Kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
Berücksichtigung der Funktionsbeeinträchtigungen durch Alkoholabhängigkeit, depressive Störungen, eine chronisch obstruktive
Lungenerkrankung und Nikotinabhängigkeit
Tatbestand:
Im Streit ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1955 geborene Kläger leidet unter einer Alkoholabhängigkeit, einer depressiven Störung, einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung
und einer Nikotinabhängigkeit.
Der Kläger stammt aus der T. und kam 1979 nach Deutschland. Er war von 1981 bis zum Konkurs des Arbeitgebers 1995 als Fahrer
für eine Bäckerei erwerbstätig, anschließend von April 1996 bis 1997 im U. als Küchenhilfe. Danach arbeitete der Kläger als
selbständiger Verkäufer. Es folgten Tätigkeiten als Reinigungskraft und als Lagerarbeiter, die immer wieder durch Zeiten der
Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit mit Krankengeldbezug unterbrochen wurden. Zuletzt arbeitete der Kläger bis zum 31.
März 2009 als Lagerhelfer und bezog im Anschluss Arbeitslosengeld und später Krankengeld.
Der Kläger absolvierte wegen seiner Alkoholabhängigkeit in der Zeit vom 19. Januar 2010 bis 11. Mai 2010 in B. eine Maßnahme
der stationären medizinischen Rehabilitation (Langzeittherapie). Als Entlassungsdiagnosen sind aufgeführt: - Chronische Alkoholabhängigkeit
- COPD - Nikotinabhängigkeit - leichte depressive Episode, rezidivierend, mit somatoformer Ausgestaltung. Der Kläger wurde
dem Grunde nach als arbeitsfähig für seine letzte Tätigkeit entlassen. Zum damaligen Zeitpunkt war der Kläger nach einem zuvor
durchgeführten Alkoholentzug abstinent. Er bezog in der Zeit vom 12. Mai 2010 bis zum 4. Oktober 2010 Arbeitslosengeld. Wegen
des Einkommens seiner Ehefrau erhielt er seit dem 5. Oktober 2010 keine Sozialleistungen. In der Zeit vom 11. Januar bis 24.
Januar 2011 wurde wegen eines Rückfalls erneut eine stationäre Entzugsmaßnahme durchgeführt, ohne dass der Kläger dauerhaft
abstinent blieb.
Das Versorgungsamt H. stellte mit Bescheid vom 30. März 2011 nach einem Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie
Prof. Dr. H1 vom 28. Februar 2011, in welchem ein Abhängigkeitsleiden mit psychischer Minderbelastbarkeit diagnostiziert wurde,
einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 fest.
Am 23. Januar 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente und begründete den Antrag
im Wesentlichen mit Depressionen, einer Lungenkrankheit, Schulterbeschwerden und Schmerzen.
Die Beklagte holte Befundberichte von seinen behandelnden Ärzten ein und zog die Schwerbehindertenakte des Klägers bei. Anschließend
ließ sie den Kläger am 4. Juli 2012 internistisch von dem Internisten und Sozialmediziner Dr. E. begutachten, der folgende
Diagnosen stellte: - Chronisch obstruktive Atemwegserkrankung im Stadium GOLD III mit Luftnot auf niedrigem Belastungsniveau
und mittelgradige, auf bronchialerweiternde Medikamente teilweise ansprechende Lungenfunktionseinschränkung - Alkoholkrankheit
mit aktuell weitgehender, aber nicht vollständiger Abstinenz ohne wesentliche Folgeerkrankungen - leichtgradige depressive
Episode ohne Anhalt für maßgebliche Einschränkung sozialer Kompetenzen. Nach entsprechenden Labortests ergab sich kein Anhalt
für einen fortdauernden Alkoholkonsum des Klägers. Dr. E. hielt den Kläger mit diesen Erkrankungen noch für in der Lage, leichte
Tätigkeiten ohne besondere Stressoren auszuüben.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 20. Juli 2012 ab.
Hiergegen legte der Kläger am 15. August 2012 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, wegen seiner chronischen Krankheiten
sei er nicht in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes regelmäßig mindestens 3 Stunden täglich
zu arbeiten. Seine Krankheiten seien nicht eingehend berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. September 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Der Kläger hat am 19. Oktober 2012 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben und zur Begründung geltend gemacht, mit der
bestehenden Alkoholerkrankung, der Atemwegserkrankung und der psychischen Störung sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen
auszugehen. Dr. E. habe das Ausmaß und die Folgen der Alkoholerkrankung sowie der psychischen Erkrankung nicht richtig erfasst.
