Höhe des Regelleistungsvolumens für ein Medizinisches Versorgungszentrum in der vertragsärztlichen Versorgung; Bestandskraft
eines Regelleistungsvolumen-Bescheids; Einräumung der allgemeinen Wachstumsmöglichkeiten einer Anfänger- und Aufbaupraxis
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin für das Quartal I/09 zustehenden Honorars. Umstritten ist allein die
Höhe des Regelleistungsvolumens (RLV).
Die Klägerin ist Trägerin mehrerer medizinischer Versorgungszentren (MVZ), unter anderem des V MVZ M (welches ab 2012 aufgrund
einer Sitzverlegung nunmehr die Bezeichnung V MVZ K trägt). Im Zusammenhang mit der Gründung dieses MVZ zum 1. Januar 2008
verzichtete der seit 1987 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Facharzt für Nervenheilkunde Dr. B auf seine Zulassung,
um sich mit einem Beschäftigungsumfang von 0,25 beim o.g. MVZ anstellen zu lassen. Diese Anstellung endete zum 31. August
2008. Neben 3 Strahlentherapeuten war im MVZ ab dem 1. Januar 2008 auch der Facharzt für Neurologie Dr. H mit einem Beschäftigungsumfang
von 0,75 bis zum 22. September 2008 bzw. 0,25 ab 23. September 2008 angestellt. Ferner wurde zum 1. September 2008 die Fachärztin
für Psychiatrie Dr. G mit einem Beschäftigungsumfang von 0,25 bis zum 22. September 2008 bzw. 0,75 ab dem 23. September 2008
angestellt. Weitere Ärzte waren im allein streitigen Quartal I/09 bei diesem MVZ nicht angestellt.
Die Fallzahlen der 3 nicht strahlentherapeutisch tätigen Ärzte entwickelten sich wie folgt:
Quartal
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Fallzahlen Dr. B
|
Fallzahlen Dr. H
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Fallzahlen Dr. G
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I/06
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254
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II/06
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235
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III/06
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236
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IV/06
|
254
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I/07
|
250
|
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II/07
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243
|
|
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III/07
|
256
|
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IV/07
|
242
|
|
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I/08
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100
|
12
|
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II/08
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114
|
30
|
|
III/08
|
91
|
91
|
54
|
IV/08
|
|
103
|
95
|
I/09
|
|
115
|
98
|
Mit von der Klägerin nicht angefochtenem Bescheid vom 19. Dezember 2008 wies die Beklagte dem MVZ für das Quartal I/09 ein
RLV von 4.983,70 € zu. Sie legte hierbei eine durchschnittliche Arztgruppenfallzahl von 651 und einen Arztgruppenfallwert von
52,46 € sowie eine auf das Quartal I/08 bezogene arztindividuelle Fallzahl von 20 für Dr. H und 75 für Dr. zugrunde.
Den wegen der Höhe des Regelleistungsvolumens eingelegten Widerspruch der Klägerin gegen den Honorarbescheid für das Quartal
I/09 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2011 u.a. mit der Begründung zurück, die Dres. H und G könnten
nicht als neu niedergelassene Ärzte im Sinne von § 6 Abs. 4 der Anlage 1 zum Honorarvertrag ab dem 1. Januar 2009 angesehen
werden.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 27. Juni 2012 die angefochtenen Bescheide "aufgehoben" und die Beklagte verpflichtet,
über das Honorar der Klägerin für das Quartal I/09 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheiden. Zur
Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt: Die Wachstumsregelung für neu niedergelassene Ärzte in § 6 Abs. 4 der Anlage
1 zum Honorarvertrag 2009 (im Folgenden: HV) finde zwar nicht auf angestellte Ärzte, wohl aber auf neu niedergelassene MVZ
Anwendung.
