Tatbestand:
Die Klägerin begehrt gegenüber der Beklagten die Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung.
Die Klägerin betreibt seit 1983 einen Bade- und Saunabetrieb. Mit Formschreiben vom 01. November 1988 teilte die Klägerin
der Beklagten unter Streichung bzw. Berichtigung der von der Beklagten voreingetragenen Unternehmen "a) Medizinischer Badebetrieb"
und "b) Restaurant" mit, dass ihr Unternehmen in einem "Sauna + Badebetrieb" besteht. Seit dem Umlagejahr 1996 führte die
Beklagte zur Beitragserhebung einen gewerbezweigorientierten Gefahrtarif ein. Sie veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom
28. Juni 1996 gemäß dem sog. Ersten Gefahrtarif ab Januar 1996 zur Gefahrtarifstelle 08 (Masseure, medizinische Bademeister,
Kurbäder; Strukturschlüssel 5000) mit der Gefahrklasse 7,50 und mit Bescheid vom 03. Juli 2001 gemäß dem sog. Zweiten Gefahrtarif
ab Januar 2001 zur gleichen Gefahrtarifstelle nun mit der Gefahrklasse 6,80. Weder gegen die Veranlagungsbescheide noch gegen
die Beitragsbescheide (vgl. etwa Bescheid vom 19. April 2002) erhob die Klägerin Widerspruch; sie führte die Beiträge, wie
festgesetzt, ab.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten u.a. die Überprüfung der Bescheide der vorangegangenen
Jahre, weil ihr aufgefallen sei, dass sie als Kurbetrieb mit Bademeistern und Masseuren angemeldet worden sei, obwohl es sich
hier aber um einen Saunabetrieb handele. Ferner beantragte sie die Beitragserstattung der Vorjahre.
Die Beklagte veranlagte die Klägerin mit Bescheiden vom 05. Februar 2007 nach dem ab dem 01. Januar 2007 geltenden sog. Dritten
Gefahrtarif (Masseure, medizinische Bademeister; Strukturschlüssel 5000) für Januar 2007 zur Gefahrtarifstelle 08, nun allerdings
mit der Gefahrklasse 6,50, und ab Februar 2007 zur Gefahrtarifstelle 07 (Saunabetriebe; Strukturschlüssel 6000) mit der Gefahrklasse
3,50. Die Klägerin erhob unter dem 01. März 2007 Widerspruch und hielt im Übrigen an ihrem Überprüfungsantrag fest. Die Beklagte
half dem Widerspruch mit Bescheid vom 30. Mai 2007 ab und veranlagte die Klägerin nun bereits ab Januar 2007 zur Gefahrtarifstelle
07.Des Weiteren teilte sie mit, dass die Veranlagung nach dem Ersten und Zweiten Gefahrtarif rückwirkend zu ändern istund
die Beitragsbescheide "innerhalb des Verjährungszeitraums nach § 27 Abs. 2
SGB VI zu berichtigen" sind. Die berichtigten Beitragsbescheide würden in Kürze zugeschickt. Mit Bescheiden von 14. Juni 2007 veranlagte
die Beklagte die Klägerin nach dem Zweiten Gefahrtarif ab Januar 2002 zur Gefahrtarifstelle 07 und setzte die Beiträge von
Januar 2002 bis Dezember 2006 nach der Gefahrklasse 3,40 neu fest. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag von insgesamt 16.416,21
€.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2007 wandte sich die Klägerin dagegen, dass dem Überprüfungsantrag rückwirkend lediglich für einen
Zeitraum bis einschließlich 2002 stattgegeben worden sei. Es sei bezüglich des davor liegenden Zeitraums keine Verjährung
eingetreten. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13. September 2006 - B 12 AL 1/05 R -, wonach ein Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge solange nicht nach § 27 Abs. 2 S. 1 des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs (
SGB VI) verjähre, als auf der Grundlage eines entsprechenden Verwaltungsaktes eine Rechtsgrundlage für die zu Unrecht entrichteten
Sozialversicherungsbeiträge bestanden habe; nach den Ausführungen des BSG entstehe ein Erstattungsanspruch erst mit Aufhebung der entsprechenden Bescheide, so dass auch erst ab diesem Zeitpunkt die
vierjährige Verjährungsfrist in Gang gesetzt werden könne. Mit Schreiben vom 11. September 2007 beschränkte die Klägerin ihr
Erstattungsbegehren auf die Jahre 1996 bis 2001.
