Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens
Kein Amtshaftungsanspruch
Sachlich zuständiges Gericht
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Zahlung einer Entschädigung wegen der Dauer des Entschädigungsklageverfahrens - L 37 SF 116/14 EK AS - (Ausgangsverfahren).
Die Kläger erhoben im Ausgangsverfahren am 13. Mai 2014 Klage wegen überlanger Dauer des beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg
- von den Klägern zu 2. und 3. - geführten Berufungsverfahrens - L 5 AS 1957/11 -, mit der sie eine Entschädigung iHv 3.000,- EUR pro Kläger begehren. Das Ausgangsgericht bewilligte den Klägern zu 2. und
3. nach Maßgabe des Beschlusses vom 30. Januar 2015 Prozesskostenhilfe (PKH) mWv 14. Mai 2014 hinsichtlich einer Entschädigung
iHv jeweils 800,- EUR. Den nach §§ 12, 12a Gerichtskostengesetz (GKG) angeforderten Gerichtskostenvorschuss entrichteten die Kläger im Ausgangsverfahren bislang nicht.
Nach mit Schreiben vom 27. September 2015 erhobener Verzögerungsrüge haben die Kläger am 30. März 2016 beim LSG eine Entschädigungsklage
eingereicht, mit der sie "Kompensationszahlungen" iHv jeweils 100,- EUR,- monatlich "ab September 2015" wegen einer überlangen
Dauer des Ausgangsverfahrens geltend machen.
Die Kläger, die im Verhandlungstermin keinen Prozessantrag gestellt haben, beantragen nach ihrem Vorbringen,
den Beklagten zu verurteilen, an sie jeweils 1.600,- EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er sieht eine entschädigungspflichtige Verzögerung im Ausgangsverfahren schon deshalb nicht, weil die Kläger dort den erforderlichen
Gerichtskostenvorschuss nicht entrichtet hätten.
Die Gerichtsakte und die Akten des Ausgangsverfahrens haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist bereits unzulässig und war daher abzuweisen.
Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§
198 ff.
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) sowie die §§
183,
197a und
202 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl I S 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der
Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl I S 2554). Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger
Verfahrensdauer handelt es sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch iSv Art.
34 Grundgesetz (
GG). Es ist daher nicht der ordentliche Rechtsweg, sondern vorliegend der zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
Denn die grundsätzlich in §
201 Abs.
1 Satz 1
GVG vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren
durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in §
202 Satz 2
SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des
GVG (§§
198-
201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das LSG, an die Stelle des Bundesgerichtshofs
das Bundessozialgericht (BSG) und an die Stelle der
Zivilprozessordnung das
SGG tritt. Für die Entscheidung über die Klage ist daher das LSG Berlin-Brandenburg zuständig.
Richtiger Beklagter ist das Land Brandenburg. Nach §
200 Satz 1
GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Da das LSG Berlin-Brandenburg
gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und
Brandenburg vom 26. April 2004 (GVBl für Berlin 2004, 380 bzw GVBl Brandenburg I S 283 ff.) - Staatsvertrag - ein gemeinsames
Fachobergericht der Bundesländer Berlin und Brandenburg ist, seinen Sitz aber im Land Brandenburg hat, lässt sich dem Wortlaut
des §
200 Satz 1
GVG unmittelbar keine Bestimmung des richtigen Beklagten entnehmen. Der Senat folgt insoweit jedoch dem Bundesfinanzhof (BFH),
der für das Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter Berufung auf die im Wesentlichen auf die Gesetzesmaterialien zum Staatsvertrag
sowie die einfachere staatsrechtliche Handhabbarkeit abstellenden Ausführungen des VerfGH des Landes Berlin im Beschluss vom 19. Dezember 2006 (- 45/06 - juris, Rn 23 ff) sowie auf die Beschlüsse des Verfassungsgerichts
des Landes Brandenburg vom 10. Mai 2007 (- 8/07 - juris - Rn 14 ff) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. Juli
2006 (- 2 BvR 1058/05 - juris - Rn 22 ff) davon ausgegangen ist, dass maßgeblich nicht das Sitzprinzip sei, sondern die gemeinsamen Fachobergerichte
der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes ausübten, aus dem das Ausgangsverfahren
stamme (vgl BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - juris). Vorliegend handelt es sich bei dem Ausgangsverfahren um ein Entschädigungsklageverfahren beim LSG Berlin-Brandenburg.
