Anspruch auf Arbeitslosengeld II, Leistungen für Unterkunft und Heizung, vorherige Zusicherung bei Umzug, Erforderlichkeit
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Erteilung einer Zustimmung zum
Umzug, die vorläufige Übernahme von Umzugskosten als Zuschuss und einer Mietkaution als Darlehen.
Die 1982 geborene Antragstellerin zu 1 (Ast. zu 1) und der 1979 geborene Antragsteller zu 2 (Ast. zu 2) beziehen Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) von der Antragsgegnerin (Ag.). Die Ast
bewohnen eine 92 m² große Dreizimmerwohnung an der Ecke G.-Sch. -Straße/E.straße in L ... Diese Wohnung verfügt über eine
Ofenheizung und ein nicht beheizbares Bad. Küche und Bad der Wohnung sind von Schimmel befallen. Die Ast. zahlen hierfür eine
Kaltmiete in Höhe von 184,00 EUR/Monat und Nebenkosten in Höhe von 101,20 EUR/Monat zuzüglich der Kosten für Brennstoffe.
Am 14.07.2009 zeigten die Ast. der Ag. die Schwangerschaft der Ast. zu 1 an. Voraussichtlicher Geburtstermin sei der 13.01.2010.
Am 20.07.2009 beantragten die Ast. die Erteilung der Zustimmung zum Umzug in die 67,57 m² große Dreizimmerwohnung M.straße
29 in L., die Übernahme der Umzugskosten in Höhe von 75,00 EUR und die Gewährung eines Darlehens für die Mietkaution in Höhe
von 568,00 EUR. Für die Wohnung seien eine Kaltmiete in Höhe von 284,00 EUR/Monat, Nebenkosten in Höhe von 87,84 EUR/Monat
und Heizkosten in Höhe von 67,57 EUR/Monat zu entrichten.
Die Ag. lehnte die Erteilung der Zustimmung zum Umzug und die Übernahme der Umzugskosten und der Kaution mit Bescheid vom
24.07.2009 ab. Die Wohnung sei zwar angemessen, jedoch bestehe keine Notwendigkeit des Umzugs, da die Ast. bereits über ausreichenden
Wohnraum verfügten.
Im Widerspruchsverfahren machten die Ast. geltend, der qualitative Zustand ihrer Wohnung mache einen Umzug erforderlich. In
der Küche und im Bad sei Schimmelbildung vorhanden. Hiervon bzw. durch die Bekämpfung der Schimmelbildung mit chemischen Mitteln
gehe eine Gesundheitsgefahr für die hochschwangere Ast. zu 1 bzw. das Kind aus. Das Bad sei nicht, die übrige Wohnung nur
durch Ofenheizung beheizbar. Zudem befinde sich die Wohnung an der Ecke G.-Sch.-Straße/E.straße. Alle Fenster gingen zur Straßenseite
hinaus. Es bestehe auf Grund des regelmäßigen Straßenbahnverkehrs auf der G.-Sch.-Straße ein extremer Lärmpegel. Den Widerspruch
der Ast. wies die Ag. mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2005 zurück. Hiergegen haben die Ast. am 23.10.2009 Klage zum Sozialgericht
Leipzig (SG) erhoben.
Am selben Tag haben sie beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Zur Glaubhaftmachung des extremen Lärmpegels haben sie eine
veröffentlichte Lärmkarte beigefügt. Die Reservierungsvereinbarung für die neue Wohnung sei zeitlich befristet.
Das SG hat den Antrag der Ast. auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 05.11.2009 abgelehnt. Die Ag. sei nicht
zur Erteilung einer Zusicherung zum Umzug in die neue Unterkunft verpflichtet. Die Ast. bewohnten mit 92 m² eine auch für
drei Personen ausreichend große Wohnung. Da die Wohnung bereits seit Mietbeginn von Schimmel befallen sei und die Ast. sich
dennoch seit Jahren in der Wohnung aufhielten, sei die Erforderlichkeit eines unverzüglichen Umzugs nicht gegeben. Der Mietmangel
sei gegenüber dem Vermieter geltend zu machen.
Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Ast. am 12.11.2009 zugestellten Beschluss hat dieser am 20.11.2009 Beschwerde beim
Sächsischen Landessozialgericht eingelegt.
Die Ag. erachtet den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend.
Dem Senat liegen die Verfahrensakten beider Instanzen sowie die Verwaltungsakte der Ag. vor.
II. Die zulässige Beschwerde der Ast. ist begründet. Daher war der Beschluss des SG vom 05.11.2009 aufzuheben. Die Ag. war zu verpflichten, den Ast. vorläufig bis zur bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung
in der Hauptsache die Zustimmung zum Umzug in die neue Wohnung in der M.straße 29 in L. zu erteilen, die Umzugskosten als
Zuschuss und die Mietkaution als Darlehen zu übernehmen.
Den Ast. steht nach summarischer Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf vorläufige Erteilung
der Zustimmung zum Umzug und auf vorläufige Übernahme der Umzugskosten als Zuschuss sowie der Mietkaution als Darlehen zu.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß §
86b Abs.
