Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Streit.
Der Kläger ist ... Juni 1951 in Polen geboren und (inzwischen) deutscher Staatsangehörigkeit. Er ist Elektroingenieur (akademischer
Grad: "Diplom-Ingenieur/Polen") und war nach seiner Übersiedelung in die Bundesrepublik im Jahre 1981 bis 1989 tätig, zuletzt
in einem Ingenieurbüro. Seit 1989 ist der Kläger arbeitslos. Zunächst bezog er Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, seit
1. Januar 2005 bezieht er Arbeitslosengeld II.
Am 5. April 2005 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste zunächst eine
Begutachtung durch die Internistin Dr. N., welche den Kläger am 23. Juni 2005 untersuchte und welcher er schilderte, er fühle
sich, als ob er ständig eine Grippe habe: Müde, sofort in Schweiß, kraftlos, alle Gelenke täten ihm weh, wechselnde Bauchbeschwerden.
Er könne kein normales Leben führen und habe sich oft gefragt, wieso er das nicht könne. Er habe sehr viele Krankheiten: Unter
anderem Bauchspeicheldrüsenkrebs, Herpes genitalis, chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen, Kopfschmerzen und Schwindel,
Prostatavergrößerung, unheilbare Schilddrüsenentzündung. Die Ärzte würden ihm immer wieder sagen, er würde sich seine Krankheiten
nur einbilden. 2001 sei er lange mit einem Antibiotikum wegen einer chronischen Stirnhöhlenentzündung behandelt worden, danach
sei sein Immunsystem zusammengebrochen und er habe mehrere Monate im Bett liegen müssen, er habe einfach nicht aufstehen können.
Er müsse auch immer mit einer unbequemen Kappe auf dem Kopf herumlaufen. Ohne Kappe bekäme er sofort unerträgliche Kopfschmerzen.
Er habe 5-8 Hausärzte. Ein Hausarzt könne unmöglich alles wissen. Frau Dr. N. fand ausweislich ihres schriftlichen Gutachtens
vom 29. Juni 2005 bei dem Kläger eine behandelte Autoimmunerkrankung der Schilddrüsen vor. Im Jahre 2003 sei eine Pankreasveränderung
ohne sicheren krankhaften Befund und ohne fortschreitende Veränderungen festgestellt worden. Internistisch ergebe sich keine
Diagnose, die die Leistungsfähigkeit des Klägers einschränke. Es stehe eine psychische Erkrankung des Klägers im Vordergrund.
Die Beklagte veranlasste daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, welches durch Dr. H. erstellt wurde, der den
Kläger am 1. September 2005 persönlich untersuchte. Diesem schilderte der Kläger, dass er manchmal tagelang zuhause sei, dann
schwitzend im Bett liege, wie nach einer Erkältung. Er könne dann auch nicht nach draußen. Er bleibe jede Woche ein paar Tage
im Bett, wie nach einer Erkältung, er sei anfällig auf Kälte. Er sei auch vergesslich und leide unter Schwindel. Er sei deshalb
bereits untersucht worden, man habe aber auch nichts gefunden. Es sei wohl eine Verstopfung von einer Ader im Kopf gewesen.
Seither sei er immer etwas vergesslich. Er sei auch immer müde. Er habe Wochen, wo er nur im Bett liege oder auch 2-3 Tage,
an denen er sich nicht bewegen könne. Er habe auch ständig so etwas wie Erkältung und so etwas wie Bronchitis. Er schwitze
viel. Er sei wohl bei mindestens vier oder fünf Nervenärzten gewesen, zuletzt vor ca. einem Jahr. Er habe genug vom Besuch
von Nervenärzten. Die hätten auch genug von ihm, da er so viel erzähle. Aber wenn er nicht erzähle, hätten sie ja keine Informationen.
