Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in der vertragsärztlichen Versorgung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes.
Der im März 1951 geborenen Kläger ist Facharzt für Innere Medizin. Seit dem 1. November 2004 war er als ärztlicher Psychotherapeut
mit Praxisräumen in B vertragsärztlich zugelassen. Seit Beginn seiner Zulassung war der Kläger ausschließlich psychotherapeutisch
tätig.
Mit Schreiben vom 18. Juni 2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, seit dem 14. Mai 2008 erkrankt zu sein. Weil die weitere
Dauer der Erkrankung nicht absehbar sei, bitte er, die Abschlagszahlungen auf sein Honorar vorübergehend einzustellen.
Nachdem er zwischenzeitlich krankheitsbedingt keine Patienten mehr behandelt hatte - er litt unter einer Depression und befand
sich zeitweilig stationär im Krankenhaus -, beantragte der Kläger am 27. Juli 2009 bei der Beklagten die Ausschreibung seines
Vertragsarztsitzes gemäß §
103 Abs.
4 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V). Gleichzeitig verzichte er auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zum Ende des Quartals III/09; der Verzicht
solle erst wirksam werden, wenn der Praxisnachfolger rechtskräftig zugelassen und die Praxis von ihm übergeben worden sei.
Mit Bescheid vom 29. Juli 2009 lehnte die Beklagte (Arztregister) den Antrag auf Ausschreibung des Vertragsarztsitzes ab.
Eine Ausschreibung setze voraus, dass die Praxis von einem potentiellen Erwerber am bisherigen Ort fortgeführt werden könne
und dass eine Praxis mit Räumen und Einrichtungsgegenständen existiere, in der bislang ein Vertragsarzt in der Behandlung
seiner Patienten tätig gewesen sei. Zum Zeitpunkt der Beendigung seiner Zulassung müsse der ausschreibende Vertragsarzt nachweislich
noch in nennenswertem Umfang praktiziert haben. Diese Voraussetzungen lägen beim Kläger nicht vor. Eine Überprüfung seiner
Abrechnungen habe ergeben, dass er - was unstreitig ist - im Quartal II/08 nur 26 Scheine und vom Quartal III/08 bis I/09
keine Scheine eingereicht habe. Eine vertragsärztliche Tätigkeit in nennenswertem Umfange liege daher nicht mehr vor. Es fehle
an einer fortführungsfähigen Praxis.
Mit Bescheid vom 9. März 2010 wies die Beklagte den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers zurück. Es könne nicht davon
ausgegangen werden, dass bei Beantragung der Ausschreibung noch eine fortführungsfähige Praxis bestanden habe. Angesichts
des Zeitraumes von über einem Jahr zwischen Beginn der Erkrankung und Stellung des Ausschreibungsantrages müsse davon ausgegangen
werden, dass die Patienten des Klägers sich inzwischen von anderen Psychotherapeuten behandeln ließen und daher am Ort der
Niederlassung kein Patientenstamm mehr vorhanden sei. Zwar diene §
103 Abs.
4 SGB V dem Eigentumsschutz im Sinne von Art.
14 Grundgesetz. Dieser Schutz des Eigentums sei allerdings nicht mehr erforderlich, wenn die schützenswerten Rechtsgüter nicht mehr vorhanden
seien, weil die gesetzlich versicherten Patienten sich andere Behandler gesucht hätten und die Praxis sich im materiellen
Wert um den Anteil der öffentlich-rechtlichen Gestattung verringert habe. Weil der Kläger seit dem Quartal III/08 keine Umsätze
aus vertragsärztlicher Tätigkeit mehr erzielt habe, liege eine übertragbare Praxis im Sinne von §
103 Abs.
4 SGB V nicht mehr vor.
Mit der Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, die Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes zu erreichen. Er habe
seine Obliegenheit gegenüber der Beklagten erfüllt, indem er sich frühzeitig, nämlich mit dem Schreiben vom 18. Juni 2008,
wegen seiner Arbeitsunfähigkeit an sie gewandt habe. Dass die Dauer seiner Erkrankung zu keinem Zeitpunkt vorsehbar gewesen
sei, könne er mit medizinischen Gutachten belegen, die für die Krankentagegeldversicherung erstellt worden seien. Die Haltung
der Beklagten werde seinem Recht aus Art.
