbesondere aufgrund
von Untätigkeit des Gerichts (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 34 und – B 10 ÜG 12/13 R –Rn. 41, vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 7/14 R – Rn. 35
sowie vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 38, alle zitiert nach juris). Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer
vorliegt, sind daher aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R – juris, Rn. 40 ff., 50), wobei kleinste relevante Zeiteinheit stets der Kalendermonat
ist (BSG, Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R – 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 12/13 R –,
Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).
Vorliegend begann das Erinnerungsverfahren – auf das der Kläger seine Entschädigungsklage zulässigerweise beschränkt hat (vgl.
BSG, Urteil vom 27.03.2020 – B 10 ÜG 4/19 R, juris, Rn. 11) – mit Eingang des Rechtsbehelfs am 23. Februar 2018 und fand mit
am Folgetag zugestelltem Beschluss vom 12. Mai 2020 seinen Abschluss. Innerhalb dieser Zeit wurde es von Mai 2018 bis einschließlich
April 2020, mithin in 24 Kalendermonaten nicht gefördert. Soweit der Kläger davon ausgeht, dass bereits der April 2018 als
Monat der gerichtlichen Inaktivität zu bewerten ist, folgt der Senat ihm nicht. Denn zwar hat das Sozialgericht dem Erinnerungsgegner
den Schriftsatz des Klägers vom 23. Februar 2018 nach Registrierung des Erinnerungsverfahrens Mitte März 2018 lediglich zur
Kenntnis- und nicht ausdrücklich zur Stellungnahme zugeleitet. Die Übersendung eines Schriftsatzes, z.B. eines Gutachtens,
einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis beinhaltet indes stets
die Möglichkeit zur Stellungnahme. Die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme zunächst nicht
weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative und
ist - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht nicht als
Verfahrensverzögerung zu bewerten (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43). Nichts anderes gilt zur Überzeugung des Senats, wenn im Erinnerungsverfahren
der Schriftsatz, mit dem der Rechtsbehelf eingelegt wird, dem Gegner zur Kenntnisnahme übersandt wird. In diesem frühen Verfahrensstadium
kann auch nicht die Rede davon sein, dass dies zu nicht mehr tragbaren Wartezeiten führen würde. Hinzu kommt hier, dass im
Laufe des Aprils 2018 die Akten des Hauptverfahrens auf einen Schriftsatz des Beklagten dieses Verfahrens vorübergehend der
für dieses Verfahren zuständig gewesenen Kammer zur Verfügung gestellt werden mussten.
b) Dies heißt jedoch nicht, dass von einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von 24 Kalendermonaten auszugehen
wäre. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste
Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 – B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei ist zu beachten, dass den Gerichten – über die Phasen der
aktiven Verfahrensförderung hinaus - Vorbereitungs- und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen
zuzugestehen sind, falls sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem
mit Blick auf die Kriterien des §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 48, – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert
nach juris). Weiter ist zu berücksichtigen, dass Zeiten fehlender Verfahrensförderung durch das Gericht in bestimmten Verfahrensabschnitten
in davor oder danach liegenden Verfahrensabschnitten ausgeglichen werden können (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 43, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 43, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 51, - B 10 ÜG 2/14 R-
Rn. 44, zitiert jeweils nach juris). Da Anknüpfungspunkt für die Angemessenheitsprüfung nach §
