Tatbestand:
Die Beteiligten streiten (noch), ob der Beklagte gegenüber der Klägerin die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialbuch (SGB II) für die Monate April, Mai und Juni 2010 teilweise aufheben durfte.
Der Beklagte hatte der Klägerin, die damals bei der Fa. W. GmbH & Co. KG bei unregelmäßigem Arbeitseinsatz als gewerbliche
Mitarbeiterin in Teilzeit befristet beschäftigt war und daneben auch gelegentlich sonstige Aushilfstätigkeiten ausübte (T.
Buchhandlung), auf Antrag vom 30. November hin mit Bescheid vom 2. Februar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 in Höhe von monatlich 524,90 EUR nicht nur vorläufig bewilligt.
Ende Februar 2010 schloss die Klägerin mit der Fa. L. GmbH einen spätestens am 1. April 2010 beginnenden befristeten Anstellungsvertrag
bei einer ggf. anzupassenden wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden. Dies teilte sie dem Beklagten alsbald mit.
Mit vier Änderungs-Bescheiden vom 19. August 2010 zum Bescheid vom 2. Februar 2010 bewilligte der Beklagte nunmehr wegen "Berücksichtigung
des tatsächlichen Einkommens" für die Monate Januar bis März, April, Mai und Juni 2010 die Leistungen in abweichender Höhe
und hob jeweils den Bescheid vom 2. Februar 2010, soweit der Klägerin danach geringere Leistungen zustanden, entsprechend
auf.
Die Klägerin erhob jeweils Widerspruch, der (nach Erlass eines die Klägerin begünstigenden Änderungsbescheides vom 3.11.2010)
mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2010 zurückgewiesen wurde: Es sei eine wesentliche Änderung eingetreten, denn die
Klägerin habe Einkünfte erzielt, die bei der ursprünglichen Leistungsberechnung nicht hätten berücksichtigt werden können.
Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 23. Dezember 2010 zugestellt. Am 20. Januar 2010 hat sie vor dem Sozialgericht
Hamburg Anfechtungsklage erhoben.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 23. April 2012 den Bescheid des Beklagten vom 19. August 2010 betreffend Januar bis März
2010 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 3. November 2010 und des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2010 aufgehoben
und die Klage im Übrigen abgewiesen. In den Gründen heißt es, nicht begründet sei die Klage, soweit sie sich gegen die teilweise
Aufhebung der Bewilligung für die Monate April Mai und Juni 2010 richte. Die Entscheidung des Beklagten finde ihre rechtliche
Grundlage in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II und §
330 Abs.
3 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III). Die ursprüngliche Leistungsbewilligung sei insoweit rechtmäßig gewesen; der Bescheid vom 2. Februar 2010 sei insbesondere
nicht deswegen rechtswidrig gewesen, weil der Beklagte trotz erkennbar schwankenden Einkommens der Klägerin Leistungen endgültig
und nicht nur vorläufig (§ 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II a.F. i.V.m. §
328 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB III) bewilligt habe.
Das Urteil ist der Klägerin am 30. April 2012 zugestellt worden. Am 30. Mai 2012 hat sie Berufung eingelegt mit dem Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. April 2012 zu ändern und auch die Bescheide des Beklagten vom 19. August 2010
betreffend die Zeiträume 1. bis 30. April 2010, 1. bis 31. Mai 2010 und 1. bis 30. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 20. Dezember 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Die Sachakten des Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten, insbesondere auch auf die zutreffende
Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand des angefochtenen Urteils, wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter im schriftlichen Verfahren.
