Kostenerstattung für digitale Mehrkanalhörgeräte mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung durch die gesetzliche Rentenversicherung
im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben
oder als Krankenbehandlung die Kosten für zwei digitale Mehrkanalhörgeräte mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung
in Höhe von 5.212,38 Euro abzüglich des gesetzlichen Zuzahlungsbetrages in Höhe von 20,00 Euro sowie abzüglich von Batteriekosten
in Höhe von 50,00 Euro, mithin einen Betrag in Höhe von 5.142,38 Euro zu erstatten.
Die Klägerin ist seit 1990 als Sachbearbeiterin im Landratsamt in F beschäftigt. Ihr Aufgabengebiet umfasst den persönlichen
und telefonischen Kontakt mit Bürgern, Vertretern der Stadt- und Gemeindeverwaltungen sowie mit Vorgesetzten und Kollegen.
Sie erteilt schriftliche Bescheide und gibt mündlich Auskünfte im Sachgebiet der Rechtsaufsicht.
Nach erstmaliger ohrenärztlicher Verordnung zweier Hörhilfen wegen einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit durch Dipl.-Med.
W (Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde) vom 14. Dezember 2006 und Einleitung der Test- und Hörgeräteanpassung bei der
Firma Augenoptik- und Hörgeräteakustik R GmbH am 18. Dezember 2006 stellte die Klägerin am 26. Dezember 2006 bei der Beklagten
einen Antrag, der am 9. Januar 2007 bei ihr einging, auf Zuschuss zu den Hörhilfen, da sie diese aus beruflichen Gründen für
die sachgerechte Ausübung ihrer Tätigkeit als Sachbearbeiterin für Kommunalrecht im Landratsamt benötige. Zu ihrer Tätigkeit
gehöre es, Einzel- und Gruppengespräche mit Bürgermeistern und Mitarbeitern der Stadt- und Gemeindeverwaltungen zu führen,
was durch die fortschreitende Höreinschränkung mit immer größeren Schwierigkeiten verbunden sei. Dem Antrag fügte sie die
ohrenärztliche Verordnung von Dipl.-Med. Wohlfahrt vom 14. Dezember 2006 bei. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 23. Januar 2007 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2007 ab und führte zur Begründung aus: Zwar sei eine
Hörhilfe aus medizinischen Gründen notwendig. Es handele sich aber um eine Leistung der medizinischen Grundversorgung, weil
eine über die Basisversorgung hinausgehende Versorgung mit höherwertigen Hörgeräten nicht wegen besonderer Anforderungen während
der Berufsausübung notwendig sei. Die Klägerin benötige bei jedweder Ausübung einer beruflichen Tätigkeit die begehrten Hörhilfen.
Ihre konkrete Berufstätigkeit lasse keine spezifische, berufsbedingte Notwendigkeit der höherwertigen Hörgeräteversorgung
erkennen. Die Versorgung mit Hörgeräten im Rahmen der Kassenleistung sei ausreichend. Es sei zwar nicht zu bestreiten, dass
das Hörvermögen durch spezielle Hörgeräte, die über der Festbetragsregelung der Krankenkasse liegen würden, verbessert werden
könne. Dieser Umstand allein könne den Rentenversicherungsträger allerdings nicht zur Leistung verpflichten. Eine Leistungspflicht
ergebe sich nur, wenn am Arbeitsplatz ganz spezielle zusätzliche Anforderungen bestünden, die über die Anforderungen für jeden
Arbeitsplatz hinausgehen würden.
Hiergegen erhob die Klägerin am 12. Juli 2007 Klage.
Nach Abschluss der Test- und Anpassungsphasen bei der Firma Augenoptik- und Hörgeräteakustik R GmbH im Zeitraum vom 18. Dezember
2006 bis 17. Oktober 2007 sowie nochmals am 18. Dezember 2009, während der unter anderem auch zwei eigenanteilsfreie Hörgeräte
getestet wurden, erwarb die Klägerin auf der Grundlage der ohrenärztlichen Verordnung von Dipl.-Med. W vom 14. Dezember 2006
am 28. Mai 2009 zwei digitale Mehrkanalgeräte mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung der Marke "Delta 8000 SN" zum
Preis von insgesamt 5.212,38 Euro. Zuvor zahlte sie für diese Hörgeräte für sechs Monate eine Leihgebühr in Höhe von jeweils
25,00 Euro monatlich. Die Zahlung der Gesamtsumme in Höhe von 5.212,38 Euro erfolgt durch die Klägerin in 36 Monatsraten in
Höhe von 144,79 Euro auf Grund eines Zusatzvertrages im Zeitraum vom 15. Juni 2009 bis 15. Mai 2012. Zugleich verpflichtete
sich der Hörgeräteakustiker gegenüber der Klägerin, im Falle einer finanziellen Beteiligung des Rentenversicherungsträgers
an der Hörgeräteversorgung, den genehmigten Betrag auszuzahlen, und bei einer Ablehnung seitens des Rentenversicherungsträgers,
den gesetzlichen Krankenkassenanteil an die Klägerin zurückzuerstatten. Eine Geltendmachung des Festbetrages gegenüber der
Krankenkasse erfolgte bis dato weder durch die Klägerin noch durch den Hörgeräteakustiker.