Nur unter großem Leidensdruck schaffe er es überhaupt, abstinent zu sein. Etwa alle vier Wochen trinke er große Mengen harter
Spirituosen. Während der Abstinenzzeiten schließe er sich häufig in seinem Zimmer ein, es bestünden starke Grübelzwänge und
Ängste. Nur durch den Konsum von Alkohol komme er davon weg. Nach zahlreichen Fehlversuchen, vom Alkohol wegzukommen, glaube
er nun nicht mehr daran, dass ihm dies gelingen könne. Auch sein Sohn sei suchtkrank. Er selbst habe sich sozial total zurückgezogen.
Es bestünden erhebliche Schmerzen und er ermüde schnell bei allen Tätigkeiten.
Das Sozialgericht hat die Schwerbehindertenakte des Klägers beigezogen sowie den Entlassungsbericht aus der V., wo der Kläger
vom 19. Februar bis 15. April 2008 erstmals in einer Langzeittherapie wegen Alkoholkonsums behandelt worden war sowie den
Entlassungsbericht der R.-Klinik, in welcher der Kläger vom 19. Januar bis 11. Mai 2010 in Langzeittherapie war. Außerdem
hat das Gericht Befundberichte von den behandelnden Ärzten des Klägers eingeholt, nämlich von dem Internisten Dr. D. sowie
von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Frau Dr. W., bei der Kläger seit 2008 in Behandlung ist. Sie hat angegeben,
dass der Kläger den Alkohol im Rahmen einer fehlerhaften Selbstbehandlung nutze und er unter einer generalisierten Angststörung
leide.
Anschließend ist der Kläger auf Veranlassung des Sozialgerichts am 11. September 2013 auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet
von Dr. N. untersucht und begutachtet worden. Er hat für den Kläger folgende Diagnosen gestellt: - Rezidivierende depressive
Störung, mittelgradige depressive Episode - Alkoholabhängigkeit, aktuell mit episodischem Konsum - dependente Persönlichkeitsstruktur
- COPD. Die Willensfähigkeit (nämlich Intentionalität und Interaktionsgestaltung als Ressourcen der Ich-Funktion) des Klägers
seien trotz des Alkoholkonsums erhalten. Der Kläger sei mit den erhobenen Befunden noch in der Lage, leichte Tätigkeiten mit
qualitativen Einschränkungen sechs Stunden täglich und mehr auszuüben. Allerdings bestünden deutliche qualitative Einschränkungen.
Der Kläger könne nicht unter Zeitdruck, nicht bei Nacht, nur in geringer Verantwortung, nur zu ebener Erde, nicht auf Leitern
und Gerüsten oder an gefährdenden Arbeitsplätzen arbeiten, nur in wechselnder Haltung, unter Witterungsschutz, nicht unter
Einfluss von Staub, Dämpfen oder ähnlichem. Es sei nicht erforderlich, weitere Gutachten einzuholen.
Zu dem Gutachten hat der Kläger dahingehend Stellung genommen, dass bei einer Zusammenschau seiner Leiden auf psychiatrischem
und auf internistischem Fachgebiet er nicht mehr in der Lage sei, mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten. Derzeit leide
er unter schweren Depressionen, er trinke exzessiv Alkohol und es bestünden erhebliche Aggressionen. Er habe bereits Nachbarn
belästigt und versucht, sich selbst zu verletzen. Er trinke vor allem an den Wochenenden und ziehe sich während der Woche
komplett zurück. Er versuche immer alles herunterzuspielen, so auch bei der Untersuchung, in der er sich höflich und kommunikativ
gezeigt habe, was bei ihm zwanghaft sei. Angesichts des fast täglichen Alkoholkonsums sei die Einholung eines internistischen
Gutachtens erforderlich.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 11. Februar 2014 hat der Sachverständige Dr. N. dargelegt, dass sich der Kläger bei ihm
ohne erkennbaren Alkoholeinfluss mit ausreichender Frustrationstoleranz und Impulskontrolle präsentiert habe. Eine weitere
lungenfachärztliche Begutachtung werde befürwortet.
Daraufhin ist der Kläger am 4. März 2014 von Dr. S., Facharzt für Innere Medizin und Lungen- und Bronchialheilkunde auf lungenfachärztlichem
und internistischem Fachgebiet begutachtet worden. Er hat für sein Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt: - COPD - Bluthochdruck.
Dr. S. hält das körperliche Leistungsvermögen des Klägers für stark herabgesetzt, jedoch nicht vollständig aufgehoben. Er
sieht den Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auszuüben mit ähnlichen Einschränkungen wie bereits zuvor von Dr. N.
benannt.
