Anspruch auf Krankengeld bei Erkrankung des Kindes; Ruhen während der Elternzeit
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung von Krankengeld bei Erkrankung des Kindes für die Zeiträume 4. Juli 2011 bis 1.
August 2011 und 2. August 2011 bis 30. August 2011.
Die im Jahre 1977 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Ihr z 2001 geborener Sohn J litt unter
der Erkrankung Adrenoleukodystrophie (ALD). Dabei handelt es sich um eine seltene, genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung,
die im Kindesalter auftritt und einen schnellen neurologischen Verfall mit sich bringt. Im Endstadium zeigt sich ausgeprägte
Demenz, die schließlich zum Verlust der lebenswichtigen Körperfunktionen und damit zum Tode führt. J verstarb infolge dieser
Erkrankung im August 2012.
Zu Beginn des Jahres 2011 bezog die Klägerin vom 1. Januar 2011 bis zum 27. März 2011 Krankengeld aufgrund der Erkrankung
ihres Kindes Jin Höhe von 18,93 Euro kalendertäglich. Das zweite Kind der Klägerin, Ja, wurde am 3. Mai 2011 geboren. In der
Zeit vom 28. März 2011 bis zum 4. Juli 2011 erhielt die Klägerin von der Beklagten Mutterschaftsgeld und vom Arbeitgeber Zuschuss
zum Mutterschaftsgeld. Vom Tag der Geburt an befand die Klägerin sich in Elternzeit und bezog vom 5. Juli 2011 bis zum 2.
Mai 2012Elterngeld.
Am 4. Juli 2011 bescheinigte der Diplom-Mediziner L, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, der Klägerin für den
Zeitraum 4. Juli 2011 bis 1. August 2011 Arbeitsunfähigkeit wegen der Erkrankung des erstgeborenen J, der der Betreuung und
Beaufsichtigung im genannten Zeitraum bedürfe. Mit Bescheid vom 12. Juli 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Krankengeld
bei Erkrankung des Kindes ab. Das seit dem 5. Juli 2011 bezogene Elterngeld sei vorrangig, so dass Krankengeld nicht beansprucht
werden könne.
Eine weitere ärztliche Bescheinigung für den Bezug von Krankengeld bei Erkrankung des Kindes erhielt die Klägerin am 3. August
2011 von dem Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Dr. G für den Zeitraum 2. August 2011 bis 30. August 2011. Auch
den hierauf gestellten Antrag auf Zahlung von Krankengeld lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 11. August 2011). Ein Anspruch
auf Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes nach §
45 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) bestehe nur dann, wenn der Elternteil zur Pflege und Beaufsichtigung des erkrankten Kindes der Arbeit fernbleiben müsse
und daher ein Verdienstausfall entstehe. Dies sei im Falle des Bezuges von Elterngeld nicht gegeben.
Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Widersprüche brachte die Klägerin u. a. vor, Elterngeld nur in Höhe von 300,00 Euro
monatlich zu erhalten und auf die Weiterbewilligung von Krankengeld angewiesen zu sein.
Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Berlin-Brandenburg
e. V. (MDK) vom 16. Dezember 2010 (Dr. A J) bei, wonach J unter einer Erkrankung im Sinne von §
45 Abs.
4 SGB V leide, die fortschreitend und sich unaufhaltsam verschlimmernd verlaufe, bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht
habe und bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativ-medizinische Behandlung notwendig sei oder von einem Elternteil
gewünscht werde; ob lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten zu erwarten sei (§
45 Abs.
4 Satz 1 Buchstabe c
SGB V), ließ Dr. J unbeantwortet.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2011 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen
aus, dass neben dem Bezug von Elterngeld eine Leistung von Krankengeld nicht in Betracht komme. Die Ausnahme vom Ruhenstatbestand
