Tatbestand:
Im Streit ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die am 1962 in Serbien geborene Klägerin lebt seit 1985 in Deutschland. Eine förmliche Ausbildung hat die Klägerin nicht absolviert
und war als Reinigungskraft und Zimmermädchen beschäftigt. Die Klägerin hat einen Grad der Behinderung von 20. Die Klägerin
erhält laufend Leistungen zur Grundsicherung. Sie versorgt und betreut ihre erwachsene und psychisch beeinträchtigte Tochter.
2008 wurden in einem von der Agentur für Arbeit eingeholtem Gutachten eine psychische Minderbelastbarkeit aufgrund der familiären
Situation und diverse Befindlichkeitsstörungen festgestellt. Aus medizinischer Sicht sei die Klägerin in der Lage, täglich
sechs Stunden und mehr eine leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeit auszuüben. Allerdings sei ein psychiatrisches
Gutachten erforderlich. In dem sodann von Herrn D. erstellten psychologischen Gutachten stellte dieser keine ausreichende
psychische Belastbarkeit der Klägerin für eine berufliche Tätigkeit fest. Nach einem weiteren Gutachten im Auftrag der Arbeitsagentur
des Neurologen und Psychiaters Dr. H. wurde ein aufgehobenes Leistungsvermögen festgestellt. Unter der Diagnose von Spannungskopfschmerzen
und andauernden depressiven Reaktionen und einfach strukturierter Persönlichkeit ergab sich hieraus für die Dauer von etwa
zwei Jahren kein Leistungsvermögen. Die Klägerin sei so von der Sorge um die Tochter beherrscht, dass sie weder gedanklich
noch aber emotional Raum habe für hiervon unabhängige Aktivitäten. Es handele sich nicht einfach um ein Organisationsproblem
bei erhaltener Belastbarkeit, sondern um eine symbiotische Bindung mit Krankheitswert. In dieser Situation entwickele die
Klägerin eine depressive Reaktion und funktionell verstärkte körperliche Störungen, die sie schwerpunktmäßig mit Analgetika
behandele.
Am 12. Mai 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und verwies auf
Kopfschmerzen und psychische Belastungen bei der Pflege der Tochter. Auf Veranlassung der Beklagten erstellte der Neurologe/Psychiater
Dr. S. am 31. Juli 2012 ein fachärztliches Gutachten und stellte bei der Klägerin eine depressive Anpassungsstörung bei anhaltender
häuslicher Belastungssituation, eine Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule bei Fehlstatik und wiederkehrende Kopfschmerzen fest
und hielt die Klägerin grundsätzlich täglich sechs Stunden und mehr leistungsfähig für eine leichte bis mittelschwere körperliche
Tätigkeit ohne besondere nervliche Belastung. Die Klägerin habe sich für die Betreuung der Tochter entschieden und sei einem
Gespräch über Alternativen nicht zugänglich.
Die Beklagte lehnte sodann den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 15. August 2012 ab.
Die Klägerin erhob am 29. August 2012 Widerspruch mit der Begründung, dass sie immer noch krank sei, unter Kopfschmerzen leide
und häufig weinen müsse. Nach für die Klägerin negativen Stellungnahmen der beratenden Ärzte Dr. F. wies die Beklagten den
Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2016 zurück.