Der Kläger hat nunmehr eingewandt, dass das Gutachten von Dr. N. nicht überzeugend sei. Es bestehe ein weitgehender sozialer
Rückzug. Er mache fast nichts mehr außer fernsehen. Er verlasse die Wohnung nur auf dringenden Wunsch seiner Ehefrau. Es bleibe
offen, warum Dr. N. seinen Rückzug viel weniger gravierend erfasst habe als er selbst ihn beschrieben habe. Zudem sei der
soziokulturelle Hintergrund nicht genügend berücksichtigt worden. Er schäme sich wegen des Alkoholkonsums gerade auch als
Muslim und ebenfalls, weil er seine Familie nicht versorgen könne. Bei der Untersuchung durch den Gutachter habe er seine
erheblichen Aggressionen unterdrückt. Der Sachverständige möge zum Termin geladen werden.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §
43 Abs.
1 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (
SGB VI) beim Kläger letztmalig im November 2012 erfüllt gewesen seien und zum Beleg hierfür einen aktuellen Versicherungsverlauf
vom 8. Juli 2014 des Klägers vorgelegt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme vom 2. Oktober 2014 hat das Sozialgericht die Ehefrau des Klägers
als Zeugin zum Ausmaß des Alkoholkonsums und seines Alltags gehört. Diese hat ausgeführt, dass ihr Ehemann bereits 1979 unter
Alkoholproblemen gelitten habe. Vor etwa sieben Jahre seien die Probleme erheblich schlimmer geworden. Jetzt trinke er ohne
Grenzen und Pause 24 Stunden am Tag, oft drei Tage lang und liege dann wieder drei Tage herum und sei erschöpft. Er esse wenig,
sei schwach und sei nicht in der Lage, irgendwelche Hausarbeiten zu verrichten. Wenn er nichts trinken würde, würden seine
Hände und Beine stark zittern. Sie habe derzeit Urlaub und dafür gesorgt, dass er vor der Verhandlung nichts mehr getrunken
habe.
Darüber hinaus hat der gerichtliche Sachverständige Dr. N. in der mündlichen Verhandlung sein Sachverständigengutachten erläutert.
Er hat dargelegt, dass bei der Begutachtung eine deutliche Diskrepanz zwischen der subjektiven Schilderung und dem psychopathologischen
Befund aufgetreten sei. Das Ausmaß des angegebenen Rückzuges habe nicht zur Psychopathologie gepasst. Jetzt ergebe sich aber
eine andere Situation, nämlich das Bild einer fortgeschrittenen Suchterkrankung mit Entzugserscheinungen. Die Eigendynamik
der Sucht sei inzwischen dazugekommen und die Willenskräfte des Klägers nunmehr aufgehoben. Ab der Begutachtung durch den
Sachverständigen Dr. S. im März 2014 sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen. Zum Zeitpunkt der eigenen Untersuchungen
seien jedoch noch residuelle Willenskräfte vorhanden gewesen. Zwischenzeitlich sei es nun einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes
mit auch körperlichen Veränderungen gekommen.
Wegen der Zeugenaussage und der Anhörung des Sachverständigen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Die Beklagte hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung anerkannt, dass ein aufgehobenes Leistungsvermögen des Klägers bezogen
auf den Tag der Untersuchung des Klägers bei Dr. S. am 4. März 2014 anzunehmen sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. Oktober 2014 abgewiesen. Die Voraussetzungen des §
43 SGB VI seien nicht erfüllt. Zwar sei aufgrund der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass seit März 2014 das Leistungsvermögen des
Klägers aufgehoben sei, eine Rente könne jedoch nicht gewährt werden, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht
mehr vorliegen würden. Ein früherer Leistungsfall könne nicht angenommen werden. Der Sachverständige Dr. N. habe den Kläger
im September 2013 untersucht und es habe noch keine ausreichenden Hinweise für ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen
gegeben. Gravierendere körperliche Auswirkungen seien erstmals im Sachverständigengutachten von Dr. S. beschrieben worden.
Auch der Gutachter im Verwaltungsverfahren Dr. E. habe keinen dauerhaften Alkoholkonsum feststellen können, was durch die
durchgeführten Laboruntersuchungen bestätigt worden sei. Dr. N. habe einen episodenhaften Alkoholkonsum festgestellt und selbst
im gegenwärtigen Zeitpunkt sei zweifelhaft, ob der Alkoholkonsum dauerhaft in der angegebenen Größenordnung erfolge. Zum Beispiel
hätten sich in der mündlichen Verhandlung keinerlei Entzugserscheinungen gezeigt.
Der Kläger hat am 24. November 2014 Berufung gegen das am 24. Oktober 2014 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Hamburg eingelegt.
