Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
Vormerkung von Ausbildungszeiten
Zwingendes Verwaltungsverfahren
Unzulässigkeit der Klage ohne Vorverfahren
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Vormerkung einer Ausbildungszeit von März 1968 bis März 1973 sowie die Erstattung der Kosten
des Widerspruchsverfahrens streitig.
Die Beklagte hatte die Klägerin in der Vergangenheit durch Übersendung von Versicherungsverläufen vom 19. August 1980, 30.
Januar 1996, 19. März 2004, 14. September 2004, 11. Juli 2005, 30. Mai 2006 und 9. November 2007 mehrfach über den Inhalt
ihres Versicherungskontos informiert. Mit am 25. Februar 2008 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben ihres Bevollmächtigten
beantragte die Klägerin die Klärung ihres Versicherungskontos. In der Folgezeit reichte sie - ebenfalls über ihren Bevollmächtigten
- eine Schulbescheinigung bezüglich der Zeit vom 10. April 1956 bis 31. März 1966, das Reifezeugnis vom 26. Februar 1966 sowie
Bescheinigungen über Zeiten der Hochschulausbildung vom 1. April 1971 bis 31. März 1974 und vom 1. Oktober 1966 bis 31. Juli
1967 ein. Mit Bescheid vom 14. Mai 2008 stellte die Beklagte die in dem dem Bescheid beigefügten Versicherungsverlauf aufgeführten
Daten bis 31. Dezember 2001 verbindlich fest. Gleichzeitig lehnte sie die Vormerkung der Zeiten vom 10. April 1956 bis 23.
Dezember 1962 sowie vom 27. Februar 1966 bis 31. März 1966 als Anrechnungszeiten ab. Im Übrigen berücksichtigte sie die von
der Klägerin während des Kontoklärungsverfahrens geltend gemachten Zeiten in vollem Umfang. Gegen diesen Bescheid legte die
Klägerin über ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein und verwies darauf, dass noch zwei weitere Ausbildungszeiträume zu klären
seien. Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 27. Juni 2008 legte sie eine Bescheinigung der Staatlichen Akademie der Bildenden
Künste Karlsruhe über eine Studienzeit von März 1968 bis März 1973 vor und bat um entsprechende Ergänzung ihres Versicherungskontos.
Auf den Hinweis der Beklagten, dass mit dem angefochtenen Bescheid über die jetzt erstmalig geltend gemachte Zeit nicht entschieden
worden sei und insoweit kein Verwaltungsakt vorliege, der im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens zu überprüfen sei, vertrat
der Bevollmächtigte der Klägerin die Auffassung, dass die Beklagte vor Erlass des angefochtenen Bescheides verpflichtet gewesen
sei, noch bestehende Versicherungslücken zu klären. Da sie dies unterlassen habe, sei der Widerspruch zulässig. Mit Widerspruchsbescheid
vom 19. November 2008 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass der Widerspruch unzulässig sei, weil
über die geltend gemachte weitere Zeit mit dem angefochtenen Bescheid nicht entschieden worden sei. Kosten für das Widerspruchsverfahren
könnten nicht übernommen werden, da der Widerspruch erfolglos geblieben sei.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung vortragen lassen, die Beklagte habe vor Erlass
des - unvollständigen - Bescheides vom 14. Mai 2008 den Sachverhalt nicht vollständig und korrekt aufgeklärt und damit gegen
die ihr in § 20 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) auferlegten Pflichten verstoßen. Sie sei daher zu verurteilen, die zusätzlich nachgewiesene Ausbildungszeit im Versicherungsverlauf
auszuweisen und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu übernehmen.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2009 abgewiesen. Hinsichtlich der Erstattung der Kosten
für das Widerspruchsverfahren sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet. Der ablehnende Widerspruchsbescheid der Beklagten
halte einer gerichtlichen Überprüfung stand, da die Beklagte in ihrem Bescheid vom 14. Mai 2008 keine Aussage über den allein
streitigen Zeitraum treffe, so dass bezüglich dieser Zeit eine feststellende Wirkung des Bescheides nicht vorliege. Entgegen
der Auffassung der Klägerin sei die Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären,
zumal der Klägerin wegen der bereits zuvor mehrfach erteilten Rentenauskünfte die Versicherungslücke bekannt gewesen sei.