Das Sozialgericht Chemnitz hat im Rahmen des Klageverfahrens eine Auskunft des Landratsamtes Mittelsachsen vom 13. Mai 2009
sowie einen Befundbericht von Dipl.-Med. W vom 25. August 2009 eingeholt, die Anpassberichte des Hörgeräteakustikers beigezogen,
ein Gutachten auf otologischem Fachgebiet von Dr. P am 19. November 2009 erstellen lassen, mit Beschluss vom 24. Februar 2010
die zuständige Krankenkasse beigeladen, mit Beschluss vom 24. März 2011 die Beiladung der Krankenkasse wieder aufgehoben und
mit Gerichtsbescheid vom 27. Mai 2011 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11. Juni 2007 verpflichtet, die Kosten für die Hörgeräte "Delta 8000 SN" einschließlich zwei Otoplastiken in Höhe von
insgesamt 5.142,38 Euro zu erstatten, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Beklagte
habe es zu Unrecht abgelehnt, der Klägerin die zur Selbstbeschaffung der Hörgeräte aufgewendeten Kosten zu erstatten. Die
Beklagte sei als erstangegangener Rehabilitationsträger im Sinne von §
14 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) für die Versorgung der Klägerin mit den begehrten Hörgeräten zuständig, weil es nicht darauf ankomme, auf welcher Rechtsgrundlage,
zum Beispiel rentenrechtlich oder krankenversicherungsrechtlich, der Anspruch beruhe, da der zuständige Rehabilitationsträger
im Verhältnis zum Versicherten zur Prüfung und gegebenenfalls Bewilligung des Leistungsbegehrens nach jeder rehabilitationsrechtlich
in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage verpflichtet sei. Die Beklagte sei zuerst angegangener Rehabilitationsträger,
da der Antrag der Klägerin am 9. Januar 2007 bei ihr eingegangen sei. Dieser Antrag sei von der Beklagten auch nicht innerhalb
von zwei Wochen an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet worden. Nach Maßgabe der Grundsätze des Bundessozialgerichts
im Urteil vom 17. Dezember 2009 (Aktenzeichen: B 3 KR 20/08 R) zur Versorgung eines Versicherten mit Hörgeräten habe die Klägerin Anspruch auf die Versorgung mit den begehrten Hörgeräten,
sodass die Kostenerstattung aus §
13 Abs.
3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) folge. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sei dabei der Zeitpunkt der Leistungsverschaffung
durch die Klägerin, also der 28. Mai 2009, als Zeitpunkt der Rechnungslegung durch den Akustiker. Die selbstbeschafften Hörgeräte
seien notwendig. Die Hörgeräteversorgung sei wegen des erzielten Sprachverständnisses mit einem deutlichen Gebrauchsvorteil
behaftet, sodass die hierfür geltend gemachten Kosten nicht unverhältnismäßig seien. Auf die bundesweit einheitlichen Festbeträge
könne die Klägerin nicht verwiesen werden. Hinsichtlich der Höhe der Kostenerstattung sei darauf hinzuweisen, dass der Akustiker
der Klägerin - abzüglich der in Rechnung gestellten Zusatztechnik für 60 Batterien - eine Summe von 5.162,38 Euro in Rechnung
gestellt habe. Von dieser Summe sei die gesetzliche Eigenleistung in Höhe von 20,00 Euro abzuziehen, die die Klägerin selbst
zu erbringen habe. Deshalb sei die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Kosten in Höhe von insgesamt 5.142,38 Euro zu erstatten.
Nicht erstattungsfähig sei die von der Klägerin geltend gemachte Miete für die Hörgeräte in Höhe von 150,00 Euro, weil nach
§
13 Abs.
3 Satz 2 Alternative 2
SGB V nur Kosten erstattet verlangt werden könnten, die durch eine Selbstbeschaffung entstanden seien, da der Kostenerstattungsanspruch
nicht weitergehender sein könne als der zu Grunde liegende Sachleistungsanspruch.
