Kostenentscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren bei ungenügender Begründung eines Verwaltungsakts der Kassenärztlichen
Vereinigung und fehlender Offenlegung der Berechnung des Regelleistungsvolumens zu Grunde gelegter Fallwerte
Macht ein Vertragsarzt mit seinem Widerspruch geltend, dass er seine Rechtsschutzmöglichkeiten ohne eine nachvollziehbare
Berechnung des seinem Regelleistungsvolumen zu Grunde gelegten Fallwertes beschnitten sehe, ist die Kassenärztliche Vereinigung
zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet, das diesbezügliche Zahlenwerk offen zu legen. Dieses Zahlenwerk
unterliegt keinem irgendwie gearteten Geheimhaltungsschutz.
1. Macht ein Vertragsarzt mit seinem Widerspruch geltend, dass er seine Rechtsschutzmöglichkeiten ohne eine nachvollziehbare
Berechnung des seinem Regelleistungsvolumen zu Grunde gelegten Fallwertes beschnitten sehe, ist die Kassenärztliche Vereinigung
zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verpflichtet, das diesbezügliche Zahlenwerk offen zu legen. Dieses Zahlenwerk
unterliegt keinem irgendwie gearteten Geheimhaltungsschutz.
2. Es entspricht billigem Ermessen, eine Kassenärztliche Vereinigung vollständig mit den Kosten des Verfahrens zu belasten,
wenn sie die Klageerhebung durch eine unzureichende Begründung des Widerspruchsbescheides veranlasst hat. Rechtsgrundlage
hierfür ist §
155 Abs.
4 VwGO, demzufolge Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können. Diese Sondervorschrift
geht allen anderen Kostenregelungen vor und ist daher bei jeder Kostenentscheidung zu berücksichtigen. Hierbei kann sich das
Verschulden auch auf das vorprozessuale Verhalten eines Beteiligten beziehen, z.B. die ungenügende Begründung eines Verwaltungsaktes.
[Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Gründe:
I. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 19. Dezember 2008 die Höhe seines Regelleistungsvolumens für das Quartal
I/09 mit und gab hierbei als eines von mehreren Berechnungselementen auch die Höhe des Fallwerts für die Arztgruppe des Klägers
an. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger u.a. geltend, er habe keine Möglichkeit, die Richtigkeit des Bescheids zu überprüfen,
insbesondere weil nicht erkennbar sei, wie der Fallwert für die Fachgruppe zustanden gekommen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch
zurück, ohne die Ermittlung des für die Arztgruppe des Klägers maßgebenden Fallwertes näher zu erläutern. Im Klageverfahren
übersandte die Beklagte am 18. April 2011 eine Übersicht, der die Berechnung des die Arztgruppe des Klägers betreffenden Fallwertes,
ausgehend von der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung für das Quartal I/09, zu entnehmen war. Das Sozialgericht verurteilte
die Beklagten wegen nicht ausreichender Begründung der angefochtenen Verwaltungsakte zur Neubescheidung, weil die Angaben,
die ein Vertragsarzt benötige, um seine Rechte wahrnehmen zu können (Berechnung von Fallwert und Fallzahl), nicht enthalten
seien. Im Berufungsverfahren legte die Beklagte schließlich auf Veranlassung des Senats eine weitere Berechnung vor, in der
die Abzugsposten, die zur Ermittlung des sektorspezifischen RLV-Volumens aus dem vorläufigen RLV-Volumen maßgeblich waren, nicht nur - wie in der Übersicht vom 18. April 2011 - benannt, sondern auch betragsmäßig untersetzt
waren. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.
Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des §
113 Abs.
1 Satz 4
VwGO - diese Vorschrift betrifft die hier nicht einschlägige Fortsetzungsfeststellungsklage - nach billigem Ermessen über die
Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen (§
161 Abs.
2 Satz 1
VwGO).
Billigem Ermessen entspricht es, die Beklagte vollständig mit den Kosten des Verfahrens zu belasten, denn sie hat die Klageerhebung
durch eine unzureichende Begründung des Widerspruchsbescheides veranlasst. Rechtsgrundlage hierfür ist §
155 Abs.
4 VwGO, demzufolge Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden können. Diese Sondervorschrift
geht allen anderen Kostenregelungen vor und ist daher bei jeder Kostenentscheidung zu berücksichtigen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
Sozialgerichtsgesetz, 10.A., §
197a Rd. 18 m.w.N.). Hierbei kann sich das Verschulden auch auf das vorprozessuale Verhalten eines Beteiligten beziehen, z.B.
die ungenügende Begründung eines Verwaltungsaktes (Olbertz, in: Schoch/Schneider/Bier,
Verwaltungsgerichtsordnung, §
155 Rd. 26; Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, §
155 Rd. 20; Hartung, in: Beck'scher Online-Kommentar
VwGO, Stand: 1. Juli 2012, §
155 Rd. 12, jeweils mit weiteren Nachweisen). Der Beklagten die Kosten aufzuerlegen kommt nur bei übereinstimmender Erledigungserklärungen,
sondern auch bei deren Obsiegen (BVerwGE 60, 245; 80, 178) in Betracht.
Hieran gemessen hat die Beklagte den angefochtenen Widerspruchsbescheid - nur in dessen Gestalt ist der ursprüngliche Verwaltungsakt
Gegenstand des Rechtsstreits (§
95 SGG) - unzureichend begründet. Zwar ist sie nicht gehalten, jeden Bescheid, durch den einem Vertragsarzt sein Regelleistungsvolumen
mitgeteilt wird, so zu gestalten, dass die konkrete Ermittlung des Fallwertes für das betroffene Quartal daraus ersichtlich
wird. Macht jedoch ein Vertragsarzt mit seinem Widerspruch geltend, dass er seine Rechtsschutzmöglichkeiten ohne eine nachvollziehbare
Berechnung des jeweils zu Grunde gelegten Fallwertes beschnitten sehe, ist die Beklagte zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes
verpflichtet, das diesbezügliche Zahlenwerk offen zu legen. Entgegen einer möglicherweise bei der Beklagten bestehenden Ansicht
unterliegt dieses Zahlenwerk, das lediglich die normativ vorgegebenen Berechnungsschritte umsetzt, keinem irgendwie gearteten
Geheimhaltungsschutz. Der Vertragsarzt muss daher, wenn er die Mitteilung des Zahlenwerks in dem hier von der Beklagten letztlich
gegebenen Umfang begehrt, kein besonderes Interesse hierfür darlegen. Ob etwas anderes gilt, wenn ein Vertragsarzt über das
im vorliegenden Fall von der Beklagten offen gelegte Zahlenwerk hinaus z.B. eine weitere Aufschlüsselung bzw. Herleitung einzelner
Abzugsposten verlangt, muss hier nicht entschieden werden.
Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. § 47, § 52 Abs. 1 und 2, § 63 Abs. 2 GKG.
Diese Entscheidung kann gem. §
177 SGG nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden.