Kostenübernahme für eine Abdominoplastik sowie eine Liposuktion der Oberschenkel
Begriffe der Krankheit und Entstellung
1. Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher
Behandlung bedarf oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.
2. Als regelwidrig ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm, das heißt vom Leitbild des gesunden Menschen abweicht;
dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Erforderlich ist vielmehr, dass entweder
eine körperliche Fehlfunktion besteht oder eine Abweichung vom Regelfall vorliegt, die entstellend wirkt.
3. Eine Entstellung liegt nur vor, wenn die körperliche Abweichung so ausgeprägt ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung
in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf
den Betroffenen führt.
4. Eine Krankheit liegt dagegen nicht vor bei einem Zustand, der noch dem Bereich der individuellen menschlichen Unterschiede
zugerechnet werden kann oder lediglich die Abweichung von einem Idealmaß darstellt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Abdominoplastik sowie eine Liposuktion der Oberschenkel.
Die 1975 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin stellte im Juni 2010 einen entsprechenden Antrag bei der
Beklagten. Zur Begründung fügte sie einen Befundbericht des Facharztes für plastische Chirurgie Dr. M. vom 11. Juni 2010 bei,
in dem es heißt, bei der Klägerin bestehe eine ausgeprägte, lockere, ptotische und adipöse Bauchdecke mit Bildung einer Hautfettschürze,
eine beginnende Intertrigo, Striae distensae, eine stark eingezogene Narbe am Unterbauch sowie Fettdepots am Oberschenkel
und eine psychische Belastung.
Der von der Beklagten beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung N. (MDK) kam in seinem Gutachten vom 12. August
2010 zu dem Ergebnis, dass eine Erschlaffung der Bauchdecke vorliege, die jedoch nicht zu Funktionsbehinderungen führe. Intertriginöse
Hautreizungen seien mit Körperpflege zu behandeln. Auch die kräftigen Oberschenkel stellten keine Erkrankung dar.
Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin daraufhin mit Bescheid vom 16. August 2010 ab. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch
reichte die Klägerin eine Stellungnahme der Gemeinschaftspraxis für Nervenheilkunde Dres. L., G. und K. vom 2. September 2010
ein, in der ausgeführt wird, dass die Klägerin an einer schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankung leide, die sich therapeutisch
nur gering beeinflussbar zeige. Ein gravierendes Therapiehemmnis sei dabei ihr mangelndes Selbstwertgefühl, sodass es sich
bei der begehrten Hautstraffung nicht nur um eine rein kosmetische Korrektur handele.
Der MDK hielt in seinem weiteren Gutachten vom 22. September 2010 an seiner Auffassung fest, dass es sich bei der Hauterschlaffung
weder um einen krankhaften Befund noch um eine Entstellung handele. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin
mit Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2011 zurück.
Mit ihrer am 18. März 2011 erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, sie sei wegen einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung
in Behandlung. Ein Therapieerfolg habe sich noch nicht eingestellt, weil ihre körperliche Auffälligkeit insoweit ein Therapiehemmnis
darstelle. Durch die überhängenden Bauchlappen würden sich außerdem Entzündungen, Exzeme und Abszesse bilden. Diese könnten
durch Salben und Antibiotika immer nur vorübergehend behandelt werden, wogegen die Beseitigung der Bauchfalte eine kausale
Therapie darstellen würde.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Gemeinschaftspraxis für Nervenheilkunde vom 14. April 2012, der Fachärztin für Allgemeinmedizin
Dr. S1 vom 14. April 2012, der Fachärztin für Dermatologie Dr. P. vom 18. Juli 2012, des Facharztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten
Dr. von P1 vom 5. Dezember 2012 sowie von der Asklepios Klinik N. vom 2. November 2012 eingeholt. Daraufhin hat es die Klage
durch Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2014 abgewiesen und ausgeführt, weder die erschlaffte Bauchdecke noch die kräftigen
Oberschenkel stellten eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Die aufgetretenen Hautreizungen könnten
mithilfe von Medikamenten behandelt werden, eine Operation sei dafür nicht erforderlich. Psychische Erkrankungen seien allein
mit Mitteln der Psychiatrie zu behandeln und rechtfertigten keine Operation am gesunden Körper.
Die Klägerin hat gegen den ihrem Bevollmächtigten am 20. Februar 2014 zugestellten Gerichtsbescheid am 17. März 2014 Berufung
eingelegt. Sie trägt vor, es komme im Bereich der Hautlappen kontinuierlich zu Pilzbefall und sehr schmerzhaften Abszessen.
Es könne nicht sein, dass sie diese lebenslang mit Salben und Antibiotika behandeln müsse, während sie durch eine entsprechende
Operation nachhaltig beseitigt werden könnten. Darüber hinaus sei die Operation notwendig, um ein Therapiehindernis für die
Behandlung ihrer psychischen Erkrankung zu beseitigen. Diese sei bisher wegen ihres mangelnden Selbstwertgefühls erfolglos
geblieben.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Februar 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. August 2010 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer Abdominoplastik
sowie einer Liposuktion der Oberschenkel bis hin zu den Knien zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Das Gericht hat einen Befundbericht des Facharztes für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe Dr. P. vom 5. Mai 2014 eingeholt
und sodann ein Gutachten von Dr. S. (Fachärztin für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie, Sozialmedizin und Sportmedizin)
vom 1. September 2014 eingeholt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung allein durch die Berichterstatterin ergehen, da sich die Beteiligten hiermit
einverstanden erklärt haben (§
155 Abs.
3 und
4, §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 SGG) ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung
einer Abdominoplastik oder einer Liposuktion der Oberschenkel.