Die Beklagte wies den Widerspruch wegen "Veranlagung zum Gefahrtarif und Beitragserhebung 1996-2001" mit Widerspruchsbescheid
vom 20. Februar 2008 als unbegründet zurück. Infolge der Verjährung der Rückerstattungsansprüche erfolge keine Korrektur der
Beitragsforderungen für die Umlagejahre 1996 bis 2001. Zwar habe es ihr, der Beklagten, oblegen, die Zuordnung zu den für
die Veranlagung relevanten Strukturschlüsseln so genau wie möglich zu prüfen. Da die Klägerin das Unternehmen mit einer korrekten
Unternehmensbezeichnung angemeldet habe, müsse sich die Beklagte die ursprünglich falsche Zuordnung sicherlich vorhalten lassen.
Andererseits hätte der Klägerin die falsche Zuordnung auffallen müssen. Sie sei gehalten gewesen, bei der korrekten Veranlagung
mitzuwirken. Da sie auf die von 1990 bis 1995 zur Prüfung des Strukturschlüssels übersandten Fragebögen und auf die Veranlagungsbescheide
zum Ersten und Zweiten Gefahrtarif der Beklagten nicht reagiert und auch in der Folge widerspruchslos Entgelte der Beschäftigten
unter dem für Massagepraxen zutreffenden Strukturschlüssel 5000 gemeldet habe, sei auch ihr der Vorwurf zu machen, zur unzutreffenden
Veranlagung beigetragen zu haben. Die Beklagte habe sich im vorliegenden Grenzfall im Rahmen der Abhilfeprüfung zugunsten
der Klägerin dafür entschieden, ihr eigenes Verschulden jedenfalls für den unverjährten Zeitraum der zweiten Tarifperiode
als wesentlich anzusehen und daher die Veranlagung rückwirkend zu ändern. Das von der Klägerin angeführte Urteil des BSG vom 13. September 2006 sei hier nicht einschlägig. Das Urteil sei zum Recht der Arbeitslosenversicherung ergangen, mithin
in einem Rechtsgebiet, in welchem Beiträge - anders als zur gesetzlichen Unfallversicherung - nicht per Beitragsbescheid geltend
gemacht würden. Vertrete man die Auffassung, der Veranlagungsbescheid verhindere wegen seiner falschen Feststellungen den
Beginn der Verjährungsfrist jedes darauf folgenden Beitragsbescheids, so könnte es in Veranlagungs- und Beitragsangelegenheiten
überhaupt nie zur Verjährung kommen. Ein solches Ergebnis liefe §
27 Abs.
2 SGB IV erkennbar zuwider.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 20. März 2008zum Sozialgericht Berlin (SG)erhobenen Klage weiterverfolgt und an ihrem bisherigen Vorbringen festgehalten. Ferner hat sie die Meinung vertreten, es
sei der Beklagten bereits nach Treu und Glauben verwehrt, für die Jahre 1996 bis 2001 die Erstattung vorzuenthalten, nachdem
die Beklagte in ihrem Abhilfebescheid vom 30. Mai 2007 das von ihr im Widerspruchsbescheid behauptete Mitverschulden der Klägerin
bezüglich der falschen Veranlagung und Beitragserhebung für die Jahre ab 2002 nicht als rechtlich relevant angesehen und die
überzahlten Beiträge erstattet habe. Davon abgesehen habe die Beklagte das ihr bei der Erhebung der Verjährungseinrede obliegende
Ermessen fehlerhaft ausgeübt.