Die nach den Vorschriften des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Die mit Widerspruchsbescheid bestätigten Bescheide vom 19. August
2010 sind - soweit noch im Streit rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Sie waren daher mangels gesetzlicher
Grundlage aufzuheben.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welcher der Senat folgt, ist der Erlass eines endgültigen Bewilligungsbescheides
wie hier der Bescheid vom 2. Februar 2010 kein taugliches Instrument in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer
prospektiven Schätzung der Einkommenssituation besteht. Wenn das zu erwartende Arbeitseinkommen als Zeitlohn ohne von vornherein
fest vereinbarte Stundenzahl vertraglich geregelt war, ist typischerweise der Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB II a.F. i.V.m. §
328 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB III eröffnet. Es kommt dann als Rechtsgrundlage für die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides, der bei einkommensabhängigen
Leistungen trotz schwankenden Einkommens als endgültiger statt als vorläufiger Bescheid erlassen worden ist, nur § 45 SGB X in Betracht (BSG, Urt. v. 29.11.2012, B 14 AS 6/12 R). So aber liegt es hier, denn ein stetiges Arbeitseinkommen der Klägerin war nach ihren Vereinbarungen mit der Fa. W.I.S.,
aber auch in Anbetracht gelegentlich geleisteter anderweitiger Aushilfstätigkeiten, gerade nicht gewährleistet.
§ 45 Abs. 1 SGB X lässt eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 2. Februar 2010 hier nicht zu. Dem stehen die Einschränkungen des 2.
Absatzes der Vorschrift entgegen, wonach das Vertrauen der Klägerin, welche die Leistungen verbraucht hat, auf den Bestand
des Bescheides schutzwürdig ist. Insbesondere greifen die Ausnahmen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X hier nicht ein, denn weder hat die Klägerin arglistig gehandelt, gedroht oder bestochen (Nr. 1), unrichtige oder unvollständige
Angaben gemacht (Nr. 2) noch kannte sie die Rechtswidrigkeit oder hätte sie die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides
(er)kennen müssen (vgl. Nr. 3). Der Senat folgt insoweit der zutreffenden Begründung des Sozialgerichts im angefochtenen Urteil
(dort S. 5/6). Es kommt hinzu, dass die Klägerin gegenüber dem Beklagten durch stets korrekte und zügige Angaben, durch vollständige
und teils wiederholte Einreichung von Unterlagen, durch Bitten um Beratungsgespräche usw. alles unternommen hat, um eine Situation
zu vermeiden, wie sie der Beklagte nunmehr meint korrigieren zu dürfen. Nach alledem scheidet eine Rücknahme der Bewilligung
nach § 45 SGB X aus.
Ebenso wenig bildet § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB II und §
330 Abs.
3 Satz 1
SGB III eine rechtliche Grundlage für die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung. Das gilt auch mit Blick auf das der Klägerin
ab April 2010 zufließende Arbeitseinkommen der Fa. L ... Es kann offen bleiben, ob für § 48 SGB X, der den Blick eher auf ursprünglich rechtmäßige Verwaltungsakte lenkt, neben § 45 SGB X überhaupt ein Anwendungsbereich bleibt (vgl. BSG, Urt. v. 21.6.2011, B 4 AS 22/10 R). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts soll zwar insoweit eine Sperre nicht bestehen (BSG, Urt. v. 11.4.2002, B 3 P 8/01 R; Urt. v. 28.3.2013, B 4 AS 59/12 R). Jedoch sei § 48 SGB X gegenüber § 45 SGB X nur anwendbar, soweit sich "hinsichtlich der anderen Voraussetzungen" eine wesentliche Änderung ergebe (Urt. v. 29.11.2012,
aaO.). Unklar ist, ob damit hier nur solche Voraussetzungen angesprochen wären, die gar nichts mit dem Erwerbseinkommen des
Leistungsberechtigten zu tun haben. Jedenfalls hätte im vorliegenden Fall selbst bei ursprünglich rechtmäßiger Bewilligung
auch der Vertrag der Klägerin mit der Fa. L. vom Februar 2010 und das daraus resultierende Einkommen nicht notwendig eine
Entscheidung nach § 48 SGB X bedingt. Denn auch hier war nur eine ggf. betrieblichen Erfordernissen anzupassende Teilzeitbeschäftigung verein-bart, weshalb
sich sie Klägerin in der Eingliederungsvereinbarung vom 29. April 2010 verpflichten musste, regelmäßig und unaufgefordert
Verdienstnachweise zur Prüfung des Leistungsanspruchs einzureichen und sich weiterhin auf Stellenangebote zu bewerben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund, gemäß §
160 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.