Kosten häuslicher Krankenpflege
Erlöschen des Zahlungsanspruch eines Pflegedienstes gegen einen Versicherten
Vorbehaltlose Zahlung von Rechnungen für Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch einen Träger der Sozialhilfe oder Jugendhilfe
Kein Rückgriff des Trägers der Sozialhilfe oder Jugendhilfe auf den Versicherten
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Begleichung der Kosten häuslicher Krankenpflege in Höhe von insgesamt 86.946,48 Euro für
die Zeit von 21. Mai 2015 bis einschließlich Dezember 2015 sowie in Höhe von 357.851,43 Euro für die Zeit von April 2016 bis
einschließlich Juni 2017.
Der Kläger ist am 25. Juli 2013 geboren und war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er leidet als frühgeborenes
Kind (25 + 1 Schwangerschaftswoche mit einem Geburtsgewicht von 890 Gramm) unter einem Ultrakurzdarmsyndrom nach schwerer
nekrotisierender Enterokolitis mit Verlust von ca. 80 Prozent des Dünndarms und Dickdarms. Er war auf die parenterale Nährstoffzufuhr
über einen Venen-Katheter (Broviak-Katheter) angewiesen und hatte einen künstlichen Darmausgang (Ileostoma). Er litt des weiteren
an einer globalen Entwicklungsretardierung mit Verdacht auf ADHS und war mit einem Pulsoximeter (Sauerstoffmessgerät) wegen
Sättigungsabfällen und auffälligem Polysomnographiebefund versorgt. Der Einsatz des Venen-Katheters (Broviac-Katheter) erforderte,
auch aufgrund von eigenen Manipulationen des Klägers als Kleinkind in der Vergangenheit, diverse stationäre Krankenhausaufenthalte.
Der Kläger stand unter Vormundschaft (§
1791b Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB) des Bezirksamtes Mitte von Berlin (Bescheinigung des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 27. August 2013), ab dem 9. Oktober
2015 beschränkt auf die Bereiche Gesundheitssorge und die Befugnis, für den Kläger Anträge nach den Sozialgesetzbüchern zu
stellen und das Kind gegenüber den zuständigen Institutionen und Gerichten zu vertreten.
Der Kläger wurde seit Ende 2013 im Umfang von 24 Stunden täglich durch den „Kinder-Intensivpflegedienst “ betreut, in deren
Einrichtung (Wohngemeinschaft) er sich aufhielt. Er erhielt spezielle Beobachtung und pflegerische Betreuung, auch um Manipulationen
an dem Katheter bzw. dem Ileostoma zu verhindern. Der Pflegedienst (Beigeladene zu 2) stellte dafür Leistungen gemäß Ziffer
24 der Anlage zur Häusliche Krankenpflege-Richtlinie - HKP-RL in der Fassung vom 17. September 2009, in der Fassung vom 17.
Juli 2014, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 06.10.2014 B2 vom 6. Oktober 2014 in Kraft getreten am 7. Oktober 2014)
in Rechnung. Zwischen dem Kläger, vertreten durch den Amtsvormund, und dem beigeladenen Pflegedienst wurde am 24. November
2013 ein Vertrag über ambulante pflegerische Leistungen geschlossen, in dem sich der Kläger dazu verpflichtet hat, die nicht
bewilligten, aber aufgrund ärztlicher Anordnung in Anspruch genommenen Leistungen des Pflegedienstes auf der Grundlage der
mit den gesetzlichen Krankenkassen jeweils vereinbarten vertraglichen Vergütungen selbst zu bezahlen.
Der Kläger erhielt bis 31. Mai 2015 Leistungen der Pflegeversicherung in Höhe der Pflegestufe II, ab dem 01. Juni 2015 bewilligte
die Pflegekasse Leistungen der Pflegestufe I, da der Hilfebedarf im Bereich der Ernährung entfallen sei (Bescheid vom 11.
Mai 2015 und nachfolgendes MDK-Pflegegutachten vom 3. Juni 2016).
Der Kläger erhielt vom Beigeladenen zu 1). - konkret dem „Jugendamt/Eingliederungshilfe“ - für den Zeitraum vom 1. Januar
2015 bis zum 31. Dezember 2017 die Kosten für die stationäre Unterbringung in der Einrichtung der Beigeladenen zu 2) gemäß
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) in Gestalt der Unterbringung, Verpflegung, Investitionskosten und Hygieneartikel (Bescheide vom 25. Februar 2015 und 18.
Januar 2016, 30. Juni 2016).
Für den Kläger wurde für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 31. Dezember 2015 mit ärztlichen Verordnungen der behandelnden
Kinderärzte vom 11. März 2015, 10. Juni 2015 und 9. September 2015 häusliche Krankenpflege in Gestalt der Behandlungspflege,
konkret Zuckermessung, Injektionen, Medikamentengabe sowie der speziellen Krankenbeobachtung (Monitoring) im Hinblick auf
die erhöhte Aspirationsgefahr (= das Eindringen von flüssigen oder festen Stoffen in die Atemwege während der Einatmung),
die parenterale Ernährung, eine Elektrolytentgleisung bzw. zum Eingreifen in Notfallsituationen im Umfang von 24 Stunden täglich
für die Zeit ab dem 1. April 2015 bis zum 31. Dezember 2015 verordnet. Für den Zeitraum vom April 2016 bis Juni 2017 liegen
entsprechende ärztliche Verordnungen vom 10. März 2016, 30. Mai 2016, 18. August 2016, 22. September 2016 sowie für die Zeit
vom 1. Januar 2017 bis 30. Juni 2017 eine Verordnung ohne Datum vor. Die Kinderärzte hielten ausweislich mehrerer Atteste
eine 24-stündige Krankenbeobachtung u.a. zur Sicherstellung der verordneten Therapie und um den Eintritt lebensbedrohlicher
Situationen zu verhindern für notwendig, zu denen es in der Vergangenheit bereits gekommen sei.