nach §
49 Abs.
1 Nr.
2 SGB V sei nicht gegeben, denn auf dieser Grundlage könne Krankengeld während der Elternzeit nur dann gewährt werden, wenn die Arbeitsunfähigkeit
schon vor Beginn der Elternzeit eingetreten sei; im vorliegenden Falle gehe es aber nicht um Arbeitsunfähigkeit, sondern um
die Bewilligung von Krankengeld wegen der Erkrankung des Kindes.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Potsdam mit Urteil vom 5. Juni 2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Jedenfalls ruhe der Krankengeldanspruch nach §
49 Abs.
1 Nr.
2 SGB V, denn nach dem Wortlaut der Vorschrift komme ein Bezug von Krankengeld während der Elternzeit nur dann in Betracht, wenn
eigene Arbeitsunfähigkeit des Versicherten schon vor dem Eintritt in die Elternzeit vorgelegen habe; dies sei hier nicht der
Fall, denn es gehe um Krankengeldbezug nach §
45 Abs.
4 SGB V aufgrund einer Erkrankung des Kindes.
Gegen das ihr am 17. Juli 2012 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 30. Juli 2012. Die Ausnahme vom
Ruhenstatbestand in §
49 Abs.
1 Nr.
2 SGB V sei erweiternd auszulegen. Der schon vor Beginn der Elternzeit bestehenden Arbeitsunfähigkeit sei ein Krankengeldbezug aufgrund
der Erkrankung des Kindes nach §
45 SGB V gleichzustellen. Letztlich sei sie im Sinne des Gesetzes aufgrund der dauerhaften Erkrankung ihres Kindes J arbeitsunfähig
gewesen, denn sie habe nicht arbeiten können, weil sie ihr Kind dauerhaft habe versorgen müssen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 5. Juni 2012 sowie die Bescheide der Beklagten vom 12. Juli 2011 und 11. August
2011, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2011, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr
Krankengeld bei Erkrankung des Kindes für die Zeiträume 4. Juli 2011 bis 1. August 2011 und 2. August 2011 bis 30. August
2011 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Berichterstatter hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 17. September 2014 erörtert. In diesem Rahmen hat die Beklagte
erklärt, auch die Voraussetzung aus §
45 Abs.
4 Satz 1 Buchstabe c
SGB V als gegeben anzusehen, dass nämlich der Sohn J der Klägerin im streitigen Zeitraum zur Mitte des Jahres 2011 an einer Erkrankung
gelitten habe, die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten habe erwarten lassen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs
der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.
II.
Der Senat darf über die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet
und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§
153 Abs.
4 Satz 1 und
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.
1. Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Leistung von Krankengeld bei Erkrankung des Kindes ist §
45 Abs. 4Satz 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (
SGB V). Danach haben Versicherte (ferner) Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten
und versicherten Kindes der Arbeit fern bleiben, sofern das Kind das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert
und auf Hilfe angewiesen ist und nach ärztlichem Zeugnis an einer Erkrankung leidet,
a) die progredient verläuft und bereits ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat,
b) bei der eine Heilung ausgeschlossen und eine palliativ-medizinische Behandlung notwendig oder von einem Elternteil erwünscht
ist und
c) die lediglich eine begrenzte Lebenserwartung von Wochen oder wenigen Monaten erwarten lässt.
Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung des Senats erfüllt. Einer weiteren Begründung hierfür bedarf es nicht, weil die
Beklagte schon im Verwaltungsverfahren verdeutlicht hat, dass sie auf der Grundlage der Einschätzung des MDK vom 16. Dezember
2010 die Voraussetzungen a) und b) als gegeben ansieht und weil die Beklagte im Erörterungstermin vom 17. September 2014 erklärt
hat, dass auch Voraussetzung c) zur Mitte des Jahres 2011 erfüllt gewesen sei. Immerhin habe man bis dahin schon an die 700
Tage Krankengeld bei Erkrankung des Kindes J geleistet und sei somit davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen aus §