Die Klägerin hat am 14. März 2016 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Sie hat darauf verwiesen, dass sie nicht mehr
in der Lage sei, eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. So hat die Neurologin Dr. N. auf eine
zweimalige Synkope hingewiesen. Der Orthopäde Dr. V. hat auf Beeinträchtigungen seitens der Brust- und Lendenwirbelsäule hingewiesen.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat sodann die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie L. die Klägerin am 24. Februar
2017 untersucht und am 19. Mai 2017 ein Sachverständigengutachten erstellt. Unter der Diagnose einer permanenten psychosozialen
Belastungssituation mit chronischem Erschöpfungssyndrom im Sinne eines Burn-out, eines Analphabetismus mit psychischer Minderbelastbarkeit,
einer Minderbegabung mit psychischer Minderbelastbarkeit, einer Migräne, einem Spannungskopfschmerz, einer Insomnie (Einschlafstörung)
und Schmerzsyndrom der Wirbelsäule hat die Sachverständige die Klägerin für nicht mehr in der Lage gehalten, eine Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die Einschränkung ergebe sich weniger aus dem körperlichen Befund, sondern vielmehr
aus den psychiatrischen Erkrankungen. Gründe für das aufgehobene Leistungsvermögen ergäben sich aus der symbiotischen Beziehung
zur Tochter, den eingeschränkten intellektuellen Fähigkeiten, dem Analphabetismus mit den damit verbundenen psychischen Problemen
und der Burn-out Symptomatik. Die symbiotische Beziehung habe Krankheitswert. Entlastungsangebote würden von der Klägerin
als Trennungsmanöver verstanden werden. Möglicherweise spielten auch eigene Schuldgefühle eine erhebliche Rolle, die letztlich
von der Klägerin nicht aus eigener Kraft überwunden werden könnten. Andererseits wäre ein Arbeitsversuch hilfreich. Es wird
inhaltlich Bezug genommen auf das Sachverständigengutachten vom 19. Mai 2017 der Sachverständigen L ...
Nach Anhörung der Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung hat das Sozialgericht die Beklagte mit Urteil vom 9. August
2018 unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung
für die Zeit vom 12. Mai 2011 bis zum 31. Juli 2021 zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei nicht
mehr in der Lage, in einem Umfang von mindestens drei Stunden täglich Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten.
Dies folge aus dem eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten und aus dem Eindruck, den die Kammer von der Klägerin
in der mündlichen Verhandlung gewonnen habe. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, sich aus eigener Kraft von der symbiotischen
Beziehung zu ihrer Tochter zu lösen. Nach dem Sachverständigengutachten sei eine Besserung jedoch nicht unwahrscheinlich,
so dass die Rente zu befristen sei.
Gegen das ihr am 17. August 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. September 2018 Berufung eingelegt. Eine ausreichende
medizinische Begründung für eine tatsächlich krankhafte symbiotische Beziehung zu der Tochter habe die Sachverständige nicht
herleiten können. Hinzu komme, dass an drei Tagen in der Woche eine externe Betreuung erfolge und es sei nicht erkennbar,
warum die Klägerin zumindest an diesen Tagen nicht arbeiten und darüber hinaus die Betreuung nicht erweitert werden könne.
Die ausgesprochene Befristung sei in sich unschlüssig, weil nicht erkennbar sei, was sich in drei Jahren an dem beschriebenen
Zustand ändern solle. Das Sachverständigengutachten sei nicht leitliniengerecht erstellt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 9. August 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Die Klägerin leide unter Konzentrationsschwierigkeiten, sei weitschweifig,
eine Verständigung kaum möglich. Die Tochter nehme an Gruppenangeboten des Pflegedienstes teil, die nur wenige Stunden dauern
würden. Eine Tätigkeit könne in dieser Zeit nicht verrichtet werden.
Auf Veranlassung des Berufungsgerichts ist ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt worden. Der Sachverständige
Dr. B. ist in seinem Sachverständigengutachten vom 12. September 2019 nach Untersuchung der Klägerin bei der Diagnose einer
persönlichkeitsgetragenen und durch vielfältige lebenssituative Einflüsse ausgelöste und unterhaltene Anpassungsstörung zu
dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten mit durchschnittlicher
geistiger Beanspruchung mit weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich
auszuüben. Es imponiere aus psychologischer Sicht ein eher resolutes Auftreten, die Klägerin wirke nicht willensschwach und
es seien keine seelisch-geistigen Behinderungen nachweisbar. Die festgestellten Auffälligkeiten seien der fehlenden Schulbildung
geschuldet, aus neurologisch-psychiatrischer Sicht gebe es keinerlei Hinweise für ein aufgehobenes Leistungsvermögen. Die
Beziehung zur Tochter sei eine psychologisch verstehbare Haltung, von der sich die Klägerin kaum werde abhalten lasse. Gründe
seien eine persönlichkeitsgetragene aber keineswegs krankhaft begründbare Haltung, die es zu respektieren gelte. Die Klägerin
habe die Fähigkeit, sich gegen Widrigkeiten zu behaupten und eigene Auffassungen zu vertreten, sie sei nicht willenlos.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat Einwände gegen das Sachverständigengutachten erhoben und vorgetragen, dass sich
die Klägerin in dem Gutachten nicht erkennen könne. Sie sei vollständig unfähig, sich gedanklich mit der Möglichkeiten zu
beschäftigen, dass die Tochter unabhängiger werde könne. Das sei pathologisch. Die Klägerin sei laut, unsortiert, unstrukturiert,
ausweichend, misstrauisch und könne sich nicht konzentrieren. Bei der Annahme, dass die Klägerin willensstark und durchsetzungsfähig
sei, handele es sich um eine Fehlinterpretation. Es sei im Übrigen auf das Sachverständigengutachten von Frau L. und das Gutachten
von Dr. H. zu verweisen.