Gegen den ihr am 6. Juni 2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 29. Juni 2011 Berufung eingelegt, mit der
sie die Abweisung der Klage weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus: Sie sei weder formell noch zur Weiterleitung des
Antrags verpflichtet gewesen, weil die Hörhilfen nicht auch Rehabilitationsleistungen, sondern als Leistungen der Krankenbehandlung
zu erbringen seien. Rehabilitationsbedarf liege nicht vor. Zwar sei die Klägerin aus beruflich bedingten Gründen auf kommunikative
Anforderungen und Beanspruchung ihres Hörvermögens angewiesen. Das konkrete Berufsbild lasse jedoch keinen berufsspezifischen
Kommunikationsbedarf erkennen. Es stelle sich deshalb die Frage nach der Erfüllung der medizinischen Grundversorgung, für
die die Beklagte nicht zuständig sei. Gegenüber der inhaltlichen Fragestellung, ob eine Unterversorgung der Klägerin mit den
zu Festbeträgen von der Krankenkasse finanzierten Hörgeräten vorliege, sei die Frage des erst- oder zweitangegangenen Trägers
nachrangig, weil auch der erstangegangene Leistungsträger nur im Rahmen der Leistungspflicht des konkreten Trägers handeln
könne. Dass die Krankenkasse mit den Akustikerverbänden Verträge zur Ausgestaltung der Leistungserbringung im Rahmen der Festbeträge
geschlossen habe, die unterschiedlich von den Hörgeräteakustikern umgesetzt würden, dürfe weder zu Lasten der Betroffenen
noch zu Lasten anderer Leistungsträger eine willkürliche, nicht beeinflussbare Leistungs- und Kostenverschiebung zur Folge
haben. Im Übrigen seien die Krankenkassen auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht zu Leistungseinschränkungen befugt
und auch durch die Festbetragsregelung nicht dazu ermächtigt. Die Krankenversicherung müsse bedarfsgerecht die Hilfsmittel
so umfassend erbringen, dass weitere Leistungen nicht erforderlich würden. Insoweit sei die Krankenkasse zur Leistungserbringung
verpflichtet.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 27. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen haben jeweils keinen Antrag gestellt und von Stellungnahmen im Berufungsverfahren abgesehen.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 18. August 2011 die zuständigen Krankenkassen der Klägerin beigeladen.
Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des
Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, weil das Sozialgericht Chemnitz der Klage im Ergebnis und mit zutreffender Begründung
stattgegeben hat. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 23. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.
Juni 2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte
den vom Sozialgericht Chemnitz ausgeurteilten Kostenerstattungsanspruch der Klägerin bedient.
Zur Begründung und zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen kann auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid
des Sozialgerichts Chemnitz verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden (§ 153 Abs.
2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Zur Ergänzung ist lediglich Folgendes auszuführen:
1. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich, nach dem sie sich die begehrten Hörgeräte selbst beschafft hat, aus §
15 Abs.
1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX), weil die Beklagte als erstangegangener Rehabilitationsträger zuständig geworden (und geblieben) ist und die Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat. Diese Vorschrift ist entweder unmittelbar anwendbar, weil sie trägerübergreifend Kostenerstattungsansprüche
für selbstbeschaffte Teilhabeleistungen normiert (so deutlich: BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 12). Oder sie ist über §
13 Abs.
3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) entsprechend heranzuziehen, weil zwar §
15 Abs.
1 Satz 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) auf sie nicht verweist, aber §
13 Abs.
3 SGB V einen allgemeinen Gedanken für sämtliche selbstbeschafften Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für jeden in Betracht
kommenden Rehabilitationsträger enthält (so angedeutet: BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 21 und 22 unter Bezugnahme auf BSG, 1. Senat, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 36/06 R - JURIS-Dokument, Rn. 18). Die Frage kann dahinstehen, weil das Ergebnis des Rechtsstreits von ihrer Beantwortung nicht abhängt.
Von den in §
15 Abs.
1 Sätze 1 bis 4
SGB IX geregelten drei unterschiedlichen Tatbeständen, die zur Kostenerstattungspflicht führen können, kommt vorliegend nur die
in §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX geregelte in Betracht. Danach besteht eine Erstattungspflicht, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung
nicht rechtzeitig erbringen kann oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Rehabilitationsträger im Sinne von §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX ist ausweislich des systematischen Zusammenhangs der Bestimmung mit §
15 Abs.
1 Satz 3
SGB IX der zuständige Rehabilitationsträger. Nach Satz 3 ist der "zuständige" Rehabilitationsträger unter bestimmten Voraussetzungen
zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, wenn sich Leistungsberechtigte eine erforderliche Leistung selbst beschaffen.
Die Erstattungspflicht des "zuständigen" Rehabilitationsträgers erstreckt Satz 4 auf die darin geregelten Tatbestände, indem
er bestimmt, dass die Erstattungspflicht "auch" in diesen Fällen besteht. Zuständiger Rehabilitationsträger im Sinne des §
15 Abs.
1 SGB IX ist der nach §
14 SGB IX verantwortliche Rehabilitationsträger (so deutlich: BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 14). §
14 SGB IX sieht im Grundsatz lediglich zwei Zuständigkeiten vor, die des erstangegangenen oder des im Wege der Weiterleitung zweitangegangenen
Rehabilitationsträgers. Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach den für ihn geltenden Leistungsgesetzen zuständig
ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag gemäß §
14 Abs.
1 Satz 2
SGB IX unverzüglich dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger zu. Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt
der Rehabilitationsträger gemäß §
14 Abs.
2 Satz 1
SGB IX den Rehabilitationsbedarf unverzüglich fest. Im Falle der Nichtweiterleitung des Antrags ist danach der erstangegangene Rehabilitationsträger
zuständig. Wird der Antrag demgegenüber weitergeleitet, gelten gemäß §
14 Abs.
2 Satz 3
SGB IX die Sätze 1 und 2 für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend. In diesem Fall
hat dieser den Rehabilitationsbedarf festzustellen und ist gegenüber dem behinderten Menschen zuständig. Ein Weiterleitungsrecht
besteht für ihn nicht, selbst wenn er nach den Leistungsgesetzen "eigentlich" nicht zuständig ist. Die Zuständigkeit nach