Gegen die Anwendbarkeit auf angestellte Ärzte spreche nicht nur der Wortlaut von § 6 Abs. 4 der Anlage 1 zum HV, sondern auch
der der Ermächtigungsvorschrift in Teil F Nr. 3.5 des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August
2008, weil angestellte Ärzte nicht über eine eigene Niederlassung verfügten und auch nicht zugelassen würden. Die Voraussetzungen
für eine entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 4 der Anlage 1 zum HV lägen schon mangels einer planwidrigen Regelungslücke
nicht vor. Die Anstellung eines Arztes sei aber auch nicht mit der Neuniederlassung eines Arztes vergleichbar. Das Bundessozialgericht
(BSG) stelle in seiner Rechtsprechung zu den Wachstumsmöglichkeiten so genannter Jungpraxen (Urteil vom 28. Januar 2009 - B 6 KA 5/08 R -, juris) insbesondere auf die Wettbewerbssituation des Arztes am Markt ab; hiermit sei die Einstellung eines Arztes auch
in Verbindung mit der Übernahme einer weiteren (neuen) Arztstelle im Wege einer Nachbesetzung nicht vergleichbar. Die Anwendung
der Jungpraxenregelung auf angestellte Ärzte könnte ferner dazu führen, dass einem bereits überdurchschnittlich abrechnenden
MVZ ein Wachstum oberhalb des Fachgruppendurchschnitts ermöglicht würde, worauf nach der Rechtsprechung des BSG gerade kein Anspruch bestehe.
Hingegen spreche für eine entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 4 der Anlage 1 zum HV auf neu gegründete MVZ neben §
72 Abs.
1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) die der HV-Regelung zugrunde liegende Rechtsprechung des BSG (stellvertretend: Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 1/09 R-, juris), welche sich nicht ausschließlich auf einzelne Ärzte, sondern auf Praxen in der Aufbauphase beziehe. Vor allem aber
stelle eine vollständige Nichtgeltung der Wachstumsregelung für MVZ (wie auch für Gemeinschaftspraxen) eine sachlich nicht
gerechtfertigte Benachteiligung gegenüber in Einzelpraxis tätigen Vertragsärzten und damit einen Verstoß gegen den Grundsatz
der Honorarverteilungsgerechtigkeit dar. Deshalb sei allen Praxen mit unterdurchschnittlichen Umsätzen die Möglichkeit einzuräumen,
durch Qualität und Attraktivität ihrer Behandlung oder auch durch eine bessere Organisation der Praxis neue Patienten für
sich zu gewinnen und so legitimer Weise ihre Position im Wettbewerb mit den Berufskollegen zu verbessern. Ebenso wie ein einzelner
Arzt, der z.B. im Wege der Nachbesetzung eine Praxis übernehme, habe auch ein MVZ, das sich neu gründe und hierfür z.B. die
Praxis eines zugunsten einer Anstellung auf seine Zulassung verzichtenden Arztes erwerbe, erhebliche Investitionen zu tätigen.
Weil das MVZ der Klägerin zum 1. Januar 2008 neu gegründet worden sei und die Wachstumsregelungen nach § 6 Abs. 4 der Anlage
1 zum HV somit Anwendung finde, sei im Rahmen der Honorarfestsetzung für das Quartal I/09 das der Klägerin zugewiesene RLV unter Zugrundelegung der tatsächlich in diesem Quartal von den Dres. H und G erreichten Fallzahlen zu erhöhen. Da der Klägerin
für das Quartal I/09 sowohl für Dr. H als auch für Dr. G ein weit unterdurchschnittliches RLV zugewiesen worden sei, mache es keinen Unterschied, ob für beide Ärzte jeweils ein RLV in Höhe des Fachgruppendurchschnitts bezogen auf ihren Tätigkeitsumfang oder in Höhe des vollen Fachgruppendurchschnitts
zu gewähren sei. In dem - hier nicht gegebenen - Fall, dass innerhalb eines MVZ in der Aufbauphase einem angestellten Arzt
bereits ein RLV oberhalb des Fachgruppendurchschnitts und einem oder mehreren anderen Ärzten dagegen ein unterdurchschnittliches RLV zugewiesen worden sei, spreche vieles dafür, die Wachstumsregelung in § 9 Abs. 10 lit. b) des bis zum Quartal IV/08 geltenden Honorarverteilungsvertrags anzuwenden und "ein Wachstum maximal bis zur
Summe der Fachgruppendurchschnitte der RLVs der in MVZ tätigen Ärzte zu gewähren". Die Beklagte habe im Rahmen der Neubescheidung
für die Dres. H und G ein RLV auf Basis der von ihnen tatsächlich abgerechneten RLV-relevanten Fallzahlen, maximal der durchschnittlichen Fallzahlen der Fachgruppe im Quartal I/09, bezogen auf den jeweiligen
Tätigkeitsumfang der beiden Ärzte, zugrunde zu legen.
