Einstweiliger Rechtsschutz
Sofortvollzug von Maßnahmen im Rahmen der Betriebsprüfung der Sozialversicherungsträger
Vorlagepflicht betreffend Sachkonten und Summensaldenlisten
Bestimmtheit eines Verwaltungsakts
1. Die Aufforderung „über alle Tatsachen Auskunft zu erteilen, die für die Erhebung der Beiträge notwendig sind“ ist ebenso
unbestimmt wie die Anforderung "der erforderlichen Unterlagen“ im Rahmen einer sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfung.
2. Solche Bescheide, die erst später der Prüfbesprechung hinsichtlich "der Sachkonten aus der Finanzbuchhaltung" konkretisiert
werden, sind wegen Verstoß gegen das Bestimmtheitserfordernis in § 33 SGB X rechtswidrig.
3. Rechtswidrige Bescheide bzw. Anordnungen sind nicht sofort zu vollziehen, da kein öffentliches Vollzugsinteresse daran
bejaht werden darf. Auf Widerspruch hin sind solche Entscheidungen vielmehr außer Kraft zu setzen.
Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 31. Januar 2013 anzuordnen, rechtsfehlerhaft zurückgewiesen. Es hätte die aufschiebende
Wirkung des Widerspruchs gemäß §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG anordnen müssen, weil die Abwägung der Interessen der Beteiligten ergibt, dass dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerin
gegenüber dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin der Vorrang einzuräumen ist. Denn der angefochtene Verwaltungsakt
erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren möglichen Prüfung als rechtswidrig; außerdem sind keine hinreichenden Gründe
für eine rechtmäßige Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit des angefochtenen Bescheides gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
5 SGG erkennbar.
1.) Dem Bescheid vom 31. Januar 2013 fehlt die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit i.S.d. § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X), was von der Antragstellerin verlangt wird. Der Antragstellerin wurde mit dem angefochtenen Bescheid aufgegeben, "über alle
Tatsachen Auskunft zu erteilen, die für die Erhebung der Beiträge notwendig sind". Ihr wurde bis spätestens 25. Februar 2013
Gelegenheit gegeben, "die erforderlichen Unterlagen" der Antragsgegnerin zur Einsicht vorzulegen. Sollte die Antragstellerin
dieser Aufforderung nicht nachkommen, drohte ihr die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR an. Aus dem Tenor
dieses Bescheide kann die Antragstellerin nicht entnehmen, welche Unterlagen sie innerhalb der von der Antragsgegnerin gesetzten
Frist vorlegen muss, um die Festsetzung eines Zwangsgeldes zu vermeiden. Dies lässt sich auch nicht aus dem Inhalt der Begründung
des Bescheides entnehmen: Daraus geht nämlich hervor, dass im Rahmen einer Betriebsprüfung im Jahre 2012 von der Antragsgegnerin
zunächst die "Vorlage Sachkonten aus der Finanzbuchhaltung", dann jedoch die Einsicht in die "Summensaldenlisten, diverse
Sachkonten nach Stichproben" verlangt worden war. Hieraus wird nicht deutlich, ob die "erforderlichen Unterlagen" die Vorgänge
über alle Sachkonten erfassen sollten oder nur die "Summensaldenlisten". Zur weiteren Begründung des Bescheides nimmt die
Antragsgegnerin in dem angefochtenen Bescheid auf ein Gespräch mit einer Vertreterin der Antragstellerin Bezug. Abgesehen
von dem darin liegenden Verstoß gegen § 35 Abs. 1 SGB X, wird für Dritte, die Widerspruchsstelle und die Sozialgerichte, nicht erkennbar, welche Erläuterungen in dem Gespräch gegeben
wurden. Dies ist jedoch erforderlich, weil die Widerspruchsstelle und die Sozialgerichte etwa im Rahmen einer Anfechtung der
Festsetzung eines Zwangsgeldes selbst bestimmen können müssen, ob die Antragstellerin ihren Pflichten aus dem Grundverwaltungsakt
nachgekommen ist. Es reicht deshalb nicht aus, dass die Antragstellerin wissen konnte, welche Unterlagen sie vorlegen sollte
(in diesem Sinne der angefochtene sozialgerichtliche Beschluss) bzw., dass für sie aus der gesamten Betriebsprüfung "offensichtlich
erkennbar" gewesen sei, worauf sich die Prüfung erstrecken sollte (in diesem Sinne zu einem parallel liegenden Fall LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 23. Oktober 2013, L 4 R 2435/13 ER-B). Erst nach Ablauf der der Antragstellerin gesetzten Frist hat die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren in dem
Schriftsatz vom 02. Mai 2013 erläutert, wie sie im vorliegenden Fall vorzugehen beabsichtigte: Mit den erforderlichen Unterlagen
seien die Sachkonten aus der Finanzbuchhaltung gemeint. Damit entschieden werden könne, welche Sachkonten im Einzelnen vom
Arbeitgeber vorzulegen seien, werde in einem ersten Schritt die Vorlage der Summensaldenlisten verlangt. Aus diesen könne
die Antragsgegnerin entnehmen, welche Sachkonten vorhanden seien. In einem zweiten Schritt könnten diese nach Stichproben
geprüft werden. Ein solches mehrstufiges Vorgehen mit dem Verlangen nach der Vorlage von Summensaldenlisten und erst danach
ausgesuchter Unterlagen über Sachkonten lässt sich dem angefochtenen Verwaltungsakt jedoch nicht einmal im Ansatz entnehmen.