§
14 Abs.
1 und
2 SGB IX gegenüber dem behinderten Menschen ist eine ausschließliche Zuständigkeit. §
14 SGB IX zielt darauf ab, zwischen den betroffenen behinderten Menschen und Rehabilitationsträgern die Zuständigkeit schnell und dauerhaft
zu klären. Die Vorschrift trägt dem Bedürfnis Rechnung, im Interesse behinderter und von Behinderung bedrohter Menschen durch
rasche Klärung von Zuständigkeiten Nachteilen des gegliederten Systems entgegenzuwirken. Diesem Gesetzeszweck liefe es zuwider,
für das Außenverhältnis zum Leistungsberechtigten neben der Zuständigkeit eines Trägers nach §
14 SGB IX eine Zuständigkeit des nach den Leistungsgesetzen "eigentlich" verpflichteten Trägers für möglich zu halten (so deutlich:
BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 15; offengelassen noch von: BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 36 unter Bezugnahme auf BSG, 4. Senat, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 4 R 19/06 R - JURIS-Dokument, Rn. 32), wie die Beklagte im Verfahren mehrfach angedeutet hat, indem sie von einer formellen und einer
inhaltlichen Zuständigkeit ausgeht.
Da die Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers im Außenverhältnis diejenige aller anderen Träger ausschließt, kann im Gerichtsverfahren
über diese Frage im Verhältnis zu den vom behinderten Menschen angegangenen Rehabilitationsträgern nur einheitlich entschieden
werden. Wird die Zuständigkeit eines Trägers im Sinne von §
14 Abs.
1 und
2 SGB IX festgestellt, so hat das zwingend zur Folge, dass im Verhältnis zwischen diesem und dem Leistungsberechtigten der Anspruch
an Hand aller Rechtsgrundlagen zu prüfen ist, die überhaupt in der konkreten Bedarfssituation für Rehabilitationsträger vorgesehen
sind (so ganz deutlich und einheitlich: BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R -JURIS-Dokument, Rn. 16; BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 30; BSG, 1. Senat, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 34/06 R - JURIS-Dokument, Rn. 24 ff.). Dies gilt nach der Rechtsprechung des BSG unabhängig davon, ob die Beklagte als Träger der
Rentenversicherung "eigentlich" (nur oder auch) zur Leistungserbringung zuständig war. Ist der erstangegangene Träger für
eine Leistung der beantragten Art gar nicht zuständig, hat er die Leistung dem Antragsteller gegenüber nach den Vorschriften
des "eigentlich" zuständigen Leistungsträgers zu erbringen und gegebenenfalls einen Erstattungsanspruch gegenüber dem "eigentlich"
zuständigen Träger geltend zu machen (BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 16; BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 30; BSG, 1. Senat, Urteil vom 26. Juni 2007 - B 1 KR 34/06 R - JURIS-Dokument, Rn. 24 ff). Aus diesem Grund ist die von der Beklagten im Verfahren mehrfach geäußerte Auffassung, die
Frage des erst- oder zweitangegangenen Trägers sei nachrangig gegenüber der inhaltlichen Fragestellung zur Abgrenzung des
Umfangs der Leistungspflicht zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, unzutreffend. Ebenso unzutreffend
ist die Ansicht der Beklagten, dass sich eine durch §
14 SGB IX begründete Zuständigkeit lediglich auf Teilhabeleistungen erstrecken und sie deshalb nicht verpflichtet werden könne, als
zuständig gewordener Leistungsträger gänzlich zuständigkeitsfremde Leistungen, wie Leistungen für Hörhilfen als Krankenbehandlung
(Hilfsmittel) nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 11 Abs. 1 Nr. 4,
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3,
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V) zu erbringen (so wohl auch: LSG Berlin/Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2011 - L 8 R 176/10 - JURIS-Dokument, Rn. 26). Denn diese Sichtweise entspricht nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die klargestellt
hat, dass die durch §
14 SGB IX begründete Zuständigkeit des erstangegangenen Leistungsträgers die Erbringung von Leistungen an Hand aller in der konkreten
Bedarfssituation in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen, auch nach "zuständigkeitsfremden Leistungsgesetzen" umfasst. Dies
gilt auch dann, wenn die Versorgung mit Hörhilfen nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung keine Leistung zur medizinischen
Rehabilitation ist. Denn §
14 SGB IX gilt seiner Intention nach auch in solchen Fällen, in denen eine Leistung, hier das Hilfsmittel Hörhilfe, beantragt wird,
die nach dem Recht des zuerst angegangenen Leistungsträgers eine solche der medizinischen Rehabilitation, nach dem der ("eigentlich"
mit- oder allein-)zuständigen Krankenkasse jedoch keine Leistung zur Teilhabe im Sinne der §§
4,
5 SGB IX ist (so ganz deutlich: BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 38; im Ergebnis ebenso: BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 16 und 22: "der Anspruch ist an Hand aller Rechtsgrundlagen zu prüfen, die überhaupt in der konkreten
Bedarfssituation vorgesehen sind").
