Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum von Dezember 2015 bis Mai 2016.
Die 1965 geborene, erwerbsfähige Klägerin lebt seit dem Jahr 2008 in H.. Sie steht seit dem Jahr 2015 im Bezug von Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im November 2015 stellte sie einen Weiterbewilligungsantrag bei dem Beklagten für den Zeitraum ab Dezember 2015. Am 2. Dezember
2015 stellte sie einen Antrag auf Übernahme von Fahrtkosten für Besuche bei ihrer in M. in einer Einrichtung für betreutes
Wohnen lebenden Tochter. Zur Begründung trug sie vor, dass sie die Fahrtkosten aus eigenen Mitteln nicht alleine tragen könne.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 in der Gestalt der Änderungsbescheide vom 29. Januar
2016 und 15. Juni 2016 Leistungen nach dem SGB II für die Monate Dezember 2015 bis Mai 2016. Er berücksichtigte dabei die tatsächlichen, kopfteiligen Kosten der Unterkunft
und Heizung, die Regelbedarfsstufe 1 im Dezember 2015 und Januar 2016 und die Regelbedarfsstufe 2 von Februar 2016 bis Mai
2016 sowie die Pauschale für die dezentrale Warmwasseraufbereitung.
Bei der im xxxxx 1994 geborenen Tochter der Klägerin besteht laut ärztlichem Attest vom 29. August 2017 der Dr. E.B., Fachärztin
für Kinder- und Jugendmedizin, eine angeborene, schwerwiegende, unheilbare Cholesterinbiosynthesestörung, das sog. Smith-Lemli-Opitz-Syndrom,
sowie eine mentale und psychomotorische Retardierung/Behinderung, eine Fettstoffwechselstörung, Talus verticalus, Minderwuchs
und Zustand nach Gedeihstörung. Es ist bei ihr ein Grad der Behinderung von 80 anerkannt und die Merkzeichen B und G vergeben.
Die Tochter der Klägerin ist Analphabetin. Sie lebt in einer Einrichtung für betreutes Wohnen der L. Wohnstätten in M..
Mit Bescheid vom 2. Februar 2016 wurde der Antrag der Klägerin auf Übernahme von Fahrtkosten für Besuche bei der Tochter in
M. abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass die beantragte Leistung keine Leistung nach dem SGB II sei. Die Klägerin legte gegen den Ablehnungsbescheid mit Schreiben vom 9. Februar 2016 Widerspruch ein und führte aus, dass
die Fahrkosten zu ihrer Tochter einen unabweisbaren, laufenden Mehrbedarf darstellten. Sie seien auch nicht vom Regelbedarf
erfasst.
Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2016 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Beklagte
aus, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Fahrten nach M. gemäß § 21 Abs. 6 SGB II nicht bestünde. Es fehle an einer Unabweisbarkeit des Bedarfs. Es lägen zum einen keine Nachweise vor, dass die Tochter die
Klägerin nicht besuchen könne. Zum anderen könne die Klägerin durch längerfristige Planungen und Umschichtungen aus dem Arbeitslosengeld
II die Kosten auch selbst tragen.
Daraufhin hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht erhoben. Zur Begründung ihrer Klage hat sie vorgetragen, dass sie ihre
Tochter im Rahmen ihres Umgangsrechts einmal im Monat für ein Wochenende in M. besuche. Sie verbringe dann den Freitagnachmittag,
Sonnabend und Sonntag mit ihrer Tochter und reise am Sonntagabend oder, wenn die Bahntickets zu teuer seien, am Montag zurück
nach H.. Sie übernachte in M. bei Verwandten. Sie besitze eine Bahncard 25. Ihre Tochter selbst könne sie aufgrund ihrer Behinderung
nicht in H. besuchen. Sie leide an dem Smith-Lemli-Opitz-Syndrom mit Zügen von Autismus. Sie könne nicht alleine reisen. Außerdem
sei für die Tochter aufgrund ihrer Erkrankung ein geregelter Tagesablauf sehr wichtig. Ihre Tochter verfüge auch über kein
eigenes Einkommen. Der Kontakt zu ihrer Tochter solle aber nicht abreißen. Es gehe für die Klägerin um das moralische und
emotionale Existenzminimum. Auch für die Tochter sei der Umgang mit ihrer Mutter wichtig. Die Klägerin könne aber die monatlichen
Fahrkosten in Höhe von mindestens 50 Euro nicht vom Regelsatz ansparen. Sie zahle bereits 16 Euro im Monat an das Heim. Die
bisherigen Fahrten zu ihrer Tochter habe sie dadurch finanziert, dass sie gespart habe, auf vieles verzichtet habe und sich
teilweise auch Geld von ihrem Lebensgefährten geliehen habe. Ihr Lebensgefährte beziehe ebenfalls Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes von dem Beklagten.