Nachdem die Beklagte die Krankenpflege zuvor in dem verordneten Umfang (24-Stunden spezielle Krankenbeobachtung) bewilligt
hatte, bewilligte sie auf den Antrag des Klägers auf weitere Genehmigung der häuslichen Krankenpflege vom 23. März 2015 für
den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 30. Juni 2015 (unter Übersendung der ärztlichen Verordnung vom 11. März 2015) lediglich
für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 20. Mai 2015 die beantragte Leistung unter Berücksichtigung der Leistungen der
Pflegeversicherung im Umfang von 21,37 Stunden pro Tag; Für den Anschlusszeitraum ab dem 21. Mai 2015 erfolgte dagegen keine
Bewilligung. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Die Voraussetzungen für die spezielle Krankenbeobachtung seien nicht
mehr gegeben. Ab dem 21. Mai 2015 könne sie sich an diesen Kosten daher nicht mehr beteiligen. Denn der MDK sei in seiner
aktuellen Stellungnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Kläger zwar unstreitig ein hoher pflegerischer Versorgungsaufwand
in Gestalt der kontinuierlichen Betreuung und Beaufsichtigung bestehe, aber keine Notwendigkeit der speziellen Krankenbeobachtung.
Nach Einschätzung des MDK sei die Voraussetzung, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige ärztliche/pflegerische Intervention
bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich sei, nicht gegeben (so das MDK-Gutachten vom 11. Mai 2015). Bei medizinischer
Notwendigkeit könnte der Kläger Leistungen der allgemeinen häuslichen Krankenpflege wie z.B. die Medikamentengabe und Infusion
beantragen (Bescheid vom 13. Mai 2015).
Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 13. Mai 2015 und die Ablehnung der häuslichen Krankenpflege ab dem 21. Mai 2015 Widerspruch.
An seinem schweren Krankheitsbild habe sich nichts geändert. Die Nahrungsversorgung erfolge weiterhin über den Broviac-Katheter,
wenn auch nunmehr ein oraler Nahrungsaufbau betrieben werde, um eine Entwöhnung von dem Katheter in die Wege zu leiten. Um
eine eventuell entstehende Entzündung an der Eintrittsstelle des Katheters rechtzeitig erkennen und medizinisch versorgen
zu können, verstehe sich von selbst, dass eine 24-stündige Krankenbeobachtung stattfinden müsse. Beim Ess-Training komme es
weiterhin zum Verschlucken, sodass die dauernde Kontrolle und ein Eingreifen seitens des Pflegepersonals zum Abwenden von
Notfallsituationen zwingend erforderlich sei. Nicht zu vergessen sei das Handling und die Pflege des Ileostoma, um auch hier
Infektionen und Schäden der Eintrittsstelle sowie der umliegenden Hautareale zu verhindern. Gemäß einer beigefügten Stellungnahme
des Vivantes Klinikums vom 15. Mai 2015 seien die intensiv geschulte Pflege, Verbandswechsel und Beobachtung für den zentralen
Venenkatheter und das Ileostoma erforderlich. Der Kläger sei ein umtriebiges und lebhaftes Kind und benötige daher zur Vermeidung
einer Dislokation (= Verschiebung oder Lageveränderung) des zentralen Katheters unbedingt eine 1:1- Betreuung über 24 Stunden.
Des Weiteren benötige er eine 24-stündige Monitorüberwachung, da es im Rahmen von Aspirationen bereits zur Zyanose (= bläuliche
Verfärbung der Haut aufgrund von Sauerstoffmangel im Blut) und Atembehinderung gekommen sei. Bei ähnlichen Ereignissen sei
ein geschultes Handeln bis zur Reanimation erforderlich.
Die Beigeladene zu 2) erbrachte für den Kläger auch für die Zeit ab dem 21. Mai 2015 eine 24-Stunden-Krankenbeobachtung und
stellte diese bis September 2015 der Beklagten in Rechnung (vgl. Leistungsnachweis und Rechnung jeweils vom 1. Juni 2015 für
Mai 2015). Diese berief sich auf ihren ablehnenden Bescheid und teilte dem Pflegedienst mit, er sei nicht abrechnungsberechtigt.
Die Beklagte lehnte dem Kläger gegenüber auch die weitere Kostenübernahme für die Zeit ab dem 1. Juli 2015 bis 31. Dezember
2015 mit Bescheiden vom 16. Juni 2015 sowie vom 31. Juli 2015 und 27. August 2015, 6. Oktober 2015, 11. November 2015 ab.
Der Kläger erhob jeweils Widerspruch. Die Beigeladene zu 2) übersandte der Beklagten fortlaufend bis November 2015 die monatlichen
Rechnungen für die erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Ab diesem Zeitpunkt übersandte sie die Rechnungen an
den Beigeladenen zu 1).
