Gewährung einer operativen Straffung der Haut an den Oberschenkeln als Sachleistung
Kosmetische Korrektur des Körperbildes
Schwere Entstellung
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer operativen Straffung der Haut an den Oberschenkeln als Sachleistung.
Bei der bei der Beklagten versicherten Klägerin wurden in den Jahren 2009 bis 2010 an den Oberschenkeln fünf Liposuktionen
durchgeführt. Bei diesen von der Beklagten als Sachleistung erbrachten stationären Behandlungen kam es zu einer Absaugung
von Fettgewebe in erheblichem Umfang.
Mit Schreiben vom 12. Januar 2011 beantragte der behandelnde Arzt der Klägerin Prof. Dr. Dr. H. eine Oberarm- und Schenkelstraffung.
Zur Begründung führte er aus, durch den Volumenverlust infolge der Fettkürettage sei es zu einer Dermatochalasis gekommen,
die zu funktionellen Störungen beim Anlegen der Kompressionsstrümpfe führe. In einem weiteren Schreiben der Klägerin vom 25.
Februar 2011 beantragte sie eine Hautstraffung der Beine nach vorhergehender Liposuktion, eine Liposuktion der Arme einschließlich
Straffung sowie eine Gesäßliposuktion bei bestehendem Lipödem. Des Weiteren beschreibt die Klägerin detailreich ihre Beschwerden,
den bisherigen Krankheitsverlauf sowie den Umgang der Umwelt mit ihrer Erkrankung.
In einem von der Beklagten eingeholten Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) stellte Dr. K. am
11. April 2011 fest, dass die begehrte Operation vornehmlich der kosmetischen Korrektur des Körperbildes diene.
Unter Bezugnahme auf dieses Gutachten lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 20. April 2011 ab.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Mai 2011 Widerspruch ein.
In einem weiteren daraufhin von der Beklagten veranlassten MDK-Gutachten vom 24. Mai 2011 kam Dr. W. zu keiner anderen Beurteilung
als der Vorgutachter. Es seien keine ausgeprägten medizinischen Funktionsstörungen mit Beeinträchtigungen der Aktivität/Teilhabe
erkennbar, angestrebt werde überwiegend ein kosmetisches Korrekturergebnis.
Den Widerspruch wies die Beklagte sodann mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2011 zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt,
dass es sich bei dem Hautüberschuss nicht um eine Krankheit handele. Diese sei nur anzunehmen, wenn eine Körperfunktion beeinträchtigt
sei oder eine Entstellung vorliege. Der MDK habe festgestellt, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben seien, sondern dass
ein kosmetisches Korrekturergebnis angestrebt werde. Das Vorliegen einer psychischen Störung, die durch die Unzufriedenheit
mit dem Körperbild ausgelöst werde, könne nur mit den Mitteln der Psychotherapie behandelt werden.
Die Klägerin hat am 17. November 2011 Klage erhoben. Durch die Liposuktionen sei ein schmerzfreier Zustand entstanden und
sie könne ihrer Tätigkeit als Erzieherin nachgehen. Die entstandenen Hautlappen würden das Anziehen der Kompressionsstrümpfe,
die nach wie vor getragen werden müssten, erschweren, es dürften keine Falten in der Haut sein. Eine psychische Beeinträchtigung
sei zu berücksichtigen. Es handele sich um eine Folgeerkrankung des Lipödems mit Krankheitswert.
Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes Behandlungs- und Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt.
Es hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens der Orthopädin Dr. H1 vom 18. Mai 2012. Nach dem Gutachten
hat der Hautüberschuss an den Oberschenkel keinen eigenen Krankheitswert. Eine funktionelle Beeinträchtigung liege nicht vor.
Die Kompressionsstrumpfhose sei aufgrund des Lipödems und der Varikosis, nicht wegen des Hautüberschusses sinnvoll. Eine Faltenbildung
der Strumpfhose bei Kniebeugung sei normal und ein operativer Eingriff im Sinne einer Straffung könne hieran nichts ändern.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. September 2013 abgewiesen. Der bei der Klägerin durch die Fettabsaugung
entstandene Volumenverlust, der zu einem Hautüberschuss in den Oberschenkeln geführt habe, habe keinen eigenen Krankheitswert,
wie sich aus dem Gutachten von Dr. H1 ergebe. Die überschüssige Haut im Bereich der Beine sei auch nicht entstellend. Soweit
sich die Klägerin auf eine psychische Belastung durch die erschlaffte Haut berufe, sei auf die Mittel der Psychotherapie und
Psychiatrie zu verweisen. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Dr. H1 nicht geeignet gewesen sei, die Problematik
der Klägerin fachgerecht zu begutachten.
Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 25. September 2003 zugestellte Urteil am 25. Oktober 2013 Berufung
eingelegt. Sie stützt ihre Berufung anknüpfend an das erstinstanzliche Vorbringen auf zwei Gesichtspunkte. Zum einen bleibt
sie dabei, dass die überschüssige Haut entstellende Wirkung habe. Das Sozialgericht habe sich bei der Beurteilung dieser Frage
unzulässiger Weise auf das Urteil der medizinischen Sachverständigen gestützt, die zu der Beantwortung dieser Frage nicht
aufgerufen gewesen sei und diese auch nicht hätte beantworten dürfen, da es sich nicht um eine medizinische, sondern um eine
rechtliche Beurteilung handele. Zum anderen sieht die Klägerin sich in ihrem Gleichheitsrecht aus Art.
3 Abs.
1 Satz 1
Grundgesetz (
GG) verletzt, da sie im Vergleich zu der Behandlung einer Brustkrebspatientin ungleich behandelt werde. Bei dieser sei anerkannt,
dass die Rekonstruktion der Brust als Folge der Tumorentfernung Teil der Krankenbehandlung sei. Dann müsse jedoch auch die
von ihr begehrte Hautstraffung als Folge der Liposuktion als Teil der Krankenbehandlung des Lipödems anerkannt werden.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. September 2013 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides vom 20. April
2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2011 die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine stationäre
Behandlung zur Hautstraffung der Beine nach Liposuktion zu gewähren und 2. die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Auf Aufforderung des Gerichts hat die Klägerin eine Fotodokumentation der in Streit stehenden Körperregionen im nur mit Unterwäsche
bekleideten Zustand übersandt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli
2014, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin auf operative Straffung der Haut an den Beinen abgelehnt. Ein solcher
Anspruch lässt sich aus §
27 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V), der hierfür als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommt, nicht ableiten.
Das Sozialgericht hat zutreffend die rechtlichen Grundlagen für einen solchen Anspruch dargestellt. Hierauf wird Bezug genommen.
Zu Recht hat es dabei in Anknüpfung an das Gutachten von Frau Dr. H1 vom 18. Mai 2012 festgestellt, dass die überschüssige
Haut für sich genommen keinen krankhaften Befund darstellt. Die Berufung zweifelt hieran nur insoweit, als weiter davon ausgegangen
wird, dass eine Dermatochalasis (Bindegewebserkrankung) vorliege.
Es kann dahinstehen, ob diese Diagnose zu stellen ist. Denn es ist in keiner Weise ersichtlich und auch nicht vorgetragen,
dass aus dem Stellen dieser Diagnose einer Bindegewebserkrankung als solcher die Notwendigkeit einer operativen Behandlung
folgt. Grundsätzlich sind dermatologische Erkrankungen - worauf das Sozialgericht auch zu Recht hingewiesen hat - mit den
Mitteln dieser Fachrichtung zu behandeln. Dies gilt auch für die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angesprochenen
Rötungen und Schürfungen der Haut. Auch diese müssen zunächst dermatologisch behandelt werden. Sollte sich herausstellen,
dass mit diesen Mitteln kein dauerhafter Erfolg erzielt werden kann, so wäre erst im Anschluss zu prüfen, ob als ultima ration
aus diesen Gründen eine Hautstraffung notwendig ist. Derzeit gibt es für eine solche Situation keine ausreichenden Anhaltpunkte.
Zu der Frage der Behandlungsbedürftigkeit nach dem
SGB V aufgrund einer entstellenden Wirkung der überschüssigen Haut kann hinsichtlich der diesbezüglichen Voraussetzungen ebenfalls
auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen werden. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung der Entstellung
vom bekleideten Zustand des Betroffenen auszugehen ist (so ausdrücklich: Hessisches LSG, Urt. v. 15.04.2013 - L 1 KR 119/11, Rn. 22 aE bei juris; LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 16.11.2006 - L 4 KR 60/04, Rn. 24 bei juris).