Der Beklagte verwies zur Verteidigung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Die Kosten seien nicht erheblich. Die
Klägerin habe auch nicht darlegen können, weshalb der Kontakt zu ihrer Tochter von gesteigerter Bedeutung und Intensität sei.
Die Klägerin hat im gerichtlichen Verfahren eine Auflistung der L. Wohnstätten M. eingereicht, aus der hervorgeht, dass sie
ihre Tochter in der Zeit von Januar 2016 bis Juli 2017 durchschnittlich einmal im Monat besucht hat. In dem Zeitraum bis Mai
2016 hat die Klägerin ihre Tochter an folgenden Tagen besucht:
29. Januar 2016
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bis
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31. Januar 2016
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26. Februar 2016
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bis
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28. Februar 2016
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11. März 2016
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bis
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13. März 2016
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8. April 2016
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bis
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10. April 2016
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6. Mai 2016
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bis
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8. Mai 2016.
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Die Klägerin hat Fahrkarten der Deutschen Bahn für folgende Fahrten eingereicht:
Fahrkarte für den 11. März 2016:
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H. à M. zu einem Preis von 21,75 Euro
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Fahrkarte für den 26. März 2016:
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H. à M. zu einem Preis von 14,25 Euro
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Fahrkarte für den 29. März 2016:
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M. à H. zu einem Preis von 14,25 Euro
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Fahrkarte für den 8. April 2016:
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H. à M. zu einem Preis von 39,75 Euro
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Fahrkarte für den 8. April 2016:
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H. à M. zu einem Preis von 14,25 Euro
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Fahrtkarte für den 12. April 2016:
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M. à H. zu einem Preis von 14,25 Euro
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Fahrkarte für den 6. Mai 2016:
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H. à M. zu einem Preis von 14,25 Euro
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Fahrkarte für den 8. Mai 2016:
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M. à H. zu einem Preis von 26,25 Euro
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Zu den für den Monat April 2016 vorgelegten Fahrkarten hat die Klägerin vorgetragen, dass sie nicht mehr erinnere, aus welchen
Gründen es für den 8. April 2016 zwei Fahrkarten gegeben habe, und dass sie die günstigere Fahrkarte in Höhe von 14,25 EUR
berücksichtigt wissen wolle.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17. Dezember 2019 den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 7. Dezember 2015 in
der Gestalt des Änderungsbescheides vom 29. Januar 2016, des Ablehnungsbescheides vom 2. Februar 2016, des Änderungsbescheides
vom 15. Juni 2016 und des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 2016 verurteilt, für die Monate von Dezember 2015 bis Mai 2016
weitere Leistungen in Form eines Mehrbedarfs in Höhe von insgesamt 90,75 Euro zu zahlen und der Klägerin die außergerichtlichen
Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Das Sozialgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die
Fahrkosten der Klägerin für die Besuche ihrer Tochter in M. stellten einen laufenden und nicht nur einmaligen Bedarf der Klägerin
dar, da die Klägerin ihre Tochter regelmäßig einmal im Monat besuche. Es bestehe bei der Klägerin eine besondere Bedarfslage.
Zwar seien Aufwendungen zur Kontaktpflege unter Angehörigen der Art nach grundsätzlich ausschließlich aus dem Regelbedarf
nach § 20 SGB II zu bestreiten. Anders nicht gedeckte und nicht nur einmalige Aufwendungen zum Besuch eines nahen Angehörigen könnten aber
in einer Sondersituation einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II begründen. Anerkannt sei dies im familiären Kontext bei der Ausübung des Umgangsrechts getrenntlebender Elternteile mit minderjährigen
Kindern. Aber auch weitere enge verwandtschaftliche Beziehungen könnten eine besondere Bedarfslage auslösen. Die Beziehung
zwischen der Klägerin und ihrer schwerbehinderten Tochter sei – unabhängig von dem Bestehen eines Umgangsrechts – von besonderer
Nähe, familiärer Verantwortlichkeit sowie Beistandsbereitschaft geprägt und löse damit eine besondere Bedarfslage aus. Die
besonders enge Bindung sei bereits daran zu erkennen, dass die Klägerin, die seit dem Jahr 2008 in H. lebt, den Kontakt zu
ihrer in M. lebenden Tochter weiter regelmäßig einmal im Monat pflege und dann jeweils ein ganzes Wochenende mit der Tochter
verbringe. Die existenzielle Bedeutung dieser Kontaktpflege für die Klägerin zeige sich auch daran, dass sie die monatlichen
Fahrkosten durchgehend trotz des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II aufbringe und hierfür seit Jahren Verzicht übe. Die Klägerin könne den Kontakt zu ihrer erwachsenen schwerbehinderten Tochter
zudem nur dadurch erhalten, dass sie ihre Tochter besuche. Der typische Fall, dass ein erwachsenes Kind ausziehe, einen Beruf
ergreife und auf eigenen Füßen stehe und zur gegenseitigen Kontaktpflege mit Angehörigen in der Lage sei, liege nicht vor.