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Beklagte der erstangegangene Rehabilitationsträger im Sinne von §
14 SGB IX ist. Die Klägerin beantragte bei ihr am 26. Dezember 2006, mit Eingangsdatum am 9. Januar 2007, Leistungen in Form der Bezuschussung
der Hörgeräteversorgung, während sie sich bis dato noch nicht - und zwar weder bezüglich der Gewährung der Festbeträge noch
der Übernahme der vollständigen Kosten für die höherwertigen Hörgeräte - an die beigeladenen Krankenkassen gewandt hat.
Fest steht weiterhin, dass die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 9. Januar 2007 nicht wegen Unzuständigkeit innerhalb von
zwei Wochen zur Entscheidung an die Beigeladene zu 1., die zum damaligen Zeitpunkt zuständige Krankenkasse der Klägerin, abgegeben,
sondern mit Bescheid vom 23. Januar 2007 abschlägig beschieden, und bereits in diesem Bescheid auf Leistungen der medizinischen
Grundversorgung und die Zuständigkeit der Krankenkasse verwiesen, hat - gerade der vorliegende Fall zeigt, dass innerhalb
von zwei Wochen sehr wohl eine Frage über die Zuständigkeit getroffen werden kann. Die Beklagte ist danach der gegenüber der
Klägerin umfassend zuständig gewordene Rehabilitationsträger. Sie hat sowohl die nach dem
SGB VI als auch u.a. nach dem
SGB V vorgesehenen Rehabilitationsleistungen und Leistungen der Krankenbehandlung, die das konkrete Begehren decken können, zu
erbringen, weil sich die in §
14 Abs.
1 und
2 SGB IX geregelte Zuständigkeit - wie ausgeführt - im Verhältnis zur Klägerin auf alle Rechtsgrundlagen erstreckt. Die Krankenkasse
der Klägerin war hier jedoch als möglicherweise endgültig zuständiger Leistungsträger notwendig beizuladen (vgl. dazu: BSG,
5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 16), was das Gericht mit Beschluss vom 18. August 2011 veranlasst hat, nachdem das Sozialgericht
die am 24. Februar 2010 beschlossene Beiladung am 24. März 2011 wieder aufgehoben hatte.
Die Klägerin hat sich darüber hinaus die streitgegenständlichen zwei digitalen Mehrkanalhörgeräte mit Störschallunterdrückung
und Spracherkennung der Marke "Delta 8000 SN" auch erst nach der ablehnenden Entscheidung der Beklagten (Ablehnungsbescheid
vom 23. Januar 2007, Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2007), nämlich ausweislich der Rechnung der Firma Augenoptik- und Hörgeräteakustik
R GmbH am 28. Mai 2009, selbst und auf eigene Kosten beschafft, sodass dies einem Anspruch nach §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX - ebenso wie einem solchen nach §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V - nicht entgegensteht (vgl. hierzu: BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 23; BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 10-12). Die Ablehnung war auch ursächlich für die Selbstbeschaffung. Anhaltspunkte für eine Vorfestlegung
der Klägerin auf die streitgegenständlichen Hörgeräte liegen nicht vor.
2. Zutreffend hat im Übrigen das Sozialgericht Chemnitz ausgeführt, dass der Klägerin ein Anspruch auf Versorgung mit höherwertigen
Hörgeräten zustand, den die Beklagte zu Unrecht im Sinne von §
15 Abs.
1 Satz 4
SGB IX abgelehnt hat. Zwar waren die digitalen Hörgeräte nicht aus spezifisch beruflich bedingten Gründen erforderlich, da keine
besondere berufliche Betroffenheit bei der Klägerin gegeben ist, allerdings stehen ihr die Hörgeräte nach Krankenversicherungsrecht
zu.
Die von der Beklagten im Verfahren mehrfach in den Vordergrund gestellte Frage hinsichtlich der Abgrenzung des Umfangs der
Leistungspflicht zwischen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung beantwortet sich dabei nach der jüngsten höchstrichterlichen
Rechtsprechung des BSG wie folgt: Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich
von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Insoweit hat der in §
33 Abs.
1 Satz 1 Var. 3
SGB V genannte Zweck (ebenso auch: §
31 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX) für die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gebotene Hilfsmittelversorgung zwei Ebenen. Im Vordergrund steht
der unmittelbare Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion. Davon ist auszugehen, wenn das Hilfsmittel
die Ausübung der beeinträchtigten Körperfunktion selbst ermöglicht, ersetzt oder erleichtert. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich
gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen
Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung
eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von §
31 Abs.
1 Nr.
3 SGB IX, weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist.
Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung
abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig
im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 15). Ausschließlich berufliche und arbeitsplatzspezifische Gebrauchsvorteile sind demgemäß für die
Hilfsmittelversorgung nach dem
SGB V grundsätzlich unbeachtlich. Ist ein Versicherter für die Anforderungen des allgemeinen Alltagslebens ausreichend versorgt,
kommt es auf etwaige zusätzliche Nutzungsvorteile im Erwerbsleben für die Beurteilung eines sich aus §
33 SGB V ergebenden Leistungsanspruchs gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse nicht an (BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009
- B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 16-17; im Grundsatz ebenso wohl auch: BSG, 5. Senat, Urteil vom 20. Oktober 2009 - B 5 R 5/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 22-24). Spezifische (objektivierbare) Nutzungsvorteile im Erwerbsleben können allerdings, vorbehaltlich
einer durch §
14 Abs.
2 SGB IX bewirkten Zuständigkeitsverlagerung, den Rentenversicherungsträger dazu verpflichten, im Rahmen der medizinischen Rehabilitation
(und gegebenenfalls im Ermessenswege) berufsbedingte Mehrkosten für ein einheitliches Hilfsmittel zu übernehmen (BSG, 13.