14 Grundgesetz nicht gerecht. Naturgemäß habe er mit Eintritt seiner Erkrankung als Psychotherapeut sämtliche Patienten verloren, eine Vertretung
sei bei genehmigungspflichtigen psychotherapeutischen Leistungen einschließlich der probatorischen Sitzungen nämlich grundsätzlich
unzulässig. Daher dürfe es ihm nicht zum Nachteil gereichen, in den Quartalen nach der Meldung als arbeitsunfähig keine Scheine
mehr abgerechnet zu haben. Es sei auch nicht mit seiner Menschenwürde zu vereinbaren, von ihm zu verlangen, im Zeitpunkt der
Beendigung der Zulassung trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Tätigkeit tatsächlich noch zu entfalten,
um über einen Patientenstamm zu verfügen, der den Betrieb seiner Praxis beweise. Dem Umstand seiner Krankheit im maßgeblichen
Zeitpunkt sei die Beklagte in keiner Weise gerecht geworden. Das Gesetz berechtige sogar die Erben eines Vertragsarztes, die
Ausschreibung des Praxissitzes zu betreiben. Dies gelte auch für Fälle, in denen der Vertragsarzt gegebenenfalls schon lange
erkrankt gewesen und danach gestorben sei. Der noch lebende Praxisinhaber dürfe aber nicht schlechter gestellt werden als
die Erben im Fall des Todes eines Vertragsarztes. Im Zweifel müsse die Beklagte eine Ausschreibung vornehmen, um die Frage
einer fortführungsfähigen Praxis der Entscheidung der Zulassungsgremien zuzuführen. Das Fortbestehen seiner Praxis könne nach
wie vor belegt werden. Eine Ortsbesichtigung sei möglich. Auch betreibe er noch immer eine aktive Internetseite für seine
Praxis (...). Seine Praxis unterfalle nicht nur dem Eigentumsschutz aus Art.
14 Grundgesetz, sondern sei auch unmittelbar fortführungsfähig. Seit Beginn der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erreichten ihn immer
wieder Therapieanfragen, so dass Patientenbehandlungen in der Praxis bis heute möglich gewesen wären. Hinzu komme, dass die
etwa 50 in Köpenick vorhandenen psychotherapeutischen Praxen selbst dann, wenn sie alle voll ausgelastet arbeiteten, nicht
in der Lage seien, den tatsächlichen lokalen Bedarf an psychotherapeutischer Versorgung abzudecken. Zu beobachten sei vielmehr,
dass Einwohner Köpenicks sich wegen psychotherapeutischer Versorgung in andere Stadtbezirke orientierten.
Mit Beschluss vom 23. Februar 2011, gegen den der Kläger keine Klage erhoben hat, entzog der Berufungsausschuss für Ärzte
und Psychotherapeuten (Zulassungsbezirk Berlin) dem Kläger die Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung
wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit seit dem Quartal III/08.
Mit Urteil vom 8. Juni 2011 hat das Sozialgericht Berlin der Klage stattgegeben, den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2009
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Praxissitz des Klägers,
Freiheit 12 A, 12555 Berlin, zur Nachbesetzung auszuschreiben. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Der Kläger habe Anspruch auf Ausschreibung seiner Praxis. Er habe nachgewiesen, dass er nach wie vor über eine fortführungsfähige
Praxis mit eingerichteten und nach außen gekennzeichneten, von seiner Privatwohnung getrennten Räumen verfüge. Auch trete
er mit seiner Praxis nach außen über seinen Internetauftritt in Erscheinung. Ausweislich des im Klageverfahren überreichten
E-Mail-Verkehrs erhalte er auch noch regelmäßig Therapieanfragen von Patienten. Dies sei ausreichend, um vom Bestehen einer
dem Schutzbereich des Art.