Gegen dieses ihr am 3. Juli 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 17. Juli 2012, zu deren Begründung
sie vorträgt: Es sei zu berücksichtigen, dass für die Gründung des MVZ der Arztsitz des bis dahin als Vertragsarzt niedergelassenen
Dr. B eingebracht worden sei. Folgte man der Auffassung des Sozialgerichts, hätte ein Vertragsarzt, der bislang nur geringe
Fallzahlen erreicht habe, die Möglichkeit, diese durch Einbringen seiner Zulassung in ein MVZ bis zum Fachgruppendurchschnitt
zu steigern, obwohl er nicht "neu" an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehme. Dies lasse sich jedoch nicht mit dem Sinn
der Wachstumsregelung vereinbaren, bei der es darum gehe, Jungpraxen zu fördern. Zudem würde dies eine Besserstellung von
MVZ gegenüber Vertragsärzten darstellen, die sich in einer Berufsausübungsgemeinschaft zusammenschlössen, aber nicht unter
die Wachstumsregelung des § 6 Abs. 4 der Anlage 1 zum HV fielen. Soweit das Sozialgericht die Auffassung vertrete, neu gegründeten
MVZ müsse die Möglichkeit des Wachstums bis zum Fachgruppendurchschnitt eingeräumt werden, sei dies zu unbestimmt. Welcher
Fachgruppendurchschnitt im Hinblick auf die in einem MVZ erforderliche fachübergreifende Tätigkeit konkret zugrunde zu legen
sei, bleibe offen. Der vorliegende Fall sei auch nicht mit der Neugründung einer Berufsausübungsgemeinschaft durch zwei bereits
zugelassene Vertragsärzte vergleichbar. In beiden Fällen würden Arztsitze, die bereits in der Bedarfsplanung berücksichtigt
waren, weiter geführt. Es könne nicht darauf ankommen, ob ein solcher Arztsitz mit einem angestellten oder einem zugelassenen
Arzt weitergeführt werde. Denn auch zwei bereits zugelassene Ärzte könnten ein MVZ gründen, in dem einer dieser Ärzte als
zugelassener und der andere als angestellter Arzt tätig würde. Hierdurch könne dem neu gegründeten MVZ aber nicht die Möglichkeit
eingeräumt werden, einen bislang unterdurchschnittlich abrechnenden Arztsitz auf den Fachgruppendurchschnitt anwachsen zu
lassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 27. Juni 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten
der Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide
sind insoweit rechtswidrig, als die Beklagte darin der Vergütung der von Dr. H und Dr. G im Quartale I/09 erbrachten und abgerechneten
vertragsärztlichen Leistungen ein RLV ohne Anwendung der Wachstumsmöglichkeiten für sog. Jungpraxen zugrunde gelegt hat.
I. Zu Recht ist das Sozialgericht zunächst davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit der gegen den Honorarbescheid gerichteten
Klage nicht an der Bestandskraft des Bescheids vom 19. Dezember 2008 scheitert. Zwar kann nach der Rechtsprechung des BSG und des Senats die Höhe des einer vertragsärztlichen Praxis zugewiesenen RLV im Rahmen der Honorarfestsetzung nicht mehr gerügt werden, wenn die Kassenärztliche Vereinigung (KV) das RLV durch gesonderten, bestandskräftig gewordenen Bescheid festgestellt hat (BSG, Urteil vom 15. August 2012 - B 6 KA 38/11 R -, juris, m.w.N.). Dieser Grundsatz kann indes nicht gelten, wenn Einwände gegen die Höhe des RLV sachgerecht erst im Rahmen der Honorarfestsetzung vorgebracht werden können, z.B. weil die den Einwänden zugrunde liegenden
Tatsachen bei Bekanntgabe des RLV-Bescheids noch nicht bekannt oder absehbar waren, insbesondere wenn sich ein Überschreiten des RLV erst im Zusammenhang mit der Honorarabrechnung ergibt. Eine solche Konstellation ist u.a. immer dann gegeben, wenn die Höhe
des RLV mit dem Hinweis auf nicht zugebilligte Wachstumsmöglichkeiten angegriffen wird. Denn ob eine Praxis im Vergleich zu dem für
die RLV-Festsetzung maßgeblichen Referenzzeitraum gewachsen ist, lässt sich typischerweise erst nach Ablauf des jeweiligen Quartals
beurteilen.