Das SG hat - im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren - mit Urteil vom 22. August 2011 den Bescheid der Beklagten
vom 05. Februar 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 insoweit aufgehoben, als mit ihm die Erstattung
rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 abgelehnt wurde, die Beklagte hinsichtlich der Erstattung
rechtsgrundlos geleisteter Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, grundsätzlich stehe der Beklagten
die Verjährungseinrede zu. Das Urteil des BSG vom 13. September 2006 - B 12 AL 1/05 R - beanspruche für den vorliegenden Fall keine Geltung, weil ihm vom vorliegenden Fall abweichende Besonderheiten zugrunde
lägen. So sei es zum Recht der Arbeitslosenversicherung ergangen, also in einem Rechtsgebiet, in welchem Beiträge - anders
als hier - nicht in jährlichen Beitragsbescheiden festgesetzt würden. Eine Übertragung der vorgenannten Rechtsprechung auf
den vorliegenden Fall liefe auch dem Zweck der Verjährung zuwider, die Geltendmachung von Erstattungsansprüchen zeitlich zu
begrenzen. Es liege in der Erhebung der Verjährungseinrede auch keine unzulässige Rechtsausübung. Weder habe die Beklagte
die Beitragsabführung arglistig oder durch rechtswidrige Maßnahmen noch durch eine unrichtige Beratung herbeigeführt. Die
Beklagte habe jedoch das ihr bei der Frage der Erhebung der Verjährungseinrede zustehende Ermessen nicht rechtmäßig ausgeübt,
weshalb die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 30. August 2011 zugestellte Urteil am 23. September 2011 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin
der Meinung, dass sich die Grundsätze des Urteils des BSG vom 13. September 2006 auf den vorliegenden Fall übertragen ließen und demnach eine Verjährung noch nicht eingetreten sei.
Jedenfalls liege eine unzulässige Rechtsausübung vor, weil die überhöhte Beitragszahlung durch eine Pflichtverletzung des
Sozialversicherungsträgers zumindest mit verursacht worden sei. Abgesehen davon liege eine Ermessensreduzierung auf Null im
Sinne einer Nichterhebung der Verjährungseinrede vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. August 2011 abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 05. Februar 2007 in der
Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Februar 2008 insoweit aufzuheben, als mit ihm rechtsgrundlos erhobene Beiträge für
die Jahre 1996 bis 2001 nicht erstattet wurden, und die Beklagte zu verurteilen, rechtsgrundlos geleistete Beiträge, d.h.
solche, die nach einer Veranlagung zu einer unstreitig zu hohen Gefahrklasse geleistet wurden, für die Jahre 1996 bis 2001
zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Verjährungseinrede fest und weitere, durchsetzbare Erstattungsansprüche der Klägerin für ausgeschlossen.
Die Beklagte hat die Erstattung von Beiträgen für die Jahre 1996 bis 2001 mit Ausführungsbescheid vom 10. Oktober 2011 abgelehnt.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 29. Januar 2013und die Klägerin mit Schreiben vom 31. Januar 2013 einer Entscheidung ohne
mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten
hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Entgegen der wörtlichen Fassung des Berufungsantrags ist die Berufung gemäß §
123 SGG unter Zugrundelegung des klägerischen Gesamtvorbringens dahin auszulegen, dass die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts
Berlin vom 22. August 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. Mai 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom
20. Februar 2008 zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, die Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001
aufzuheben, die Klägerin für die Jahre 1996 bis 2001 zur Gefahrtarifstelle 07 (Saunabetriebe) zu veranlagen, die Beiträge
nach der jeweiligen Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 07 neu festzusetzen, und die Beklagte zu verurteilen, die hiernach
überzahlten Beiträge der Klägerin zu erstatten.
Der Bescheid vom 05. Februar 2007, welchen die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid und das SG im angefochtenen Urteil als für die Beitragserstattung für die Jahre 1996 bis 2001 verfahrensgegenständlich zugrunde gelegt
haben, enthält eben hierzu gar keine verwaltungsaktsmäßige Regelung i.S.v. § 31 S. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X), sondern regelt lediglich die Veranlagung ab dem 01. Januar 2007. Die mit Schreiben der Klägerin vom 16. Januar 2007 beantragte
Überprüfung der Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis 2001 wurde erst mit Bescheid vom 30. Mai 2007 abgelehnt.
Auch wenn der Widerspruchsbescheid sich in seinem Verfügungssatz ausdrücklich nur auf einen Widerspruch der Klägerin vom 01.