In keiner Weise aus dem Bescheid erkennbar ist schließlich der Zeitraum, für den die "erforderlichen Unterlagen" vorgelegt
werden sollten.
2.) Darüber hinaus sind weder aus dem Bescheid noch aus dem sonstigen Sachverhalt ausreichende Gründe für die von der Antragsgegnerin
angeordnete sofortige Vollziehbarkeit des Bescheides erkennbar. Nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung
von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Der Gesetzgeber
hat die sofortige Vollziehbarkeit kraft gesetzlicher Anordnung auf die Entscheidungen der Sozialversicherungsträger beschränkt,
durch die - im hier interessierenden Zusammenhang - Versicherungs- und Beitragspflichten festgestellt und Beiträge gefordert
werden, um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Sozialversicherung sicherzustellen. Alle Maßnahmen i.S. d. § 31 Satz 1 SGB X, die die Versicherungsträger zur Vorbereitung der Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflichten treffen, sind dagegen
nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Ihre sofortige Vollziehbarkeit bedarf mithin einer besonderen Anordnung, die mit
einer schriftlichen Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung verbunden sein muss (§
86a Abs.
2 Nr.
5 SGG). Die Feststellung eines solchen besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung muss sich aus der Gegenüberstellung
der auf den konkreten Fall bezogenen öffentlichen Interessen an der sofortigen Durchsetzung des betroffenen Verwaltungsakts
gegenüber den berücksichtigungsfähigen Interessen der Antragstellerin ergeben, bis zum Eintritt der Bestandskraft des Bescheides
von seiner sofortigen Durchsetzung verschont zu bleiben; dabei muss das besondere Vollziehungsinteresse über das Interesse
an dem Erlass des Verwaltungsakts hinausgehen, um den in solchen Fällen kraft Gesetzes angeordneten Suspensiveffekt zu wahren.
Daran fehlt es hier. Die Antragsgegnerin leitet die Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides daraus her, dass
schon die Möglichkeit, dass im vorliegenden Fall Beiträge vorenthalten würden, die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit
aller Verwaltungsakte rechtfertige, die im Rahmen einer Betriebsprüfung erlassen würden, um einen etwaigen Schaden für die
Versichertengemeinschaft so gering wie möglich zu halten. Sie stellt mithin auf die abstrakte und nicht auf eine konkrete
Gefahr einer Vorenthaltung der Beiträge ab. Eine solche Begründung erschöpft sich in der Sache in der Wiederholung der Begründung
für den Verwaltungsakt selbst, weil sie in keiner Weise besondere Umstände des konkreten Falls für eine sofortige Vollziehung
berücksichtigt; darin liegt der Versuch, die in §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG gesetzlich angeordnete sofortige Vollziehbarkeit von Bescheiden zur Versicherungs- und Beitragspflicht ohne Rücksicht auf
die Besonderheiten des Einzelfalles auf Verwaltungsakte zu erstrecken, die im Betriebsprüfungsverfahren zur Vorbereitung der
Maßnahmen nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG erlassen werden. Dies verstößt jedoch gegen §
86a Abs.
2 Nrn. 1 und 5
SGG.
3.) Da der Grundverwaltungsakt und die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit rechtswidrig sind, erweist sich auch die Zwangsgeldandrohung
als rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
1 Verwaltungsgerichtsordnung; die Wertfestsetzung (Grundverwaltungsakt und Zwangsgeldandrohung) beruht auf §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (vgl. §
177 SGG).