Der Klägerin sei nicht zuzumuten, ihre Tochter weniger häufig zu besuchen. Der einmonatige Besuchsrhythmus sei in der besonderen
familiären Situation der Klägerin vollkommen angemessen. Entscheidend sei, dass bei der Klägerin in sehr nachvollziehbarer
Weise ein stärkeres Bedürfnis besteht, ihrer Tochter beizustehen, als dies bei einem gesunden volljährigen Kind der Fall sei.
Die Tochter der Klägerin könne aufgrund ihrer schweren Behinderung auch als erwachsene Frau nicht alleine für sich sorgen,
so dass man es sogar als sittliche Verpflichtung der Mutter ansehen könne, regelmäßig präsent zu sein. Hinzu komme, dass die
monatlichen Besuche auch für die Tochter von großer Wichtigkeit seien. Es gehe um Beistand im engsten familiären Kreis, der
von der Tochter auch angenommen und benötigt werde.
Der Beklagte hat am 20. Januar 2020 Berufung gegen das ihm am 20. Dezember 2021 zugestellte Urteil eingelegt. Die Berufung
begründet der Beklagte damit, dass ein stärkeres Bedürfnis für Besuche als bei einem gesunden volljährigen Kind nicht bestehe.
Die Behinderung der Tochter der Klägerin begründe keine von dem Regelfall abweichende besondere Intensität und keine besondere
Bedeutung unmittelbarer Begegnungen für die Klägerin. Die Behinderung der volljährigen Tochter könne auch nicht diskriminierungsfrei
zur Begründung einer besonderen Bedarfslage herangezogen werden, da Menschen mit Behinderung wie jeder andere Mensch zu behandeln
seien. Im Rahmen der Grundsicherung sei auch lediglich das Mindestmaß an Besuchen berücksichtigungsfähig. Das Mindestmaß an
Besuchen sei ein zweimonatiger Abstand. Das Sozialgericht hätte zudem für die vertretene Rechtauffassung feststellen müssen,
dass der im Regelbedarf enthaltene Anteil von 22,78 Euro für Verkehr vollständig verbraucht werde. Eine solche Feststellung
sei unterblieben.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 17. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verweist auf die Entscheidungsgründe des sozialgerichtlichen Urteils und macht geltend, dass der im Regelbedarf
für Fahrtkosten enthaltene Anteil vollständig durch Aufwendungen für die BahnCard25 und gelegentliche Fahrten im Öffentlichen
Personennahverkehr aufgebraucht werde.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist statthaft (§§
143,
144 Sozialgerichtsgesetz –
SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, der Klägerin höhere Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Lediglich aus Klarstellungsgründen fasst der Senat den Tenor des angegriffenen
Urteils teilweise neu.
II.
Das Sozialgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die von der Klägerin form- und fristgerecht erhobene Klage (§§
87 Abs.
1 Satz 1,
90 SGG) als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
4 SGG) zulässig war. Die Klägerin begehrte die Abänderung bzw. Aufhebung der angegriffenen Bescheide und die Verpflichtung zur
Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in dem Zeitraum von Dezember 2015 bis Mai 2016.
III.
Das Sozialgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
in Höhe von 90,75 Euro, und zwar für den Monat März 2016 in Höhe von 21,75 Euro, für den Monat April 2016 in Höhe von 28,50
Euro und für den Monat Mai 2016 in Höhe von 40,50 Euro zu gewähren sind. Der Klägerin steht gemäß § 21 Abs. 6 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011 ein Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfs zur Seite. Ein solcher Mehrbedarf wird anerkannt,
soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.