198 Abs.
1 Satz 1 und Abs.
6 Nr.
1 GVG das Verfahren von seiner Einleitung bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss insgesamt ist, geht der Senat in ständiger Rechtsprechung
(vgl. z.B. Urteil vom 25.02.2016 – L 37 SF 128/14 EK AL -, juris, Rn. 58) davon aus, dass insoweit eine instanzübergreifende Betrachtung zu erfolgen hat und in einem erstinstanzlichen
Verfahren aufgetretene Verzögerungen noch durch die zügige Bearbeitung im Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren zu kompensieren
sind sowie umgekehrt im Falle einer sehr zügigen Bearbeitung einer Sache vor dem Sozialgericht das zweitinstanzliche Verfahren
entsprechend länger dauern kann. Dabei können die dem jeweiligen Gericht für seinen Verfahrensabschnitt zur Verfügung stehenden
Vorbereitungs- und Bedenkzeiten zur Überzeugung des Senats vollumfänglich auf das Verfahren der jeweils anderen Instanz übertragen
werden, soweit sie nicht "aufgebraucht" sind. Übertragen auf das hier streitgegenständliche Erinnerungsverfahren bedeutet
dies:
aa) Kriterien, die es rechtfertigen würden, für ein von einer Richterin/einem Richter zu bearbeitendes Erinnerungsverfahren
von einer geringeren als der den Gerichten regelmäßig zustehenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit im Umfang von zwölf Monaten
auszugehen, vermag der Senat unter Berücksichtigung der Bedeutung des Streitgegenstandes, die eine bevorzugte Erledigung dieser
Verfahren nicht geboten erscheinen lässt, nicht zu erkennen. Bei einem Erinnerungsverfahren handelt es sich vielmehr – anders
als z.B. bei einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren - um ein dem Hauptsacheverfahren nachfolgendes Kostenverfahren mit einem
in der Regel eher geringen Streitwert, dem im Vergleich zu den sonstigen richterlich zu bearbeitenden Fällen eine eher untergeordnete
Bedeutung beizumessen ist. Dies gilt auch für das streitgegenständliche Verfahren, in dem der Kläger als Rechtsanwalt eine
Vergütung in Höhe weiterer 446,25 € begehrt hat. Allerdings können durchaus auch diese Verfahren für die bearbeitenden Richterinnen
und Richter schwierigere Rechtsfragen aufwerfen. So geht der Kläger hier selbst davon aus, dass bislang in der Rechtsprechung
nicht hinreichend geklärte Fragen zu entscheiden waren. Umgekehrt weisen Erinnerungsverfahren im Vergleich zu typischen sozialgerichtlichen
Hauptsacheverfahren eine eher geringe Komplexität auf, sind jedenfalls nicht von Ermittlungen oder üblicherweise – und so
auch vorliegend - dem intensiven Austausch von Schriftsätzen geprägt. Der Senat sieht daher auch keine Gründe, die es rechtfertigen
würden, zum Nachteil eines Erinnerungsführers von einer längeren als zwölfmonatigen Bearbeitungs- und Bedenkzeit auszugehen.
Er geht vielmehr davon aus, dass den Gerichten für Erinnerungsverfahren in der Regel – und so auch vorliegend – eine Vorbereitungs-
und Bedenkzeit im Umfang von zwölf Monaten zusteht (so auch: Sächsisches LSG, Urteil vom 22.01.2018 – L 1 SF 45/16 EK – Rn. 67 und Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteile vom 30.11.2018 – L 12 SF 71/17 EK - Rn. 40 sowie – L 12 SF 67/17 EK - Rn. 34, a.A.– nur sechs Monate -: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.11.2015 – L 12 SF 23/14 EK AS –, Rn. 19, vgl. auch: Hessisches LSG, Urteil vom 01.08.2018 – L 6 SF 2/18 EK SB - Rn. 47: Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren zusammen zwölf Monate, alle zitiert nach juris).
bb) Da ein Erinnerungsverfahren weiter nicht isoliert steht, sondern sich regelmäßig an eine Kostenfestsetzung wie z.B. hier
im PKH-Vergütungsverfahren anschließt, es sich mithin auch insoweit um ein – vergleichbar z.B. dem Klage- und Beschwerdeverfahren
- zweistufiges Verfahren handelt, sieht der Senat schließlich keine Veranlassung, von der – wie oben ausgeführt – von ihm
regelmäßig angenommenen Kompensationsmöglichkeit abzuweichen. Denn auch wenn in einem PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungs-
und Erinnerungsverfahren Angehörige eines einzigen Gerichts tätig werden und der Rechtsbehelf keinen Devolutiveffekt hat,
ändert dies nichts daran, dass zunächst durch eine Urkundsbeamtin/einen Urkundsbeamten eine Entscheidung über die Höhe der
Vergütung/zu erstattenden Kosten getroffen und sodann – auf den Rechtsbehelf hin – deren/dessen Entscheidung durch eine Richterin/einen
Richter überprüft wird.
cc) Allerdings hält der Senat es mit Blick auf ein PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungsverfahren nicht für angemessen, von einer
Vorbereitungs- und Bedenkzeit von mehr als in der Regel drei Monaten auszugehen (so auch: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil
vom 11.11.2015 – L 12 SF 23/14 EK AS – Rn. 18, LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.06.2016 – L 12 SF 9/14 EK AS – Rn. 14 ff., LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22.02.2017 – L 12 SF 39/15 EK AS – Rn. 13 ff., 16, Sächsisches LSG, Urteil vom 22.01.2018 – L 11 SF 45/16 EK – Rn. 66, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.07.2019 – L 2 SF 1441/19 EK AS – Rn. 29, alle zitiert nach juris). Die personelle Ausstattung der Gerichte muss vielmehr im nichtrichterlichen Bereich
zu seiner Überzeugung so gestaltet sein, dass es den Urkundsbeamten grundsätzlich möglich ist, dem verständlichen Wunsch ehemaliger
Beteiligter eines gerichtlichen Klage- oder Antragsverfahrens auf zügige Erstattung der ihnen im Laufe dieses Verfahrens entstandenen
Kosten zügig zu entsprechen. Hierzu gehört es, dass es nicht erforderlich sein darf, einen Vergütungs-/Kostenfestsetzungsantrag
um mehr als drei Monate zurückzustellen.
