LSG Hamburg, Urteil vom 12.03.2019 - 3 R 62/18
Vorinstanzen: SG Hamburg S 15 R 1381/15
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. 2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich dagegen, wegen einer überzahlten Rente 12.731,78 Euro zu erstatten. Die am xxxxx 1965 geborene Klägerin
wanderte 1991 aus ihrem Heimatland E. in das Bundesgebiet ein. Im selben Jahr heiratete sie den bei der Beklagten versicherten
T. (im Folgenden: Versicherter), der 1998 verstarb. Die Klägerin bezieht seit dem 1. Oktober 1998 von der Beklagten eine Große
Witwenrente, zu deren Berechnung die Beklagte 23,9937 persönliche Entgeltpunkte zugrunde legte (Bescheid vom 1. Dezember 1998).
Der monatliche Rentenzahlbetrag betrug zunächst 631,79 DM, was 323,03 Euro entsprochen hätte. Die Klägerin, die zwischenzeitlich
Sozialhilfe bezogen hatte, nahm zum Dezember 1999 eine Beschäftigung als Reinigungskraft auf. Die Beklagte berechnete die
Rente zum 1. Juli 2000, 1. Juli 2001, 1. Januar 2003 und 1. November 2006 jeweils neu (Bescheide vom 2. Mai 2000; 25. Mai
2001; 4. Dezember 2002; 28. September 2006). In den Bescheidbegründungen hieß es jeweils, die Berechnungsgrundlage habe sich
geändert. In der Anlage 1 war jeweils festhalten, dass die persönlichen Entgeltpunkte in der bisherigen Höhe zugrunde zu legen
seien. Die monatlichen Zahlbeträge betrugen ab dem 1. Juli 2000 644,13 DM, was 329,34 Euro entsprochen hätte, ab dem 1. Juli
2001 334,91 Euro, ab dem 1. Januar 2003 341,40 Euro und ab dem 1. November 2006 341,19 Euro. Am 5. Juni 2007 erstellte die
Beklagte einen internen Teilkontenspiegel, der erstmals zusätzlich zu den bisher zugrunde gelegten 23,9937 maßgeblichen persönlichen
Entgeltpunkten auch maßgebliche persönliche Entgeltpunkte (Ost) in gleicher Höhe auswies. Diese hatte der Versicherte nie
erworben. Am Ende des Teilkontenspiegels erschien der Warnhinweis, dass Entgeltpunkte und Entgeltpunkte (Ost) in identischer
Höhe vorhanden seien. Gleichwohl berechnete die Beklagte die Rente zum 1. Januar 2007 auf der Grundlage von 23,9937 persönlichen
Entgeltpunkten und 23,9937 persönlichen Entgeltpunkte (Ost) neu (Bescheid vom 6. Juni 2007). Zur Begründung hieß es im Bescheid,
die Berechnungsgrundlagen hätten sich geändert. In der Anlage 1 zum Bescheid war weiterhin festgehalten, dass die persönlichen
Entgeltpunkte in der bisherigen Höhe zugrunde zu legen seien. Der monatliche Zahlbetrag betrug 641,31 Euro ab dem 1. Juli
2007. Für Januar bis Juni 2007 erhielt die Klägerin eine Nachzahlung in Höhe von 899,76 Euro. Der Fehler setzte sich fort,
als die Beklagte die Rente zum 1. Juli 2009, 1. Juli 2009, 1. Juli 2010 und 1. Juli 2012 neu berechnete (Bescheide vom 7.
Juli 2008; 1. Juli 2009; 25. Juni 2010; 25. Juni 2012). Die monatlichen Zahlbeträge beliefen sich ab dem 1. Juli 2008 auf
646,53 Euro; ab dem 1. Juli 2009 auf 666,17 Euro; ab dem 1. Juli 2010 auf 666,17 Euro und ab dem 1. Juli 2012 auf 685,42 Euro.