Er habe ständig Bauchschmerzen, Rückenschmerzen und Oberbauchschmerzen. Er sei so schwach und kaputt, dass er deswegen mitunter
tagelang im Bett liegen müsse. Dr. H. kam im Gutachten vom 10. September 2005 zu der Einschätzung, bei dem Kläger, der in
den Jahren 2001 bis 2003 in erheblichem Umfang wegen psychiatrischer Erkrankungen arbeitsunfähig gewesen sei, bestehe trotz
einer hochgradigen psychischen Auffälligkeit, die am ehesten im Sinne einer Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, querulatorischen
Anteilen aufzufassen sei, kein aufgehobenes oder relevant eingeschränktes Leistungsvermögen. Ob die beschriebenen körperbezogenen
Beschwerden noch als Somatisierungsstörungen aufzufassen seien oder tendenziell Wahncharakter hätten, lasse sich nicht feststellen.
Hinsichtlich der intellektuellen neuropsychologischen Konstitution des Klägers wie auch hinsichtlich seiner körperlichen Konstitution
bestünden keine Einschränkungen im Hinblick auf eine Erwerbstätigkeit. Es sei auch festzustellen, dass im alltäglichen Leben
noch erhebliche Kompetenzen bestünden, so z.B. bei der Versorgung der Kinder. Auch lasse sich eine akzentuierte Darstellung
der beklagten Einschränkungen der Alltagsobliegenheiten nicht ausschließen. Insgesamt sei eine abschließende Leistungsbeurteilung
nicht möglich, eine solche solle nach Abschluss eines Heilverfahrens erfolgen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Oktober 2005 (ohne vorherige Durchführung eines Heilverfahrens) die Gewährung der
beantragten Rente ab. Auf den Widerspruch des Klägers vom 18. November 2005 hin bemühte sie sich, eine erneute neurologisch-psychiatrische
Begutachtung zu veranlassen. Eine solche konnte indes nicht durchgeführt werden, weil der Kläger nicht bereit war, einen Termin
zur Begutachtung zu vereinbaren. Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 10.
Oktober 2006 (abgesandt am 17. Oktober 2006) als unbegründet zurück.
Mit der daraufhin rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger sein Rentenbegehren weiter verfolgt und geltend gemacht, er leide
unter einer Vielzahl schwerwiegender Erkrankungen, wie zum Beispiel einem Bauchspeicheldrüsentumor, einer Hepatitis A und
B, einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse und einer chronischen Magen- und Zwöffingerdarmentzündung. Das Sozialgericht
hat eine Vielzahl von Befundberichten der behandelnden Ärzte eingeholt. In diesen heißt es beispielsweise, der Patient setzte
das verschriebene Medikament immer wieder ab, auch Briefe an die Hausärztin hätten nichts geholfen, es erscheine, als ob es
der Patient darauf anlege, krank zu sein (Befundbericht Dr. V. vom 5. Juni 2007). Es bestehe kein Anhalt für das Vorliegen
einer organischen Herzerkrankung, die Beschwerden des Patienten dürften am ehesten vertebragener oder funktioneller Natur
sein. Man habe dem Patienten klipp und klar erklärt, dass er seine sämtlichen Beschwerden ignorieren solle und dass sie sämtlich
harmloser, funktioneller Art seien. Weitere Untersuchungen seien unsinnig (Arztberichte Dr. M. von 1994). Der Kläger leide
unter einer Hyperthyreose bei Zustand nach Immunthyreoiditis und Verdacht auf Kardiophopie. Ein richtungsweisender somatischer
Befund, der die diffusen Ängste des Klägers hätte erklären können, habe sich nicht ergeben (Befundbericht Dr. P. vom 19. Juni
2007).
Das Sozialgericht hat daraufhin die Einholung eines neurologischen-psychiatrischen Sachverständigengutachtens angeordnet.
Nachdem der Kläger dort mehrmals nicht zum Termin erschienen war, hat das Sozialgericht die Erstellung eines Gutachtens nach
Aktenlage angeordnet. Dieses Gutachten ist durch den Neurologen und Psychiater Dr. L. am 9. Januar 2009 erstellt worden. Dr.
L. hat festgestellt, im subjektiven Erleben des Klägers ergebe sich eine vollständige Leistungsunfähigkeit. An objektiven
Befunden ließe sich eine chronische Prostatavergrößerung feststellen, ein Verschleißleiden der Wirbelsäule ohne Nervenwurzelkompressionsbefund,
eine Fettleber und eine Magenschleimhautentzündung. Daneben bestehe ein dringender Verdacht auf eine psychiatrische Erkrankung.
