Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur BKV bei Silikose in der gesetzlichen Unfallversicherung, Kausalzusammenhang
Tatbestand:
Streitig sind die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 4101 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) - Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) - und die Gewährung von Entschädigungsleistungen.
Der 1947 geborene Kläger machte im Jahr 1953 eine Lungentuberkulose durch, die sechs Monate lang stationär in der Schweiz
behandelt wurde und nach seinen Angaben folgenlos ausheilte. Vom 01. Oktober 1965 bis zum 30. September 1968 absolvierte er
eine Maurerlehre. In den folgenden Jahren war er bis Juni 2000 als Ausbaumaurer bei verschiedenen Unternehmen beschäftigt.
Anschließend war er arbeitslos. Von 1962 bis 1980 war er Raucher. Seit dem 01. Oktober 2005 bezieht er Rente wegen Erwerbsminderung
aufgrund eines Morbus Bechterew. Nach seinen Angaben leidet er seit 1982 an Kurzatmigkeit, Husten, Bronchialasthma und mangelnder
Durchblutung der rechten Lungenhälfte.
Am 23. Januar 2006 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit durch den den Kläger behandelnden
Internisten und Pulmologen Dr. E ein. Dieser äußerte darin einen Verdacht auf eine Silikose. Die Beklagte zog daraufhin verschiedene
medizinische Unterlagen, unter anderem Röntgenbefunde des Thorax vom 27. Juni 2003 und 17. Januar 2006, CT-Befunde des Thorax
vom 07. Oktober 1992, 09. März 1999, 07. Juli 2003 und 02. Dezember 2005, die den Befunden zugrunde liegenden Röntgen- und
CT-Aufnahmen, den Befund einer Lungeninhalations- und Perfusionsszintigrafie vom 27. Juni 2003 sowie Befunde arbeitsmedizinischer
Untersuchungen des AMD der Bau-Berufsgenossenschaft Hannover vom 12. Oktober 1994 und 18. November 1996 bei. In einer von
der Beklagten angeforderten Stellungnahme vom 09. März 2006 verneinte der Facharzt für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin und Sozialmedizin
Dr. E einen Verdacht auf eine BK. Das Bild einer Quarzstaublunge mit insbesondere intrapulmonalen Quarzstaubgranulomen liege
nicht vor. Der röntgenologische Befund werde von zahlreichen verkalkten Lymphknoten im Mittelfeld, in den Lungenwurzeln und
auch im Oberbauch bestimmt, die ebenso wie die deutlichen Veränderungen der Lungenstruktur im Bereich des Mittellappens mit
ausgeprägter Blasenbildung und narbig-fibrotischer Umsetzung auf die vor Jahren abgelaufene Tuberkulose zurückzuführen seien.
Nachdem der Gewerbearzt Dr. S dieser Beurteilung am 05. April 2006 zugestimmt hatte, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
25. April 2006 die Gewährung von Entschädigung wegen einer BK nach Nr. 4101 der Anlage zur
BKV ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht zu gewähren, da die Voraussetzungen für eine BK nach Nr.
4101 der Anlage zur
BKV nicht erfüllt seien.
Seinen Widerspruch begründete der Kläger unter Vorlage eines Entlassungsberichts des V W Klinikums vom 04. April 2006, in
dem als Nebendiagnose eine interstitielle Lungenkrankheit (Silikose) aufgeführt wurde. Die Beklagte zog zunächst die dort
gefertigten Röntgenbilder des Thorax vom 30. März 2006 bei und legte sie Dr. E zur Stellungnahme vor. Dieser sah in seiner
Stellungnahme vom 12. Juni 2006 weiterhin keine Hinweise für eine Silikose. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte anschließend
die Ärztin für Lungenkrankheiten und Bronchialheilkunde Dr. L am 22. Juli 2006 nach Untersuchung des Klägers am 17. Juli 2006
ein Gutachten, in welchem sie ebenfalls zu dem Schluss gelangte, die röntgenologisch und computertomografisch dokumentierten
Veränderungen der Lunge seien nicht typisch für eine Lungensilikose. Es fehlten die charakteristischen scharf begrenzten kleinen
Rundherde insbesondere in den Ober- und Mittelfeldern. Die verkalkten Lymphome seien im Rahmen der stattgehabten Tuberkulose
zu interpretieren, eine Quarzstaublungenerkrankung i. S. d. BK Nr. 4101 liege nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.
September 2006 wies die Beklagte den Widerspruch schließlich zurück.
Hiergegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhoben und sich zur Begründung auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren gestützt.
Das SG hat die Akte zum Aktenzeichen S 25 U 222/98 betreffend einen Arbeitsunfall vom 06. Juni 1995 beigezogen, Übersichten der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers ab Januar
1993 von der AOK Berlin eingeholt und den Internisten und Facharzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. S mit der Untersuchung
des Klägers und Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem am 10. April 2007 fertig gestellten Gutachten ist dieser zu
dem Ergebnis gelangt, bei einem Vergleich des vorliegenden Bildmaterials mit der Standard-Bildsammlung der internationalen
Staublungenklassifikation (ILO) zeigten sich keine typischen Veränderungen einer Silikose im Sinne von rundlichen kleinen
Fleckschatten, hilären Verkalkungen oder Konglomeratverschwielungen. Die verkalkten hilären und mediastinalen Lymphome, die
narbige Schrumpfung im Bereich des Mittellappens mit Bildung sekundärer Bronchiektasen sowie die narbig-strangförmigen Verdichtungen
in beiden Oberlappen mit lateralen Verschwielungen seien zwanglos als posttuberkulöse Residuen in der prächemotherapeutischen
Ära zu interpretieren. Die spätere Entwicklung einer chronischen Bronchitis sei zum Teil der Defektheilung nach ausgedehnter
Lungentuberkulose geschuldet, zum Teil richtungweisend gebahnt durch einen langjährigen Tabakkonsum von 1962 bis 1980. Eine
Silikose liege nicht vor.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 03. Juli 2007 abgewiesen. Entschädigungsleistungen seien nicht zu erbringen, da eine
BK nach Nr. 4101 der Anlage zur
BKV nicht nachgewiesen sei. Ausweislich der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. S lägen keine typischen Zeichen
einer Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) vor. Dies stehe in Übereinstimmung mit den Erkenntnissen von Frau Dr. L und berücksichtige
die in der unfallmedizinischen Standardliteratur für die Diagnose einer Silikose zu fordernde Symptomatik bzw. röntgenologische
Befundsituation.
Mit seiner am 10. August 2007 bei dem SG Berlin eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren fort.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 03. Juli 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. April 2006 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung
einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur
BKV Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten sowie der Akte des SG Berlin zum Aktenzeichen S 25 U 222/98 verwiesen, die dem Senat in der mündlichen Verhandlung vorlagen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch
auf Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, denn eine BK nach Nr. 4101 der Anlage
zur
BKV liegt bei ihm nicht vor.
Nach §§
26 ff
Siebtes Sozialgesetzbuch (
SGB VII) gewährt der Träger der Unfallversicherung einem Versicherten nach Eintritt eines Versicherungsfalls Leistungen aus der Unfallversicherung.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§
7 Abs.
1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten
bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden (§
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Nach Nr.
4101 der Anlage zur
BKV (
BKV vom 31. Oktober 1997, BGBl. I S. 2623, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der
Berufskrankheitenverordnung vom 05. September 2002, BGBl. I S. 3541) gehört zu den BKen auch die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose). Dabei handelt es sich um eine Erkrankung an Lungenfibrose
durch Einatmung von Staub, welcher in unterschiedlichen Anteilen frei kristalline Kieselsäure enthält. Diese freie kristalline
Kieselsäure kommt im Wesentlichen als Quarz, Cristobalit oder Tridymit an zahlreichen Arbeitsplätzen vor (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, Anm. 17.2). Derartige Arbeitsplätze finden sich typischerweise im Steinkohlebergbau,
in der Natursteinindustrie, im Gießereiwesen, in der Glasindustrie, in der Email- und keramischen Industrie sowie bei der
Herstellung feuerfester Steine (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO., Anm. 17.2.1).
Der Tatbestand der BK ist erfüllt, wenn diese so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, die genannte Krankheit
(Silikose) vorliegt und wenn zwischen der beruflichen Belastung und der Krankheit ein Kausalzusammenhang besteht. Dabei müssen
die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und
Ausmaß im Sinne des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für
den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden
Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings
die bloße Möglichkeit - ausreicht (Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 22. August 2000 - B 2 U 34/99 R -, in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2).