März 2007 sowie den Bescheid vom 05. Februar 2007 bezieht, so ist in ihm gleichwohl der hier maßgebliche, verfahrensgegenständliche
Widerspruchsbescheid zu sehen. Denn er erging auf das als Widerspruch zu wertende Schreiben der Klägerin vom 29. Juni 2007,
in welchem sie sich gegen die Ablehnung der Erstattung der Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 wandte, und es wurde mit ihm
der Sache nach eben jener Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Falschbezeichnung des Ausgangsbescheids und des
Widerspruchs ist unschädlich, weil der Widerspruchsbescheid in seinem Betreff ("wegen Veranlagung zum Gefahrtarif und Beitragserhebung
1996-2001") unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass hier das Verwaltungs- und Vorverfahren bezüglich der Beitragserstattung
für die Jahre 1996 bis 2001 zum Abschluss gebracht werden sollte.
Im formulierten Berufungsantrag unberücksichtigt bleibt zudem, dass der Erstattung der Beiträge die - von der Beklagten bislang
gerade noch nicht vorgenommene - Aufhebung der (unzutreffenden) Veranlagungs- und Beitragsbescheide für die Jahre 1996 bis
2001 logisch voranzugehen hat, was gleichsam vom klägerischen Gesamtvorbringen als mit umfasst anzusehen ist.
Die so verstandene Berufung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Die Berufung hat Erfolg, soweit die Beklagte zu verpflichten ist, die Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 neu zu berechnen,
d.h. neue Veranlagungs- und Beitragsbescheide zu erlassen.
Soweit das klägerische Begehren - wie gezeigt - auch die Verpflichtung der Beklagten zur Neuveranlagung und zum Erlass neuer
Beitragsbescheide umfasst, fehlt es hierfür zunächst nicht an einem Rechtsschutzinteresse.Der Ablauf der Verjährungsfrist
hat keinen Einfluss auf das Bestehen des Erstattungsanspruchs, sondern berechtigt den Versicherungsträger lediglich, die Erstattung
zu verweigern. Er hat über die Erhebung der Verjährungseinrede nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Obwohl die Beklagte
in dem vorliegenden Verfahren die Verjährungseinrede erhoben hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin im späteren
Rückabwicklungsverfahren Gründe vorzutragen vermag, die die Beklagte veranlassen, ihr Ermessen dahin auszuüben, auf die Einrede
der Verjährung zu verzichten (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 1988 - 2 RU 5/87 -, zitiert nach jurisRn. 29).
Der Anspruch der Klägerin auf Neuveranlagung folgt aus §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGB VII, wonach ein Veranlagungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben wird, soweit die Veranlagung zu einer zu hohen
Gefahrklassen von den Unternehmern nicht zu vertreten ist. Eben so liegt es hier. Der Sache nach besteht zwischen den Beteiligten
nachvollziehbar Einigkeit, dass die Klägerin für die Zeit von 1996 bis 2001 unzutreffend zu hoch veranlagt wurde. Statt zur
Gefahrtarifstelle 08 mit der Gefahrklasse 7,50 hätte sie unter dem Gefahrtarif 1996 zur Gefahrtarifstelle 07 mit der Gefahrklasse
4,40 und unter dem Gefahrtarif 2001 zur Gefahrtarifstelle 07 mit der Gefahrklasse3,40 veranlagt werden müssen. Diese Falschveranlagung
hat die Klägerin auch nicht im Sinne eines zumindest fahrlässigen Handelns zu vertreten. Anders als etwa § 44 Abs. 1 S. 2 SGB X, welcher eine Überprüfung bestandskräftiger Verwaltungsakte nur für den Fall vorsätzlich unrichtiger oder unvollständiger
Angaben ausschließt, vgl. hierzu sogleich, betont §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGB VII mit dem gesetzlich Merkmal "nicht zu vertreten" die Mitverantwortung des Unternehmers für eine Übereinstimmung von Veranlagung
und materieller Rechtslage und belastet ihn und nicht die Solidargemeinschaft mit den Folgen eigener Nachlässigkeit (Freischmidt,
in: Hauck,
SGB VII, 2. Band, Stand März 2013, §
160 Rn. 8). Die Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrklasse hat der Unternehmer demnach wiederum nicht zu vertreten, wenn er richtige
und vollständige Angaben gemacht hat und es zu einer Fehlbeurteilung des Unfallversicherungsträgers gekommen ist (Brinkmann,
in: Lehr- und Praxiskommentar [LPK]
SGB VII, 3. Aufl. 2011, §
160 Rn. 5). Gerade so liegt es hier. Bereits mit Formschreiben vom 01. November 1988, also lange vor der hier gegenständlichen
Veranlagung, teilte die Klägerin der Beklagten unter Streichung bzw. Berichtigung der voreingetragenen Unternehmen (medizinischer
Badebetrieb, Restaurant) mit, dass ihr Unternehmen in einem "Sauna + Badebetrieb" besteht. Allein das spätere Nichtprüfen
der Veranlagungs- und Beitragsbescheide durch die Klägerin führt vor diesem Hintergrund für sich betrachtet nicht zu einem
Vertretenmüssen i.S.v. §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGB VII.