Der Sachverständige Dr. B. ist in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12. Dezember 2019 bei seiner Einschätzung geblieben.
Frau L. und Dr. H. seien in ihrer Argumentation nicht frei von Widersprüchen, so habe Dr. H. ausgeführt, die mangelnde Fähigkeit,
ihr Leben zu bewältigen komme von der Persönlichkeitsstruktur der Klägerin. Dagegen spreche jedoch, dass sich die Klägerin
in ihrer früheren Tätigkeit im Arbeitsleben durchaus habe behaupten können. Sie habe zudem auch die Schwierigkeiten im privaten
Bereich meistern können. Aus früheren Befundberichten sei jedoch erkennbar, dass die Klägerin wenig Arbeitsmotivation gehabt
habe. Erst 2008 sei durch Dr. H. auf die symbiotische Beziehung zu der Tochter hingewiesen worden. Die Sachverständige L.
habe einerseits eine symbiotisch krankhafte Beziehung zur Tochter festgestellt und andererseits hervorgehoben, dass es bemerkenswert
sei, dass die Klägerin es trotz der Einschränkungen geschafft habe, sich über viele Jahre über Wasser zu halten, weshalb auch
ein Arbeitsversuch hilfreich sei, um dem ständigen Kreisen um das Wohlergehen der Tochter zu entkommen. Beide Sachverständige
seien daher von beeindruckenden gesundheitlichen Ressourcen der Klägerin überzeugt. Dass die Klägerin hierauf nicht zurückgreife,
sei ihre Entscheidung. Hierdurch sei es auch zu einer Arbeitsentwöhnung gekommen. Es handele sich jedoch um eine frei gewählte
Entscheidung, die Klägerin nehme auch Hilfsangebote zur Betreuung der Tochter war und nutze die Zeit für sich selbst. Eine
synoptische Betrachtung der ärztlichen Stellungnahmen seit 1998 würde die Auffassung, dass nicht von einem aufgehobenen Leistungsvermögen
ausgegangen werden könne, stützen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung allein durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung
erteilt. Die Sach- und Rechtslage ist im Erörterungstermin vom 7. Juli 2020 erörtert worden.
Die Verwaltungsakten haben dem Berufungsgericht vorgelegen und sind Grundlage der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter konnte allein ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erteilt
haben (§§
155 Abs.
3 und
4 sowie 153 Abs.1 in Verbindung mit 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat keinen
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Sie ist weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Das angefochtene Urteil des
Sozialgerichts war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Gemäß §
43 Abs.
2 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (
SGB VI) sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine teilweise
Erwerbsminderung i. S. v. §
43 Abs.
1 SGB VI liegt vor, wenn der Versicherte krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu
sein.
Es besteht kein aufgehobenes Leistungsvermögen. Die Klägerin ist in der Lage, in einem Umfang von täglich mindestens 6 Stunden
leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten mit durchschnittlicher geistiger Beanspruchung und durchschnittlicher Verantwortung
auszuüben. Die Tätigkeiten sind in wechselnden Körperhaltungen auszuführen, ausschließliches Tragen, Heben und Bücken ohne
entsprechende Hilfsmittel sollten nicht dauerhaft verlangt werden, Arbeiten unter permanenten Zeitdruck und unter Akkordbedingungen
sind nicht möglich, es sollte auch auf Schicht-und Nachtarbeit verzichtet werden. Tätigkeiten an gefährdenden Arbeitsplätzen
sind zwingend zu vermeiden, die Wegefähigkeit der Klägerin ist gegeben. Mit diesem Leistungsvermögen kann die Klägerin allgemeine
Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt mit den beschriebenen Einschränkungen ausführen.