Senat, Urteil vom 21. August 2008 - B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, Rn. 41-45). Die Versorgung mit Hörgeräten dient grundsätzlich dem unmittelbaren Behinderungsausgleich,
weil dadurch das allgemeine Grundbedürfnis des täglichen Lebens in Form des Hörens befriedigt wird.
Nach §
33 Abs.
8 Satz 1 Nr.
4 SGB IX in Verbindung mit §
16 SGB VI gehört zu den Rehabilitationsleistungen der Rentenversicherungsträger auch die Übernahme von Kosten für Hilfsmittel, die
wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder
zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass
eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können. Auch
medizinische Hilfsmittel können dabei als Teilhabeleistungen erbracht werden. Die Abgrenzung zwischen dem Zuständigkeitsbereich
der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits hat - wie erwähnt - danach
zu erfolgen, ob das Hilfsmittel dem medizinischen Ausgleich der Behinderung dient oder ob es ausschließlich für Verrichtungen
bei bestimmten Berufen oder Berufsausbildungen benötigt wird.
Im Falle der Klägerin steht auf Grund der bereits im sozialgerichtlichen Verfahren durchgeführten Ermittlungen fest, dass
die digitalen Hörgeräte nicht ausschließlich zum Ausgleich einer Behinderung für eine bestimmte Berufsausübung erforderlich
sind, sondern generell für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit und auch für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben
notwendig sind. Eine Notwendigkeit, die streitgegenständlichen Hörhilfen sich ausschließlich aus beruflichen Gründen anzuschaffen,
bestand nicht. Die Klägerin ist als Sachbearbeiterin im Kommunalrecht bzw. bei der Rechtsaufsicht im Landratsamt Mittelsachsen
beschäftigt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat sie persönlichen und telefonischen Kontakt mit Bürgern, mit Vertretern der Stadt-
und Gemeindeverwaltungen sowie mit Vorgesetzten und Kollegen. Neben der schriftlichen Bescheiderteilung muss sie rechtskundige
mündliche Auskünfte erteilen, was eine ungehinderte Kommunikation erfordert. Die von ihr dabei zu leistende Kommunikation,
sei es über persönliche Gespräche oder Telefonate, ist nicht auf ihren konkreten Arbeitsplatz beschränkt, vielmehr findet
sie in gleicher oder ähnlicher Form auch im Privatleben oder in den meisten anderen beruflichen Tätigkeiten statt. Es ist
nicht ersichtlich, dass die Klägerin ausschließlich in ihrer konkreten beruflichen Tätigkeit auf eine besondere bzw. spezielle
Hörfähigkeit - wie etwa bei akustischen Kontroll- oder Überwachungsarbeiten oder beim feinsinnigen Unterscheiden zwischen
bestimmten Tönen und Klängen - angewiesen wäre. Telefonate, Mehrpersonengespräche und Verständigungen unter Störgeräuschen
gehören nahezu zu jeder beruflichen Tätigkeit. Störschall tritt auch in vielen Bereichen des täglichen Lebens, sei es im Straßenverkehr,
in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Einkaufs- und kulturellen Einrichtungen auf. Ausweislich des vom Sozialgericht eingeholten
Befundberichts von Dipl.-Med. Wohlfahrt vom 25. August 2009 wird durch die Verordnung eines von der Festbetragsversorgung
abweichenden digitalen Hörgeräts bei der Klägerin allgemein eine Verbesserung des Sprachverstehens in lärmreicher Umgebung
erreicht. Die bestehenden Hörstörungen der Klägerin in Form der Innenohrschwerhörigkeit im Mittel- und Hochtonfrequenzbereich
beidseits sind durch Basisgeräte nur insoweit kompensierbar, als eine umgangssprachliche Verständigung ohne jegliche berufliche
Anforderungen an das Hörvermögen möglich ist. Der im Berufsleben einwirkende Störschall beeinträchtigt das Sprachverstehen,
weshalb eine Hörgerätetechnik nötig ist, die Sprache in Form von Lärm unterscheiden kann. Ausweislich des vom Sozialgericht
eingeholten Gutachtens auf otologischem Fachgebiet von Dr. P vom 19. November 2009 weist das Berufsbild der Klägerin gemessen
am heutigen Dienstleistungs- und Kommunikationszeitalter eine allenfalls gering überdurchschnittliche Anforderung an das Hörvermögen
auf, sodass selbst digitale Basisgeräte den kommunikativen Anforderungen in modernen Berufen nicht gerecht werden. Da die
Klägerin an einer Innenohrschwerhörigkeit mit unregelmäßigen Kurvenverläufen leidet, sind Geräte mit einer automatischen Spracherkennung
und Störschallunterdrückung erforderlich, die für viele andere Berufe ebenfalls gelten und mit den gewählten höherwertigen
Hörgeräten deutlich besser ausgeglichen werden können als mit Basisgeräten. Die Klägerin ist auf die höherwertige Hörgeräteversorgung
nicht ausschließlich in ihrer beruflichen Tätigkeit angewiesen.