Der Anspruch der Klägerin auf Aufhebung der Beitragsbescheide folgt aus § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig
angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen
zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden
ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nach § 44 Abs. 1 S. 2 SGB X nur dann nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig
oder unvollständig gemacht hat. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beitragsbescheide beruhten auf einer - wie gezeigt
- unzutreffenden Veranlagung und führten zu einer zu hohen Beitragsfestsetzung, nachdem die Klägerin zutreffende Angaben zu
ihrem Unternehmensgegenstand gemacht hatte. Soweit die Beklagte nun zur Aufhebung der bisherigen Veranlagungsbescheide zu
verpflichten ist, muss sie nun auch die Beiträge für die Jahre 1996 bis 2001 neu festsetzen.
Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht (im Übrigen) abgewiesen, soweit die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der für
1996 bis 2001 überzahlten Beiträge beantragt hat. Der Beklagten stand gegen den Erstattungsanspruch der Klägerin die Verjährungseinrede
zu.
Der Erstattungsanspruch der Klägerin folgt dem Grunde und der Höhe nach aus §
26 Abs.
2 SGB IV, wonach zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten sind, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung
des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden
sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. §
26 Abs.
2 1. Halbsatz Teilsatz 2
SGB IV (sog. Verfallklausel) ist in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht uneingeschränkt anwendbar. Eine Anwendung der Verfallklausel
scheidet mithin in Fällen - wie hier - aus, in denen sich die Rechtswidrigkeit der Beitragserhebung aus einer unrichtigen
Einstufung in die Gefahrklasse des Gefahrtarifs ergibt, weil es an jeder Form eines Zusammenhangs zwischen den zu erstattenden
Beiträgen und erbrachten oder zu erbringenden Leistungen fehlt (etwa BSG, Urteil vom 02. Februar 1999 - B 2 U 3/98 R -, zitiert nach jurisRn. 27).
Gegen den Erstattungsanspruch der Klägerin steht der Beklagten die Verjährungseinrede nach §
27 Abs.
2 S. 1
SGB IV grundsätzlich zu. Hierzu wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe zunächst gemäß §
153 Abs.
2 SGG abgesehen, weil die Berufung aus den insofern zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen
ist. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der 12. Senat des BSG in der in seinem Urteil vom 13. September 2006 - B 12 AL 1/05 R - angedeuteten Allgemeinheit in weiteren Entscheidungen selbst nicht daran festhält, den Verjährungsbeginn von der Entstehung
des Erstattungsanspruchs abhängig zu machen. Vielmehr hat er noch mit Urteil vom 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R -, jurisRn. 18 a.E. ausgeführt, dass auf die gerade hinsichtlich des Beginns spezialgesetzlich geregelte Verjährung von Beitragserstattungsansprüchen
(§
27 Abs.2 Satz 1
SGB IV) zivilrechtliche Grundsätze nicht übertragbar sind. Auch in der Folgezeit hielt der 12. Senat an seinen Ausführungen im Urteil
vom 13. September 2006 gerade nicht fest, vgl. zuletzt etwa BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 12 AL 2/11 R -, Terminbericht Nr. 52/13. So mag dem - auch im Bereich der Arbeitslosenversicherung, soweit ersichtlich, vereinzelt gebliebenen
- Urteil vom 13. September 2006 vielleicht noch der Grundsatz zu entnehmen sein, dass die Verjährung für eine Erstattung von
Beiträgen so lange nicht beginnen kann, als ein Verwaltungsakt über die Versicherungspflicht des betreffenden Arbeitnehmers
galt (so etwa Mette, in: Beck'scher Online-Kommentar Sozialrecht, Stand 01. September 2013, §
27 SGB IV Rn. 10).Dieser Grundsatz lässt sich jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, in welchem es um die Erstattung von
Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung geht. Dessen ungeachtet sprichtschon der eindeutige Wortlaut von §