Er vertritt die Auffassung, dass aufgrund der Arbeitsunfähigkeitszeiten Verlängerungstatbestände hätten berücksichtigt werden
müssen. So sei der Kläger bis zum 31. März 2012 arbeitsunfähig im Hinblick auf seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Lagerhelfer
gewesen. Aus dem Befundbericht des Hausarztes Dr. D. vom 24. April 2012 ergebe sich eine fortlaufende Arbeitsunfähigkeit und
somit keine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit seit der stationären Behandlung im Januar 2011. Insgesamt sei von einer
Verlängerung von 14 Monaten auszugehen, maßgeblich sei der Zeitraum vom 4. Januar 2008 bis zum 4. März 2014. Bezogen auf einen
Leistungsfall im März 2014 sei zwar nur von 34 Monaten an Beitragszeiten auszugehen, jedoch würde das nicht gelten, wenn man
den Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. N. heranziehen würde. Dessen Einschätzung sei offensichtlich falsch gewesen und der
soziale Rückzug größer als von ihm angenommen. Der Zeitpunkt, den der Sachverständige Dr. N. gewählt habe, sei nicht nachvollziehbar.
Körperliche Beeinträchtigungen seien nicht nur bei Dr. S. feststellbar gewesen, sondern bereits von dem Gutachter Dr. E. beschrieben
worden. Darüber hinaus sei es bei der Einholung der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. N. zu einer Verzögerung
kommen, die nicht vom Kläger zu vertreten sei. Es wäre sonst zu einer früheren Begutachtung durch Dr. S. gekommen und somit
auch zu einem früheren Leistungsfall.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Oktober 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Juli 2012 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine auf 3 Jahre
befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 2. Oktober 2014 zurückzuweisen.
Sie verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil.
Das Berufungsgericht hat auf Antrag des Klägers ein weiteres Sachverständigengutachten gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) eingeholten. Der Neurologe und Psychiater Dr. G. ist nach Untersuchung des Klägers in seinem Sachverständigengutachten vom
4. Februar 2016 zu dem Ergebnis gelangt, dass von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen sei. Seit 2006 habe sich
das Trinkverhalten des Klägers verändert. Spätestens zum Zeitpunkt des Befundberichtes von Dr. W. vom 17.12.2010 (der vom
Versorgungsamt H. eingeholt wurde) sei von einer chronischen Alkoholabhängigkeit mit ungünstiger Prognose auszugehen. Dies
habe auch zu einer Verschlimmerung der seit Jahrzehnten bestehenden depressiven Störung mit Angstsymptomen geführt. Mindestens
seit dem Datum des Rentenantrages vom 13. Januar 2012 sei von einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen.
Der arbeitsmedizinische Dienst der Beklagten hat am 5. September 2016 darauf hingewiesen, dass die Einschätzung durch den
Sachverständigen Dr. G. vier Jahre nach der Antragstellung und zwei Jahre nach der letzten Begutachtung erfolgt sei. Es bestünde
ein erheblicher Widerspruch zu dem Sachverständigengutachten von Dr. N., der zum Zeitpunkt seiner Untersuchung noch kein aufgehobenes
Leistungsvermögen festgestellt habe.
Der Kläger hat darauf hingewiesen, dass Dr. N. seine Auffassung in der mündlichen Verhandlung revidiert habe. Das Sachverständigengutachten
von Dr. G. sei zutreffend, der Kläger sei nach der Entzugsbehandlung 2010 nicht in der Lage gewesen, abstinent zu bleiben.
Außerdem sei von Dr. G. der soziokulturelle Hintergrund erstmalig erfasst worden. Er habe zu Recht auf den Befundbericht von
Dr. W. abgestellt. Danach sei der Kläger bereits in fast allen Alltagssituationen gescheitert. Die Einschätzung von Dr. N.
sei willkürlich.
Der Sachverständige Dr. N. hat am 10. Juli 2018 auf Veranlassung des Senats eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Er hat
dargelegt, dass er der Einschätzung von Dr. G. nicht folgen könne. Aus dessen Sachverständigengutachten ergebe sich eine deutliche
Verschlechterung im Vergleich zu dem von ihm festgestellten Krankheitsbild. Der Kläger leide nunmehr an einer schweren depressiven
Episode, es wurde eine Speicheldrüsenoperation durchgeführt und sei zu einer Verschlechterung der Lungenerkrankungen gekommen.
Solche gravierenden Symptome wie zum Beispiel die angeführte Polyneuropathie seien 2013 noch nicht festgestellt worden, die
Depression sei mittelgradig und der Alkoholkonsum lediglich episodenhaft gewesen. So habe auch Dr. S. keine quantitativen
Leistungseinschränkungen festgestellt. Erst die Progredienz der internistischen Erkrankung habe in der Zusammenschau zu einem
aufgehobenen Leistungsvermögen geführt.
Der Kläger hat kritisiert, dass der Sachverständige Dr. N. allein auf die internistische Verschlechterung bei Dr. S. abgestellt
habe. Diese Interpretation des Sachverständigen sei unter Berücksichtigung der Multimorbidität nicht zwingend. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
seit 2011 seien nicht berücksichtigt worden, ebenso der Befundbericht von Dr. W ...