14 Grundgesetz unterfallenden fortführungsfähigen Praxis auszugehen. Dass der Kläger seit Mai 2008 keine Patienten mehr behandelt habe und
aktuell über keinen Patientenstamm mehr verfüge, stehe dem nicht entgegen. Dem Patientenstamm komme in einer psychotherapeutischen
Praxis nicht der Stellenwert zu, wie etwa demjenigen einer allgemeinärztlichen Praxis. Die psychotherapeutische Versorgung
sei von einer besonderen persönlichen Bindung zwischen dem Behandler und dem Patienten geprägt, was auch in der Unvertretbarkeit
der genehmigungspflichtigen Leistungen zum Ausdruck komme. Weil ein Psychotherapeut in aller Regel die von ihm begonnen Behandlungen
überwiegend noch zu Ende führen und keine neuen Behandlungen beginnen werde und weil nach Beendigung einer Psychotherapie
in der Regel eine zweijährige Karenzzeit bis zum Beginn einer neuen Therapie einzuhalten sei, werde beim Übergang einer psychotherapeutischen
Praxis regelmäßig kein nennenswerter aktiver Patientenstamm mit übertragen. Daher dürfte sich hinsichtlich des Verkehrswertes
einer psychotherapeutischen Praxis kein relevanter Unterschied daraus ergeben, ob bis zur Übertragung noch Patienten behandelt
worden seien oder nicht. Weitgehend unerheblich sei auch die von der Beklagten aufgeworfene Frage der Bindung der Praxis an
Zuweiser. Dieser komme nämlich eine nur untergeordnete Bedeutung zu angesichts des im Bereich der Psychotherapie bestehenden
Erstzugangsrechts der Versicherten. Deutlich mehr Einfluss auf den Verkehrswert der Praxis als Patientenstamm und Zuweiserbindung
habe neben der Existenz der Praxisräume deren Lage. Insoweit falle ins Gewicht, dass in Köpenick ungeachtet der in Berlin
bestehenden Zulassungsbeschränkung für ärztliche Psychotherapeuten ein ganz erheblicher tatsächlicher Bedarf an psychotherapeutischen
Leistungen bestehe, sodass bei Fortführung der Praxis mit entsprechender Kennzeichnung nach außen innerhalb kürzester Zeit
mit einer Vollauslastung zu rechnen sein dürfte, was dafür spreche, dass weder dem vorhandenen Patientenstamm noch den Zuweiserbindungen
erhebliche Bedeutung im Hinblick auf den Verkehrswert der Praxis zukämen. Grundsätzlich hätte die Beklagte die Ausschreibung
vornehmen müssen und die Frage der fortführungsfähigen Praxis den Zulassungsgremien überlassen müssen.
Gegen das ihr am 17. Juni 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Juli 2011 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt
sie aus: Das Sozialgericht verkenne, dass auch eine psychotherapeutische Praxis nur dann im Sinne von §
103 SGB V von einem Nachfolger fortgeführt werden könne, wenn der ausscheidende Vertragsarzt tatsächlich noch in nennenswertem Umfang
vertragsärztlich tätig gewesen sei. Diese Voraussetzung sei im Falle des Klägers nicht erfüllt. Die Lage der Praxis könne
sich nicht maßgeblich auf deren Verkehrswert auswirken. Bei Berlin handele es sich um einen einheitlichen Zulassungsbezirk.
Daher sei es den Vertragsärzten in der Regel unbenommen, mit ihrer Praxis innerhalb von Berlin umzuziehen. Ein Patientenstamm
sei nicht mehr vorhanden; bloße Therapienanfragen seien kein Ersatz dafür. Sie ließen lediglich darauf schließen, dass es
einen Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung gebe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