Mit der Einführung des Härtefallmehrbedarfs in § 21 Abs. 6 SGB II ist der Gesetzgeber nach Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der im Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)
vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) getroffenen Vorgabe nachgekommen, im SGB II selbst sicherzustellen, dass auch in atypischen Bedarfslagen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erbracht werden
(vgl. BT-Drucks. 17/1465 S. 8). Damit soll gewährleistet werden, dass über die typisierten Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 2 bis 5 SGB II hinaus und jenseits der Möglichkeit, vorübergehende Spitzen besonderen Bedarfs durch ein Darlehen aufzufangen, solche Bedarfe
im System des SGB II gedeckt werden, die entweder der Art oder der Höhe nach bei der Bemessung des Regelbedarfs nicht berücksichtigt sind (vgl.
BVerfG, a.a.O.; Senatsurteil vom 1.10.2020 – L 4 AS 66/19; Senatsurteil vom 20.6.2017 – L 4 AS 128/15).
1.
Es handelt sich um einen laufenden und nicht bloß einmalig anfallenden Bedarf, da der Klägerin regelmäßig Aufwendungen für
die von ihr in Abständen von etwa einem Monat getätigten Fahrten zu ihrer in M. lebenden Tochter entstehen (vgl. BSG, Urteil vom 11.2.2015 – B 4 AS 27/14 R).
2.
Es handelt sich auch um einen besonderen Bedarf. Ein besonderer Bedarf besteht, wenn die Bedarfslage eine andere ist als bei
typischen Empfängern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und ein Bedarf von dem – im Wege einer statistischen
Durchschnittsbetrachtung ermittelten – Regelbedarf nicht erfasst wird oder ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf besteht,
der in erheblicher Weise vom durchschnittlichen Bedarf abweicht (vgl. BSG, Urteil vom 11.2.2015 – B 4 AS 27/ R; BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R; BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 30/13 R; Behrend in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Auflage, § 21, Rn. 86; S.Knickrehm/Hahn in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage, § 21, Rn. 67; von Boetticher in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Auflage, § 21, Rn. 40).
Anerkannt als besonderer Bedarf sind etwa Aufwendungen zur Ausübung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Elternteilen (BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 14/06 R; BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 30/13 R; BSG, Urteil vom 18.11.2014 – B 4 AS 4/14 R; BT-Drucksache 17/1465, Seite 9). Ein besonderer Bedarf kann indes nicht auf Aufwendungen für Besuche im Rahmen einer umgangsrechtlichen
Eltern-Kind-Beziehung beschränkt werden. Vielmehr kann ein solcher Bedarf, je nach den Umständen des Einzelfalls, auch dann
vorliegen, wenn die Aufwendungen für die Kontaktpflege zwischen Erwachsenen für die personale Existenz von herausgehobener
Bedeutung sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R). Insbesondere, wenn eine Kommunikation über Brief, Telefon oder Internetdienste nicht möglich oder ausreichend erscheint,
kann sich ein existenzsicherungsrechtlich beachtlicher Besuchsanlass ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R). Ebenfalls in die Auslegung eingestellt werden muss der besondere Schutz von Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen
nach Art.
6 Abs.
1 des
Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (
GG).
Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass sich aus dem von der Klägerin und ihrer Tochter gelebten und von Art.
6 Abs.
1 GG umfassten Verhältnis im Lichte der die Tochter der Klägerin treffenden gesundheitlichen Einschränkungen eine Beurteilung
der Aufwendungen zur monatlichen unmittelbaren Kontaktpflege als besonderer Bedarf ergibt. Denn die Klägerin und ihre Tochter
sind infolge der die Tochter treffenden gesundheitlichen Einschränkungen gerade in spezifischer Weise daran gehindert, einen
verwandtschaftlichen Kontakt in typischer Weise zu pflegen. Die Tochter der Klägerin ist weder in der Lage, selbst die Klägerin
zu besuchen, noch ist sie überhaupt zu schriftlicher oder textlicher Kommunikation fähig. Die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher
Beziehungen zwischen Mutter und Tochter lässt sich damit gerade nicht wie im „Normalfall“ sicherstellen. Auch im Hinblick
auf die mentale und psychomotorische Retardierung der Tochter hält der Senat die besondere Bedeutung unmittelbarer Besuchskontakte
für nachvollziehbar und die Häufigkeit der Besuche – wie schon das Sozialgericht ausgeführt hat – für angemessen. Die Klägerin
kann nicht auf anderem Wege in angemessener Weise für ihre Tochter „da sein“ und ihr beistehen. Dem steht nicht entgegen,
dass Aufwendungen zur Kontaktpflege unter Angehörigen grundsätzlich aus dem Regelbedarf zu bestreiten sind und in den regelbedarfsrelevanten
Verbrauchsgruppen Aufwendungen für Verwandtenbesuche eingeschlossen sind (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 - B 14 AS 48/17 R). Es spricht im Übrigen – anders als der Beklagte meint – auch nichts dagegen, die behinderungsbedingten Einschränkungen
der Tochter der Klägerin bei der Annahme einer besonderen Bedarfslage zu berücksichtigen. Die Anerkennung der besonderen Bedarfslage
dient in diesem Fall gerade auch der Behebung und Verminderung der Einschränkungen der Tochter der Klägerin zur sozialen Teilhabe
und Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen.