Die Anerkennung einer Krankheit als BK setzt hiernach zwingend voraus, dass der Vollbeweis für das Vorliegen einer Silikose
erbracht worden sein muss. Die Krankheit als solche muss voll bewiesen sein, d.h. ihr Vorliegen muss mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit feststehen. Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur für den ursächlichen
Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung
und der Erkrankung (Urteil des BSG vom 31. Mai 2005 - B 2 U 12/04 R -, in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2). Lassen sich unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die den Anspruch begründenden
Tatsachen nicht nachweisen, gelingt insbesondere nicht der Nachweis des Vorliegens einer Krankheit im Sinne der geltend gemachten
BK, so geht dies nach dem auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten, wenn
er aus diesen Voraussetzungen eine für ihn günstige Rechtsfolge herleiten will (Urteile des BSG vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90 - und vom 12. Mai 1992 - 2 RU 26/91 -, in SozR 3-2200 § 548 Nrn. 11 und 14).
Es kann hier dahinstehen, ob der Kläger an seinen Arbeitsplätzen als Ausbaumaurer überhaupt der Einwirkung von Quarzstäuben
ausgesetzt war, denn dem Begehren des Klägers auf Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr. 4101 der Anlage zur
BKV steht bereits der fehlende Nachweis einer entsprechenden Krankheit entgegen. Der Senat verweist insoweit zur Vermeidung von
Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem Gerichtsbescheid vom 03. Juli 2007, insbesondere auf die dort vorgenommene eingehende Beweiswürdigung (§
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), der er nach eigener Prüfung in vollem Umfang folgt.
Zutreffend weisen das SG und die in den Fall involvierten medizinischen Gutachter Frau Dr. L sowie Dr. S darauf hin, dass der typische silikotische
Herd bei reiner Quarzstaubbelastung ein scharf abgegrenztes, konzentrisch geschichtetes hyalin-schwieliges Knötchen ist. Solche
Knötchen, und infolge des lymphogenen Abtransportes auch die hilären oder mediastinalen Lymphknoten, können verkalken (Eierschalensilikose;
vgl. hierzu das Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur BK Nr. 4101 unter II., Bekanntmachung des BMA vom 05. Februar
1998, BArbBl. 1998 Heft 4 S. 61). Die Diagnose ist nur aufgrund von Röntgenaufnahmen der Lunge unter besonderer Berücksichtigung
der Arbeitsanamnese einschließlich der Art und des Umfangs der Staubbelastung möglich. Die röntgenologisch nachweisbaren Veränderungen
werden nach der ILO 1980 (Deutsche Version) beschrieben und bewertet (vgl. hierzu o. g. Merkblatt unter III.). Diese Knötchen
oder Granulome entstehen dadurch, dass quarzhaltige Staubpartikel in geeigneter Größe in die kleinen Atemwege und die Lungenbläschen
eindringen, körpereigene Fresszellen sich diese Partikel dort einverleiben und den Staub in das Lungenstützgewebe sowie über
den Lymphfluss in die Lymphknoten transportieren. Im Verlaufe dieses Vorgangs gehen die Fresszellen durch Wirkung des Quarzes
zugrunde und setzen Entzündungsstoffe frei. Das Ergebnis ist eine fokale Entzündung - das silikotische Granulom -, bzw. nach
Abheilen der akuten Entzündung die für die Silikose typische Bindegewebsvermehrung - silikotisches Knötchen - (vgl. hierzu
Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO., Anm. 17.2.2).
An diesen typischen Knötchen fehlt es jedoch bei dem Kläger, so dass die Diagnose einer Silikose bei dem Kläger nicht gestellt
werden kann. Alle Gutachter haben in überzeugender und nachvollziehbarer Weise darauf hingewiesen, dass die vorhandenen nachweisbaren
röntgenologischen Veränderungen des Lungengewebes vielmehr auf die in der Kindheit durchgemachte Lungentuberkulose zurückzuführen
sind. Damals erfolgte keine antituberkulöse Chemotherapie moderner Art, da die entsprechenden Kenntnisse - worauf Dr. S hinweist
- noch nicht vorhanden waren. Die Ausheilung erfolgte daher unter Hinterlassung eines Defektzustandes, auch wenn sich hieraus
zunächst keine Beschwerden ergaben. Die spätere Entwicklung einer chronischen Bronchitis bzw. chronisch-obstruktiven Bronchitis
beruht auf diesem Defektzustand und der langjährigen Einwirkung des Tabakkonsums.
Soweit im V W Klinikum eine interstitielle Lungenkrankheit (Silikose) als Nebendiagnose benannt worden ist, entspricht dies
nicht den dargelegten Diagnosekriterien und berücksichtigt offensichtlich differentialdiagnostisch nicht die früh durchgemachte
Lungentuberkulose.
Die Berufung des Klägers konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.