II. Rechtsgrundlage sind Regelungen, die der Bewertungsausschuss (BewA) auf der Grundlage des §
87b Abs.
2 und
3 i.V.m.Abs.
4 Sätze 1 und 2
SGB V (in der bis zum 22. September 2011 geltenden Fassung - alte Fassung [aF]) normierte. Nach §
87b Abs.
4 Sätze 1 und 2
SGB V aF hatte der BewA das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der RLV nach den Abs. 2 und 3 sowie Vorgaben zur Umsetzung von Abs. 2 Satz 3 zu bestimmen. Nach dem Scheitern einer Einigung im BewA
schuf der erweiterte Bewertungsausschuss - EBewA - (§
87 Abs.
4 SGB V) durch Beschluss vom 27./28. August 2008 (DÄ 2008, A 1988 - insoweit nicht geändert durch die nachfolgenden Änderungsbeschlüsse
vom 17. September 2008, DÄ 2008, A 2604ff, und vom 23. Oktober 2008, DÄ 2008, A 2602, sowie nur redaktionell überarbeitet
durch Änderungsbeschluss vom 20. April 2009, DÄ 2009, A 942) im Teil F Nr. 3.2.1, 3.4 und 3.5 sog. Basisregelungen: Diese
sahen vor, dass für die Bemessung des RLV die Fallzahl im Vorjahresquartal maßgebend war (Nr. 3.2.1 Satz 2), weiterhin, dass bei Überschreitung der fachgruppendurchschnittlichen
Fallzahl um mehr als 50 % eine Abstaffelung des Fallwerts stattzufinden hat (aaO. Satz 3) und dass Ausnahmen hiervon für besondere
Konstellationen geregelt werden können (aaO. Nr. 3.4). Ferner war geregelt, dass die Partner der Gesamtverträge ergänzende
Regelungen für Neuzulassungen, Praxen in der Anfangsphase und Kooperationsumwandlungen "zur Sicherung einer angemessenen Vergütung"
beschließen können (aaO. Teil F Nr. 5 und Teil A Nr. 4 des Beschlusses vom 20. April 2009). Die Gesamtvertragspartner im Bezirk
der beklagten KV konzentrierten sich bei der Ausformung des HV darauf, in dessen Anlage 1 unter § 6 Abs. 2 und 3 die zwingenden
Bundesregelungen des o.g. Teils F Nr. 3.2.1 und 3.4 zu wiederholen. Zur Konkretisierung des o.g. Teils F Nr. 3.5 sah § 6 Abs.
4 der Anlage 1 zum HV vor:
"Ein neu niedergelassener Arzt erhält ein Regelleistungsvolumen auf Basis der Fallzahl des Vorgängerarztes. Soweit es keinen
Vorgängerarzt gibt, erfolgt die Berechnung des Regelleistungsvolumens auf der Basis der Hälfte der durchschnittlichen, für
das Regelleistungsvolumen relevanten Fallzahl der jeweiligen Arztgruppe. Soweit eine höhere Fallzahl - als die in Satz 1 und
2 genannte - im Abrechnungsquartal tatsächlich erreicht wird, vergrößert sich das Regelleistungsvolumen des Arztes pro zusätzlichem
Fall in Höhe des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe begrenzt bis zur durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe.