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger hat dagegen am 15. Januar
2016 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben (S 72 KR 91/16), mit der er die Verpflichtung der Beklagten zur Begleichung der Rechnungen des beigeladenen Pflegedienstes für die Zeit
ab dem 1. Januar 2015 bis zum 30. September 2015 begehrt hat.
Für den Zeitraum ab dem 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2017 lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 5. April 2016, 22. Juni
2016, 30. August 2016, 25. Oktober 2016, 30. Januar 2017 die Übernahme der Kosten der häuslichen Krankenpflege für den Kläger
ab. Eine Kostenübernahme für den Zwischenzeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. März 2016 (ärztliche Verordnung vom 4. Dezember
2015) lehnte die Beklagte ab, weil die ärztliche Verordnung verspätet, nämlich erst am 4. August 2017, bei ihr eingereicht
worden sei. Für den Zeitraum vom 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2017 berechnete die beigeladene Pflegeeinrichtung Kosten für
die erbrachte häusliche Krankenpflege in Höhe von insgesamt 357.851,43 Euro.
Der Kläger erhob auch gegen diese Ablehnungen für den Zeitraum ab dem 1. April 2017 Widerspruch. Diesen wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2017 zurück. Der Kläger hat gegen den Widerspruchsbescheid am 13. Juli 2017 insgesamt
fünf Klagen zum Sozialgericht Berlin erhoben, die das Sozialgericht zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem
Aktenzeichen S 81 KR 1383/17 verbunden hat.
Die beigeladene Kinderintensiv-Pflegeeinrichtung (Beigeladene zu 2) hat dem Beigeladenen zu 1) als Träger der Eingliederungshilfe
anlässlich der (dauerhaften) Ablehnung durch die Beklagte zum einen die Kosten der Unterbringung und Verpflegung und Behandlungspflege
ab dem 21. Mai 2015 in Rechnung gestellt und ihn zum anderen in seiner Eigenschaft als Vormund um Übernahme der Kosten für
die spezielle Krankenbeobachtung gebeten (11. August 2015). Das Bezirksamt Mitte Berlin des Beigeladenen zu 1) hat als Vormund
für den Kläger zunächst eine andere geeignete Einrichtung für ihn gesucht und nicht gefunden (v.a. wegen der unklaren Finanzierung
einer 1:1 Betreuung/Beaufsichtigung) und dann dem ebenfalls beim Land Berlin (Bezirksamt Mitte) angesiedelten Jugendamt/Fallmanagement/Eingliederungshilfe
die Rechnungen des beigeladenen Pflegedienstes geschickt, um eine Verlegung des Kindes aus seinem vertrauten Umfeld mit nahezu
täglichen Besuchen des Kindsvaters zu verhindern.
Der Beigeladene zu 1) hat als Träger der Eingliederungshilfe die für die Behandlungspflege in Gestalt der speziellen Krankenbeobachtung
von der Beigeladenen zu 2) an die Beklagte ausgestellten Rechnungen sowie eine Rechnung für den Zeitraum ab Mai 2015, ausgestellt
an das Bezirksamt, bis einschließlich 30. November 2017 bezahlt. Dabei stellte die Beigeladene zu 2) für den Zeitraum ab Oktober
2015 die Rechnungen für die erbrachte 24-Stunden-Krankenpflege auf das Bezirksamt Berlin Mitte von Berlin Jugendamt, Eingliederungshilfe,
aus und übersandte sie diesem monatlich.
Der Beigeladene zu 1) erklärte gegenüber dem Beigeladenen zu 2) mit Schreiben vom 30. September 2015, auf den Antrag des Klägers,
Eingliederungshilfemaßnahmen gemäß §§ 61, 75 Abs. 5, 19 Abs. 3 SGB XII für den Zeitraum ab dem 1. September 2015 „bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens im Umfang von 24 Stunden pro Tag
persönliche Assistenz nach Leistungskomplex 32 für 7 Tage pro Woche im Umfang eines Stundensatzes von 19,74 Euro sowie die
Kosten der Unterkunft und Regelsatz“ zu übernehmen. Die persönliche Assistenz sei anzuwenden bei schwerer Körperbehinderung
und besonderer Pflegebedürftigkeit und der Notwendigkeit ständiger Beaufsichtigung und Anwesenheit zur Sicherung nicht planbarer
pflegerischer Bedarfe (Tag- und Nachtwache). Das ergänzende Schreiben vom 16. Oktober 2015 (Abteilung Jugend, Schule, Sport
und Facility Management – Jugendamtsleitung) führte gegenüber der Beigeladenen zu 2) aus, für September 2015 habe der Beigeladene
zu 1) den vollen Rechnungsbetrag des Pflegedienstes übernommen, das gelte auch ab Mai 2015, obwohl die Kostenansätze der Eingliederungshilfe
nicht denjenigen der Krankenkassen entsprächen und eine Rechtsgrundlage im Rahmen der Eingliederungshilfe fehle. Die Erforderlichkeit
der Leistungsgewährung 24/7 sei aber unstreitig. Am 25. November 2015 teilte der Beigeladene zu 1) – Jugendamt – der Beigeladenen
zu 2) zur Erläuterung mit, die Kosten des Leistungskomplexes 32 der Eingliederungshilfe würden vom Jugendamt in Höhe von 19,74
Euro pro Stunde übernommen, über den Betrag hinaus könne kein Bescheid/Verwaltungsakt erlassen werden, dennoch habe das Jugendamt
die darüber hinausgehende Rechnung der Beigeladenen zu 2) bis Oktober 2015 gezahlt. Mit Bescheiden vom 6. Juni 2016 und vom
8. Dezember 2016 hat der Beigeladene zu 1) dem Kläger die o.g. Leistungen der Eingliederungshilfe bzw. gemäß § 61 SGB XII für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 30. Juni 2017 und vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2017 in der Einrichtung der
Beigeladenen zu 2) bewilligt (und die monatlichen Rechnungen für die häusliche Krankenpflege in voller Höhe beglichen).
