Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung; Erstattung zu Unrecht aus dem Arbeitslosengeld
einbehaltener Beiträge; tätigkeitsbezogene Befreiungsmöglichkeit
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) auf Grund einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin, wegen der die Klägerin Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung
ist.
Die 1967 geborene Klägerin absolvierte vom 3. Juli 2007 bis 21. September 2009 das Rechtsreferendariat. Die Nachentrichtung
von Beiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung wurde für diesen Zeitraum nach §
184 Abs.
2 SGB VI zunächst aufgeschoben (im Ergebnis erfolgte eine Nachversicherung an das Sächsische Rechtsanwaltsversorgungswerk). Ab 22.
September (bis 1. Juni 2010) bezog sie Arbeitslosengeld. Im Bewilligungsbescheid vom 7. Oktober 2009 ging die Bundesagentur
für Arbeit (BA) von Versicherungspflicht u. a. in der gesetzlichen Rentenversicherung aus und entrichtete die entsprechenden
Beiträge. Seit dem 9. Dezember ist die Klägerin als Rechtsanwältin zugelassen und Mitglied im Sächsischen Rechtsanwaltsversorgungswerk.
Ihren Antrag vom 21. Dezember 2009 auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach
§
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Mai 2010 mit der Begründung
ab, eine Befreiung nach dieser Vorschrift erfordere die tatsächliche Ausübung einer berufsspezifischen Beschäftigung oder
selbständigen Tätigkeit. Es handele sich um eine tätigkeits- und nicht um eine personenbezogene Befreiungsmöglichkeit. Da
sie tatsächlich einer Tätigkeit im Sinne von §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI nicht nachgehe - bzw. im streitigen Zeitraum nicht nachgegangen sei -, komme eine Befreiung von der Versicherungspflicht
nach dieser Vorschrift nicht in Betracht. Der Bezug von Arbeitslosengeld sei einer berufsspezifischen Beschäftigung oder Tätigkeit
nicht gleichzustellen.
Die am 9. Juni 2010 erhobene Klage hat das Sozialgericht Leipzig (SG) mit Gerichtsbescheid vom 24. Januar 2011 unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid gemäß §
136 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) abgewiesen und ergänzend ausgeführt, dem zusätzlich geltend gemachten Erstattungsanspruch hinsichtlich der zur gesetzlichen
Rentenversicherung geleisteten Beiträge stehe sowohl die Bestandskraft des Bescheides der BA vom 7. Oktober 2009 als auch
die alleinige Berechtigung der BA nach §
26 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) als derjenigen, die nach §
170 Abs.
1 Nr.
2b SGB VI die Beiträge getragen habe, entgegen.
Mit der am 2. Mai 2011 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehr weiter. Sie habe im streitgegenständlichen Zeitraum
nachweislich nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen. In diesem allumfassenden Sinne
sei ihr Befreiungsantrag vom 21. Dezember 2009 zu verstehen gewesen. Eine Versicherungspflicht habe insbesondere auch nicht
auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld nach §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI bestanden, da sie im letzten Jahr vor Beginn dieser Leistung nicht versicherungspflichtig gewesen sei. Auch wenn die BA dies
nunmehr mit Bescheid vom 9. November 2011 bestätigt habe, bestehe für sie ein Feststellungsinteresse dahingehend, dass die
angefochtene Entscheidung der Beklagten rechtswidrig gewesen sei. Schließlich seien Haftungsansprüche hinsichtlich der Tragung
der Beiträge zum Sächsischen Rechtsanwaltsversorgungswerk für den streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht abschließend
geklärt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24. Januar 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Januar 2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2010 aufzuheben und festzustellen, dass sie im Zeitraum 22. September 2009
bis 1. Juni 2010 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlegen habe.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Streitgegenstand sei allein die Befreiung von der Versicherungspflicht
nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI. Ihre insoweit getroffene Entscheidung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Klägerin nunmehr geltend mache, für
sie habe nach §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI ohnehin keine Versicherungspflicht bestanden, sei dies nicht Streitgegenstand, da die Klägerin einen eindeutigen Antrag gestellt
und ihren Widerspruch nicht (ergänzend) begründet habe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten aus beiden Verfahrenszügen sowie die beigezogenen
Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht in der Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§