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Beratung und Entscheidung.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerechte Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat
die Klage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung. Zwar hat die Beweisaufnahme für die Zeit ab März 2014
ein aufgehobenes Leistungsvermögen ergeben, jedoch liegen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - wie das Sozialgericht
zutreffend dargelegt hat - zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor, so dass ein Rentenanspruch nicht besteht.
Gemäß §
43 Abs.
1 Nr.
2 SGB VI besteht der Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente nur, wenn in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung
drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gegeben sind.
In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung sind nicht für 36 Monaten. Pflichtbeiträge nachgewiesen. Diese
wurden zuletzt im Oktober 2010 entrichtet. Für die Zeit danach hat der Kläger aufgrund des Verdienstes seiner Ehefrau keinerlei
Sozialleistungen bezogen. Deshalb lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmalig im November 2012 vor.
Es kann auch nicht von einem früheren Leistungsfall ausgegangen werden, der Kläger war bis zum März 2014 in der Lage, leichte
körperliche Arbeiten in einem Umfang von mehr als 6 Stunden täglich auszuführen mit weiteren qualitativen Einschränkungen
wie sie der Sachverständige Dr. N. in seinem Sachverständigengutachten vom 11. September 2013 beschrieben hat. Ein früherer
Leistungsfall kann aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Gewissheit angenommen werden.
Gemäß §
43 Abs.
2 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch (
SGB VI) sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine teilweise
Erwerbsminderung i. S. v. §
43 Abs.
1 SGB VI liegt vor, wenn der Versicherte krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu
sein.
Der Sachverständige Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 11. September 2013 und in der ergänzenden Stellungnahme im Berufungsverfahren
vom 10. Juli 2018 plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass nicht von einem früheren Leistungsfall ausgegangen werden
kann. Er hat in diesem Zusammenhang maßgeblich auf die in der Untersuchung vom 11. September 2013 gewonnenen Erkenntnisse
abgestellt und begründet, weshalb er zu diesem Zeitpunkt nicht von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen ist. Er
hat dabei eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradig, eine Alkoholabhängigkeit mit episodischem Konsum
bei einer dependenten Persönlichkeitsstruktur ohne eigenen Krankheitswert und eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung
diagnostiziert. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Willensfähigkeit und Interaktionsfähigkeit trotz des Alkoholkonsums
erhalten geblieben sei. Diese Einschätzung wird durch die Beschreibung der Untersuchungsergebnisse gestützt. Der Sachverständige
hat den Kläger als bewusstseinsklar mit ausreichender, gegen Ende der Exploration aber nachlassender Aufmerksamkeit und Konzentration
geschildert. Ein tragfähiger Kontakt sei rasch herstellbar und aufrechtzuerhalten gewesen. Im inhaltlichen Denken sei eine
vermehrte Beschäftigung mit depressiven Gefühlen festzuhalten. Die Willenskräfte seien aber ausreichend strukturiert und zielgerichtet.
Die von ihm beschriebenen sozialen Rückzugstendenzen würden sich nur in geringem Umfang im medizinisch-psychopathologischen
Befund widerspiegeln. Subjektiv erlebe sich der Kläger allerdings invalidisiert. Der Kläger verfüge durchaus über Ressourcen
in den so genannten komplexen Ich-Funktionen wie Intentionalität und Interaktionsgestaltung.
Aus den Schilderungen des Sachverständigen im Sachverständigengutachten vom 14. September 2013 ergeben sich zwar durchaus
krankheitsbedingte Einschränkungen, die Alkoholerkrankung ist vom Sachverständigen auch gewürdigt worden, jedoch kann aus
den Beschreibungen des Sachverständigen abgeleitet werden, dass dieser zu normaler sozialer Interaktion in der Lage gewesen
ist und zu diesem Zeitpunkt auch noch über Ressourcen verfügt hat, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. In diesem Zusammenhang
ist zu beachten, dass eine Alkoholabhängigkeit nicht automatisch mit einer relevanten Einschränkung der Erwerbsfähigkeit gleichgesetzt
werden kann. Auch wiederholter Konsum von Alkohol muss im Rahmen einer Suchterkrankung nicht zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen
führen, zumindest solange es noch längere nüchterne Phasen gibt. Insofern vermögen die von Klägerseite geschilderten Rückfälle
maximal partielle Arbeitsunfähigkeitszeiten zu begründen. Der Sachverständige Dr. N. ist aufgrund des Verhaltens des Klägers
in der Untersuchungssituation zu dem Ergebnis gelangt, dass die Suchterkrankung und die depressive Episode zwar zu Leistungseinschränkungen
führen, den Kläger jedoch nicht an einer geregelten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hindern würden.
Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. N. deckt sich mit den Vorgutachten. Der von der Beklagten beauftragte Gutachter
und Facharzt für Innere Medizin und Sozialmediziner Dr. E. ist bei seiner Begutachtung vom 9. Juli 2012 zu einem ähnlichen
Ergebnis gelangt. Danach sei die Erwerbsfähigkeit bereits deutlich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben gewesen, so dass leichte
körperliche Arbeiten, überwiegend im Sitzen mit weiteren Einschränkungen in einem Umfang von 6 Stunden täglich verrichtet
werden könnten. Auch der vom Versorgungsamt H. beauftragte Gutachter Prof. Dr. H1 stellte in seinem Gutachten vom 28. Februar
2011 eine leichte bis mittelschwere depressive Episode sowie eine Alkoholerkrankung mit lediglich leichtgradigen sozialen
Anpassungsschwierigkeiten fest.
Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich aus der weiteren Entwicklung der Erkrankung ein früherer Leistungsfall mit
der erforderlichen Sicherheit und Wahrscheinlichkeit nicht ableiten. Nach der Auffassung des Sachverständigen Dr. N. ist aufgrund
des vom Sachverständigen Dr. S. beschriebenen herabgesetzten Allgemeinzustandes und der fortgeschrittenen internistischen
Erkrankung in der Zusammenschau mit den psychiatrischen Erkrankungen von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ab dem Zeitpunkt
der Untersuchung durch Dr. S. (4. März 2014) auszugehen. Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung der Zeugenaussage
der Ehefrau in der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2014 darüber hinaus dargelegt, dass sich nunmehr eine andere Situation
ergeben habe, nämlich das Bild einer fortgeschrittenen Suchterkrankung mit Entzugserscheinungen.
Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. N. ist insoweit plausibel. Aus den Schilderungen der Ehefrau des Klägers, dem Untersuchungsbefund
von Dr. S. und den Beschreibungen des Sachverständigen Dr. G. in seinem Sachverständigengutachten vom 3. Februar 2016 lässt
sich eine kontinuierliche Verschlechterung der Erkrankungen des Klägers ableiten. Der Sachverständige Dr. S. hat geschildert,
dass sich der Kläger zum Zeitpunkt der Untersuchung am 4. März 2014 in einem insgesamt herabgesetzten Allgemeinzustand befunden
habe. Die körperliche Leistungsfähigkeit sei insgesamt erheblich herabgesetzt. Derartige Feststellungen lassen sich dem Sachverständigengutachten
von Dr. N. nicht entnehmen. Auch der Gutachter Dr. E. schilderte im Juli 2012 keinen derart herabgesetzten körperlichen Allgemeinzustand,
wenn allerdings auch der hagere und leicht untergewichtige Körperbau des Versicherten beschrieben wurde. Für die Untersuchung
am 1. Februar 2016 durch den Sachverständigen G. ergibt sich dagegen eine deutliche Verschlechterung im Untersuchungsbefund.
So ist vom Sachverständigen ein erheblich reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand festgestellt worden. Der Kläger sei
während der Untersuchung in psychomotorische Unruhe gewesen, sei zwischenzeitlich aufgestanden und habe aus einer Wasserflasche
getrunken. Die Atemluft habe nach Alkohol gebrauchen. Sein Antrieb sei deutlich vermindert gewesen, die Psychomotorik sehr
unruhig.
Die Annahme des Sachverständigen, dass das Leistungsvermögen aufgrund des nunmehr deutlich sichtbaren reduziertem körperlichen
Allgemeinzustandes und des weiteren Fortschreitens der Alkoholerkrankung zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. S. unter
Berücksichtigung der Schilderungen der Ehefrau des Klägers als aufgehoben einzuschätzen sei, ist möglicherweise nicht zwingend,
jedoch nachvollziehbar. Es könnte auch argumentiert werden, dass mit der erforderlichen Sicherheit erst zum Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2014 von einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen werden kann. Gegen einen früheren
Zeitpunkt sprechen der vom Sachverständigen Dr. N. im September 2013 erhobene Untersuchungsbefund und auch die Begutachtung
durch Dr. E ... Der jeweils erhobene Krankheits- und Untersuchungsbefund unterscheidet sich nämlich signifikant von den Feststellungen
des Sachverständigen Dr. G. und hat sich insgesamt deutlich besser dargestellt. Während der Kläger bei der letzten Begutachtung
durch Dr. G. offensichtlich alkoholisiert gewesen ist, war dies bei den vorherigen Untersuchungen nicht der Fall. Die von
Dr. E. erhobenen Laborwerte haben dies auch bestätigt. Auch der Sachverständige Dr. N. hat keine Alkoholisierung des Klägers
beschrieben, ebenso ist der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 2. Oktober 2014 offensichtlich nüchtern
gewesen. Der Sachverständige Dr. N. hat insoweit in seiner ergänzenden Stellungnahme für das Berufungsgericht vom 10. Juli
2018 zu Recht darauf hingewiesen, dass gegenüber seiner eigenen Untersuchung und der Untersuchung von Dr. G. eine deutliche
Verschlechterung eingetreten ist, was sich bereits an der Diagnose einer schweren depressiven Episode zeige. Aus der weiteren
Verschlechterung kann jedoch nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die Leistungsfähigkeit bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung
2012 aufgehoben gewesen wäre.