Parallel suchte der Beigeladene zu 1) nach einer gemeinsamen Wohn- und Betreuungsmöglichkeit für den Kläger und seinen leiblichen
Vater. Einen Erstattungsantrag für die Maßnahmen der Eingliederungshilfe in Gestalt der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden
(§ 61 SGB XII) und der aufgewendeten Kosten hat der Beigeladene zu 1) allein für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 fortlaufend bei der Beklagten
gestellt (Antrag vom 25. September 2017).
Der Kläger ist zum 30. November 2017 mit seinem leiblichen Vater nach Rostock umgezogen und lebt dort in einer stationären
Jugendhilfeeinrichtung. Zuständige Krankenkasse ist seither die AOK Berlin-Brandenburg („Nordost“).
Mit Gerichtsbescheid vom 1. August 2018 hat das Sozialgericht im Verfahren S 72 KR 91/16 die Klage betreffend den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 30. September 2015 abgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs-
und Verpflichtungsklage sei für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 20. Mai 2015 bereits unzulässig. Die streitgegenständlichen
Bescheide der Beklagten beträfen ausschließlich den Leistungszeitraum ab dem 21. Mai 2015. Die Klage bezüglich dieses Zeitraums
sei unbegründet. Mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2018 hat das Sozialgericht im Verfahren S 81 KR 1983/17 die Klage für den Zeitraum ab April 2016 bis Juni 2017 als unbegründet abgewiesen.
Beide Gerichtsbescheide haben zur Begründetheit der Klagen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Freistellung von
den Kosten der häuslichen Krankenpflege. Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Freistellung von den Kosten sei §
13 Abs.
3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V). Dieser erfordere, dass Versicherte einer rechtswirksamen Zahlungsverpflichtung ausgesetzt seien. Daran fehle es im Fall
des Klägers für die geltend gemachten Zeiträume, in denen er Leistungen der häuslichen Krankenpflege von dem Beigeladenen
zu 2) tatsächlich erhalten habe. Bereits aus den als Nachweis für die Kostenbelastung übersandten Rechnungen des beigeladenen
Pflegedienstes für die Monate Mai bis September 2015 werde deutlich, dass der Kläger in dem Zeitraum keiner Zahlungsverpflichtung
ausgesetzt sei. Keine der übersandten Rechnungen sei an den Kläger adressiert.
Ungeachtet dessen seien sämtliche aus der häuslichen Krankenpflege für die streitigen Zeiträume resultierenden Forderungen
der Beigeladenen zu 2) vom Bezirksamt Berlin bereits beglichen worden und damit dem Kläger gegenüber erloschen. Die Übernahme
der Kosten der Behandlungspflege sei erkennbar, wie es in dem Schreiben des Jugendamtes an die Beklagte vom 25. September
2017 angegeben worden sei, auf der Grundlage von § 61 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) erfolgt. Gegenüber dem beigeladenen Pflegedienst sei die Begleichung der Rechnungen im Rahmen eines Schuldbeitritts bewerkstelligt
worden (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 23/13 R Rdnr. 14). Mit der Begleichung der
Rechnungen durch den Beigeladenen zu 1) sei auch im Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Pflegedienst (der Beigeladenen
zu 2) Erfüllung gemäß §
362 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) eingetreten. Einen insofern allenfalls denkbaren Anspruch auf Erstattung der Kosten des Bezirksamtes von Berlin könne der
Kläger selbst nicht (für das Bezirksamt) gegen die Beklagte geltend machen. Eine Ausdehnung des Kostenerstattungsanspruchs
bei einer Schadensverlagerung durch Kostenübernahme eines Dritten komme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur
auf besonders eng mit dem Versicherten verbundene Familienmitglieder in Betracht, weil von diesen ein Eintreten für die Versicherten
erwartet werde (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 16. September 2014 – B 3 KR 19/03 R Rdnr. 15). Auf den hier vorliegenden Fall der Übernahme der Kosten durch einen anderen Sozialleistungsträger seien diese
Grundsätze schon deshalb nicht übertragbar, weil das Gesetz für den Fall, dass ein unzuständiger oder nur nachrangig verpflichteter
Leistungsträger Sozialleistungen erbringe, in den §§ 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eigenständige Erstattungsansprüche vorsehe. Für eine entsprechende Anwendung des §
13 Abs.
3 SGB V sei kein Raum, zumal die genannten Erstattungsvorschriften gerade bezweckten, dass die Zuständigkeitsstreitigkeiten allein
zwischen den Trägern der Sozialleistungen ausgetragen würden. Diese Wertung komme besonders in § 107 SGB X zum Ausdruck, wonach der Anspruch des Berechtigten gegenüber dem zur Leistung verpflichteten Träger als erfüllt gelte, soweit
ein Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff. SGB X bestehe. Für den Fall des Klägers bedeute dies: Wenn ihm tatsächlich ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Gestalt
der 24-Stunden-Krankenbeobachtung, die die Beigeladene zu 2) erbracht habe, gegen die Beklagte zugestanden habe, so sei dieser
durch die Kostenübernahme seitens des Bezirksamtes (Beigeladener zu 1) erfüllt. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein solcher