dd) Vorliegend bedeutet dies, dass von den aufgetretenen 24 Kalendermonaten der gerichtlichen Inaktivität letztlich nur neun
als entschädigungsrelevant anzusehen sind. Denn im Laufe des mit dem Antrag vom 06. Dezember 2017 eingeleiteten und durch
zwei Tage später zugestellten Beschluss der Urkundsbeamtin vom 21. Februar 2018 abgeschlossenen PKH-Vergütungsverfahren sind
keine dem Beklagten anzulastenden Verzögerungen aufgetreten. Im Gegenteil wurde in diesem Verfahren wenige Tage nach Antragseingang
im Dezember 2017 ein rechtlicher Hinweis erteilt und dem ursprünglichen Beklagten – dem Jobcenter – Gelegenheit zur Stellungnahme
eingeräumt. Ob dies im Hinblick auf das hier wesentliche PKH-Vergütungsverfahren erforderlich war, kann dahinstehen. Denn
das Entschädigungsgericht hat das Handeln des Ausgangsgerichts keiner rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen, vielmehr zu
beachten, dass die Prozessordnung dem Ausgangsgericht ein weites Ermessen bei seiner Entscheidung darüber einräumt, wie es
das Verfahren gestaltet und leitet. Die richtige Ausübung dieses Ermessens ist vom Entschädigungsgericht allein unter dem
Gesichtspunkt zu prüfen, ob das Ausgangsgericht bei seiner Prozessleitung Bedeutung und Tragweite des Menschenrechts aus Art.
6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. des Grundrechts aus Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz (
GG) in der konkreten prozessualen Situation hinreichend beachtet und fehlerfrei gegen das Ziel einer möglichst richtigen Entscheidung
abgewogen hat (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 36, B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 39, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 43 und – B 10 ÜG 2/14
R – Rn. 42 sowie vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 39, jeweils zitiert nach juris). Dass das Sozialgericht dem Jobcenter,
das sich zur hälftigen Übernahme der außergerichtlichen Kosten bereit erklärt hatte, in diesem frühen Verfahrensstadium Gelegenheit
zur Stellungnahme (auch) mit Blick auf das PKH-Vergütungsverfahren gegeben und dieses nach Ablauf der ihm gewährten Frist
im Januar 2018 umgehend erinnert hat, ist keinesfalls offensichtlich sachwidrig. Denn auch wenn der Kläger eine vollständige
Vergütung für das Klageverfahren durch den Beklagten beantragt hatte, stand letztlich die Geltendmachung eines Forderungsübergangs
zu erwarten. Nach weiterem Austausch von Schriftsätzen noch im Januar erfolgte die Festsetzung der Vergütung sodann im Februar
2018. Von den für diesen Verfahrensabschnitt zur Verfügung stehenden drei Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit wurde mithin
kein einziger Monat in Anspruch genommen, sodass diese Zeit vollumfänglich zur Kompensation zur Verfügung steht.
2. Dies heißt jedoch nicht, dass dem Kläger eine finanzielle Entschädigung für neun Kalendermonate zusteht. Denn zwar nimmt
der Senat nicht an, dass die gesetzliche Vermutung des Eintritts eines Nachteils (vgl. §
198 Abs.
2 Satz 1
GVG) widerlegt ist. Wohl aber geht er mit Blick auf die allein geltend gemachte Entschädigung für den erlittenen immateriellen
Nachteil davon aus, dass eine Entschädigung insoweit nicht erforderlich ist, vielmehr eine Wiedergutmachung auf andere Weise
gemäß §
198 Abs.
4, Abs.