Nach §
27 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem die ärztliche
Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Krankenhausbehandlung. Krankheit im Sinne der gesetzlichen
Krankenversicherung ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder Arbeitsunfähigkeit
zur Folge hat. Als regelwidrig ist dabei ein Zustand anzusehen, der von der Norm, das heißt vom Leitbild des gesunden Menschen
abweicht. Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu. Erforderlich ist vielmehr,
dass entweder eine körperliche Fehlfunktion besteht oder eine Abweichung vom Regelfall vorliegt, die entstellend wirkt. Eine
Entstellung liegt dabei nur vor, wenn die körperliche Abweichung so ausgeprägt ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung
in alltäglichen Situationen quasi "im Vorbeigehen" bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf
den Betroffenen führt (BSG, Urteil vom 28.02.2008 - B 1 KR 19/07 R - Juris, m.w.N.). Eine Krankheit liegt dagegen nicht vor bei einem Zustand, der noch dem Bereich der individuellen menschlichen
Unterschiede zugerechnet werden kann oder lediglich die Abweichung von einem Idealmaß darstellt.
Ein derartiger regelwidriger Zustand liegt bei der Klägerin nicht vor. Eine körperliche Fehlfunktion des Bauches oder der
Oberschenkel besteht unstreitig nicht. Ebenso wenig leidet sie unter einer Entstellung. Das Gericht konnte sich vielmehr anhand
der Fotoaufnahmen, die Bestandteil des Gutachtens von Dr. S. sind, davon überzeugen, dass sowohl der Bauchbereich als auch
die Oberschenkel der Klägerin im üblichen Bereich der Normvarianten des menschlichen Körpers liegen. Keinesfalls handelt es
sich dabei um eine körperliche Anomalie, die geeignet wäre, die Blicke anderer auf sich zu ziehen.
Es konnte auch nicht nachgewiesen werden, dass die bestehende Hauterschlaffung im Bauchbereich zu therapieresistenten Hauterkrankungen
geführt hat. Vielmehr hat Dr. S. in ihrem Gutachten vom 1. September 2014 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin ausgeführt,
dass es insbesondere durch eine weitere Gewichtszunahme der Klägerin um 30 kg zu einer weiteren Hauterschlaffung und einer
diskreten Hautfaltendoppelung im Bereich des Mittel- und Unterbauches gekommen sei. Eine Fettschürze liege jedoch nicht vor.
Therapieresistente Infektionen im Bereich der Hautfalte seien nicht dokumentiert. Die Haut an den Oberschenkelinnenseiten
sei reizlos. Soweit es insbesondere im Leistenbereich zu Abszessen gekommen sei, seien diese auf eine Akne-Erkrankung der
Klägerin zurückzuführen, die unter anderem auch in den Achselhöhlen auftrete, nicht auf eine Hautfaltendoppelung. Zu empfehlen
seien daher fachdermatologische Behandlungen sowie Nikotinkarenz und eine Gewichtsreduktion, um die Akne-Erkrankung zu bessern.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den vorliegenden Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin. Im Befundbericht
von Dr. S1 ist insoweit lediglich von einer leichten Rötung im Bauchfaltenbereich die Rede. Die Hautärztin Dr. P. hat als
Diagnose eine Akne papulopustulosa mit Furunkeln im Leistenbereich und Follikulitiden im Gesicht sowie am Hals und Oberkörper
beschrieben. Auch Dr. von P1 hat als Diagnose eine Akneerkrankung angegeben. Schließlich bestätigt auch der im Berufungsverfahren
eingeholte Befundbericht von Dr. P2 nicht den Vortrag der Klägerin über therapieresistente Hauterscheinungen im Bereich der
Hautfalte, denn dort ist nur von einer einmaligen Behandlung wegen Scheidenpilz sowie zwei Vorstellungen wegen einer Furunkulose
im Schritt die Rede.
Schließlich rechtfertigt auch die psychische Erkrankung der Klägerin nicht die begehrten Maßnahmen zulasten der gesetzlichen
Krankenversicherung, denn psychische Leiden können einen Anspruch auf chirurgische Maßnahmen nicht begründen. Selbst wenn
ein Versicherter hochgradig akute Suizidgefahr geltend macht, kann er regelmäßig lediglich eine spezifische Behandlung mit
den Mitteln der Psychiatrie beanspruchen, nicht aber Operationen am gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen.
Dies beruht vor allem auf den Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und
der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose sowie darauf, dass Eingriffe in den gesunden Körper zur mittelbaren Beeinflussung
eines psychischen Leidens mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken grundsätzlich nicht zu rechtfertigen sind (BSG, Urteil vom 28.02.2008, aaO.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Die Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.