Es könne allerdings ausschließlich auf die von Dr. H. erhobenen Befunde zurückgegriffen werden, da andere Befunde nicht existierten.
Aus den von Dr. H. festgestellten Befunden lasse sich indes ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen aus psychiatrischer
Sicht nicht ableiten. Es könne zwar sein, dass ein solches aufgehobenes Leistungsvermögen vorliege, dies sei aber nicht mit
ausreichender Sicherheit dokumentiert.
Das Sozialgericht hat daraufhin mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2010, dem Kläger zugestellt am 30. Juli 2010, die Klage
abgewiesen. Die bei dem Kläger objektiv gefundenen Beeinträchtigungen ließen keinen Zweifel daran, dass er noch in der Lage
sei, leichte bis mittelschwere Arbeiten bei qualitativen Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Hinsichtlich der psychiatrischen
Auffälligkeiten sei der Kläger seiner Mitwirkungspflicht zur Untersuchung nicht nachgekommen; das daraufhin eingeholte Gutachten
nach Aktenlage ergebe keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein aufgehobenes Leistungsvermögen.
Der Kläger hat am 30. August 2010 Berufung eingelegt. Er beruft sich weiterhin darauf, unter einer Vielzahl erheblicher Erkrankungen
zu leiden und beantragt die Einholung mehrerer Gutachten zur gezielten Begutachtung jeder seiner Krankheiten. Im Vordergrund
stehe inzwischen eine unbehandelte Borreoliose.
Auf Veranlassung des Berufungsgerichts hat der Arzt für Innere Medizin, Arbeitsmedizin, Lungen- und Bronchialheilkunde und
Umweltmedizin Dr. S. den Kläger am 6. Februar 2012 untersucht. Dr. S. hat im Gutachten vom 10. Februar 2012 internistisch
die folgenden Diagnosen gestellt: Adipositas, Zustand nach Hepatitis A und B - Infektionen, chronische Nebenhöhlenentzündung,
Zustand nach Gastritis, Pankreaspseudozyste, Autoimmunthyreoditis. Die körperliche Belastbarkeit des Klägers sei hierdurch
sicherlich eingeschränkt, objektiv betrachtet jedoch nicht aufgehoben. Der Kläger könne nach dem Gesamtbild seiner körperlichen
Einschränkungen leichte körperliche Tätigkeiten unter Witterungsschutz sowie frei von Exposition mit Rauchen, Dämpfen und
Gasen ausführen. Überkopfarbeiten sollten unterbleiben. Diese Tätigkeiten seien dem Kläger 6 Stunden täglich und mehr durchführbar.
Die Wegefähigkeit sei erhalten. Es erscheine jedoch eine psychiatrische Untersuchung und Begutachtung des Klägers weiterhin
dringend erforderlich.
Der Kläger hat hierzu in der ersten mündlichen Verhandlung ausgeführt, er habe sich im Internet schlau gemacht und sei nunmehr
der Meinung, er leide unter einer perniziösen Anämie. Auf den Hinweis von Dr. S., dies sei definitiv auszuschließen, da hierfür
der bei dem Kläger durchaus vorhandene Vitamin-B-Mangel nicht ausreiche, sondern sich darüber hinaus bei dieser Erkrankung
Veränderungen im roten Blutbild ergäben, die bei dem Kläger nicht vorlägen, erklärte der Kläger, er halte Dr. S. nicht für
kompetent und begehre die Untersuchung durch einen anderen Arzt. Auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts, ob er bereit sei,
sich durch einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie untersuchen zu lassen, erklärte der Kläger, hierzu sei er nicht bereit,
er sei der Meinung, das aktuelle Attest seines behandelnden Facharztes für Nervenheilkunde müsse ausreichen. Er hat in diesem
Zusammenhang ein Attest des Facharztes für Nervenheilkunde G. vorgelegt, in welchem es heißt, der Kläger leide unter einer
beginnenden diabetischen Polyneuropathie, einem Diabetes mellitus, einer gemischten Angst- und depressiven Störung, einer
zentralen Durchblutungsstörung und einer Somatisierungsstörung. Aus nervenärztlicher Sicht sei er nicht in der Lage, eine
Tätigkeit zum Gelderwerb auszuüben; eine Besserung in den nächsten drei Jahren sei nicht zu erwarten.