Jedenfalls die am 3. Juli 2008 und am 30. Juni 2009 von der Beklagten erstellen internen Teilkontenspiegel wiesen auf den
Fehler hin. Am 4. September 2013 bat der Steuerberater der Klägerin die Beklagte telefonisch um Auskunft, warum sich die Rente
zum Januar 2007 erhöht habe. Er bereite die Steuererklärung für die Klägerin vor, die wenig Lesen und Schreiben könne. Noch
am selben Tag fand die Beklagte den Fehler im Versicherungskonto. Nachfolgende Ermittlungen ergaben, dass die fälschlicherweise
erfassten persönlichen Entgeltpunkte (Ost) manuell gespeichert worden waren. Mit Schreiben vom 8.Oktober 2013 hörte die Beklagte
die Klägerin zur ihrer Absicht an, den Bescheid vom 6. Juni 2007 aufgrund von § 45 SGB X zurückzunehmen und aufgrund von § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Erstattung eines Betrags von 35.463,55 Euro zu fordern. Der Bescheid vom 6. Juni 2007 sei schon bei Erlass fehlerhaft
gewesen. Die Klägerin könne nicht auf den Bestand des Bescheids vertrauen, denn sie hätte erkennen können, dass dem Konto
Entgeltpunkte (Ost) zugeschrieben worden seien, obwohl entsprechende Betragszeiten nicht zurückgelegt worden seien. Die Klägerin
brachte vor, im Bescheid vom 6. Juni 2007 werde keine Begründung für die Änderung gegeben, die sie hätte als fehlerhaft erkennen
können. Man beziehe sich dort lediglich auf eine "Änderung der Berechnungsgrundlage". Im Übrigen sei die Rente ausgehend von
den Beitragszeiten ihres verstorbenen Ehemannes berechnet worden, zu denen sie ihn nicht mehr habe befragen können. Mit Bescheid
vom 4. Februar 2015 nahm die Beklagte den Rentenbescheid vom 6. Juni 2007 "in Gestalt der Folgbescheide" ab dem 1. Januar
2007 hinsichtlich der Rentenhöhe zurück, machte für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Oktober 2013 eine Erstattungsforderung
in Höhe von 25.463,55 Euro geltend und setzte den Zahlbetrag der Rente ab dem 1. November 2013 auf 363,60 Euro fest. Sie stützte
die Aufhebungs- und Erstattungsverfügung wie angekündigt auf die §§ 45, 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X und führte aus, der im Anhörungsschreiben genannte Betrag von 35.463,55 Euro sei unbeachtlich. Die Klägerin hätte erkennen
müssen, dass der Rentenbescheid nicht dem geltenden Recht entsprach. Als Ermessenserwägung führte die Beklagte an, dass sie
die falsche Entscheidung zwar durch die fehlerhafte technisch-rechnerische Umsetzung erheblich mitverschuldet habe. Die Klägerin
habe aber ohne Weiteres erkennen können, dass ihr eine derartig hohe Rente nicht zustehe; der Rentenzahlbetrag habe sich annähernd
verdoppelt. Die Klägerin wandte sich mit dem Widerspruch nur gegen die Rücknahme- und Erstattungsverfügung und machte geltend,
die Rentenzahlungen vollständig für eine größere Wohnung und einen etwas höheren Lebensstandard verbraucht zu haben, nachdem
sie zuvor am Rande des Existenzminimums mit ihrem Sohn in einer 41 m2-großen Wohnung gelebt habe. Der Berechnungsfehler habe
sich ihr nicht aufdrängen müssen. Der Bescheid vom 6. Juni 2007 habe nicht etwa plötzlich Entgeltpunkte (Ost) aufgeführt,
sondern im Gegenteil ausdrücklich bestätigt, die persönlichen Entgeltpunkte in der bisherigen Höhe zugrunde zu legen. Zudem
verfüge sie nur über grundlegende Deutschkenntnisse und habe keinerlei Kenntnisse über das deutsche Rentensystem, geschweige
denn die konkrete Rentenberechnung. Sie habe auch nicht gewusst, welche Anwartschaften ihr verstorbener Ehemann in der Vergangenheit
erworben habe. Die Erhöhung des Zahlbetrags habe sie schlicht als glückliche Fügung aufgrund einer möglicherweise falschen