2 Satz 2
GVG ausreichend ist.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 und Art. 41 EMRK kommt eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens zwar nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn das
zu beurteilende Verfahren sich durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher oder rechtlicher
Hinsicht von vergleichbaren Fällen abhebt (vgl. BSG Urteil vom 12.02.2015 – B 10 ÜG 11/13 R -, juris, Rn. 36). Vom Vorliegen derartiger Besonderheiten ist der Senat vorliegend
jedoch überzeugt. Mit dem Bundessozialgericht geht er davon aus, dass ein Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren nach
Erledigung des vorangegangenen Hauptsacheverfahrens für die Beteiligten im Allgemeinen von nur noch untergeordneter Bedeutung
ist (vgl. BSG, Urteile vom 10.07.2014 – B 10 ÜG 8/13 R – Rn. 31 und vom 12.12.2019 – B 10 ÜG 3/19 R – Rn. 40, zitiert jeweils nach juris).
Anderes kann weder für ein auf ein PKH-Vergütungsverfahren folgendes Erinnerungsverfahren im Allgemeinen noch im vorliegenden
Fall gelten.
Auch wenn der Senat durchaus nachvollziehen kann, dass es für Rechtsanwälte ein Ärgernis darstellt, wenn sie aufgrund verzögerter
Bearbeitung ihrer Kostenangelegenheiten lange auf ihre Vergütung warten müssen, vermag er nicht zu erkennen, dass hier – jedenfalls
typischerweise – Fallkonstellationen vorlägen, für die der Gesetzgeber die Gewährung einer finanziellen Entschädigung im Auge
hatte. Mit den Regelungen der §§
198 ff.
GVG strebt dieser eine Kompensation von Verstößen gegen Grund-/Menschenrechte an, und nach seinen Vorstellungen gehört zu den
zu kompensierenden immateriellen Nachteilen eines überlangen Verfahrens insbesondere die durch die Unangemessenheit der Verfahrensdauer
verursachte seelische Unbill auf Seiten des Klägers (Gesetzesentwurf BT-Drucks 17/3802, S. 19). Dass Rechtsanwälte als Organe
der Rechtspflege, deren beruflicher Alltag gerade vom Führen von Prozessen geprägt ist und die wissen, wie ein Verfahren vor
Gericht typischerweise abläuft, durch die Dauer eines gerichtlichen PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahrens
in auch nur annähernd vergleichbarem Maße wie juristische Laien in Hauptsacheverfahren seelisch belastet werden, dürfte in
aller Regel nicht anzunehmen sein. Jedenfalls geht der Senat im vorliegenden Fall nicht davon aus, dass der Kläger vergleichbaren
Belastungen ausgesetzt war.
Soweit der Kläger geltend macht, für ihn stelle es jeweils ein Ärgernis dar, wenn er einerseits die Schwierigkeit und den
Umfang seiner Tätigkeit im Hauptsacheverfahren bei der Festsetzung seiner Vergütung nicht hinreichend gewürdigt sehe und das
Gericht andererseits nach zwei Jahren Dauer des Erinnerungsverfahrens einen das Verfahren abschließenden Beschluss mit einer
nur dürren Begründung versehe, macht er Umstände geltend, die letztlich nichts mit der Dauer des Erinnerungsverfahrens, sondern
zum einen mit dem nur eingeschränkten Erfolg seines Vergütungsantrages und zum anderen der Qualität der richterlichen Entscheidung
zu tun haben. Sinn und Zweck des Entschädigungsverfahrens ist es jedoch gerade nicht, einen Ausgleich für das im eigentlichen
Verfahren nicht Erlangte zu verschaffen oder eine richterliche Entscheidung möglicherweise nur geringer Qualität zu kompensieren.
Ebenso wenig vermag der Senat die behauptete erhebliche wirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu erkennen.
Der Kläger hat als Rechtsanwalt im streitgegenständlichen Erinnerungsverfahren eine weitergehende Vergütung in Höhe von 446,25
€ verfolgt. Davon, dass es sich hierbei um einen für ihn erheblichen, gar seine Berufsausübungsfreiheit i.S.d. Art.
12 GG tangierenden Betrag handeln könnte, vermag sich der Senat nicht zu überzeugen. Insbesondere wird dies von dem Kläger auch
selbst nicht nachvollziehbar dargetan. Nachdem er vielmehr bereits im Erinnerungsverfahren nicht auf besondere Umstände hingewiesen
hatte, die die Angelegenheit für ihn als von wesentlicher Bedeutung erscheinen ließen (vgl. zu diesem Rechtsgedanken §