Anspruch nach §
37 Abs.
2 SGB V (in der bis zum 28. Oktober 2020 geltenden Fassung) für den Kläger bestanden habe, sei allein im Erstattungsstreit zwischen
dem Bezirksamt von Berlin und der Beklagten zu klären (Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Februar 2015 – B 3 KR 11/14 R). Auf die Frage, ob das Bezirksamt von Berlin unter keinen Umständen zuständig sei, komme es im Hinblick auf § 105 SGB X, der gerade den Erstattungsanspruch des unzuständigen Leistungsträgers regele, nicht an.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2018 (S 81 KR 1383/17), der ihm am 28. Juni 2018 zugestellt wurde, am 25. Juli 2018 Berufung eingelegt. Gegen den Gerichtsbescheid vom 1. August
2018 (S 72 KR 91/16), ihm zugestellt am 22. August 2018, hat er am 10. September 2018 Berufung eingelegt, mit der er jeweils sein Begehren weiterverfolgt.
Bei ihm habe – als Kleinkind – keinerlei Krankheitseinsicht und Therapiekompetenz vorgelegen. Dadurch habe die Gefahr einer
lebensgefährlichen Infektion des Katheters bestanden mit der Notwendigkeit eines sofortigen Eingreifens von medizinisch ausgebildetem
Personal. Gemäß Ziffer 22 der Anlage zur HKP-RL sei bei Versorgung mit einem Katheter Behandlungspflege auch dann zu gewähren,
wenn durch erhebliche Schädigung mentaler Funktionen bedingte gesundheitsgefährdende Handlungen des Patienten an der Katheteraustrittsstelle
wirksam verhindert werden könnten. Da sich bei ihm innerhalb weniger Minuten lebensgefährliche Blutungen oder Infektionen
hätten bilden können, habe eine Situation vorgelegen, die Ziffer 24 der HKP-RL (24-Stunden spezielle Krankenbeobachtung) entspreche.
Im Übrigen sei er wegen Sättigungsabfällen mit einem Monitor überwacht worden. Die Annahme des Sozialgerichts, die Rechnungen
des beigeladenen Pflegedienstes seien über die Eingliederungshilfe oder Hilfe zur Pflege beglichen worden, treffe nicht zu.
Das Bezirksamt habe die Rechnungen vorläufig beglichen, damit der Kläger in der Einrichtung habe verbleiben können, es habe
damit nicht die Schuld der Krankenkasse zum Erlöschen bringen wollen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. August 2018 mit dem Aktenzeichen S 72 KR 91/16 aufzuheben und die Rechnungen für die dem Kläger gegenüber erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden
täglich an sieben Tagen in der Woche für den Zeitraum 21. Mai 2015 bis zum 31. Dezember 2015 zu erstatten,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Juni 2018 mit dem Aktenzeichen S 81 KR 1383/17 aufzuheben und die Rechnungen für die dem Kläger gegenüber erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24 Stunden
täglich an sieben Tagen in der Woche für den Zeitraum 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2017 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt in beiden Verfahren jeweils schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine Erstattung von Kosten könne nicht erfolgen, weil der Kläger keine Kosten habe.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen jeweils keinen Antrag.
Der Beigeladene zu 1) trägt vor, er habe die Kosten zur häuslichen Krankenpflege durch das Fallmanagement Eingliederungshilfe
vorläufig übernommen bis das Widerspruchsverfahren abgeschlossen gewesen sei, um eine Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Ein
Erstattungsanspruch an die Beklagte sei nicht gestellt worden, weil ein Widerspruchsverfahren gegen sie anhängig gewesen sei.
Die Beigeladene zu 2) ist wirtschaftlich inaktiv, sie wird von der Geschäftsführung der GmbH vertreten. Diese GmbH hat zum
1. Juni 2019 auch den Geschäftsbetrieb der Beigeladenen zu 2) übernommen.
Der Senat hat im Verfahren unter dem früheren Aktenzeichen L 9 KR 284/18 am 3. Juli 2019 einen Erörterungstermin durchgeführt und die beiden Berufungsverfahren (L 28 KR 284/18 und L 9 KR 234/18 ) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zum Aktenzeichen L 9 KR 234/18 verbunden.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge
der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der geheimen
Beratung und der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
A. Der Senat durfte in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richterinnen bzw. Richtern entscheiden,
denn die Ausgangsentscheidungen erfolgten durch Gerichtsbescheide und der Senat hat mit Beschluss vom 24. Juni 2021 die Berufungen
auf die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter/Richterinnen übertragen (§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz –
SGG). Der Senat durfte im Wege des schriftlichen Verfahrens entscheiden, weil alle Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt
haben (§
153 Abs.
1 i.V.m. §
124 Abs.
2 SGG).
B. Die beiden Berufungen bleiben ohne Erfolg.
I. Die Berufung in dem Verfahren L 9 KR 284/18 ist nur teilweise, nämlich betreffend die Erstattung von Kosten für den Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis zum 30. September 2015,
zulässig, hingegen nicht für den Anschlusszeitraum ab dem 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015. Denn der Zeitraum ab
dem 1. Oktober 2015 war nicht Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung. Gemäß §
143 SGG ist die Berufung statthaft, wenn eine rechtsmittelfähige Entscheidung ergangen ist, damit entweder ein Urteil oder gemäß
