Anspruch auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG 1996 zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II bei fehlendem Antrag
Gründe:
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bewilligung eines Kinderzuschlags nach § 6a des
Bundeskindergeldgesetzes (
BKGG), hilfsweise von der Beigeladenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 28. April 2005.
Die ... 1962 geborene berufstätige Klägerin beantragte bei der Beklagten am 28. April 2005 die Bewilligung eines Kinderzuschlags
für ihren 1987 geborenen Sohn rückwirkend zum 1. Januar 2005. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. Oktober 2005 die Bewilligung
eines Kinderzuschlags ab. Nach ihrer Berechnung sei das Einkommen der Klägerin nicht ausreichend, um durch einen Kinderzuschlag
Hilfebedürfigkeit nach § 9 SGB II zu vermeiden. Der Widerspruch der Klägerin hiergegen wurde mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2005 zurückgewiesen.
Die Klägerin hat am 25. Januar 2006 Klage erhoben.
Nach Ablehnung des Antrages auf Kinderzuschlag hatte sich die Klägerin erstmalig im Oktober 2005 an die Beigeladene gewandt
und Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II beantragt. Diese bewilligte mit Bescheid vom 23. Oktober 2007 Leistungen für den Zeitraum vom 29. April 2005 bis zum 30.
Juni 2005 in Höhe von 5,53 EUR (29. April 2005 bis 30. April 2005) sowie monatlich 82,76 EUR für die Monate Mai und Juni 2005.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Sozialgerichts Dresden vom 23. April 2009 erkannte die Beigeladene die Bewilligung
weiterer Leistungen für den Zeitraum vom 1. Juli 2005 bis zum 31. August 2005 in Höhe von monatlich 82,76 EUR an.
Mit Urteil vom 23. April 2009 hat das Sozialgericht hinsichtlich des zuletzt noch im Streit stehenden Zeitraums vom 1. Januar
2005 bis 28. April 2005 die Klage abgewiesen. Es hat den von der Klägerseite ermittelten möglichen Kinderzuschlag von 21,00
EUR nicht für begründet erachtet. Nach seiner Auffassung könne aufgrund des anrechenbaren Einkommens der Klägerin Hilfebedürftigkeit
nach § 9 SGB II durch die Zahlung eines möglichen Kinderzuschlags nicht vermieden werden. Das Sozialgericht sah auch keine Verpflichtung
der Beigeladenen, Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum zu gewähren, da Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende
nach § 37 Abs. 1 und 2 SGB II nicht für die Zeiten vor Antragstellung erbracht würden und eine weitergehende Vorverlagerung des Antrags auf Kinderzuschlag
vom 29. April 2005 nach § 28 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) ausscheide.
Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.
Gegen das am 30. April 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Juni 2009, dem Dienstag nach Pfingsten, Nichtzulassungsbeschwerde
eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass die Berufung wegen Klärung von Fragen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen sei.
Es stelle sich die Frage, ob eine Vermeidung der Bedürftigkeit in § 6a Abs. 1 Nr. 3
BKGG auch durch die Nichtinanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende erbracht werden könne. Nach Ansicht
der Klägerin sei eine Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II im streitgegenständlichen Zeitpunkt bereits mangels Antragstellung vermieden worden. Klärungsbedürftig sei auch die Frage,
ob die Rückwirkung einer vorrangig geltend gemachten Leistung auch die nachrangige Leistung erfasse. Nach Ansicht der Klägerin
entfalte ihr Antrag vom 29. April 2005 nicht nur für den Kinderzuschlag Rückwirkung, sondern auch für die Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach SGB II.
Maßgebende Vorschrift hierfür sei nicht § 28 SGB X, sondern §
75 Abs.
2 des Sozialgesetzbuches (
SGG).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen Bezug genommen.
II. 1. Die Beschwerde gemäß §
145 Abs.
1 SGG gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 23. April 2009 ist zulässig, insbesondere
statthaft.
Gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts,
wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten
Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt.