3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß
§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch
der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden
soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG ist §
929 ZPO entsprechend anzuwenden.
1. Die Ast. haben einen Anordnungsanspruch für die vorläufige Erteilung der Zustimmung zum Umzug sowie die vorläufige Übernahme
der Umzugskosten als Zuschuss und der Mietkaution als Darlehen glaubhaft gemacht.
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht,
soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft
und Heizung, werden die Leistungen gem. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden angemessenen
Aufwendungen erbracht. Nach § 22 Abs. 2 SGB II soll vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft der erwerbsfähige
Hilfebedürftige die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen
für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist
und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Nach § 22 Abs. 3 SGB II können Wohnbeschaffungskosten und Umzugskosten
bei vorheriger Zusicherung durch den örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Eine Mietkaution kann bei vorheriger
Zustimmung durch den zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug
durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft
in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Eine Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden.
Bei der begehrten Mietkaution handelt es sich um Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Aufwendungen
für den Umzug stellen Umzugskosten im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 dar.
Den Ast. steht ein Anspruch auf Erteilung der Zusicherung gemäß § 22 Abs. 2 bzw. Abs. 3 SGB II zu. Der Umzug war zwar nicht
vom kommunalen Träger veranlasst. Er war jedoch aus anderen Gründen erforderlich bzw. notwendig im Sinne der genannten Vorschriften.
Die Erforderlichkeit bzw. Notwendigkeit wird dabei nach einem grundsicherungsrechtlichen Maßstab bemessen, der strenger ist
als das, was den Erwartungen der mit durchschnittlichem bzw. gehobenem Einkommen ausgestatteten Bevölkerungskreise entspricht
(VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02.09.1996 - 6 S 314/96 -, FEVS 47, 325, 326).
Nach der Rechtsprechung wird ein Umzug als erforderlich bzw. notwendig angesehen bei ungünstiger Wohnflächenaufteilung und
bevorstehender Geburt eines weiteren Kindes und wenn die neue Unterkunft angemessen ist (SG Berlin, Beschluss vom 16.12.2005
- S 37 AS 11501/05 ER -, info also 2006, S. 31; Wieland, in: Estelmann, SGB II, Stand: 10/2009, § 22, Rdnrn. 53 ff.), bei Summierung unterwertiger Wohnverhältnisse, zu
denen neben schlechten sanitären Verhältnissen auch die mit einer Ofenheizung verbundenen Belastungen für einen älteren, gesundheitlich
angeschlagenen Leistungsbezieher gehören (SG Berlin, Beschluss vom 04.11.2005 - S 37 AS 10013/05 ER -; OVG Lüneburg, Urteil vom 10.02.1987 - 4 B 283/86 -, FEVS 36, 291; Wieland, aaO., § 22, Rdnrn. 53 ff. Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 22 Rdnr. 73)
und bei Feuchtigkeit in der Wohnung auf Grund baulicher Mängel (OVG Lüneburg, Urteil vom 18.06.1985 - 4 B 199/84 -, FEVS 36, 32; Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, aaO., § 22 Rdnr. 73).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen
Prüfung vorliegend eine Erforderlichkeit bzw. Notwendigkeit des Umzugs zu bejahen. Es ist eine Summierung unwerter Wohnverhältnisse
vorhanden, wozu die lediglich mit Öfen beheizbare Wohnung, das nicht beheizbare Bad, Feuchtigkeit mit der Folge von Schimmelbefall
und der hohe Lärmpegel gehören. Das Verbleiben in einer derartigen Wohnung wäre den Ast. zwar ohne Neugeborenes angesichts
der Tatsache, dass ein grundsicherungsrechtlicher Maßstab anzulegen ist, der strenger ist als das, was den Erwartungen der
mit durchschnittlichem Einkommen ausgestatteten Bevölkerungsschichten entspricht, zuzumuten. Mit einem Neugeborenen (Geburtstermin
13.01.2010) ist jedoch die Grenze des auch einem Alg-II-Leistungsempfänger Zumutbaren überschritten.
2. Die Ast. haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn der Betroffene bei Abwarten
bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere,
unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen,
unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen der Bg., der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter
muss es unzumutbar erscheinen lassen, den bzw. die Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren
zu verweisen (Sächsisches LSG, Beschluss vom 30.10.2007 - L 2 B 472/07 AS-ER -; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19.09.2007 - L 3 B 411/06 AS-ER -).
Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Geburt des Kindes und der zeitlich befristeten Reservierung der Wohnung M.straße
29 in L. durch den Vermieter liegt ein schwerer unzumutbarer Nachteil, der beim Obsiegen in der Hauptsache nicht wieder gutzumachen
wäre, im Verbleibenmüssen in der von Schimmel befallenen Wohnung ohne beheizbares Bad mit einem Neugeborenen.
Nach alledem war der Beschluss des SG aufzuheben und die Ag. zur vorläufigen Erteilung der Zustimmung zum Umzug sowie zur vorläufigen Bewilligung der Umzugskosten
als Zuschuss und der Mietkaution als Darlehn zu verpflichten.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §
193 SGG.
Der Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.