§
105 Abs.
3, 1. Halbsatz
SGG ein Gerichtsbescheid. Eine solche Entscheidung liegt mit dem Gerichtsbescheid vom 1. August 2018 zwar vor. Allerdings wird
der Kläger für den genannten Zeitraum ab dem 1. Oktober 2015 durch die Entscheidung nicht beschwert und hat insoweit kein
Rechtsschutzinteresse für die Berufung. Eine Beschwer liegt nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung einem Kläger etwas
versagt, das er beantragt hatte (formelle Beschwer, vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/B. Schmidt,
SGG, 13. Aufl., Vor §
143 Rdnr. 6). Der Kläger hat vor dem Sozialgericht (72. Kammer) allein beantragt, die Rechnungen für den Zeitraum vom 21. Mai
2015 bis zum 30. September 2015 für die Erbringung der häuslichen Krankenpflege zu begleichen und auch nur für diesen Zeitraum
auf Aufforderung des Sozialgerichts hin eine Bezifferung in Höhe von 86.946,48 Euro vorgenommen (Schriftsätze an das Sozialgericht
vom 23. Februar 2017 und vom 13. Juni 2018, nebst Rechnungen der Beigeladenen zu 2). Das Sozialgericht hat demgemäß nur über
diesen Zeitraum und den Erstattungsbetrag in seinem Gerichtsbescheid entschieden. Für den Anschlusszeitraum lag weder ein
entsprechender Klageantrag noch eine Bezifferung der Erstattungsforderung noch eine gerichtliche Entscheidung vor, die den
Kläger beschweren könnte.
II. In der Sache hat das Sozialgericht Berlin mit den zwei Gerichtsbescheiden die Klagen des Klägers zu Recht abgewiesen.
Er hat keinen Anspruch auf Begleichung der Rechnung der Beigeladenen zu 2) für den streitigen Zeitraum vom 21. Mai 2015 bis
zum 30. September 2015 und für die Zeit vom April 2016 bis einschließlich Juni 2017. Dies gilt sowohl hinsichtlich einer Zahlung
als auch einer Freistellung von Forderungen, so auch diese überhaupt von seinem Antrag („erstatten“) umfasst war, wovon der
Senat zu seinen Gunsten im Wege der Meistbegünstigung ausgeht. Die Bescheide der Beklagten in Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 16. Dezember 2015 und vom 28. Juni 2017 sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Gründe der erstinstanzlichen Entscheidungen (§
153 Abs.
2 SGG). Zu ergänzen und zu betonen bleibt:
Anspruchsgrundlage für einen Kostenerstattungs- wie auch Kostenfreistellungsanspruch ist – wie das Sozialgericht in beiden
Entscheidungen zutreffend erkannte – §
13 Abs.
3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) und nicht §
37 Abs.
4 SGB V. Zwar gibt §
37 Abs.
4 SGB V im Bereich häuslicher Krankenpflege im Rahmen seines Anwendungsbereichs einen im Verhältnis zu §
13 Abs.
3 SGB V weiteren ggf. auch spezielleren Kostenerstattungsanspruch, allerdings liegen die Voraussetzungen nicht vor. Zu seinem Anwendungsbereich
formuliert §
37 Abs.
4 SGB V:
„Kann die Krankenkasse keine Kraft für die häusliche Krankenpflege stellen oder besteht Grund, davon abzusehen, sind den Versicherten
die Kosten für eine selbstbeschaffte Kraft in angemessener Höhe zu erstatten.“
Während §
37 Abs.
4 SGB V damit den Fall regelt, dass die Krankenkasse grundsätzlich das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 oder 2 und damit
ihre Leistungspflicht vor Inanspruchnahme der Krankenpflege anerkannt hat und die Sachleistungen aber nicht erbringt, z.B.,
weil es ihr nicht möglich ist, regelt §
13 Abs.
3 SGB V den Fall, dass die Kasse das Vorliegen der Voraussetzungen des §
37 Abs.
1 und
2 SGB V gegenüber Versicherten verneint und deshalb Leistungen ablehnt (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl., §
37 SGB V (Stand: 09.11.2021), Rdnr. 94). Um einen solchen Fall handelt sich bei dem Kläger, denn die Beklagte hat mit den angefochtenen
Entscheidungen fortgesetzt das Bestehen eines Anspruchs auf häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden spezielle Krankenbeobachtung
für den Kläger verneint.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V sind nicht erfüllt, denn der Kläger ist nicht mit Kosten belastet. Er verfolgt mit der Berufung sein Begehren weiter, wonach
die Beklagte Forderungen der Beigeladenen zu 2), die diese für die erbrachten Leistungen in Rechnung stellte, begleicht, respektive
die Rechnungen bezahlt oder ihn zumindest freistellt. Ein Zahlungsanspruch wie auch Freistellungsanspruch scheitert für den
Zeitraum vom April 2016 bis Juni 2017 schon daran, dass die Beigeladene zu 2) ihre monatlichen Rechnungen über die Erbringung
der häuslichen Krankenpflege nach Aktenlage allein an den Beigeladenen zu 1) adressierte und übersandte, damit weder an den
Kläger noch an die Beklagte. Für einen Anspruch mangelt es daher bereits an einer Rechnungsstellung gerade an den Kläger.
Ungeachtet dessen ist der Kläger aber auch aus materiellem Recht für den streitigen Gesamtzeitraum keiner Kostenlast i.S.
des §
13 Abs.
3 SGB V aus den ihm von der Beigeladenen zu 2) tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen ausgesetzt. Denn diese Leistungen wurden von
dem Beigeladenen zu 1) bezahlt, eine mögliche vertragliche Forderung der Beigeladenen zu 2) gegenüber dem Kläger ist – wie
das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – erloschen (§
362 Bürgerliches Gesetzbuch). Zwar bestimmte Ziff. 1, 4. Absatz des zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2) geschlossenen Vertrags über ambulante
pflegerische Leistungen vom 14. November 2013, dass der Kläger die nicht bewilligten, ärztlich verordneten und von ihm in
Anspruch genommenen Leistungen dem Pflegedienst selbst zu bezahlen hatte. Damit sollte er eine Art Ausfallhaftung übernehmen.
Diese Vertragsgestaltung ist grundsätzlich zulässig, verstößt insbesondere nicht gegen §
32 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I), weil damit zum Nachteil des Klägers von Regelungen des SGB abgewichen worden sein könnte (dazu Bundessozialgericht, Urteil
vom 18. November 2014 – B 8 SO 23/13 R Rdnr. 15 a.E.). Hier spricht aber bereits einiges dafür, dass der Beigeladene zu 1)
die dem Kläger erbrachten Leistungen dem Kläger i.S. der Vertragsbestimmung sogar „bewilligte“ und schon deshalb keine vertragliche
Forderung des Pflegedienstes gegenüber dem Kläger entstanden ist. Der Beigeladene zu 1) hat mit Bescheiden vom 30. September
2015 – adressiert an die Beigeladene zu 2) – sowie vom 30. Juni 2016 und 8. Dezember 2016 – letztere beiden adressiert an
die Amtsvormundin des Klägers – diesem jeweils Eingliederungshilfe in Gestalt der 24-Stunden-Assistenz zum Leistungskomplex
32 für die Pflegeleistungen der Beigeladenen zu 2) bewilligt. Für den Zeitraum vom Mai 2015 bis September 2015 hat er die
höheren abgerechneten Sätze der Beigeladenen zu 2) spätestens mit dem Bescheid vom 16. Oktober 2015 bewilligt, das spätere
erläuternde Schreiben vom 25. November 2015 hat dies nicht zurückgenommen. Spätestens mit den einzelnen Zahlungen auf die
Rechnungen liegt eine konkludente Bewilligung auch gegenüber dem Kläger in anderer Weise i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X vor (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 33 SGB X (Stand: 01.12.2017), Rn. 89). Bei anderer Betrachtung hätte der Kläger in Höhe der Differenz zwischen den Stundensätzen der
Eingliederungshilfe und den Pflegeleistungen Leistungen ohne Rechtsgrund erhalten. Selbst wenn aber damit keine Bewilligungsentscheidung
in voller Höhe der abgerechneten Leistungen gegenüber dem Kläger erfolgte, ist der Beigeladene zu 1) für die vom Kläger in
Anspruch genommenen Pflegeleistungen insgesamt gegenüber der Beigeladenen zu 2) der klägerischen Schuld beigetreten und hat
auf die ab November 2015 allein an ihn andressierten Rechnungen auch Zahlungen in voller Höhe ohne Vorbehalt geleistet. Soweit
der Beigeladene zu 1) sich demgegenüber im hiesigen Verfahren darauf beruft, er habe „nur vorläufig“ gezahlt, ist eine entsprechende
einschränkende Zahlungsbestimmung dem Kläger oder der Beigeladenen zu 2) gegenüber zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Vielmehr ging
der Beigeladene zu 1) auch nach eigenen Vorstellungen davon aus, die Leistungen dem Kläger als Eingliederungshilfe – möglicherweise
auch ohne Rechtsgrundlage – zu erbringen (vgl. den entsprechenden Vermerk in den Akten des Beigeladenen zu 1 vom 17. September
2017, wonach das Jugendamt/Fallmanagement der Eingliederungshilfe seit September 2015 die Kosten der Behandlungspflege zwischen
25.000 und 26.000 Euro monatlich übernehme). Ein möglicher Zahlungsanspruch aus dem privaten Pflegevertrag ist damit erloschen.
Das Erlöschen einer Forderung eines Leistungserbringers durch Erfüllung steht einem Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs.
3 SGB V nicht per se entgegen. Es ist für die Frage der Kostenlast des Klägers aber entscheidend, dass hier die Zahlungen eines Dritten,
nämlich des Beigeladenen zu 1) die Forderung des Pflegedienstes (Beigeladene zu 2) zum Erlöschen gebracht haben. Haben die
Versicherten selbst (oder ihre Familienangehörigen) die Zahlung für die benötigten Sachleistungen vorgenommen, hat dies zunächst
nur Auswirkungen auf die Frage, ob sie nach §
13 Abs.
3 SGB V einen Anspruch auf Zahlung/Freistellung oder auf Erstattung der aufgewendeten Kosten haben (KassKomm/Schifferdecker, 115.