Ein auf eine Geldleistung gerichteter Verwaltungsakt ist nicht nur gegeben, wenn eine Leistung bewilligt wird, sondern auch,
wenn eine Leistung abgelehnt, entzogen, auferlegt, erlassen oder gestundet wird (vgl. BSG, Urteil vom 19. Januar 1996 - 1 RK 18/45 - NZS 1997, 388 [389 f.]; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl. 2012], §
144 Rdnr. 10a). §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Die Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstands bestimmt sich danach, welche Leistungen die Klägerin begehrt. Vorliegend
ist dies die Bewilligung eines Kinderzuschlags für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 28. April 2005, hilfsweise für diesen
Zeitraum von der Beigeladenen die Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II. Hierbei steht - wie sich auch aus der Berechnung der Klägerin ergibt - ein möglicher Kinderzuschlag in Höhe von monatlich
21,00 EUR im Raum.
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts kämen im Rahmen des Hilfsantrags in Höhe von 325,51 EUR (= 3 Monate zu je 82,76
EUR sowie ein Monat zu 77,23 EUR) in Betracht. Damit wird der Grenzwert aus §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG nicht erreicht. Die Voraussetzungen für die Sonderregelung von §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG sind ebenfalls nicht erfüllt.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet.
Nach §
144 Abs.
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nummer 1), das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nummer 2) oder ein an der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nummer 3). Keiner dieser Zulassungsgründe ist gegeben.
a) Eine Rechtssache hat dann im Sinne von §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die weitere Entwicklung des Rechts zu fördern. Ein Individualinteresse
genügt hingegen nicht (vgl. Leitherer, aaO., § 144 Rdnr. 28). Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG, Beschluss vom 16. November 1987 - 5b BJ 118/87 - SozR 1500 § 160a Nr. 60 = JURIS-Dokument Rdnr. 3; BSG, Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr. 16 = JURIS-Dokument Rdnr. 6; ferner Leitherer aaO., § 144 Rdnr. 28 f. und § 160 Rdnr. 6 ff.). Klärungsbedürftig
ist eine Rechtsfrage dann nicht mehr, wenn sie schon entschieden ist oder durch Auslegung des Gesetzes eindeutig beantwortet
werden kann (vgl. BSG, Beschluss vom 30. September 1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr. 1 Satz 2 = JURIS-Dokument Rdnr. 8). Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage muss die abstrakte
Klärungsfähigkeit, dass heißt die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die konkrete Klärungsfähigkeit, dass heißt
die Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage, hinzutreten (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14. Juni 1984 - 1 BJ 82/84 - SozR 1500 § 160 Nr. 53). Die Frage, ob eine Rechtssache im Einzelfall richtig oder unrichtig entschieden ist, verleiht ihr noch keine grundsätzliche
Bedeutung (vgl. BSG, Beschluss vom 26. Juni 1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr. 7 = JURIS-Dokument Rdnr. 2). Hinsichtlich Tatsachenfragen kann über §
144 Abs.
2 Nr.
1 SGG eine Klärung nicht verlangt werden.
Im vorgenannten Sinne klärungsbedürftige Rechtsfragen liegen nicht vor. Die von Klägerseite aufgeworfenen Fragen können durch
das Gesetz oder dessen Auslegung eindeutig beantwortet werden.
(1) Der Einwand der Klägerin, eine Vermeidung der Bedürftigkeit in § 6a Abs. 1 Nr. 3
BKGG könne bereits allein durch die Nichtinanspruchnahme von Leistungen nach SGB II erbracht werden, geht ins Leere. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes kommt es gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 3
BKGG (in der vom 1. Januar 2005 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Februar 2005 [BGBl I S. 458])
darauf an, ob durch den Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vermieden wird. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern
kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Bei § 6a Abs. 1 Nr. 3
BKGG handelt es sich um ein abstrakte Rechtsnorm, die an einem konkreten Sachverhalt zu messen ist. Der Kinderzuschlag steht in
einem strengen Alternativverhältnis zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II.
Er soll an die Stelle eines ansonsten gegebenen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II treten beziehungsweise nicht bewilligt werden, wenn trotz seiner Zahlung Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II besteht. Besteht bereits dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, dann scheidet ein Anspruch auf Kinderzuschlag aus (vgl. zur Systematik: Kühl, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II [3. Aufl., 2012], § 6a
BKGG, Rdnr. 19). Dies bedeutet aber, dass es bei der Beurteilung der Frage der Vermeidung der Hilfebedürftigkeit und dem Verweis
auf § 9 SGB II allein maßgebend ist, ob das Einkommen und Vermögen zusammen mit einem Kinderzuschlag ausreicht, um den Lebensunterhalt zu
sichern. Nach dem in § 37 Abs. 1 SGB II normierten Antragserfordernis liegt es grundsätzlich in der Entscheidung des Betreffenden, ob er bei bestehender Hilfebedürftigkeit
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Anspruch nimmt. Erfolgt keine Antragstellung trotz Hilfebedürftigkeit
im Sinne von § 9 SGB II, bedeutet dies lediglich, dass er einen rechtlichen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nicht
in Anspruch nimmt. Hilfebedürftigkeit besteht aber weiterhin und schließt damit einen Kinderzuschlag nach § 6a Abs. 1 Nr. 3
BKGG aus.