Nach Ablauf von 12 Quartalen nach der Niederlassung berechnet sich das Regelleistungsvolumen auf der Basis der Fallzahl des
Vorjahresquartals. Überschreitet er die durchschnittliche Fallzahl der Arztgruppe, gilt die vorgenannte Regelung nicht mehr.
Verlegt ein Arzt seine Praxis in einen Verwaltungsbezirk, der isoliert betrachtet für die bedarfsplanungsrelevante Arztgruppe
einen Versorgungsgrad von weniger als 100 % aufweist, so gelten für ihn auf Antrag Satz 2 bis 5 entsprechend."
II. Auf der Grundlage dieser normativen Vorgaben hat das Sozialgericht zutreffend die Auffassung vertreten, dass § 6 Abs.
4 Sätze 2 bis 5 der Anlage 1 zum HV zwar nicht auf angestellte Ärzte, wohl aber auf neugegründete MVZ entsprechend anzuwenden
ist. Den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung an und verweist gemäß
§
153 Abs.
2 SGG hierauf.
III. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
Das Urteil des Sozialgerichts hat zur Folge, dass bei der Vergütung der vom o.g. MVZ der Klägerin erbrachten vertragsärztlichen
Leistungen gemäß § 6 Abs. 4 Satz 3 der Anlage 1 zum HV die in diesem Quartal erreichten Fallzahlen zugrunde zu legen sind,
auch wenn insoweit das festgesetzte RLV überschritten wird. Demgegenüber müsste sich die Klägerin nach den angefochtenen Bescheiden auf die - mit Teil F Nr. 3.2.1,
Satz 2 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 identische - allgemeine Regelung in § 6 Abs. 2 Satz 2 der Anlage 1 zum HV verweisen lassen, wonach dem RLV die Fallzahl des Arztes im Vorjahresquartal zugrunde zu legen ist, sodass die im Quartal I/09 erreichte Fallzahl sich erst
mit einjähriger Verspätung auswirken würde. Ein solches einjähriges Moratorium in Bezug auf die Wachstumsmöglichkeit einer
Praxis ist zwar für umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnende Praxen, die nicht mehr zu den sog. Anfänger- oder Aufbaupraxen
zählen, grundsätzlich nicht zu beanstanden (BSG, Urteil vom 17. Juli 2013 - B 6 KA 44/12 R, juris). Für die sog. Anfänger- oder Aufbaupraxen, d.h. Praxen in den ersten 3 Jahren nach der Zulassung, gilt dies indes
nicht, was die Beklagte durch die sofortige Wachstumsmöglichkeit für "neu niedergelassene Ärzte" (§ 6 Abs. 4 Sätze 1 und 3
der Anlage 1 zum HV) auch grundsätzlich anerkannt hat.
Dass die von der Beklagten favorisierte Lösung zu gleichheitswidrigen, mit Art.
3 GG unvereinbaren Ergebnissen führen würde, belegt eine einfache Kontrollüberlegung: Nach den o.g. Regelungen des HV erhält ein
Vertragsarzt (N), der im Wege der Nachbesetzung gemäß §
103 Abs.
3a SGB V die Praxis eines unterdurchschnittlich abrechnenden Vertragsarztes (A) fortführt, ein RLV auf der Basis dessen Fallzahl ("Fallzahl des Vorgängerarztes"). Wird diese Fallzahl in den ersten 12 Quartalen nach der Niederlassung
überschritten, treten die vergütungsbeschränkenden Wirkungen des RLV für diesen Vertragsarzt (N) insoweit nicht ein. Verzichtet hingegen derselbe unterdurchschnittlich abrechnende Vertragsarzt
(A) auf seine Zulassung, um sich in einem neu gegründeten MVZ anstellen zu lassen (§