45 Abs.
4 Satz 1
SGB V komplett vorlägen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
2. Allerdings greift entgegen der Auffassung der Klägerin der Ruhenstatbestand aus §
49 Abs.
1 Nr.
2, 1. Halbsatz
SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld ruht, solange Versicherte Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Anspruch nehmen. So liegt es hier: Die Klägerin befand sich während des gesamten streitigen Zeitraums (4. Juli 2011 bis
30. August 2011) in Elternzeit. Der Hintergrund der Regelung besteht darin, dass während der Elternzeit regelmäßig kein Arbeitsentgelt
erzielt wird, so dass die Zahlung von Krankengeld nicht systemgerecht wäre; denn der Hauptzweck des Krankengeldes besteht
in seiner Entgeltersatzfunktion (vgl. KassKomm/Brandts
SGB V §
44 Rn. 2 und §
49 Rn. 13).
3. Nichts anderes gilt zur Überzeugung des Senats angesichts der Regelung in §
49 Abs.
1 Nr.
2, 2. Halbsatz, 1. Alt.
SGB V. Danach greift der Ruhenstatbestand wegen Inanspruchnahme von Elternzeit nicht, "wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der
Elternzeit eingetreten ist". Damit soll erreicht werden, dass der Versicherte im Genuss von Krankengeld bleibt, wenn der Versicherungsfall
bereits vor Beginn der Elternzeit (die in der Regel weitläufig vorab geplant ist) eingetreten ist und nahtlos in die Elternzeit
übergeht (vgl. BeckOK SozR/Tischler
SGB V §
49 Rdnr. 15; KassKomm/Brandts
SGB V §
49 Rn. 13). Mit dem Versicherungsfall bezeichnet das Gesetz dabei ausdrücklich nur den Eintritt von Arbeitsunfähigkeit vor Beginn
der Elternzeit, mithin den Krankengeldbezug im Sinne von §
44 Abs.
1 SGB V.
Der Wortlaut von §
49 Abs.
1 Nr.
2, 2. Halbsatz, 1. Alt.
SGB V lässt keine erweiternde Auslegung zu. Das Gesetz unterscheidet in §§
44 und
45 SGB V ausdrücklich nach Krankengeldbezug aufgrund von Arbeitsunfähigkeit (§
44) und Krankengeld bei Erkrankung des Kindes (§ 45). Hiervon nimmt §
49 Abs.
1 Nr.
2, 2. Halbsatz, 1. Alt.
SGB V nur die vor Beginn der Elternzeit eingetretene Arbeitsunfähigkeit in Bezug. Diese Konstellation ist vorliegend aber nicht
gegeben, denn nicht die Versicherte - die Klägerin - ist vor Beginn der Elternzeit erkrankt, sondern ihr älteres Kind. Die
Anwendung einer Vorschrift über ihren klaren Wortlaut hinaus ist nicht methodengerecht.
Für die Notwendigkeit einer Gesetzesanalogie sieht der Senat keinen Raum, denn es ist schon nichts für das Bestehen einer
planwidrigen Regelungslücke erkennbar. Den "Krankengeldtatbeständen" Arbeitsunfähigkeit des Versicherten einerseits und Erkrankung
des Kindes andererseits liegen unterschiedliche, mit einander nicht vergleichbare Sachverhalte zugrunde. Angesichts des engen
und terminologisch differenzierten Regelungsgefüges in den §§
44 bis
49 SGB V ist auch nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber etwa versehentlich die Ausnahme vom Ruhenstatbestand in §
49 Abs.
1 Nr.
2, 2. Halbsatz, 1. Alt.
SGB V nur auf die Fälle der Arbeitsunfähigkeit vor Beginn der Elternzeit bezogen hat.
Davon abgesehen käme eine Erstreckung der Ausnahme vom Ruhenstatbestand auf den Fall der Klägerin wegen Bezugs von Krankengeld
bei Erkrankung des Kindes vor Beginn der Elternzeit ohnehin nur in Betracht, wenn dies nahtlos an den Beginn der Elternzeit
heranreichte. So liegt es hier aber nicht, denn Krankengeld nach §
45 Abs.
4 SGB V bezog die Klägerin nur bis zum 27. März 2011, während die Elternzeit am 3. Mai 2011 begann. Damit ist eine Nahtlosigkeit,
die §
49 Abs.
1 Nr.
2, 2. Halbsatz, 1. Alt.
SGB V voraussetzt, nicht gegeben.