(2) Auch die Klärung der Rechtsfrage, ob ihr Antrag auf Gewährung des Kinderzuschlags vom 29. April 2005 nicht nur Rückwirkung
für einen Kinderzuschlag, sondern auch für die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende entfaltete, ist nicht von
grundsätzlicher Bedeutung. Auch diese Frage lässt sich durch das Gesetz oder dessen eindeutige Auslegung beantworten.
Zwar war bis zum 31. Juli 2006 - um damit im Zeitpunkt der Antragstellung der Klägerin - eine rückwirkende Zahlung eines Kinderzuschlags
möglich (vgl. Kühl, aaO., § 6a
BKGG Rdnr. 69). Erst mit Wirkung zum 1. August 2006 wurde durch Artikel 11 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 [BGBl. I S. 1706] dem § 6a Abs. 2
BKGG ein Satz 4 angefügt, wonach nunmehr Kinderzuschlag nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht wird.
Im Gegensatz dazu hat der Gesetzgeber bereits mit Inkrafttreten des Zweiten Sozialgesetzbuchs (SGB II) in § 37 Abs. 1 SGB II ab 1. Januar 2005 normiert, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf Antrag erbracht werden, und in
§ 37 Abs. 2 SGB II klargestellt, dass solche Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht werden. Die Antragstellung nach SGB II hat damit nicht nur verfahrensrechtliche, sondern auch konstitutive Wirkung (vgl. BT-Drucks 15/1516 S. 62; BSG, Urteil vom 14. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr. 3 Rdnr. 22 = JURIS-Dokument Rdnr. 22).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch nicht von einer vorrangigen oder nachrangigen Beantragung ausgegangen werden.
Rangverhältnisse im eigentlichen Sinne gibt es zwischen dem
Bundeskindergeldgesetz und dem SGB II nicht. Wie bereits oben dargestellt, stehen beide Leistungen in einem strengen Alternativverhältnis. Beantragt ein Leistungsberechtigter
zunächst einen Kinderzuschlag, hat aber tatsächlich einen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende nach SGB II, wird er gemäß § 28 SGB X vor Nachteilen geschützt. § 28 Satz 1 SGB X bestimmt, dass ein Antrag auf eine Sozialleistung bis zu einem Jahr zurückwirkt, wenn der Leistungsberechtigte von der Stellung
eines Antrags auf diese Sozialleistung deshalb abgesehen hat, weil er einen Antrag auf eine andere Sozialleistung geltend
gemacht hat, die ihm "versagt" (im Sinne von "abgelehnt", vgl. BSG, Urteil vom 14. Oktober 2010 - B 14 AS 16/09 R - SozR 4-4200 § 37 Nr. 3 Rdnr. 20 = JURIS-Dokument Rdnr. 20 unter Verweis auf Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II [2. Aufl., 2008], § 40 Rdnr. 106f) wurde oder die er zu erstatten hat. Zu einer solchen Rückwirkung nach § 28 Satz 1 SGB X kommt es gemäß § 28 Satz 2 SGB X auch dann, wenn der rechtzeitige Antrag auf eine andere Leistung aus Unkenntnis über deren Anspruchsvoraussetzungen unterlassen
wurde und die zweite Leistung gegenüber der ersten Leistung, wenn diese erbracht worden wäre, nachrangig gewesen wäre (BSG, aaO.).
