Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 27. Dezember 2007 als Arbeitsunfall.
Die 1984 geborene Klägerin ist gelernte Fachkraft für Brief- und Frachtverkehr. Zuletzt war sie beschäftigt bei der Firma
D D- und S-Gesellschaft mbH als Lagerarbeiterin im Möbellager. Am 27. Dezember 2007 war sie für die Bereitstellung von Kundenkommssionsware,
die Einlagerung und Warenannahme sowie Ausgabe von Ware und Entgegennahme von Reklamationen zuständig. Beim Heben und Verladen
hat sie sich nach ihren Angaben im Unfallfragebogen der D & H BKK vom 18. Februar 2008 verhoben, verrenkt, verzerrt und den
Nerv eingeklemmt. Am 28. Dezember 2007 stellte sie sich im Ukrankenhaus B vor, wo nach einer Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule
ein Lumbago diagnostiziert wurde (Durchgangsarztbericht vom 28. Dezember 2007). Wegen anhaltender Beschwerden wurde am 01.
April 2008 ein Kernspintomogramm (MRT) der Lendenwirbelsäule erstellt (Befund vom 02. April 2008), aus welchem sich ein breiter
dorsomedianer Bandscheibenvorfall bei L5/S1 bei Unauffälligkeit der übrigen Segmente ergab.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2008 lehnte die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung ab, da es sich bei dem Ereignis vom 27. Dezember 2007 nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Der
Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. In dem zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 03. Dezember 2008 wurde ergänzend
ausgeführt, es hätten keine Begleitverletzungen zu dem Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule festgestellt werden
können. Für die Anerkennung eines unfallbedingten Bandscheibenvorfalls müsse jedoch ein so erhebliches äußeres Ereignis auf
die Wirbelsäule eingewirkt haben, dass eher ein Wirbelkörper zerbreche, als dass eine Bandscheibe zerreiße. Eine derart schwerwiegende
Einwirkung auf die Wirbelsäule habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Der geltend gemachte Körperschaden sei dementsprechend
nicht auf das Ereignis vom 27. Dezember 2007 zurückzuführen.
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) hat die Klägerin geltend gemacht, sie habe bei dem Ereignis ein akutes Verhebetrauma erlitten. Dies habe ihr die Gutachterin
des ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit bestätigt. Die Klägerin hat einen Auszug des Gutachtens der Frau Dr.
P vom 05. September 2008 zur Akte gereicht.
Das SG hat die Klägerin mit Gerichtsbescheid vom 13. März 2009 abgewiesen, denn das Anheben bzw. Tragen von Möbelstücken stelle
eine arbeitsübliche, zielgerichtete und willensgesteuerte Handlung dar und werde nicht vom Unfallbegriff des §
8 Abs.
1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) erfasst.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren fortführt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Juni 2008 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. Dezember 2008 aufzuheben und festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 27.
Dezember 2007 um einen Arbeitsunfall handelt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unbegründet.
Durch Beschluss des Senats vom 30. Juli 2009 ist der Rechtsstreit gemäß §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Im Ergebnis zutreffend hat das SG einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung des Ereignisses vom 27. Dezember 2007 als Arbeitsunfall verneint.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§
54 Abs.
1,
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG zulässig. Das Gericht hat nach §
106 Abs.
1 SGG darauf hinzuwirken, dass ein Kläger sachdienliche Anträge stellt. Die schriftsätzlichen Einlassungen der Klägerin waren bei
verständiger Würdigung daher nicht als Leistungsklage, sondern als Feststellungsklage aufzufassen, mit der die Klägerin die
gerichtliche Feststellung begehrt, dass das streitige Ereignis ein Arbeitsunfall ist.
Gemäß §
8 Abs.
1 S. 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Versicherte Tätigkeit ist nach §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit
(so genannter Wegeunfall). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem
Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§
8 Abs.
1 S. 2
SGB VII).
Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der
versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten,
von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis
einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen
von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung
für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern erst für die Gewährung einer Verletztenrente (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts
[BSG] vom 04. September 2007, - B 2 U 28/06 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 24 m. w. N.).
Ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Verrichtung der Klägerin zur Zeit des Ereignisses und der versicherten Tätigkeit
als Beschäftigte gemäß §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII liegt hier vor. Die Klägerin hob und trug im Auftrag ihres Arbeitgebers, der D D- und S-Gesellschaft mbH, Möbel. Es besteht
kein Zweifel, dass die geschilderte Verrichtung zur Zeit des Ereignisses der versicherten Beschäftigung als Lagerarbeiterin
zuzurechnen ist. Der innere Zusammenhang wird auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt.
Diese Verrichtung - das Anheben und Tragen von Möbelstücken - hat bei der Klägerin zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung
von außen geführt. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches
Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund
von inneren Ursachen, wie z. B. Herzinfarkt oder Kreislaufkollaps, wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten,
sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Ein schlichter Sturz auf einem versicherten Weg genügt, es sei denn, der Unfall
ist infolge einer nichtbetriebsbedingten krankhaften Erscheinung eingetreten und zur Schwere der Verletzung hat keine Gefahr
mitgewirkt, der der Kläger auf dem Weg ausgesetzt war. Ist eine innere Ursache nicht feststellbar, liegt ein Arbeitsunfall
vor (vgl. Urteil des BSG von 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15 m. w. N.) Das BSG (vgl. BSGE 62, 220 = SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer
betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher
Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei
dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer
Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (vgl. BSGE 61, 113, 115 = SozR 2200 § 1252 Nr. 6 S 20). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten
Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (vgl. Urteil des BSG von 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, aaO.). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz
absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar
sind.
Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, wie z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen
oder u. U. eine starke Sonneneinstrahlung. Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen. In der Entscheidung vom 02.
Mai 2001 (- B 2 U 18/00 R - in HVBG-Info 2001, 1713) hat der Senat bei einem körperlich anstrengenden Heben einer Bohrsonde, während dessen der Versicherte auf
einmal einen Schmerz im Halsbereich verspürte, eine Einwirkung angenommen, aber den Ursachenzusammenhang mit der anschließenden
auftretenden Subarachnoidalblutung verneint, weil diese durch eine angeborene Gefäßmissbildung und nicht eine traumatische
Einwirkung verursacht worden sei.
Für die Prüfung eines Arbeitsunfalls bedeutet dies, dass für die äußere Einwirkung nicht ein äußerliches, mit den Augen zu
sehendes Geschehen zu fordern ist. Ob eine und welche äußere Einwirkung vorlag, ist in solchen Fällen ggf. nicht ohne die
eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen. Die äußere Einwirkung liegt - z.
B. im vorliegenden Fall - in der (unsichtbaren) Kraft, die das/die schwere(n) Möbelstück(e) dem Versicherten entgegensetzte(n).
Der Versicherte, der auf ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung seines Arbeitgebers zur Ausübung seiner versicherten
Tätigkeit eine derartige Kraftanstrengung unternimmt und - den Ursachenzusammenhang nach der Theorie der wesentlichen Bedingung
unterstellt - dabei einen Gesundheitsschaden erleidet, steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der
Gesundheitsschaden ist durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden und ihr zuzurechnen. Dementsprechend führte das beabsichtigte
Anheben eines oder mehrerer schwerer Möbelstücke und die damit einhergehende Kraftanstrengung aufgrund der mit ihr verbundenen
Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf bestimmte Teile bzw. Organe des Körpers der Klägerin (vgl.
Urteil des BSG von 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R -, aaO.).
Der Bandscheibenschaden in Form eines Bandscheibenvorfalls bei L5/S1 links mit rezidivierenden Lumboischialgien beruht zur
Überzeugung des Gerichts jedoch nicht wahrscheinlich im Rahmen der so genannten haftungsbegründenden Kausalität, also als
Gesundheitserstschaden, auf dem Unfall vom 27. Dezember 2007. Dem stehen das Fehlen der notwendigen Begleitverletzungen und
ein ungeeigneter Unfallhergang entgegen.
Nach der unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. A. 2003,
Anm. 8.3.2.6.2) entstehen traumatische Bandscheibenschäden meist mit Wirbelkörperfrakturen. Die Bandscheibenbeteiligung ist
eine häufige Begleitverletzung des Wirbelkörperbruchs. Der isolierte Wirbelkörperbruch ist dagegen relativ selten.
Ein Wirbelkörperbruch ist hier nach den vorliegenden Befunden ausgeschlossen. Aus dem MRT vom 01. April 2008 ergibt sich kein
Hinweis auf eine Fraktur der die betroffenen Bandscheiben umgebenden Wirbelkörper.
Nach der Literatur ist weiter zu beachten, dass traumatische Bandscheibenvorfälle aus anatomischen Gründen stets mit begleitenden
minimalen knöchernen oder Bandverletzungen einhergehen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO., Anm. 8.3.2.6.3). Denn vor
einer unfallbedingten mechanischen Schädigung der Bandscheibe müssen die die Bandscheiben sichernden, gelenkigen und ligamentären
Strukturen verletzt werden. Erst beim Überschreiten der durch einen intakten Bandapparat vorgegebenen Grenze normaler Bewegung
mit Durchtrennung der Bänder treten Bandscheibenschäden ein. Bei einer Kompressionsbelastung (sog. Verhebetrauma) kommt es
außerdem zunächst zu einer Deckplattenfraktur.
Derartige Veränderungen sind bei der Klägerin ebenfalls nicht gesichert. Es ist weder eine Bandverletzung noch Risse im Faserring
oder eine Fraktur der Deckplatten nachgewiesen. Der MRT-Befund vom 02. April 2008 enthält lediglich einen Hinweis auf ein
degenerativ verändertes Bandscheibengewebe bei L5/S1. Damit ist zumindest ein klinisch stummer Vorschaden nachgewiesen. Da
für die Zeit vor dem Unfall Beschwerdefreiheit geltend gemacht wird, scheidet die Diskussion der unfallursächlichen Verschlimmerung
einer Gesundheitsschädigung damit aus.
Auch der geschilderte Unfallhergang i. S. eines Schmerzereignisses irgendwann im Laufe des Vormittags aufgrund des Hebens
und Tragens von schweren Möbelstücken ist zur Überzeugung des Gerichts nicht geeignet, eine gesunde Bandscheibe zum Zerreißen
zu bringen. Nach der unfallmedizinischen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO., Anm. 8.3.2.6.3) können Bewegungen
mit Scher- und Rotationswirkung, Überbeugung, Überstreckung sowie Zugbebelastung eine gesunde Bandscheibe zerreißen, wobei
je nach Art der Einwirkung die Begleitverletzungen ligamentärer oder knöcherner Art sind. Hinweise auf derartige Geschehensabläufe
bestehen hier nicht. Das Vorbeugen zum Anheben führt nicht zu einer Überbeugung. Scher- und Rotationskräfte entstehen beim
Anheben und Tragen nicht. Ohne Begleitverletzungen ist die Schadensanlage wesentlich und der Unfall stellt damit nur eine
Gelegenheitsursache für die Entstehung des Bandscheibenvorfalls dar.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.