9. März 2010 rechtswidrig war und die Beklagte verpflichtet war, seinen Vertragsarztsitz auszuschreiben.
Er hält das mit der Berufung angegriffene Urteil für zutreffend. Nach wie vor wende er 600,00 Euro monatlich an Miete für
seine Praxisräume auf. Es gehe ihm nicht etwa um einen schlichten "Zulassungsverkauf". Er bemühe sich lediglich um die Verwertung
seiner Praxis, um seinem Eigentumsrecht Rechnung zu tragen. Die zwischenzeitlich erfolgte Entziehung der Zulassung durch den
bestandskräftigen Beschluss des Berufungsausschusses vom 23. Februar 2011 sei für die Entscheidung bedeutungslos. Der Bestand
der Zulassung sei statusrechtliche Voraussetzung nur im Zeitpunkt des Ausschreibungsantrages, nicht aber auch im Zeitpunkt
der späteren Ausschreibung. Statusrechtliche Gründe stünden dem Ausschreibungsbegehren des Klägers nicht entgegen. Maßgeblicher
Zeitpunkt für die Beurteilung des Rechtsstreites sei der Juli 2009, in dem der Ausschreibungsantrag gestellt worden sei und
die Beklagte ihren Ausgangsbescheid erlassen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe er noch über seine Zulassung verfügt.
Der Berichterstatter hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 22. August 2012 mündlich erörtert.
Wegen des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorganges
der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung
war.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht sie zu einer Ausschreibung des
Vertragsarztsitzes des Klägers verurteilt.
1. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Ausschreibung eines Vertragsarztsitzes zur Nachbesetzung ist die Regelung des §
103 Abs.
4 Satz 1
SGB V die im Zusammenhang mit den Regelungen über die versorgungsgradabhängige Bedarfsplanung mit örtlichen Zulassungssperren getroffen
wurde. Sind - wie hier - für eine Arztgruppe in einem Planungsbereich Zulassungsbeschränkungen wegen Überversorgung angeordnet
worden (§
103 Abs.
1 und
2 SGB V), kann dort grundsätzlich kein Arzt mehr zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen werden. Eine Ausnahme hiervon lässt
das Gesetz zu, wenn die Zulassung eines Vertragsarztes - durch Erreichen der Altersgrenze, Tod, Verzicht oder Entziehung -
endet. Auf Antrag des ausscheidenden Vertragsarztes bzw. seiner zur Verfügung über die Praxis berechtigten Erben hat die Kassenärztliche
Vereinigung diesen Vertragsarztsitz in den für ihre amtlichen Bekanntmachungen vorgeschriebenen Blättern unverzüglich auszuschreiben
und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen. Dem Vertragsarzt wird eine wirtschaftliche Verwertung seiner Praxis
so auch in einem für Neuzulassungen gesperrten Gebiet ermöglicht, was den verfassungsrechtlichen Erfordernissen des Eigentumsschutzes
(Art.
14 Grundgesetz) Rechnung trägt. Der die Vorschriften über die vertragsärztliche Bedarfsplanung prägende Grundsatz, wonach Überversorgung
zu vermeiden und - soweit möglich - abzubauen ist, tritt dann zurück, wenn und soweit die schutzwürdigen wirtschaftlichen
Interessen des ausscheidenden Vertragsarztes bzw. seiner Erben sowie die vom Gesetzgeber ebenfalls für schutzwürdig gehaltenen
Belange der verbleibenden Mitglieder einer Gemeinschaftspraxis die Erteilung einer Zulassung in einen gesperrten Gebiet als
geboten erscheinen lassen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. September 1999, B 6 KA 1/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 41).
Ziel der Ausschreibung und Nachbesetzung ist danach die Fortführung der Praxis. Deshalb können - im Falle einer Einzelpraxis
- Ausschreibung und Nachbesetzung nur so lange erfolgen, wie ein Praxissubstrat noch vorhanden ist (Bundessozialgericht, Urteil
vom 28. November 2007, B 6 KA 26/07 R, zitiert nach juris Rdnr.19). Das Vorhandensein einer fortführungsfähigen Praxis ist allerdings nicht nur von den Zulassungsgremien
bei ihrer Entscheidung nach §
103 Abs.
4 Satz 3
SGB V zu prüfen, sondern auch schon bei der Entscheidung der Beklagten über die Ausschreibung des Vertragsarztsitzes (vgl. Bundessozialgericht,
aaO., Leitsatz 1; ebenso Flint in Hauck/Noftz,
SGB V, §
103 Rdnr. 34; differenzierend für die Fälle des Ruhens Pawlita in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, §