Berechnung in der Vergangenheit, einer neuen Berechnungsmethode, einer Gesetzesänderung oder ähnlichem betrachtet. Es sei
auch immer noch eine bescheidene Rente gewesen. Demgegenüber habe die Beklagte den Berechnungsfehler alleine zu vertreten,
die nicht einmal auf die internen Fehlermeldungen reagiert habe. Mit Bescheid vom 25. März 2015 half die Beklagte dem Widerspruch
teilweise ab und reduzierte den Umfang der Rücknahme- und Erstattungsverfügung auf die Hälfte, das sind 12.731,78 Euro. Im
Übrigen wies sie den Widerspruch, den die Klägerin aufrechterhalten hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2015
zurück. Zur Begründung ergänzte sie, die Klägerin hätte die Unrichtigkeit des zurückgenommenen Bescheids bei Anwendung der
gebotenen Sorgfalt auf den ersten Blick erkennen können. Die drastische Erhöhung des Zahlbetrags zum Januar 2007 hätte jedem
unbefangenen Dritten auffallen müssen. Die Beklagte führte weiter aus, sie habe die Rückforderung auf die Hälfte des überzahlten
Betrages begrenzt und den Schaden hierdurch gleichsam geteilt, weil ihr eigenes fahrlässiges Fehlverhalten, das die eingetretene
Überzahlung mitverursacht habe, und das fahrlässige Fehlverhalten der Klägerin ungefähr gleichgewichtig seien. Hinsichtlich
des weiterhin zurückgeforderten Teilbetrages überwiege aber das Interesse der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung
an einer möglichst umfassenden Rückforderung zu Unrecht erbrachter Rentenzahlungen das private Interesse der Klägerin an einem
vollständigen Behalten-dürfen der zu Unrecht erbrachten Zahlung. Soweit dies für die Klägerin mit einer erheblichen Härte
verbunden sei, komme eine Ratenzahlung in Betracht. Mit ihrer am 15. Dezember 2015 vor dem Sozialgericht Hamburg erhobenen
Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Die Beklagte hält an ihren Bescheiden fest. Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakte
der Beklagten beigezogen und die Sache am 14. Mai 2018 in Anwesenheit der Klägerin und einer Dolmetscherin für Spanisch mündlich
verhandelt. Die Klägerin ist informatorisch befragt worden, auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen. Mit Urteil vom
Tag der mündlichen Verhandlung hat das Sozialgericht die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt,
als Rechtsgrundlage für die angegriffenen Bescheide komme hinsichtlich der Rückforderung nur § 45 Abs. 1 SGB X und hinsichtlich der Erstattungsforderung nur § 50 Abs. 1 SGB X in Betracht. Die Voraussetzungen würden indes nicht vorliegen. Die Klägerin habe auf den Bestand der Leistungsbewilligung
vom 6. Juni 2007 vertraut und habe, wie sie glaubhaft dargelegt habe, die empfangenen Geldleistungen bereits verbraucht. Das
Sozialgericht hat das Vertrauen als schutzwürdig erachtet und insbesondere nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die
Klägerin im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit der überhöhten Rentenbewilligung nur aufgrund grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe. Nach Dafürhalten
des Sozialgerichts ist die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 6. Juni 2007 nicht augenfällig gewesen. Zwar habe sich der Zahlbetrag
der Rente fast verdoppelt und sei erstmals der Rentenwert (Ost) im Bescheid aufgeführt worden. Es sei jedoch aus dem Bescheid
und den weiteren Umständen objektiv nicht erkennbar gewesen, dass nun auch Entgeltpunkte (Ost) berücksichtigt würden. In der
Anlage 1 zum Bescheid heiße es im Gegenteil, die persönlichen Entgeltpunkte seien in der bisherigen Höhe zugrunde zu legen.