Deshalb kann auch dem nach §
109 SGG eingeholten Sachverständigengutachten des Dr. G. nicht gefolgt werden. Denn dieser orientiert sich maßgeblich an dem 2016
erhobenen Untersuchungsbefund und gelangt dann im Wege der Rückschau zu dem Ergebnis, dass bereits mindestens seit 2012 von
einem aufgehobenen Leistungsvermögen ausgegangen werden müsse. Dabei werden von ihm allerdings die entgegenstehenden Feststellungen
des Gutachters Dr. E. und des Sachverständigen Dr. N. weitgehend ignoriert. Es ist sicherlich zutreffend, dass die Alkoholerkrankung
des Klägers bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung ausgeprägt war und das Leistungsvermögen negativ beeinflusst hat. Dies
ist von Dr. E. auch beschrieben worden. Allerdings war das Ausmaß bei weitem nicht so gravierend, wie es der Sachverständige
Dr. G. bei seiner Untersuchung 2016 festgestellt hat. Der Alkoholkonsum des Klägers hat sich kontinuierlich gesteigert mit
entsprechend negativen Auswirkungen auf das Leistungsvermögen. Wie bereits festgestellt ist die Annahme eines aufgehobenen
Leistungsvermögens durchaus plausibel, wenn sich erstmalig ein körperlich deutlich reduzierter Allgemeinzustand zeigt. Soweit
der Sachverständige Dr. G. auf den Befundbericht von Dr. W. abstellt, der am 2. Dezember 2010 im Auftrag des Versorgungsamtes
H. erstellt worden ist, führt dies zu keiner abweichenden Einschätzung. Zwar wurde dort ein Scheitern in fast allen alltäglichen
Situationen mit depressiven Symptomen geschildert, jedoch steht das in diesem Ausmaß nicht im Einklang mit den festgestellten
Diagnosen einer depressiven Entwicklung, generalisierten Angststörung, und psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol,
gegenwärtig abstinent. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Schilderung des alltäglichen Scheiterns in
dem Befundbericht vom 18. April 2013, der vom Sozialgericht Hamburg eingeholt worden ist, ebenso wie die Diagnosen wiederholen.
Die Einschätzung steht im Widerspruch zu dem Entlassungsbericht vom 9. August 2010 der Reha-Einrichtung, in welcher der Kläger
in der Zeit vom 19. Januar 2010 bis zum 11. Mai 2010 eine stationäre Rehabilitations- und Entwöhnungsmaßnahme absolviert hat.
Denn hieraus ergibt sich dass der Kläger seinen Gesundheitszustand soweit stabilisieren konnte, dass er mit einer positiven
Leistungsprognose entlassen werden konnte. Er ist auch in dem gesamten Zeitraum abstinent geblieben. Es ist daher sehr unwahrscheinlich,
dass nur wenige Monate später eine so massive Verschlechterung eingetreten ist, dass der Kläger dauerhaft fast allen alltäglichen
Situationen nicht mehr gewachsen sein soll. Dagegen spricht auch die spätere gutachterliche Feststellung von Dr. E. im Juli
2012.
Soweit im Berufungsverfahren vorgetragen wird, dass nur der Sachverständige Dr. G. den soziokulturellen türkischen Hintergrund
des Klägers ausreichend beleuchtet habe, überzeugt die Argumentation nicht. Zwar ist es durchaus zutreffend, dass der Kläger
mit dem von ihm gewählten Sachverständigen in türkischer Sprache kommunizieren konnte, es ist auch im Sachverständigengutachten
beschrieben worden, dass es ihm unangenehm und peinlich gewesen sei, über seinen Alkoholkonsum zu sprechen. Der Kläger hat
jedoch auch mit den anderen Gutachtern und Sachverständigen offen über seinen Alkoholkonsum gesprochen und detaillierte Angaben
zu seinen Trinkgewohnheiten gemacht. Gegenüber dem Gutachter Professor Dr. H1, hat der Kläger angegeben, fast täglich Alkohol
zu konsumieren, bis zu einer Flasche Korn am Tag, danach versuche er mehrere Tage abstinent zu bleiben. Gegenüber dem Gutachter
Dr. E. (Gutachten vom 9. Juli 2012) gab der Kläger einen deutlich geringeren Alkoholkonsum an. Manchmal trinke er noch einen
Korn oder ein Bier täglich und nicht mehr in überhöhten Mengen. Anders stellt sich die Situation bei Dr. N. während der Untersuchung
vom 11. September 2013 dar. Dort hat der Kläger angegeben, Alkohol zu trinken, sobald er etwas finde. Erst kürzlich habe er
eine versteckte Flasche Raki in der Wohnung gefunden und ausgetrunken. Aus den Schilderungen des Klägers zu seinen Alkoholkonsum
ergeben sich durchaus Unterschiede zum Ausmaß des Konsums, es sind jedoch immer detaillierte Angaben zum Suchtverhalten gemacht
worden. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger aus Scham den Alkoholkonsum gegenüber den Sachverständigen
und Gutachtern verharmlost hat.