Im Übrigen bestehe bei den Versicherten eine spezielle Obliegenheit, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken und
alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben sowie die notwendigen Beweismittel beizubringen. In materieller
Hinsicht sei die Klägerin durch den Bescheid vom 14. Mai 2008 nicht beschwert, da die Beklagte durch ihn nicht festgestellt
habe, dass die Ausbildungszeit von März 1968 bis März 1973 nicht im Versicherungsverlauf ausgewiesen werde könne oder rentenversicherungsrechtlich
unberücksichtigt bleiben müsse. Die Möglichkeit, einen Antrag auf Ergänzung des Versicherungskontos zu stellen, sei ausreichend,
um dem materiellen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Hinsichtlich der begehrten Ausweisung der Ausbildungszeit von März
1968 bis März 1973 in dem Versicherungsverlauf sei die Klage bereits unzulässig, da es an dem entsprechenden Verwaltungsverfahren
fehle.
Gegen den am 3. November 2009 zugestellten Gerichtsbescheid, der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, nach welcher
die Berufung nicht statthaft sei, hat die Klägerin zunächst am 6. November 2009 Beschwerde eingelegt, die sie nach entsprechendem
Hinweis des Landessozialgerichts, dass die Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides fehlerhaft ist, weil die Berufung
nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig ist, da die Voraussetzungen des §
144 Abs.
1 SGG wegen der begehrten Ausweisung weiterer Zeiten im Versicherungsverlauf nicht vorliegen, am 29. Juli 2010 wieder zurückgenommen
hat. Gleichzeitig hat sie ebenfalls am 29. Juli 2010 Berufung eingelegt und zur Begründung darauf verwiesen, dass die Beklagte
ihr vor Erlass des Bescheides vom 14. Mai 2008 nicht die von ihrem Bevollmächtigten angeforderte Aufstellung der Versicherungszeiten
zugesandt habe. Schon diese Handhabungsweise verpflichte die Beklagte, die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen. Da
der Bescheid vom 14. Mai 2005 sowie der ihm beigefügte Versicherungsverlauf nicht alle Zeiten enthalte, die die Beklagte nach
den gesetzlichen Vorschriften anzuerkennen verpflichtet gewesen wäre, habe sie gegen ihre Amtsermittlungspflichten verstoßen,
so dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. Mai 2008 zulässig und, da die strittige Zeit zweifelsfrei vorzumerken sei,
auch begründet gewesen sei.
Die Klägerin, die - wie auch ihr Bevollmächtigter - trotz ordnungsgemäß erfolgter Ladung den Termin am 21. Januar 2014 nicht
wahrgenommen hat, beantragt den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 29. Oktober 2009 sowie den Widerspruchsbescheid
der Beklagten vom 19. November 2008 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 2008 abzuändern und die Beklagte zu
verurteilen, a. die Ausbildungszeit der Klägerin von März 1968 bis März 1973 in dem Versicherungsverlauf auszuweisen, b. der
Klägerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 14. Mai 2008 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Die Erstattung
der Kosten des Widerspruchsverfahrens sei nicht gerechtfertigt, da die Klägerin durch den Bescheid vom 14. Mai 2008 nicht
beschwert sei und ihr Widerspruch daher keinen Erfolg gehabt habe.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden
erklärt. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der in der Sitzungsniederschrift
vom 21. Januar 2014 aufgeführten Akten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit konnte durch den Berichterstatter als Einzelrichter anstelle des Senats entschieden werden, da sich die Beteiligten
einvernehmlich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§
155 Abs.
3 u. 4
SGG). Das Gericht konnte auch trotz des Ausbleibens der Klägerin und ihres Bevollmächtigten im Termin am 21. Januar 2014 aufgrund
mündlicher Verhandlung entscheiden, weil sie in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden
sind (§
153 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
110 SGG).
Die statthafte, form- und unter Berücksichtigung der wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung auf ein Jahr verlängerten