Als Grund für die Neuberechnung sei stattdessen angegeben worden, die Berechnungsgrundlage habe sich geändert, ohne dass dies
weiter erläutert worden sei. In der Anlage 1 werde dann lediglich auf Änderungen im Krankenversicherungsverhältnis, im Krankenversicherungsbeitrag
und beim anzurechnenden Einkommen Bezug genommen. Hinsichtlich des deutlich erhöhten Zahlbetrags der Rente ist das Sozialgericht
zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin subjektiv nicht in der Lage gewesen sei, allein daraus auf die Rechtswidrigkeit
der Rentenbewilligung zu schließen. Hierfür habe ihr die individuelle Einsichts- und Urteilsfähigkeit gefehlt. Nicht zu berücksichtigen
sei ihre mangelnde Kenntnis der deutschen Sprache. Nach dem Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem
Sozialgericht gemacht habe, habe sie jedoch den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen nur schwer folgen können, was sich
insbesondere durch mehrere Nachfragen schon während des Sachvortrags geäußert habe. Als Reinigungskraft sei sie auch nicht
von Berufs wegen mit Gesetzestexten oder langen und komplexen Schreiben vertraut. Die erstinstanzliche Entscheidung ist der
Beklagten am 4. Juni 2018 zugestellt worden. Am 3. Juli 2018 hat sie dagegen Berufung eingelegt. Zur Begründung bringt sie
unter Hinweis auf die Entscheidung B 7 AL 88/99 vor, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit liege bereits darin begründet,
dass die Klägerin die Leistungserhöhung ohne Nachfrage hingenommen habe. Die Erhöhung der Leistung sei drastisch gewesen und
auch für die Klägerin nicht mit einer Änderung der Verhältnisse zu erklären gewesen. Sie habe daher schlechterdings nicht
von der Rechtmäßigkeit der Leistungshöhe ausgehen können.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Mai 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin
beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hebt hervor, die Höhe
des Zahlbetrags sei nicht unerklärlich gewesen, sondern im Bescheid selbst mit einer Änderung der Berechnungsgrundlage erklärt
worden. Die betragsmäßige Veränderung sei zudem absolut gesehen nicht hoch gewesen. Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen
vom 24. Juli 2018 (Beklagte) und 26. September 2018 (Klägerin) jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch die
Berichterstatterin als Einzelrichterin erklärt. Die mündliche Verhandlung vor der Berichterstatterin hat am 12. März 2019
in Anwesenheit der Klägerin und einem Dolmetscher für Spanisch stattgefunden. Die Klägerin ist erneut informatorisch befragt
worden. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte,
insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, und der beigezogenen Akte Bezug genommen. Diese haben bei der Entscheidung
vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
I. Das Gericht entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten durch die Berichterstatterin als konsentierte Einzelrichterin nach
§ 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz ( SGG). II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht den Bescheid
vom 4. Februar 2015 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 25. März 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.
November 2015 aufgehoben, soweit er mit der zulässigen Klage angegriffen worden ist. Dieser erscheint rechtswidrig, so dass
er die Klägerin im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert. 1. Der angefochtene Bescheid, dem in formeller Hinsicht keine Bedenken begegnen, ist materiell rechtswidrig, soweit
darin die Rücknahme des Bescheids vom 6. Juni 2007 verfügt wird. a. Insoweit kommt als Rechtsgrundlage nur § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) in Betracht, der vorliegend in der aktuellen, seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung zur Anwendung kommt. Danach darf
ein begünstigender Verwaltungsakt im Falle seiner Rechtswidrigkeit nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz
oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. b. Der für die Klägerin günstige
Neuberechnungsbescheid vom 6. Juni 2007 war bereits bei seinem Erlass rechtswidrig, weil er den Zahlbetrag der von der Klägerin
zu beanspruchenden Rente fehlerhaft auch aufgrund von persönlichen Entgeltpunkten (Ost) berechnete, die der Versicherte nie
erworben hatte. Die Klägerin kann sich demgegenüber auf Vertrauensschutz berufen. Sie hatte die im Rücknahmezeitraum bezogene
Rente verbraucht. Das hat sie in der mündlichen Verhandlung vor der Berichterstatterin glaubhaft bestätigt und das wird von
der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt. Damit lag nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X ein Regelfall der Schutzwürdigkeit vor. Es lässt sich nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen,