EL Juli 2021,
SGB V §
13 Rn. 99/100, vgl. dazu auch die Ausführungen des Sozialgerichts in S 81 KR 1383/17). Sind Versicherte für die Leistung damit in Vorleistung gegangen, haben sie gegen die Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung
ihrer Aufwendungen aus §
13 Abs.
3 SGB V, denn die Kostenlast hat sich „realisiert“ und ihr Vermögen ist geschmälert. Von dieser Sachlage geht §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V gerade in seinem Wortlaut „selbstbeschafft“ aus. Hat dagegen ein Dritter auf eine von einem Leistungserbringer erhobene Forderung
für den Versicherten eine Zahlung geleistet oder ist der Schuld gemäß §
421 BGB beigetreten, so verbleibt beim Versicherten nur dann eine Kostenlast, wenn dieser aus der Zahlung oder dem Schuldbeitritt
selbst einer Forderung des Dritten ausgesetzt ist, so z.B. im Fall eines Darlehens, welches der Dritte gewährte, anders aber
z.B. bei einer Schenkung.
Ausgehend davon ist der Kläger keiner Forderung aus der vom Beigeladenen zu 1) an die Beigeladene zu 2) erfolgten Zahlung
ausgesetzt, die er als „Kostenlast“ i.S. des §
13 Abs.
3 SGB V geltend machen könnte. Der Beigeladene zu 1) hat den Schuldbeitritt und die Zahlungen entweder als (unzuständiger) Träger
der Sozialhilfe geleistet. In diesem Fall könnte ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte entstanden sein. Voraussetzung
eines solchen Anspruchs wäre, dass dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen und kein Ausschlussgrund eingreift. Der Beigeladene
zu 1) müsste eine rechtmäßige Leistung als Nachrangiger [§ 104 SGB X], als Unzuständiger [§ 105 SGB X] oder Vorleistender
[§ 102 SGB X]) erbracht haben und es dürfen keine Ausschlussgründe für den Erstattungsanspruch im Übrigen vorliegen. In diesem
Fall schließen § 107 SGB X und §§ 102 ff. SGB X eine Kostenlast bei dem Kläger aus. Denn nach § 107 SGB X gilt die Leistung des Sozialhilfeträgers dem Kläger gegenüber als Leistung der Krankenkasse und bringen einen Leistungsanspruch
nach dem
SGB V zum Erlöschen. Das ist selbst dann der Fall, wenn der Erstattungsanspruch zwar zunächst entstanden ist, aber aufgrund des
Ablaufs der Frist des § 111 SGB X für seine Geltendmachung später untergegangen ist oder andere Durchsetzungshindernisse bestehen. Bestand einmal ein Erstattungsanspruch,
schließt bereits das einen „Rückgriff“ des Erstattungsberechtigten, hier des Beigeladenen zu 1), auf den Kläger wegen der
aufgewendeten Kosten aus. Der Beigeladene zu 1) muss sich vielmehr an die Beklagte halten. Die Vorschriften über die Erstattung
zwischen den Trägern von Sozialleistungen sind insoweit speziell und abschließend, Maßnahmen gegenüber dem Leistungsberechtigten
sind ausgeschlossen (vgl. nur Roos in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. vor § 102 Rn. 1 und 3, beck-online: „geschlossene Lösung“, „Es besteht kein Wahlrecht, auf den Erstattungsausgleich unter den Leistungsträgern
zu verzichten und sich stattdessen an den Leistungsberechtigten zu halten“).
Selbst wenn die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nicht vorliegen, kann der Beigeladene zu 1) sich für einen Ausgleich
nicht an den Kläger halten. Denn selbst wenn es für die Zahlung der Kosten an die Beigeladenen zu 2) weder einen Bescheid
gegenüber dem Kläger noch überhaupt eine Rechtsgrundlage geben sollte, folgt daraus keine Erstattungspflicht des Klägers gegenüber
dem Beigeladenen zu 1). Zum einen spricht einiges dafür, dass auch in diesem Fall die Vorschriften über die Erstattung gemäß
§§ 102 ff. SGB X Sperrwirkung entfalten. Zum anderen ist der Kläger durch die allgemeinen Verfahrensbestimmungen vor Rückgriffen geschützt.
So wäre die Frist für eine Aufhebung von möglichen rechtswidrigen Bewilligungen gemäß § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) verstrichen bzw. liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach Ablauf von zwei Jahren (§ 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X) nach der Bekanntgabe der Bewilligungen bei dem Kläger erkennbar nicht vor (§ 45 Abs. 3 Satz 3 SGB X). Außerdem ist der Kläger auch in dem Fall, in dem der Beigeladene zu 1) nur eine einfache Zahlung ohne Rechtsgrund geleistet
hat, durch § 50 Abs. 2 Satz 2 SGB X i.V.m. § 45 SGB X vor einer Rückforderung geschützt, denn die materiellen Voraussetzungen hierfür lagen in seinem Fall ohne Zweifel nicht vor.
Mithin ist es ohne Belang, ob im Fall des Klägers die Bewilligung der Leistungen der Sozialhilfe als Eingliederungshilfe oder
Hilfe zur Pflege für die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch oder nach dem Recht
der Jugendhilfe zu Recht erfolgte, insbesondere ihnen ggf. § 2 Abs. 2 SGB XII (Nachranggrundsatz) entgegenstand. Im Verfahren nicht zu klären war dementsprechend, ob der Kläger gegen die Beklagte überhaupt
einen Anspruch auf die häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden spezielle Krankenbeobachtung gemäß Ziffer 24 HKP-RL
oder zumindest auf ambulant zu erbringende einzelne Leistungen der häuslichen Krankenpflege hatte (wie Medikamentengabe).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§
160 Abs.
2 SGG).