Dieses übt im gerügten Entschädigungsverfahren Rechtsprechungsgewalt des Landes Brandenburg aus, das damit Anspruchsgegner
im Entschädigungsklageverfahren ist.
Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes auf die Präsidentin des LSG Berlin-Brandenburg ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich
(vgl BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris).
Die Klage ist auch als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG iVm §
202 Satz 2
SGG sind die Vorschriften des
SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß §
54 Abs.
5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn
ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Kläger machen angesichts der Regelung des §
198 GVG geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung iSv §
54 Abs.
5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben (vgl BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL = SozR 4-1720 § 198 Nr 1). Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach
dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl §
198 Abs.
5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz
1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger
geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch
eine Verpflichtung handelt.
Indes ist die Klage unzulässig, weil sie nicht form- und fristgerecht nach Ablauf von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge
(vgl §
198 Abs.
5 Satz 1
GVG) eingereicht worden ist. Der Betroffene ist gehalten (haftungsbegründende Obliegenheit), eine Verzögerungsrüge nach §
198 Abs.
3 Satz 1 und
2 GVG wirksam zu erheben (vgl BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13 = NJW 2014, 939 Rn. 27 ff. Für den frühestmöglichen Rügetermin verlangt das Gesetz einen (konkreten) Anlass zu der Besorgnis, dass das Verfahren
nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden kann (vgl §
198 Abs.
3 Satz 2
GVG). Die Verzögerungsrüge vom 27. September 2015 entspricht nicht diesen Anforde-rungen. Denn eine Besorgnis, dass das Ausgangsverfahren
unangemessen verzögert sein bzw werden könnte, bestand seinerzeit und auch derzeit schon deshalb nicht, weil das Nichtbetreiben
des Ausgangsverfahrens allein von den Klägern zu vertreten ist. Diese haben die bereits zum Zeitpunkt der Einreichung der
Klage nach §
197a Abs.
1 SGG iVm § 6 Abs. 1 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) fälligen Gerichtskostenvorschüsse nach den §§ 12,12a GKG (vgl die Kostenrechnungen vom 28. Mai 2014) bislang nicht eingezahlt; PKH wurde den Klägern zu 2. und 3. für das Ausgangsverfahren
erst mWv 14. Mai 2014 bewilligt.
Selbst wenn von einer Zulässigkeit der Klage auszugehen wäre, für die der Abschluss des Ausgangsverfahrens keine Voraussetzung
ist, wäre die Klage indes nicht begründet. Soweit der Kläger zu 1. betroffen ist, folgt dies bereits daraus, dass dieser ohnehin
nicht Beteiligter des im Ausgangsverfahren gerügten Verfahrens - L 5 AS 1957/11 - war und daher in Verfahrensrechten insoweit von vornherein nicht betroffen sein kann. Im Übrigen ist aus den dargelegten
Erwägungen eine unangemessene Dauer des Ausgangsverfahrens nicht ansatzweise erkennbar. Das Ausgangsgericht hat über den PKH-Antrag
mit Beschluss vom 30. Januar 2015 entschieden. Unter demselben Datum wurden die Kläger darauf hingewiesen, dass die festgesetzten
Gerichtskostenvorschüsse weiterhin einzuzahlen seien und dem Verfahren erst bei Eingang der entsprechenden Zahlungen Fortgang
gewährt werde. Die seither eingetretenen Zeiten der Inaktivität des Ausgangsgerichts sind somit allein den Klägern anzulasten.
Damit bestehen weder ein Entschädigungs- noch ein Zinsanspruch. Es bestand mithin auch kein Raum für eine gesonderte Feststellung
einer überlangen Verfahrensdauer, und zwar auch nicht insoweit, als die Klage mangels Einhaltung der Wartefrist nicht zulässig
ist (vgl §
198 Abs.
4 Satz 3 Halbs 3
GVG). Denn auch diesbezüglich ist eine unangemessene Verfahrensdauer im Hinblick auf die oben gemachten Ausführungen nicht feststellbar.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.
Die Streitwertentscheidung folgt aus §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG iVm § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und 3 GKG.