27 Abs.
2 S. 1
SGB IV ("verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Beiträge entrichtet worden sind") dagegen, für den Verjährungsbeginn
auf einen späteren Zeitpunkt abzustellen. Bei der Auslegung der Norm bildet der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, dem besonderen
Sprachgebrauch des Gesetzes und dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn den Ausgangspunkt und
bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung (Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 2007, S. 163
ff.). Dementsprechend bewendet es ausgehend vom Wortlaut des §
27 Abs.
2 S. 1
SGB IV dabei, dass die Verjährung des Anspruchs auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Sozialversicherungsbeiträge auch schon vor
Entstehung des Anspruchs beginnen kann (so etwa BSG, Urteil vom 24. Juni 2010 - B 10 LW 4/09 R -, zitiert nach jurisRn. 13 f.; Urteil vom 26. Januar 1988 - 2 RU 5/87 -, zitiert nach jurisRn. 28).
Die Beklagte war an der Erhebung der Verjährungseinrede nicht etwa wegen unzulässiger Rechtsausübung gehindert. Zweck der
Verjährungsvorschriften ist es im Allgemeinen, dem Schuldner die Abwehr unbegründeter Ansprüche zu erleichtern, zumal die
Aufklärung der tatsächlichen Umstände im Laufe der Zeit erfahrungsgemäß immer schwieriger wird. Die Verjährung konkretisiert
Maximen von Treu und Glauben in Gestalt der allgemeinen Rücksichtnahmepflichten und erspart zugleich Beweiserhebungen. Darüber
hinaus dient sie der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden: Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und soll deshalb
vor einer Verdunklung der Rechtslage bewahrt bleiben, wie sie bei späterer Geltendmachung von Rechtsansprüchen auf Grund längst
vergangener Tatsachen zu befürchten wäre. Aber auch dort, wo über die tatsächlichen Verhältnisse keine Zweifel bestehen und
die Verjährung (offensichtlich) begründete Ansprüche betrifft, ist das Rechtsinstitut der Verjährung durch die Gedanken des
Schuldnerschutzes und des Rechtsfriedens, d.h. hier der Freiheit der Versichertengemeinschaft von unvorhergesehenen Belastungen,
gerechtfertigt. Tatsächliche Umstände, die lange Zeit unangefochten bestanden haben, sollen im Interesse des Rechtsfriedens
und der Rechtssicherheit als bestehend anerkannt werden. Die Unkenntnis des Berechtigten von seinem Anspruch und damit die
Möglichkeit, diesen (rechtzeitig) geltend zu machen, ist auch im Bereich der Beitragserstattung ohne Bedeutung. Denn es ist
nun einmal ein fundamentaler Grundsatz des Verjährungsrechts, dass eine solche Unkenntnis, die auch in vielen anderen Bereichen
unseres Rechtslebens zu beobachten ist, bei der Verjährung grundsätzlich unbeachtet bleiben muss. Zwar hat das Verjährungsrecht
des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) insoweit mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl. I 3138) für nach dem 31. Dezember
2001 begründete Schuldverhältnisse (vgl. Art. 229 § 5 des Einführungsgesetzes zum
BGB) eine grundsätzliche Rechtsänderung vollzogen, indem §
199 Abs.
1 BGB nunmehr neben der Entstehung des Anspruchs im Grundsatz (Ausnahmen vgl. insbesondere Abs. 3 aaO.) verlangt, dass der Gläubiger
von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit
erlangen müsste. Auf die gerade hinsichtlich des Beginns spezialgesetzlich geregelte Verjährung von Beitragserstattungsansprüchen
(§
27 Abs.2 Satz 1
SGB IV) sind diese Grundsätze indessen nicht übertragbar(nochmals BSG, Urteil vom 29. Juli 2003 - B 12 AL 1/02 R -, jurisRn. 17 f.).