Selbst wenn man davon ausginge, dass der Kläger bereits bei der Begutachtung durch Dr. N. im September 2013 vollständig erwerbsgemindert
gewesen wäre, führt dies nicht zu einem Anspruch gemäß §
43 Abs.
1 oder Abs.
2 SGB VI. Auch in diesem Fall würden die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorliegen. Die in der Begründung dargelegten
Verlängerungstatbestände sind nicht nachgewiesen. Eine Anrechnungszeit gemäß §
58 Absatz
1 SGB VI, die gemäß §
43 Abs.
4 Nr.
1 SGB VI den Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängern würde, liegt nicht vor. Für eine Anrechnungszeit
müssen sämtliche Voraussetzungen der §§
58 ff.
SGB VI erfüllt sein. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit in §
58 Abs.
1 S. 2 Nr.
1 SGB VI richtet sich nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Vorliegen einer Anrechnungszeit muss nach allgemeinen
Grundsätzen des Beweisrechts erwiesen sein. Die Beweismittel unterliegen der freien Beweiswürdigung, einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
kommt wie in der gesetzlichen Krankenversicherung nur Indizcharakter zu, es ergibt sich keine Bindungswirkung (Gürtner in
Kasseler Kommentar, § 58
SGB V, Rn 8 mit weiteren Nachweisen). Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger, wie es von seinem Hausarzt gegenüber
dem Rentenversicherungsträger bescheinigt wurde, fortlaufend arbeitsunfähig gewesen ist. Maßgeblicher Bezugspunkt für die
Beurteilung der krankenversicherungsrechtlichen Arbeitsunfähigkeit nach dem
SGB V ist die zuletzt ausgeübte Tätigkeit. Da der Kläger aus der Arbeitslosigkeit heraus arbeitsunfähig geworden ist, ist auf Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes abzustellen. Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit sind in diesem Fall alle Beschäftigungen,
für die sich der Versicherte der Arbeitsverwaltung zwecks Vermittlung zur Verfügung zu stellen hat und ihm nach dem Arbeitsförderungsrecht
zumutbar sind (Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand März 2016, §
44 SGB V, Rn 12). Wie sich aus dem Versicherungsverlauf ergibt, endete die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Lagerhelfer am 31. März
2009 und im Anschluss bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Danach bezog der Kläger anderweitige Sozialleistungen, es ist davon
auszugehen, dass er Krankengeld erhalten hat. Maßgeblicher Bezugspunkt sind in diesem Fall Tätigkeiten auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt und es kann nicht die zuletzt ausgeübte Beschäftigung herangezogen werden. Die Feststellungen der Beklagten und
die vom Sozialgericht und Berufungsgericht durchgeführte Beweisaufnahme haben gerade kein aufgehobenes Leistungsvermögen für
den allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt. Wie bereits dargestellt wurde der Kläger nach der stationären Rehabilitationsmaßnahme
am 11. Mai 2010 als arbeitsfähig entlassen und bezog im Anschluss Arbeitslosengeld. Der für Januar 2011 dokumentierte Rückfall
mit einem Klinikaufenthalt führte lediglich vorübergehend zu einer Arbeitsunfähigkeit. Maßgeblich sind aufgrund der vorangegangenen
Arbeitslosigkeit wiederum leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Noch im Juli 2012 stellte jedoch
der Gutachter Dr. E. ein positives Leistungsvermögen für leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von mindestens sechs
Stunden täglich fest. Der Kläger sei weiterhin werktäglich sechs Stunden und mehr einsetzbar. Bei dieser Sachlage kann aufgrund
der im Verwaltungsverfahren durchgeführten Ermittlungen der Einschätzung des behandelnden Hausarztes nicht gefolgt werden
und es ist nicht von einer insgesamt 14 monatigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Allenfalls kann der Zeitraum vom 11. Januar
2011 bis 14. Januar 2011 für den stationären Aufenthalt als Arbeitsunfähigkeitszeit berücksichtigt werden. Dies führt jedoch
nicht dazu, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im September 2013 erfüllt gewesen wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.