Die Beklagte hat ihren angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf die durchgeführten Begutachtungen verteidigt.
Das Landessozialgericht hat mit Urteil vom 27. März 2012 durch ... als damals zuständige Berichterstatterin und zwei ehrenamtliche
Richter (sog. kleiner Senat) die Berufung zurückgewiesen.
Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat Erfolg gehabt. Das Bundessozialgericht hat mit Beschluss
vom 24. Oktober 2013 das Urteil vom 27. März 2012 aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung leide an einem Verfahrensfehler, denn es fehle an einem Übertragungsbeschluss auf den kleinen Senat, so dass
dieser nicht habe verfahrensfehlerfrei entscheiden dürfen.
In der Folge haben die Beteiligten ihren bisher vertretenen Standpunkt beibehalten und weiter untermauert. Das Berufungsgericht
hat nunmehr den Übertragungsbeschluss nachgeholt.
Im Gutachten vom 29. März 2015 ist der Neurologe/Psychiater Dr. N. nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen,
der Kläger könnte trotz einer (neben Erkrankungen auf internistischem Gebiet) auf neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet
festzustellenden kombinierten Persönlichkeitsstörung mit narzisstisch paranoischen und querulatorischen Zügen sowie einer
Somatisierungsstörung in Verknüpfung mit hypochondrischer Störung noch leichte Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten.
Die Arbeiten sollten durchschnittlicher geistiger Art sein und auch nur durchschnittliche Verantwortung fordern. Solche Arbeiten
könne der Kläger überwiegend im Sitzen oder in wechselnden Körperhaltungen ausführen. Besonderer Zeitdruck, Arbeiten mit häufigen
Kundenkontakten sowie Tätigkeiten mit häufigen telefonischem Kundenkontakt sollten vermieden werden. Besondere Anforderungen
an die Team- und Konfliktfähigkeit könnten nicht gestellt werden. Eine Einordnung in ein kollegiales Arbeitsteam, bei der
der Kläger überwiegend Tätigkeiten allein verantwortlich ohne besondere Absprachen und Interaktionen mit anderen Mitarbeitern
verrichten müsse, seien aber möglich. Er solle jedoch lediglich in geschlossenen Räumen und nicht auf Leitern oder Gerüsten
und auch nicht an sonst gefährdenden Arbeitsplätzen und nur zu ebener Erde tätig sein. Die Wegefähigkeit sei ebenso wie die
Fähigkeit, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsaufnahme und Arbeitstätigkeit zu überwinden, erhalten.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 28. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen Erwerbsminderung
ab dem 1. Mai 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, das Gutachten von Dr. N. habe die Richtigkeit ihrer ablehnenden Bescheide bestätigt.
Bezüglich des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift genannten Akten Bezug
genommen, welche dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Sie ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht zu.
An den Feststellungen des Gutachters Dr. S. hat das Gericht keinen Zweifel, zumal sie sich mit den Befundberichten der behandelnden
Ärzte decken. Aus keinem dem Gericht vorliegenden Befundberichten ergibt sich ein Hinweis auf eine der von dem Kläger geltend
gemachten schweren organischen Erkrankungen.
Das Gericht folgt auch der Einschätzung im überzeugenden neurologisch-psychiatrischen Gutachten von Dr. N., wonach der Kläger
zwar Verhaltensauffälligkeiten zeige, jedoch trotzdem noch ein ausreichendes Leistungsvermögen für leichte Arbeiten mit qualitativen
Einschränkungen aufweise. Zumindest die in der berufskundigen Stellungnahme des berufskundigen Sachverständigen Meinhardt
vom 28. Februar 2015, welche den Beteiligten vorliegt, beschriebenen leichten angelernten Pack-, Montier-, Produktions-, Prüf-,
Etikettier- und Kommissionierungsarbeiten ist der Kläger in der Lage zu verrichten. Die eingeschränkte Teamfähigkeit hindert
derartige Tätigkeiten nicht.