Berufungsfrist (vgl. §
66 Abs.
2 SGG) ebenfalls fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§
143,
144,
151 Abs.
1 SGG) der Klägerin ist unbegründet. Das Sozialgericht hat mit seinem angefochtenen Gerichtsbescheid die auf Vormerkung einer weiteren
Ausbildungszeit sowie Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Es hat insoweit
unter vollständiger Darlegung der Sach- und Rechtslage und mit zutreffenden Gründen entschieden, dass die auf Vormerkung der
weiteren Ausbildungszeit gerichtete Klage schon deshalb unzulässig ist, weil es hinsichtlich dieser Zeit nicht nur an dem
erforderlichen Vorverfahren gemäß §
78 SGG, sondern schon an einem Verwaltungsverfahren und -akt fehlt. Vor Erlass des Bescheides vom 14. Mai 2008 ist die streitige
Ausbildungszeit weder von der Klägerin geltend gemacht worden, noch war sie aus den der Beklagten vorliegenden Unterlagen
in irgendeiner Form ersichtlich. Dementsprechend hat die Beklagte über diese Zeit mit ihrem Bescheid vom 14. Mai 2008 weder
entschieden noch entscheiden können. Zutreffend hat bereits das Sozialgericht dargelegt, dass der Bescheid vom 14. Mai 2008
hinsichtlich der streitigen Ausbildungszeit keine Feststellungen, weder im Sinne der Vormerkung noch im Sinne der Ablehnung
als rentenrechtlich erhebliche Zeit, trifft. Das Gericht hält die diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts für überzeugend
und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen vollen Umfangs auf sie Bezug (§
153 Abs.
2 SGG).
Ebenfalls zu Recht hat das Sozialgericht die auf Erstattung der Kosten für das Widerspruchsverfahren gerichtete Klage als
unbegründet abgewiesen. Eine Kostenerstattung kommt gemäß § 63 Abs. 1 SGB X nur in Betracht, soweit der Widerspruch erfolgreich war. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts hat die Beklagte den allein auf zusätzliche Vormerkung der Ausbildungszeit von März 1968 bis März 1973 beschränkten
Widerspruch zu Recht bereits als unzulässig angesehen. Wie das Sozialgericht zutreffend dargelegt hat, ist die Klägerin durch
den mit dem Widerspruch angefochtenen Bescheid vom 14. Mai 2008 hinsichtlich der allein streitigen Ausbildungszeit nicht in
ihrer Rechtsposition beeinträchtigt und daher durch diesen Bescheid nicht beschwert. Wie vorstehend dargestellt hat die Beklagte
keineswegs mit dem angefochten Bescheid die Vormerkung der streitigen Ausbildungszeit abgelehnt oder festgestellt, dass diese
rentenversicherungsrechtlich unerheblich bleiben müsse. Sie hat vielmehr mangels Kenntnis über diese Zeit in keiner Weise
entschieden. Damit geht der Widerspruch der Klägerin ins Leere. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte damit
auch nicht gegen die sich aus § 20 SGB X ergebenden Ermittlungspflichten verstoßen. Zwar hat sie nach §
149 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) darauf hinzuwirken, dass die im Versicherungskonto gespeicherten Daten vollständig und geklärt sind. Das bedeutet aber nicht,
dass sie hinsichtlich der im Versicherungsverlauf auftretenden Lücken, also hinsichtlich im Versicherungskonto gerade noch
nicht gespeicherter Daten, quasi ins Blaue hinein Ermittlungen aufnehmen müsste. Dies gilt umso mehr, als die Regelung des
§
149 Abs.
4 SGB VI Versicherte verpflichtet, bei der Klärung des Versicherungskontos mitzuwirken, insbesondere den Versicherungsverlauf auf
Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen, alle für die Kontenklärung erheblichen Tatsachen anzugeben und die notwendigen
Urkunden und sonstigen Beweismittel beizubringen. Unter Beachtung dieser Regelung und Berücksichtigung der Tatsache, dass
der Klägerin aufgrund der in der Vergangenheit mehrfach übersandten Versicherungsverläufe die tatsächlich ab 1. August 1967
(bis 31. Januar 1971) bestehende Lücke in ihrem Versicherungskonto bekannt sein musste, sie aber trotzdem diesen Zeitraum
in dem Kontoklärungsverfahren unerwähnt gelassen hatte, durfte die Beklagte ohne weitere Ermittlungen davon ausgehen, dass
für diesen Zeitraum rentenversicherungsrechtlich erhebliche Zeiten nicht vorzumerken sind. Insoweit ist dem Sozialgericht
zuzustimmen, dass die Möglichkeit, jederzeit einen Antrag auf Ergänzung des Versicherungskontos zu stellen, ausreichend ist,
dem materiellen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Besonderer Ermittlungen der Beklagten bedurfte es dafür ebenso wenig
wie dem Widerspruch der Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG nicht vorliegen.