Dementsprechend hat die Beigeladene auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf einen Kinderzuschlag bewilligt. Da aber nur Rechtsnachteile vermieden
werden sollen, die entstehen würden, wenn ein Berechtigter in Erwartung eines positiven Bescheids einen Antrag auf eine andere
Sozialleistung stellt (vgl. von Wullfen, in: von Wulffen, SGB X [7. Aufl., 2010], § 28 Rdnr. 2), kommt eine weitergehende Rückwirkung als § 37 Abs. 2 SGB II vorsieht nicht in Betracht. Auch nach Auffassung des Bundessozialgerichts befreit § 28 SGB X nicht von dem Antragserfordernis als solchem, sondern lässt nur den nachgeholten Antrag zurückwirken. Die Anwendung von §
28 SGB X führt demnach nicht dazu, dass Leistungen vor Antragstellung erbracht werden (vgl. BSG, Urteil vom 14. Oktober 2010, aaO., jeweils Rdnr. 22). Andernfalls würde die Klägerin günstiger dastehen, als wenn sie sogleich
am 29. April 2005 bei der Beigeladenen einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gestellt hätte. Dies
würde zu einer Umgehung dort geltenden Antragsprinzips führen.
Soweit die Klägerseite anstelle von § 28 SGB X die Norm vom §
75 Abs.
2 SGG für maßgebend erachtet, ist die Auffassung, dass § 28 SGB X nur im Verwaltungsverfahren gelte und im gerichtlichen Verfahren von §
75 Abs.
2 SGG verdrängt werde, nicht zutreffend.
Während § 28 SGB X - wie bereits oben näher ausgeführt - eine Vorschrift zur Vermeidung von Rechtsnachteilen im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren
ist, handelt es sich bei §
75 Abs.
2 SGG um eine rein prozessuale Norm, durch welche die notwendige Beiladung im sozialgerichtlichen Verfahren geregelt wird. Danach
hat eine Beiladung unter anderem zu erfolgen, wenn ein Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende als leistungspflichtig
in Betracht kommt. Die formelle und materiell-rechtliche Fragen eines geltend gemachten Anspruches beantwortet hingegen §
75 Abs.
2 SGG ebenso wenig wie §
75 Abs.
5 SGG. Die zuletzt genannte Regelung ermöglicht, einen Versicherungsträger, einen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende,
einen Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land nach Beiladung zu verurteilen.
Ob ein Anspruch besteht bestimmt sich vielmehr nach den im Einzelfall einschlägigen Regelungen des Sozialverwaltungsverfahrens
und des materiellen Sozialrechtes.
Soweit der Klägerin der Auffassung ist, dass die Anwendung von § 28 SGB X im gerichtlichen Verfahren bewirken würde, dass die Norm nie zum tragen käme, verkennt sie, dass typischerweise eine Leistungsversagung
im Sinne von § 28 SGB X bereits im Verwaltungsverfahren erfolgt und die Nachholung eines Antrags - so wie dies auch durch die Klägerin hier geschehen
ist - bei einem anderen Leistungsträger unabhängig von einem Widerspruchs- und Klageverfahren erfolgen kann. Die Antragsablegung
muss nicht bestandskräftig sein.
b) Auch der Zulassungsgrund der Divergenz im Sinne des §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG ist nicht gegeben. Der Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn das Urteil des Sozialgerichts entscheidungstragend auf einem
abstrakten Rechtssatz beruht, der von dem zur gleichen Rechtsfrage aufgestellten Rechtssatz in einer Entscheidung eines der
im §
144 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht (vgl. BSG, Beschluss vom 29. November 1989 - 7 BAr 130/88 - SozR 1500 § 160a Nr. 67 = JURIS-Dokument Rdnr. 7; Leitherer, aaO., § 160 Rdnr. 13). Dabei ist erforderlich, dass das Sozialgericht objektiv
von einer solchen höhergerichtlichen Entscheidung abgewichen ist und nicht etwa nur fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl.
Leitherer, aaO., § 160 Rdnr. 14a). Eine Divergenz in dem beschriebenen Sinne ist nicht festzustellen.
c) Schließlich liegt auch der Zulassungsgrund des §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG nicht vor. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt. Er bezieht
sich begrifflich auf das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil, nicht aber auf dessen sachlichen Inhalt,
das heißt auf die Richtigkeit der Entscheidung (vgl. Leitherer, aaO., § 144 Rdnr. 32 ff.). Die Zulassung der Berufung aufgrund
eines Verfahrensmangels erfordert, dass dieser Mangel nicht nur vorliegt, sondern auch geltend gemacht wird (vgl. §
144 Abs.
2 Nr.
3 SGG). An einer solchen Geltendmachung fehlt es hier.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. §
177 SGG).