Das positive Leistungsbild ergibt sich aus der durchgeführten Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht. Der Sachverständige
Dr. B. hat in seinem Sachverständigengutachten vom 12. September 2019 und der ergänzenden Stellungnahme vom 11. Dezember 2019
plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass die Klägerin zumutbaren Tätigkeiten ohne maßgebliche zeitliche Beschränkung
in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausführen kann. Der Auffassung der erstinstanzlich befassten Sachverständigen
L. kann hingegen nicht gefolgt werden. Das hierauf basierende und eine zeitlich befristete Rente wegen Erwerbsminderung zusprechende
Urteil des Sozialgerichts Hamburg war deshalb aufzuheben.
Der Sachverständige Dr. B. hat dargelegt, dass sich allein aus neuro-psychiatrischer Sicht keinerlei Hinweise für die Annahme
einer aufgehobenen oder auch nur zeitlich eingeschränkten Erwerbsfähigkeit ergeben würden. Er hat als gesundheitliche Einschränkungen
lediglich eine persönlichkeitsgetragene und durch vielfältige lebenssituative Einflüsse ausgelöste und unterhaltene Anpassungsstörung
festgestellt. Eine krankhaft symbiotische Beziehung zur Tochter mit einem Burn-out-Syndrom hat er im Gegensatz zu der Vorgutachterin
L. nicht diagnostiziert. Er hat dargelegt, dass die Willensfähigkeit der Klägerin nicht eingeschränkt sei. Vielmehr imponiere
aus psychiatrischer Sicht ein eher resolutes Auftreten, die Klägerin wirke nicht willensschwach. Eine seelisch-geistige Behinderung
sei nicht nachweisbar, entsprechende Auffälligkeiten seien der fehlenden Schulbildung geschuldet. Die Beziehung zur Tochter
sei jahrelang eingeübt und es handele sich um eine psychologisch durchaus verstehbare Haltung, der jedoch eine persönlichkeitsgetragene,
aber keineswegs krankhaft begründete Einstellung zu Grunde liege.
Dass es sich bei der Beziehung zu der Tochter um eine willensgetragene und willentlich gesteuerte Entscheidung handelt, hat
der Sachverständige anschaulich mit den gesamten Lebensumständen der Klägerin begründet und dem in der Untersuchungssituation
gewonnenen Eindruck bzw. Befund. Die Klägerin habe in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich gegen Widrigkeiten zu behaupten
wisse und in der Lage sei, eigene Auffassungen zu vertreten und diese auch durchzusetzen. Dr. B. hat zum psychischen Befund
dargelegt, dass die Klägerin wach, bewusstseinsklar und voll orientiert gewesen sei. Sie habe einen unaufgeregten Eindruck
vermittelt, sei frei von Nervosität gewesen und habe sich auf die Untersuchungssituation gut einstellen können. Alle Fragen
seien ohne erkennbares Übertreibungsverhalten oder Verschleierungstendenzen im Rahmen der Möglichkeiten der Klägerin beantwortet
worden. Die Stimmung sei ausgeglichen gewesen. Dabei hat der Sachverständige hervorgehoben, dass die Klägerin ihre eigenen
Auffassungen resolut vertreten könne. Sie überschaue ihre Lebenssituation voll und ganz und habe sich damit arrangiert. Hiermit
im Einklang steht der von allen Sachverständigen und Gutachtern hervorgehobene Befund, dass die Klägerin trotz widriger und
schwieriger Lebensumstände in der Vergangenheit in der Lage gewesen ist, ihren Alltag zu bewältigen. Diese Beobachtungen sprechen
gegen eine krankhafte Einschränkung der Willensfähigkeit und auch gegen intensivere bzw. pathologische Konzentrationsstörungen.