103 Abs.
4a SGB V), würde die Beklagte dem MVZ für diesen Arzt zwar ein RLV auf der Basis von dessen Fallzahl - er ist quasi sein eigener "Vorgängerarzt" - zuweisen, ihn aber nicht an der sofortigen
Wachstumsmöglichkeit teilhaben lassen. Welche sachlichen Gründe diese Differenzierung rechtfertigen könnten, ist weder nach
dem Vorbringen der Beklagten noch anderweitig ersichtlich. Sind aber diese beiden Konstellationen gleich zu behandeln, so
kann es auch keinen Unterschied machen, wenn im zweiten Fall - ähnlich dem hier zu entscheidenden Sachverhalt - der ehemalige
Vertragsarzt (A) schon nach kurzer Zeit die Anstellung im MVZ beendet und seine Stelle gemäß §
103 Abs.
4a Satz 3
SGB V mit einem anderen angestellten Arzt (N) nachbesetzt wird. In allen drei Fällen besteht eine identische, die sofortige Wachstumsmöglichkeit
bis zum Fachgruppendurchschnitt rechtfertigende Interessenlage.
Die o.g. Befürchtung der Beklagten, nach Auffassung des Sozialgerichts könne ein Vertragsarzt, der bislang nur geringe Fallzahlen
erreicht habe, diese durch Einbringen seiner Zulassung in ein MVZ bis zum Fachgruppendurchschnitt steigern, obwohl er nicht
"neu" an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehme, greift zu kurz. Denn zum einen ist diesem unterdurchschnittlich abrechnenden
Vertragsarzt ohnehin die Möglichkeit einzuräumen, seinen Umsatz bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen zu lassen. Zum anderen
wäre es - wie bereits dargelegt - gleichheitswidrig, würde nur dem, der die Praxis dieses Vertragsarztes mit eigener Zulassung
fortführt, die Möglichkeit sofortigen Wachstums eingeräumt, nicht hingegen dem, der die Praxis im Wege einer Anstellung bei
einem MVZ weiterführt.
Auch der Hinweis auf eine vermeintliche Bevorzugung von MVZ gegenüber den sich zu einer BAG zusammenschließenden, bereits
einzeln zugelassenen Vertragsärzten überzeugt nicht. Denn zum einen wäre auch einer solchen BAG, wenn sie denn umsatzmäßig
unterdurchschnittlich abrechnete, grundsätzlich ein (wenn auch nicht sofortiges) Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt
zu gewähren. Zum anderen aber - und dies ist entscheidend - schreibt Teil F Nr. 3.5 des Beschlusses des Bewertungsausschusses
vom 27./28. August 2008 ausdrücklich vor, dass die Partner der Gesamtverträge Anfangs- und Übergangsregelungen auch bei "Umwandlung
der Kooperationsform" vorzusehen haben. Dass die Beklagte im HV solche Regelungen etwa für den soeben genannten Fall einer
BAG-Gründung oder auch für die Umwandlung einer BAG in ein MVZ in rechtswidriger Weise nicht vorgesehen hat, kann sich nicht
zu Lasten der Klägerin auswirken.
Die Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils sind auch nicht zu unbestimmt, um durch die Beklagte umgesetzt werden
zu können. Die von der Beklagten insoweit aufgeworfene Frage, auf welchen Fachgruppendurchschnitt bei einem MVZ abzustellen
sei, stellt sich im vorliegenden Fall gerade nicht. Denn das Merkmal der fachübergreifenden Tätigkeit (§
95 Abs.
1 Sätze 2 und 4
SGB V) wird beim o.g. MVZ durch angestellte Ärzte der keinem RLV unterworfenen Fachgruppe der Strahlentherapeuten erfüllt.
Was zu gelten hat, wenn in einem MVZ auch andere einem RLV unterworfene Arztgruppen vertreten sind, hat der Senat im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nicht zu entscheiden. Es
dürfte aber einiges dafür sprechen, sowohl für die Frage, ob ein Leistungserbringer - sei es ein MVZ oder eine BAG - überhaupt
umsatzmäßig unterdurchschnittlich abrechnet, als auch für die Frage nach dem Wert, bis zu dem die Möglichkeit des (sofortigen)
Wachstums einzuräumen ist, auf den - ggf. nach Tätigkeitsumfang und Anzahl der Ärzte je Fachgruppe gewichteten - Mittelwert
der Fachgruppendurchschnitte abzustellen.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht ersichtlich sind.