103 Rdnr. 52 ff.).
Praxisfortführung in diesem Sinne verlangt nicht notwendig, dass der Nachfolger eines ausscheidenden Vertragsarztes auf Dauer
die bisherigen Patienten in denselben Praxisräumen mit Unterstützung desselben Praxispersonals und unter Nutzung derselben
medizinisch-technischen Infrastruktur behandeln will. Eine Praxis kann im Sinne des §
103 Abs.
4 Satz 1
SGB V aber nur dann von einem Nachfolger fortgeführt werden, wenn der ausscheidende Vertragsarzt zum Zeitpunkt der Beendigung seiner
Zulassung - von der Situation des Ruhens der Zulassung einmal abgesehen - noch tatsächlich unter einer bestimmten Anschrift
(Ort der Niederlassung, "Vertragsarztsitz", vgl. § 24 Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte [Ärzte-ZV]) in nennenswertem Umfang vertragsärztlich tätig gewesen ist. Das setzt den Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung
von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung einer ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen
der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur in apparativ-technischer
Hinsicht voraus. Fehlt es daran, wird eine ärztliche Praxis, die nach §
103 Abs.
4 Satz 1
SGB V von einem Nachfolger fortgeführt werden könnte, nicht betrieben (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 29. Sept. 1999, B 6 KA 1/99 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 40; vgl. auch Urteil vom 10. Mai 2000, B 6 KA 67/98 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 18). Bei alledem legt der Senat zugrunde, dass die Frage nach dem Vorhandensein einer fortführungsfähigen
Praxis im Falle von Psychotherapeuten nicht anders - strenger oder weniger streng - beurteilt werden darf als bei sonstigen
Ärzten.
2. Hieran gemessen verfügt der Kläger zur Überzeugung des Senats über keine fortführungsfähige Praxis mehr, so dass eine Nachbesetzung
über §
103 Abs.
4 SGB V bzw. - im Vorgriff darauf - eine Ausschreibung des Vertragsarztsitzes nicht beansprucht werden kann.
Maßgebender Beurteilungszeitpunkt für das Begehren des Klägers ist - wie allgemein für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen - die (letzte) mündliche Verhandlung vor dem Senat (vgl. m.w.N.: Keller in Meyer-Ladewig
u.a.,
SGG, 10. Aufl. 2012, Rdnr. 34 zu §
54); in der Regel ist nämlich nur bei Anfechtung eines belastenden Verwaltungsakts die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der
letzten Verwaltungsentscheidung maßgebend (vgl. etwa zur Entziehung der vertragsärztlichen Zulassung: Bundessozialgericht,
Urteil vom 21. März 2012, B 6 KA 22/11 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 54). Der Senat sieht keinen Anlass, von dieser das Prozessrecht durchziehenden Regel abzuweichen.
Gemessen an den oben dargestellten maßgeblichen Regelungen wäre es sinnwidrig, die Beklagte heute zur Ausschreibung des Vertragsarztsitzes
des Klägers zu verpflichten, wenn gleichzeitig feststeht, dass er heute über keine fortführungsfähige Praxis mehr verfügt.
So liegt es hier aber:
Für diese Bewertung ist entscheidend, dass der Kläger seit Mai 2008 - aus heutiger Sicht seit viereinhalb Jahren - keine vertragsärztliche
Tätigkeit mehr ausgeübt hat und seit Jahren über keinen eigenen Patientenstamm mehr verfügt. Dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten
des Klägers in der mündlichen Verhandlung, bei Psychotherapeuten könne von einem die Praxis dauerhaft prägenden Patientenstamm
grundsätzlich nicht die Rede sein, vermag der Senat nicht zu folgen. Auch bei (ärztlichen) Psychotherapeuten entwickeln sich
eine Bindung zwischen Patient und Arzt bzw. ein Patientenstamm, selbst wenn auch längerfristige Therapien zu einem bestimmten
Zeitpunkt enden. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass Patienten, die bereits eine Therapie durchlaufen haben, später zu
ihrem Therapeuten zurückkehren. Auch dürfte es zum Berufsbild des ärztlichen Psychotherapeuten gehören, über einen längeren
Zeitraum hinweg wiederholt kurzzeitige Interventionen bei demselben Patienten vorzunehmen. Eine solche grundsätzlich wachsende
"Bindung" hat auch der Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt. Nach nunmehr viereinhalb Jahren
ist indessen davon auszugehen, dass sämtliche Patienten des Klägers dauerhaft in andere psychotherapeutische Praxen abgewandert
sind.