dass ein Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X erfüllt war, insbesondere nicht derjenige der Nr. 3 Halbsatz 1. Es gibt keinerlei Anlass anzunehmen, die Klägerin habe die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gekannt. Dass ihr diese infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben war, hat sich
auch im Berufungsverfahren nicht erweisen lassen. Wie das Sozialgericht überzeugend herausgearbeitet hat, verletzte die Klägerin
die gebotene Sorgfalt, die von ihr erwartet werden konnte und musste, nicht in besonders schwerem Maße, wenn sie den Zahlbetrag
der Rente, wie er im Bescheid vom 6. Juni 2007 festgesetzt wurde, als korrekt hinnahm. Der Senat folgt insoweit dem erstinstanzlichen
Urteil, auf das es verweist, und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab. c. Mit Blick auf das Berufungsvorbringen sei lediglich hervorgehoben,
dass sich der Vorwurf grober Fahrlässigkeit hier nicht allein auf den Anstieg des Zahlbetrags der Rente stützen lässt. Das
Bundessozialgericht hat weder in dem von der Beklagten angeführten Urteil vom 27. Juli 2000 (B 7 AL 88/99 R) noch - soweit ersichtlich - an anderer Stelle den Rechtssatz aufgestellt, ein Leistungsbezieher müsse die Unrichtigkeit
einer Leistungsbewilligung in aller Regel allein aus einer evident zu hohen Leistung erkennen. Vielmehrt hat es diese Frage
in der angeführten Entscheidung offengelassen (juris-Rn. 21). Aus dem dabei verwendeten Wort "ausnahmsweise" ließe sich sogar
schließen, dass die fraglose Hinnahme einer überhöhten Leistung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände in aller Regel keine
Bösgläubigkeit begründen solle. Das braucht nicht weiter vertieft zu werden, denn jedenfalls in diesem Einzelfall vermag allein
die Höhe des fehlerhaft festgesetzten Zahlbetrags für den streitbefangenen Zeitraum den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht
zu tragen. Das gilt auch, wenn man statt auf seine absolute Höhe auf das Verhältnis zum vorherigen Zahlbetrag abstellt. Insbesondere
unter Berücksichtigung der individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Klägerin, die sich auch dem Berufungsgericht
als unterdurchschnittlich dargestellt hat, lässt sich nicht die Überzeugung gewinnen, dass sich ihr die Rechtswidrigkeit des
neu berechneten Zahlbetrags allein wegen seiner absoluten oder auch nur relativen Höhe hätte aufdrängen müssen. 2. Gleichermaßen
rechtswidrig ist der angefochtene Bescheid, soweit die Klägerin darin zur Erstattung von 12.731,78 Euro aufgefordert wird.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des als Rechtsgrundlage allein in Betracht kommenden § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt. Da die Klägerin wie ausgeführt Vertrauensschutz in Anspruch nehmen konnte, durfte der Bescheid vom 6.
Juni 2007 nicht zurückgenommen werden. Im Übrigen wäre die Klägerin infolge der - hier schon nicht wirksamen - Rücknahme des
Bescheids vom 6. Juni 2007 allenfalls zur Erstattung des überhöhten Teils der Rente für Januar 2007 bis Juni 2008 verpflichtet
gewesen. Die Rentenzahlungen für Juli 2008 bis Oktober 2013 waren hingegen auf Grundlage der Bescheide vom 7. Juli 2008, 1.
Juli 2009, 25. Juni 2010 und 25. Juni 2012 erfolgt. Diese hat die Beklagte nicht aufgehoben. Der Verfügungssatz im Bescheid
vom 4. Februar 2015 lautet lediglich, "unseren Rentenbescheid für die Zeit ab 01.01.2007" zurückzunehmen. Einzig in der Betreffzeile
wird auf die Rücknahme "des Rentenbescheids vom 06.06.2007 in der Gestalt der Folgbescheide" Bezug genommen. Aber auch das
erscheint aus Sicht eines objektiven Empfängers zu unbestimmt, um gerade die hier interessierenden Neuberechnungsbescheide
zu erfassen. Den Eindruck, dass nur der Bescheid vom 6. Juni 2007 zurückgenommen werden sollte, bestärkte die Beklagte in
der Begründung des Widerspruchsbescheids, indem sie einzig auf den "zurückgenommene(n) Bescheid vom 06.06.2007" Bezug nahm,
den sie nunmehr als "Folgebescheid" bezeichnete. Die zeitlich später erlassenen Neuberechnungsbescheide kommen nicht vor.
Da sich diese nicht einmal in der Verwaltungsakte befinden, sondern erst in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin vorgelegt
worden sind, kann sich das Berufungsgerichts des Eindrucks nicht erwehren, der Beklagten sei bei Erlass des Rücknahme- und
Erstattungsbescheids wie des Widerspruchsbescheids eine ausreichende Identifizierung der zurückzunehmenden Bescheide selbst
nicht möglich gewesen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. IV. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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