198 Abs.
3 Satz 3 und
4 GVG), hat er auch im Entschädigungsverfahren nicht dargetan, warum gerade dieses einzelne Verfahren für ihn von derartiger Bedeutung
gewesen sein sollte. Ebenso wenig hat er nachvollziehbar dargelegt, warum sich womöglich aufgrund der Vielzahl von ihm geführter
Kostenfestsetzungs-/PKH-Vergütungs- und Erinnerungsverfahren diese als bedeutsam darstellen könnten. Jedenfalls vermag der
Senat - unabhängig davon, ob er überhaupt weitere vom Kläger geführte Verfahren in die Bewertung einbeziehen könnte -, nicht
festzustellen, dass die Gesamtzahl der vom Kläger vor dem Senat zu diesem Themenkomplex anhängig gemachten Verfahren einen
Umfang hat, der es nahelegen würde, dass die verzögerte Bearbeitung des Erinnerungsverfahrens für ihn erhebliche nachteilige
Wirkungen gehabt haben könnte. Unabhängig davon, ob derartige Aspekte überhaupt für die Frage, ob ein immaterieller Nachteil
durch Zahlung einer Entschädigung zu kompensieren ist, von Bedeutung sein können, ist schließlich im hiesigen Verfahren auch
zu beachten, dass der Kläger im Erinnerungsverfahren gerade keinen Erfolg hatte, sodass dessen Dauer auf seine wirtschaftliche
Situation keinerlei Auswirkungen hatte, insbesondere nicht zu einem Zinsverlust hat führen oder gar eine nur verspätete Rückzahlung
von Krediten hat nötig machen können. Selbst wenn das streitgegenständliche Verfahren innerhalb weniger Tage zum Abschluss
gebracht worden wäre, hätte dies an der finanziellen Situation des Klägers nichts geändert. Letztlich befindet der Kläger
sich im PKH-Vergütungs-/Kostenfestsetzungs- und Erinnerungsverfahren in einer einem Unternehmer vergleichbaren Situation,
der versucht, eine (vermeintliche) Forderung durchzusetzen. Dabei hat der Kläger den Vorteil, dass er mit dem Staat einen
möglicherweise säumigen, aber letztlich solventen „Vertragspartner“ hat, sodass durch die verzögerte Bearbeitung der Angelegenheit
auch nicht droht, eine letztlich zwar bestehende Forderung nicht durchsetzen zu können.
II. Auch mit seinem auf gerichtliche Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer gerichteten Hilfsantrag kann der
Kläger nicht durchdringen. Denn zur Überzeugung des Senats ist dieser so genannte kleine Entschädigungsanspruch (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 – B 10 ÜG 2/13 R – Rn. 57 und vom 15.12.2015 – B 10 ÜG 1/15 R – Rn. 15 f., zitiert jeweils nach juris)
vorliegend bereits erfüllt.
Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des §
198 Abs.
2 Satz 2, Abs.
4 GVG ist in den Fällen, in denen nach den Umständen des Einzelfalles die Gewährung einer Entschädigung nicht erforderlich ist,
Wiedergutmachung auf andere Weise, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer
unangemessen war, möglich. Die gerichtliche Feststellung stellt mithin nur eine Form der Wiedergutmachung auf andere Weise
dar. Sie kann in der Praxis hingegen auf vielfältige Art erfolgen. Denkbar sind dabei verschiedene Arten einer nichtfinanziellen
Genugtuung, beispielsweise der Verweis auf bereits erfolgte dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen, eine Aussprache beim Gerichtspräsidenten
mit einer Erläuterung der Belastungssituation des Gerichts oder auch eine Entschuldigung von Seiten des Beklagten (Ott in
Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, §
198 GVG Rn. 159 f. m.w.N.). Vorliegend hat der – den Beklagten im vorprozessualen Verfahren vertretende - Präsident des Sozialgerichts
Berlin auf den an ihn vor Einleitung des Klageverfahrens herangetragenen Entschädigungsanspruch hin mit Schreiben an den Kläger
vom 30. Juni 2020 ausdrücklich eine überlange Dauer des Erinnerungsverfahrens anerkannt und hierüber im eigenen sowie im Namen
des Beklagten sein Bedauern zum Ausdruck gebracht. Zur Überzeugung des Senats ist damit der kleine Entschädigungsanspruch
erfüllt. Er vermag keinen Grund zu erkennen, der es erfordern könnte, darüber hinaus nunmehr auch noch gerichtlich festzustellen,
dass das Verfahren eine unangemessene Dauer aufwies. Dass dies für den Kläger einen im hiesigen Verfahren beachtenswerten
Mehrwert haben sollte, hat bereits der Kläger selbst nicht nachvollziehbar geltend gemacht und ist auch sonst für den Senat
nicht erkennbar.
Anlass, die Revision nach §§
160 Abs.
2,
202 Satz 2
SGG,
201 Abs.
2 Satz 3
GVG zuzulassen, bestand nicht.