Der Klägerin ist darin zuzustimmen, dass der Begriff der Entstellung zumindest auch ein juristischer Begriff ist und dass
in jedem Fall das Gericht aufgrund eigener Wahrnehmung darüber zu befinden hat. Dies ist aufgrund der eingereichten Bilddokumentation
und dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erlangten Eindruck möglich. Die Bilddokumentation zeigt die Klägerin
im nur mit Unterwäsche bekleideten Zustand. Der hierbei sichtbare Hautüberschuss hat nach Auffassung des Senats bei weitem
nicht einen solchen Umfang, dass die Klägerin als entstellt angesehen werden könnte. Da bereits nach den Fotos in teilweise
bekleidetem Zustand keine Entstellung zu erkennen ist, kann dies erst recht nicht im bekleideten Zustand der Fall sein. Die
Klägerin mag die Erscheinung ihrer Oberschenkel als Entstellung empfinden und deswegen diesen Bereich nicht unbekleidet zeigen,
was Auswirkungen auf ihr Freizeit- und sonstiges soziales Verhalten hat. Bei einer starken Ausprägung dieses Problems ist
die Klägerin entsprechend den Ausführungen des Sozialgerichts zu der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
auf eine psychotherapeutische Behandlung zu verweisen. Für die Annahme einer Regelabweichung im Sinne einer Entstellung ist
jedoch nicht die subjektive Betrachtungsweise des betroffenen Versicherten, sondern allein ein objektiver Maßstab entscheidend.
Danach liegt eine schwere Entstellung erst dann vor, wenn sie bei Menschen, die nur selten Umgang mit Behinderten haben, üblicherweise
Missempfinden, wie Erschrecken oder Abscheu oder eine anhaltende Abneigung auszulösen vermögen. Dies ist bei der Klägerin
bei objektiver Betrachtung nicht anzunehmen.
Schließlich vermag die Klägerin auch nicht mit ihrer auf Art.
3 Abs.
1 GG gestützten Argumentation durchzudringen. Dabei kann die Frage, ob Brustkrebspatienten im Rahmen ihrer operativen Behandlung
Anspruch auf eine Rekonstruktion ihrer Brust haben, offen bleiben (so auch: BSG, Urt. v. 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R, Rn.19 bei juris; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 21.06.2007 - L 5 KR 220/06, Rn. 27 bei juris). Denn die Lebenssachverhalte, die die Klägerin hier als Untergruppen einer gemeinsamen Obergruppe als
ungleich behandelt ansieht, sind nicht vergleichbar. Das bedeutet, es wird nicht wesentlich Gleiches ungleich, sondern wesentlich
Ungleiches ungleich behandelt.
Denn bei der Brustkrebspatientin wird krankhaftes Gewebe entfernt und dieses wird im Rahmen der Rekonstruktion ersetzt. Bei
der Klägerin soll jedoch in Gewebe eingegriffen werden, welches nicht krank, sondern welches lediglich als Folge der Behandlung
der Lipödeme nicht mehr mit Gewebe ausgefüllt ist. Das sind zwei unterschiedliche Ausgangssituationen. Einmal geht es um den
Ausgleich der unmittelbaren Folgen der Krankenbehandlung an dem von der Behandlung betroffenen Organ (Brust) und einmal um
den mittelbaren Ausgleich an einem gesunden Organ (Haut), welches von der Behandlung der Erkrankung (Lipödem) selbst unmittelbar
nicht betroffen war.
Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf abstellt, dass die begehrte Hautstraffung noch als Teil der Behandlung des
Lipödems anzusehen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die Krankenbehandlung endet dort, wo der krankhafte Zustand behoben
ist. Dies war mit der Entfernung des Lipödems durch die Liposuktion der Fall. Die Hautstraffung erfolgt jedoch nicht im Hinblick
auf die Behandlung des Lipödems, sondern knüpft lediglich an die kosmetische Situation an, die durch die Behandlung des Lipödems
entstanden ist. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist anerkannt, dass ein chirurgischer Eingriff in ein gesundes
Organ zur mittelbaren Behandlung einer Erkrankung nur unter sehr engen Voraussetzungen in Abwägung mit der dadurch behandelten
Erkrankung zulässig ist (vgl. BSG, Urt. v. 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R, Rn. 12 bei juris). In der vorliegenden Konstellation soll ein solcher Eingriff erfolgen, ohne dass dadurch eine Erkrankung
behandelt wird. Eine derartige Maßnahme kann schon aus Gründen des Schutzes der Gesundheit der Betroffenen nur in sehr engen
Grenzen erfolgen, die durch das Kriterium der Entstellung ausgefüllt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Gründe für die Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich. Die zugrundeliegende Rechtsfrage ist höchstrichterlich entschieden
und der Senat hat sich mit seiner Entscheidung an den Grundsätzen dieser Rechtsprechung orientiert.