Für das Berufungsgericht hat der Sachverständige Dr. B. auch überzeugend in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. Dezember
2019 herausgearbeitet, dass die Beendigung der Erwerbstätigkeit 1999 nicht im Zusammenhang mit der in Rede stehenden Mutter-Tochter
Beziehung stehen kann, weil diese erstmalig 2008 von der Gutachterin Dr. Bg. problematisiert worden ist. Insofern erweist
sich auch die Einschätzung des von der Agentur für Arbeit beauftragten Gutachters Dr. H. als problematisch, der davon ausgeht,
dass die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entgegenstehen würde. Denn die Klägerin
war bis 1999 bei einer identischen Persönlichkeitsstruktur in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Gleichzeitig wies
der Gutachter daraufhin, dass es bemerkenswert sei, dass es der Klägerin bislang noch gelungen sei, die an sie gerichteten
Aufgaben des Lebens zu bewerkstelligen, wenn auch mit vorübergehendem Wohnungsverlust und Insolvenzverfahren. Dr. B. hat zu
Recht darauf hingewiesen, dass sowohl Dr. H. als auch die erstinstanzlich befasste Sachverständige L. damit bemerkenswerte
Ressourcen beschrieben hätten, über die die Klägerin gerade auch in schwierigen Lebenssituationen verfüge, was sich auch in
dem Untersuchungsbefund von Dr. B. widerspiegelt, in dem die Klägerin durch ein resolutes Auftreten imponiert hat. Das Sachverständigengutachten
Frau Dr. L. ist insofern widersprüchlich als auf der einen Seite die krankhafte und für die Klägerin nicht mehr steuerbare
symbiotische Beziehung betont wird und auf der anderen Seite hervorgehoben worden ist, dass die Klägerin trotz aller Widrigkeiten
ihr Leben bisher bewältigen konnte. Das lässt den Rückschluss zu, dass die Klägerin trotz der problematischen Mutter-Tochter-Beziehung
noch über genügend Ressourcen verfügt, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das wird noch deutlicher dadurch, dass die Sachverständige
- folgerichtig - einen Arbeitsversuch für hilfreich erachtet hat. Ein solcher muss aber von vorneherein untauglich sein, wenn
die Klägerin sich aus der Beziehung zu ihrer Tochter nicht mehr willentlich lösen kann, was die Sachverständige auch angenommen
hat. Aus diesen Ausführungen ist erkennbar, dass Frau L. sich ihrer Sachen nicht sicher gewesen ist und die Beklagte hat in
diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass konsequenterweise von einer dauerhaften Leistungsminderung hätte ausgegangen
werden müsste.
Dr. B. hat zu Recht herausgearbeitet, dass die Beziehungsgestaltung zu der Tochter auch dann nicht zur Gewährung einer Rente
führen kann, wenn eine Verhaltensänderung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht eintreten wird, weil die Klägerin aus psychologisch
verstehbaren Gründen bei der langjährig eingeübten Beziehung bleiben wird. Das Beharren auf möglicherwiese persönlich schädigenden
oder bei objektiver Betrachtung ungünstigen Verhaltensweisen wie eine Entscheidung, nicht mehr arbeiten zu wollen, kann nur
dann bedeutsam sein, wenn aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung eine willentliche Steuerung nicht mehr möglich ist. Trotz
der vom Sachverständigen angeführten widrigen und für die Klägerin schwierigen Verhältnisse hat sich jedoch eine solche gravierende
Erkrankung nicht eingestellt. Die Klägerin ist, was sich in der Untersuchungssituation und durch die Bewältigung von schwierigen
Lebensverhältnissen gezeigt hat, in der Lage, ihre Interessen nachhaltig und teilweise auch resolut zu vertreten, sie ist
nicht "willenlos". Sie ist daher auch grundsätzlich in der Lage, die Beziehung zu ihrer Tochter so zu verändern, dass eine
Erwerbstätigkeit wieder möglich ist. Ihr Leistungsvermögen ist nicht aufgehoben,
Aus den vor dem Erörterungstermin von der Klägerin vorgelegten Unterlagen des Facharztzentrums für Allgemeinmedizin und der
internistischen Gemeinschaftspraxis vom 2. Juni 2020 folgen keine rentenrechtlich relevanten Befunde, die Anlass zu weiteren
Ermittlungen geben würden. Die aufgeführten Erkrankungen sind überwiegend bekannt und von den Sachverständigen ohne gravierende
Auswirkungen auf das Leistungsvermögen bewertet worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Außergerichtliche Kosten sind weder für Klage- noch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§160
SGG).