3.
Der besondere Bedarf ist auch unabweisbar. An der Unabweisbarkeit fehlt es, wenn der Bedarf etwa durch Zuwendungen Dritter
oder die Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten gedeckt werden kann oder der Bedarf der Höhe nach nicht erheblich von einem
durchschnittlichen Bedarf abweicht, vgl. § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II idF vom 13. Mai 2011.
Die Klägerin kann den Bedarf nicht durch Zuwendungen Dritter decken. Einsparmöglichkeiten konnte der Senat nicht feststellen.
Bestehende Einsparmöglichkeiten durch die Nutzung von Sparpreisangeboten, dem Erwerb einer BahnCard25 und deren Einsatz sowie
Übernachtungen bei ihrer Familie in M. nutzt die Klägerin bereits aus. Einsparmöglichkeiten durch Umschichtung, also einer
Präferenzentscheidung, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich
auszugleichen, lassen sich bei der Klägerin nicht feststellen, sondern bleiben hypothetisch (vgl. BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 30/13 R). Die Klägerin konnte dem Einwand des Beklagten, dass ihr aus dem im Regelbedarf vorgesehenen Anteil für Fahrtkosten Mittel
zur Bestreitung des besonderen Bedarfs zur Verfügung stünden, hinreichend entgegentreten, indem sie auf die von ihr gelegentlich
in Anspruch genommenen Leistungen des Öffentlichen Personennahverkehrs und die Kosten der BahnCard25 verweist. Auch angesichts
der tageweisen Abwesenheit der Klägerin kann der Senat keine Einsparmöglichkeiten erkennen. Hypothetische Einsparmöglichkeiten
an Haushaltsenergie dürften lediglich im kaum messbaren Bereich liegen.
Schließlich weicht der Bedarf auch erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab. Eine allgemeine Bagatellgrenze besteht
ohnehin nicht (vgl. BSG, Urteil vom 4.6.2014 – B 14 AS 30/13 R). Vielmehr ist anhand der Umstände des Einzelfalls, vor allem unter Berücksichtigung von Höhe, Dauer und Häufigkeit des
Auftretens, die Gefahr der Unterdeckung des sozio-kulturellen Existenzminimums zu bewerten. Die Klägerin konnte monatliche
Ausgaben zwischen 21,75 Euro und 40,50 Euro nachweisen, die grundsätzlich regelmäßig monatlich und ohne bestimmte zeitliche
Beschränkung anfallen. Längerfristig Planungen bieten der Klägerin keine Möglichkeit zur Deckung dieses „immer wieder“ anfallenden
besonderen Bedarfs. Der Senat hat zudem keine Zweifel, dass bei einem regelmäßigen monatlichen Aufwand von – mindestens –
20 Euro ein erhebliches Abweichen von dem durchschnittlichen Bedarf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2010 − B 14 AS 13/10 R zu einem Anspruch auf Übernahme monatlicher Aufwendungen für Hygienekosten in Höhe von 20,45 Euro nach § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII; siehe auch Senatsurteil vom 1.10.2020, L 4 AS 66/19 zu monatlichen Aufwendungen von unter 10 Euro).
Der Senat sieht im Übrigen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil die Berufung aus den Gründen der
angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen ist (§
153 Abs.
2 SGG).
IV.
Der Senat hat den Tenor des Urteils des Sozialgerichts aus Klarstellungsgründen neu gefasst und die vom Sozialgericht festgestellten
Ansprüche auf weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bereits im Tenor den jeweiligen Monaten, für die sich
die Ansprüche ergeben, zugeordnet.
V.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil
die sich stellende Rechtsfrage, ob auch Aufwendungen für Besuche außerhalb einer umgangsrechtlichen Eltern-Kind-Beziehung
zu einem Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II führen können, geklärt ist (vgl. BSG, Urteil vom 28.11.2018 – B 14 AS 48/17 R).
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.