Insgesamt steht damit fest, dass die Hörgeräteversorgung wegen des Ausmaßes der Hörstörung der Klägerin vor dem Hintergrund
erfolgt ist, einen unmittelbaren Behinderungsausgleich zu erreichen, weil erst die höherwertigen digitalen Mehrkanalhörgeräte
mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung eine umgangssprachliche Verständigung im Störschall ermöglichen. Störschall
tritt aber nicht ausschließlich bei der spezifischen Erwerbstätigkeit der Klägerin auf, sondern sowohl im Privatleben als
auch bei anderen beruflichen Tätigkeiten, die mit Kundenverkehr, Telefon-, Hintergrund- und Nebengeräuschen verbunden sind.
Wenn sich, wie hier, durch die Grundversorgung automatisch auch Verbesserungen für die Kommunikation im Erwerbsleben ergeben,
ist dies für den Teilhabeanspruch aus §
16 SGB VI nicht von rechtlich relevantem Belang (BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, RdNr. 17). Aus diesem Grund ist der, sowohl von der behandelnden Hals-Nasen-Ohren-Ärztin, Dipl.-Med. Wohlfahrt,
als auch von der Klägerin mehrfach in den Vordergrund gestellte Umstand, dass sie ihren Aufgaben als Sachbearbeiterin im Landratsamt
nur mit den höherwertigen digitalen Mehrkanalhörgeräten mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung bewältigen kann, nicht
ausschlaggebend. Es handelt sich hierbei lediglich um einen nützlichen Nebeneffekt bezüglich eines Teilbereichs der konkret
von der Klägerin zu bewältigenden Arbeitsaufgaben, nicht aber um ein den Hilfsmittelbedarf erst ausschließlich begründendes
spezifisch durch die konkrete Berufsausübung oder den konkreten Beruf hervorgerufenes Erfordernis.
Im Krankenversicherungsrecht hat der Versicherte nach §§ 11 Abs. 1 Nr. 4,
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3,
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V Anspruch auf Versorgung mit einer Hörhilfe, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen.
Ist eine bestimmte Hörhilfe notwendig im Sinne des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, so hat der Versicherungsträger
die Hörhilfe - von Zuzahlungen abgesehen - in vollem Umfang zu gewähren. Dieser Grundsatz gilt aber nur, wenn eine gegenüber
den Festbetragsgeräten höherwertige Hörmittelversorgung medizinisch notwendig ist. Denn grundsätzlich erfüllt die Krankenkasse
mit der Zahlung des Festbetrags ihre Leistungspflicht (vgl. §
12 Abs.
2 SGB V). Der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag, der eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots darstellt,
begrenzt die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung also dann nicht, wenn er für den Ausgleich der konkret
vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (dazu ausführlich: BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 23-41 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass ein solcher Behinderungsausgleich nicht durch Hörgeräte zum festgelegten Festbetrag
bei der Klägerin zu erreichen war. Ausweislich des Befundberichts von Dipl.-Med. W vom 25. August 2009 und des Gutachtens
auf otologischem Fachgebiet von Dr. P vom 19. November 2009 steht fest, dass bei der Klägerin eine beidseitige Innenohrschwerhörigkeit
im Mittel- und Hochfrequenzbereich vorliegt, die einen prozentualen Hörverlust von jeweils 30 % für beide Ohren bewirkt, und
zum Ausgleich dieser Schwerhörigkeit wegen der unregelmäßigen Kurvenverläufe Geräte mit einer automatischen Spracherkennung
und Störschallunterdrückung erforderlich sind, um einen Hörausgleich insbesondere beim Telefonieren und im Mehrpersonengespräch
sowie im Störlärm zu ermöglichen. Festbetragsgeräte, auch digitale, verfügen nicht über die erforderliche automatische Spracherkennung
und Störschallunterdrückung und ermöglichen lediglich in ruhiger Umgebung eine umgangssprachliche Verständigung. Ausweislich
der vorliegenden Anpassberichte des Hörgeräteakustikers bezüglich zweier zu Festbeträgen getesteten Hörgeräte und zweier zu
über Vertragsarztpreisen liegenden höherwertigen digitalen Hörgeräte steht fest, dass die Klägerin mit getesteten Hörgeräten
zu Vertragsarztpreisen, wie die getesteten Modelle "Intuis direkt" und "Go-Pro" belegen, lediglich ein Sprachverständnis in
Höhe von 55 bzw. 60 % erreichte und einen Hörgewinn ohne Störgeräusch von 25 % bzw. mit Störgeräusch von 15 % erzielte, während
die getesteten höherwertigen Hörgeräte, insbesondere das von der Klägerin erworbene Modell "Delta 8000 SN", ein 100%iges Sprachverstehen
ermöglichten und einen Hörgewinn von 70 % ohne Geräusch und 25 % mit Störgeräusch, und damit einen nahezu vollständigen Hörverlustausgleich,
bewirkten.
3. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass zwar nicht feststeht, ob im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung wesentlich preiswertere
Geräte auf dem Markt zur Verfügung standen, die einen vergleichbaren Behinderungsausgleich ermöglicht hätten. Jedoch kann
die volle Kostenerstattung nur davon abhängig gemacht werden, ob der Versicherte das ihm Zumutbare getan hat, um die notwendige
Leistung zur Vermeidung unnötiger Kosten zu ermitteln. Denn: Begrenzt ist der aus §§ 11 Abs. 1 Nr. 4,
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3,
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V folgende Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit digitalen Mehrkanalhörgeräten mit Störschallunterdrückung und Spracherkennung
durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des §
12 Abs.
1 SGB V. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten"; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen
die Leistungserbringer nicht bewirken und die Leistungsträger nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen
sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§
33 Abs.
1 Satz 5
SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine kostenaufwendige Versorgung dagegen
dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren
Alternative bietet. Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich insbesondere durch Prothesen für grundsätzlich
jede Innovation, die dem Versicherten nach ärztlicher Einschätzung in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet.
Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster
Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile.
Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich
in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn
einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht
(vgl. auch dazu wiederum lediglich ausführlich: BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, Rn. 21 und 41 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ebenso: BSG, 13. Senat, Urteil vom 21. August 2008 -
B 13 R 33/07 R - JURIS-Dokument, RdNr. 49).
Im Falle der Klägerin ist unter Berücksichtigung dieser Maßgaben festzustellen, dass sie bei einem zugelassenen Hörgeräteakustiker
mehrere Hörgeräte, darunter zwei Hörgeräte zum Festbetrag, getestet und anpassen lassen hat, auch wenn diese Testung von Festbetragsgeräten
erst im Laufe des Verfahrens, allerdings vor Erwerb der konkreten höherwertigen Hörgeräte erfolgte. Insoweit ist entscheidend,
dass die Testung und Anpassung der Hörgeräte zu Vertragsarztpreisen zu einem nicht ausreichenden Hörgewinn für die Klägerin
geführt haben, weil die Geräte nicht über die erforderliche Technik verfügen, die zum Ausgleich des Hörverlustes genügen und
der Klägerin keine Kommunikation im Störlärm und mit Hintergrundgeräuschen ermöglichen. Für die Klägerin lagen im Übrigen
keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Anpassung unsachgemäß erfolgte oder gar überteuerte bzw. luxuriöse Geräte angepasst
worden sind. Ein unmittelbarer Behinderungsausgleich war mit den Festbetragsgeräten im Sinne eines vom Bundessozialgericht
geforderten vollständigen Gleichziehens mit einem gesunden Menschen nicht zu erreichen. Hörbehinderten Menschen ist im Rahmen
des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störendem Umgebungslärm zu eröffnen und ihnen sind die
dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG, 3. Senat, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - JURIS-Dokument, RdNr. 20). Die Klägerin musste deshalb insgesamt keine weiteren Anstrengungen unternehmen, um herauszufinden,
ob noch günstigere gleichwertigere Hörhilfen auf dem gesamten Markt der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung standen.
In diesem Zusammenhang ist gleichfalls zu beachten, dass die Beklagte der Klägerin keinerlei Vorschläge im Sinne der Wirtschaftlichkeit
unterbreitet hat, denen die Klägerin hätte nachgehen können, um eine preiswertere Hörgeräteversorgung mit gleichadäquaten
Ergebnissen erreichen zu können.
Inwieweit sich der Hörgeräteakustiker gegebenenfalls vertragswidrig verhalten haben könnte, indem er Basisgeräte bzw. Hörgeräte
zu Vertragsarztpreisen erst nachträglich bei der Klägerin getestet und angepasst hat bzw. indem er sich in dem gesonderten
Vertrag mit der Klägerin vom 28. Mai 2009 erst bei Ablehnung seitens der Rentenversicherung verpflichtet hat, den gesetzlichen
Krankenkassenanteil an die Klägerin zurückzuerstatten, kann vorliegend dahingestellt bleiben. Denn insoweit ist zu berücksichtigen,
dass eventuelles vertragswidriges Verhalten des Hörgeräteakustikers auf Grund der internen Vertragsbindungen zwischen der
Beigeladenen und dem Akustiker jedenfalls nicht zu Lasten der Klägerin gehen kann, solange diese hierüber von der Beigeladenen
oder der Beklagten nicht in Kenntnis gesetzt worden ist und selbst keine andere Möglichkeit hatte, sich über sämtliche Angebote,
die am Markt zur Verfügung stehen, einen Überblick verschaffen konnte, ohne dass die Leistungsträger der Klägerin beratend
zur Seite gestanden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.