Vor diesem Hintergrund sind keine Gründe zu erkennen, welche die Erhebung der Verjährungseinrede als treuwidrig erscheinen
lassen. Allein der Umstand, dass die Klägerin von der Beklagten zu einer unzutreffenden Gefahrtarifstelle veranlagt wurde,
löst ohne Hinzutreten weiterer Umstände wie etwa des Unterlassens einer sich aufdrängenden Beratung oder einer Falschberatung,
welche zu einer verspäteten Geltendmachung des Beitragserstattungsanspruchs führten, noch keine unzulässige Rechtsausübung
bei der Erhebung der Verjährungseinrede aus (vgl. etwa BSG, Urteil vom 12. Dezember 2007 - B 12 AL 1/06 R -, zitiert nach jurisRn. 13 f.). Für eben solche Umstände ist vorliegend nichts ersichtlich. Die Klägerin unterließ es -
schlichtweg ohne weiteres Zutun der Beklagten - über Jahre hinweg, den Beitragserstattungsanspruch geltend zu machen, obwohl
sie bei einfacher Durchsicht der unmissverständlich gefassten Veranlagungsbescheide (einschließlich der als Anlage übersandten
Gefahrtariftabellen, vgl. etwa Verweis auf die Anlage im Veranlagungsbescheid vom 03. Juli 1996) ohne Weiteres hätte feststellen
können, dass sie zu Unrecht veranlagt worden war, was sie schließlich auch von selbst erkannte. Dies hätte sogar unter den
insofern strengeren Maßstäben des Zivilrechts, vgl. §
199 Abs.
1 BGB unter dem Gesichtspunkt grober Fahrlässigkeit dazu führen können, dass die Verjährung bereits im Zeitpunkt der Entrichtung
der (zu hohen) Beiträge begonnen hätte. Soweit die Klägerin zur Untermauerung ihres Vorbringens auf Urteile des Landessozialgerichts
Baden-Württemberg vom 09. August 2007 - L 7 AL 1337/07 -, zitiert nach jurisRn. 21, und vom 19. Januar 2010 - L 13 AL 2894/09 -, zitiert nach jurisRn. 32,verweist, wonach im Recht der Arbeitslosenversicherung für eine unzulässige Rechtsausübung ausreichend
sein soll, dass die Beitragszahlung zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Bundesanstalt,
der Einzugsstelle oder des Trägers der Rentenversicherung beruht, d.h. die fehlerhafte Beitragszahlung von einer dieser Stellen
nachweislich verursacht worden sein muss, lässt sich dies nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, in welchem es um die
Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung geht.
Das der Beklagten bei der Erhebung der Verjährungseinrede eröffnete Ermessen war bereits aus den vorstehenden Gründen entgegen
der Meinung der Klägerin auch nicht dahingehend auf Null reduziert, wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falls von
der Erhebung der Verjährungseinrede abzusehen. Es bestehen vielmehr keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr zustehende
Ermessen nur in Gestalt eines Verzichts auf die Einrede der Verjährung ausüben durfte, wenn zwar einerseits die Falschveranlagung
der Klägerin durch die Beklagte auf einem in ihrer Sphäre liegenden Fehler beruhte, jedoch die Klägerin bereits beizeiten
ihre Falschveranlagung hätte erkennen können. Zudem zeigen die Gründe des angefochtenen Urteils eine Bandbreite hier anzustellender
Ermessenserwägungen auf, die gegen einen Verzicht auf die Verjährungseinrede sprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197aAbs.
1 S. 1 Hs. 3
SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 S. 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Teilobsiegen der Klägerin
im Berufungsverfahren letztlich angesichts des Umstands, dass sie mit ihrem auf Beitragserstattung gerichteten Kernbegehren
unterlegen ist, kaum ins Gewicht fällt.
Die Revision ist gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Es liegen klärungsbedürftige Rechtsfragen vor. Die Klärungsbedürftigkeit
besteht zum einen nach dem zuvor Gesagten bei der Frage nach dem Beginn der Verjährung gemäß §
27 Abs.
2 S. 1
SGB IV und zum Anderen bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Erhebung der Verjährungseinrede gegen die Geltendmachung
eines Anspruchs auf Erstattung von zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichteten Beiträgen eine unzulässige Rechtsausübung
darstellt.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß §
197a Abs.
1 S. 1 Hs. 1
SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 1 und 3, 47 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Höhe des Betrages der für die Jahre 1996 bis 2001 begehrten Beitragserstattung von insgesamt 31.045,71 € festzusetzen.