Ein derartiger mehrjähriger Stillstand einer Vertragsarztpraxis, und zwar auch einer psychotherapeutischen, lässt es schlechthin
undenkbar erscheinen, eine Nachbesetzung über §
103 Abs.
4 SGB V beanspruchen zu können (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 29. Oktober 2009, B 6 KA 42/09 B, BeckRS 2010, 67009, dort Rdnr. 7). Der von der Norm intendierte Eigentumsschutz ist nicht mehr erforderlich, da es an schützenswertem
Vermögen fehlt. Im Falle einer heute erfolgenden Ausschreibung des Vertragsarztsitzes des Klägers gäbe es kein nennenswertes
Praxissubstrat; ein Praxisverkauf käme der Veräußerung einer leeren Hülse in Gestalt der vertragsärztlichen Zulassung gleich.
Als öffentlich-rechtlicher Status unterliegt die vertragsärztliche Zulassung indessen weder der Veräußerung noch dem Eigentumsschutz
(vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, 2008, § 16 Rdnr. 42; LSG Hessen, Urteil vom 26. August 2009, L 4 KA 38/08, zitiert nach juris, dort Rdnr. 25).
Dass der Kläger nach wie vor Räume sowie eine Internetseite vorhält, ändert hieran nichts. Im Vorhandensein nutzbarer Praxisräume
und eines werbenden Internetauftritts allein liegt so lange kein nennenswertes Praxissubstrat, wie es an jeglicher ärztlicher
Betätigung und einem Patientenstamm fehlt. Einen grundrechtlich geschützten immateriellen Wert (Goodwill) vermag der Senat
daher nicht zu erkennen. Ein Praxisverkauf würde sich in der Übernahme von Praxisräumen erschöpfen. Patientenkollektiv, Praxispersonal
und medizinisch-apparative Ausstattung fehlen. Der Praxisnachfolger müsste gleichsam "von Null" an beginnen und könnte vor
allem nicht ansatzweise von bestehenden Patientenbindungen profitieren. Dass den Kläger nach wie vor Therapieanfragen erreichen,
ist auf seinen Internetauftritt zurückzuführen, dessen werbende Wirkung allerdings vollständig leer läuft, da der Kläger seine
ärztliche Tätigkeit seit Jahren eingestellt hat. Nachfrage nach Behandlern allein ist kein durchgreifendes Indiz für das Bestehen
einer Praxis. Die vom Kläger überreichten Therapieanfragen lassen lediglich auf grundsätzlich vorhandenen Bedarf an Psychotherapeuten
schließen, nicht aber auf ein fortbestehendes Praxissubstrat. Übernähme ein Nachfolger die Praxisräume, stünde er nicht besser,
als hätte er sich an anderem Ort in neuen Räumen niedergelassen.
Weil die Zulassung des Klägers zu keinem Zeitpunkt ruhte (§
95 Abs.
5 SGB V i.V.m. § 26 Ärzte-ZV) und er ein solches Ruhen auch zu keinem Zeitpunkt beantragte, sondern nur seine Erkrankung anzeigte, kommt es nicht darauf
an, ob ein Ruhenszeitraum von mehreren Jahren das Praxissubstrat unberührt ließe.
II. Der Hilfsantrag des Klägers bleibt ohne Erfolg.
Die in dem Hilfsantrag liegende Feststellungs- bzw. Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedenfalls unbegründet. Der Widerspruchsbescheid
erging im März 2010 etwa 22 Monate nach Einstellung der Praxistätigkeit durch den Kläger. Zur Überzeugung des Senats existierte
auch schon zu diesem Zeitpunkt keine fortführungsfähige Praxis mehr. Der Sachverhalt lag insoweit nicht anders als im November
2012.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197 a Abs.
1 Satz 1
SGG in Verbindung mit §
154 Abs.
1 VwGO. Gründe für die Zulassung der Revision, §
160 Abs.
2 SGG, bestehen nicht.