124 Abs.
2 SGG). Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat zutreffend unter Bezugnahme auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid festgestellt, dass
ein Anspruch nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI auf Befreiung von der Versicherungspflicht zu keinem Zeitpunkt bestanden hat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf
die Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid sowie die der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2010 Bezug genommen und von
einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§§
153 Abs.
2,
136 Abs.
3 SGG).
Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI werden Beschäftigte und selbständig Tätige für die Beschäftigung oder Tätigkeit, wegen der sie auf Grund einer durch Gesetz
angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder
Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung
Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, unter bestimmten Voraussetzungen von der Versicherungspflicht befreit. Dies
setzt (denknotwendig) voraus, dass die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit einen Versicherungspflichttatbestand nach
dem
SGB VI erfüllt. Für die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als Rechtsanwältin kommen dem Grunde nach eine Versicherungspflicht
auf Grund abhängiger Beschäftigung (§
1 Satz 1 Nr. 1
SGB VI), auf Grund selbständiger Tätigkeit, die im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber ausgeübt wird (§
2 Satz 1 Nr. 9
SGB VI) oder auf Grund Antrags (§
4 SGB VI) in Betracht. Unstreitig ist keiner dieser Tatbestände erfüllt. Folglich hat die Beklagte zu Recht den Befreiungsantrag nach
§
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI abgelehnt.
Soweit die Klägerin mit der Berufung geltend machen sollte, auf Grund des Bezuges von Arbeitslosengeld habe nach §
3 Satz 1Nr. 3
SGB VI wegen fehlender Vorversicherungszeit keine Versicherungspflicht nach dem
SGB VI bestanden, wäre die Berufung unzulässig. Es handelt sich hierbei um einen eigenständigen und von dem der Frage der Versicherungspflicht
auf Grund selbständiger Tätigkeit als Rechtsanwältin und einer darauf gründenden Befreiungsmöglichkeit abzugrenzenden Lebenssachverhalt,
über den von der Beklagten angesichts des eindeutig formulierten Antrags der Klägerin vom 21. Dezember 2009 - und mangels
inhaltlicher Begründung des Widerspruchs vom 12. Februar 2010 - nicht zu befinden war und der folglich nicht Streitgegenstand
des anschließenden Klage- und Berufungsverfahrens geworden ist. Ungeachtet dessen dürfte - nachdem die BA mit Bescheid vom
9. November 2011 und die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. März 2012 (klarstellend) festgestellt haben,
dass eine Versicherungspflicht (auch) nach §
3 Satz 1 Nr. 3
SGB VI nicht vorgelegen hat - das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der begehrten Feststellung entfallen sein. Ein gesonderter,
feststellender "Befreiungsbescheid" der Beklagten wäre für das von der Klägerin offenbar verfolgte Rechtsschutzziel der Beitragserstattung
bzw. -weiterleitung an das Sächsische Rechtsanwaltsversorgungswerk nicht erforderlich. Soweit die Klägerin mit Blick auf die
Regelung in § 207 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III), nach welcher Bezieher von Arbeitslosengeld, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit
sind (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), gegenüber der BA Anspruch auf Übernahme der Beiträge, die für die Dauer des Leistungsbezugs
an eine öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe oder an ein Versicherungsunternehmen
zu zahlen sind, haben, eine entsprechende (Befeiungs-)Entscheidung der Beklagten für erforderlich hält, ist erneut darauf
hinzuweisen, dass eine solche nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI aus den dargelegten Gründen nicht ausgesprochen werden kann. Es bleibt der Klägerin unbenommen, sich hinsichtlich der zu
Unrecht an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführten Beiträge aus dem Arbeitslosengeld unmittelbar an die Bundesagentur
für Arbeit zu wenden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
183,
193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.