Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine Störfelduntersuchung bei Trigeminusneuralgie im Wege der Genehmigungsfiktion
Erforderlichkeit der Vorlage von ärztlichen Befunden oder einer Verordnung bei Antragstellung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit zahnärztlicher Behandlung durch Dr. L. in M ... Der Kläger leidet
an einer Trigeminusneuralgie. Am 23. Dezember 2013 beantragte er bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Störfelduntersuchung
bei Dr. L. in M ... In dem Schreiben schildert der Kläger ausführlich seine gesundheitlichen Probleme, die bisherigen Behandlungsversuche
und wie er auf Dr. L. gestoßen war. Wörtlich heißt es in dem Schreiben zuletzt "Würde die Kasse für die Diagnose und Behandlung
bei Dr. L. (Anlage 9) aufkommen?" Seinem Antrag fügte er unter Anlage 9 eine E-Mail des Dr. L. bei, welcher Röntgenaufnahmen
des Klägers befundet hatte, jedoch ohne den Kläger persönlich zu untersuchen und welcher zuletzt ausführte: "Zur Abklärung
raten wir Ihnen eine Störfelduntersuchung an. Im Anhang finden Sie weitere Informationen." Im Anhang findet sich sodann eine
Kostenübersicht, die einzelne mögliche Positionen einer Diagnose und Behandlung aufführt (im Einzelnen: Cavitat - Ultraschalluntersuchung,
OroTox-Test (Zahngiftmessung), optional: Kinesiologie, optional: LTT/TT-Test, optional: Speicheltest zur Abklärung von chronisch-toxischen
Metallbelastungen, aktuelles Panorama-Röntgenbild, aktuelles DVT, Gesamtkosten: 600 - 1300; anschließend fielen oftmals Operationen
an, hierbei würden alle Störfelder in einem Kieferquadranten entfernt, Kosten pro Operation und Nachbehandlungen 1800 - 2500).
Mit Bescheid vom 1. September 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Die Behandlung sei nicht Bestandteil der
vertragszahnärztlichen Versorgung. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. November 2014). Mit Gerichtsbescheid
vom 13. März 2018 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit der begehrten zahnärztlichen
Behandlung in Form von Störfeldtests und Störfeldtherapie zu versorgen. Denn der Antrag des Klägers vom 23.12.2013 gelte gemäß
§
13 Abs.
3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) als genehmigt. Die Beklagte habe erst 8 Monate nach Antragseingang über den Antrag des Klägers entschieden, ohne den MDK
zu konsultieren oder ein Gutachterverfahren nach dem Bundesmantelvertrag für Zahnärzte durchzuführen, und habe somit eindeutig
die Frist von 3 Wochen gemäß §
13 Abs.
3a Satz 1
SGB V nicht eingehalten. Auch die weiteren vom Bundesozialgericht in seiner Rechtsprechung zum §
13 Abs.
3a SGB V aufgestellten Voraussetzungen seien gegeben. Die Regelung erfasse u.a. Ansprüche auf Krankenbehandlung. Einen solchen Anspruch
mache der Kläger, der als gesetzlich Versicherter auch leistungsberechtigt sei, auch geltend. Der Antrag sei auch hinreichend
bestimmt durch die Bezugnahme auf den Kostenvoranschlag des Dr. L ... Der Kläger habe die Leistung auch subjektiv für erforderlich
halten dürfen, nachdem er alle konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft habe. Die von Dr. L. angebotene ganzheitliche
Zahnbehandlung liege nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges, weil es sich dabei immer noch um Krankenbehandlung
handele. Der Kläger greife, nachdem sämtliche bisherigen Behandlungen (nebst dem Entfernen von Zähnen) erfolglos geblieben
seien, auf die Störfeldtherapie zurück und habe sie für erforderlich halten dürfen, weil ihm nichts anderes mehr helfe. Gegen
den ihr am 16. März 2018 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Beklagte mit der am 23. März 2018 eingelegten Berufung,
mit welcher sie geltend macht, der Kläger habe die beantragte Leistung subjektiv nicht für erforderlich halten dürfen, da
ihm von keinem ihn behandelnden Arzt zu der angestrebten Behandlung geraten worden sei. Außerdem liege die Leistung außerhalb
des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierauf weise die Praxis des Dr. L. auf ihrer Internetseite auch
selbst hin. Selbst wenn man eine fiktive Genehmigung annehme, habe das Gericht ungeprüft gelassen, ob diese nicht durch Zeitablauf
oder Veränderung des Gesundheitszustandes erledigt gewesen sei. Darüber hinaus habe sie, die Beklagte, die fiktive Genehmigung
wirksam durch Bescheid vom 9. März 2018 zurückgenommen. Schließlich regele §
13 Abs.
3 SGB V ausschließlich Kostenerstattungsansprüche, schon aus diesem Grund sei eine Verurteilung zur Erbringung einer Sachleistung
rechtswidrig.
Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und macht geltend, kein Vertragszahnarzt habe ihm mit seiner Erkrankung
helfen können.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der
ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 7. März 2019 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.
Entscheidungsgründe:
Die Berichterstatterin konnte zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern an Stelle des Senats entscheiden, da das Sozialgericht
ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat ihr durch Beschluss vom 3. September 2018
die Berufung übertragen hat (§
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid vom 13. März 2018 ist nach §§
143,
144 SGG statthaft und zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegt worden.
Sie ist auch begründet. Dies folgt allerdings weder daraus, dass das Sozialgericht die Beklagte zur Erbringung einer Sachleistung
verurteilt hat noch aus dem Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 9. März 2018. Dass es sich bei dem streitigen Anspruch um
einen Anspruch auf Versorgung mit der beantragten Leistung als Naturalleistung hat, hat das Sozialgericht von seinem Rechtsstandpunkt
aus zutreffend festgestellt und der Aufhebungsbescheid vom 9. März 2018 wäre nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) rechtswidrig, wenn die Genehmigungsfiktion des §
13 Abs.
3a SGB V tatsächlich eingriffe (BSG, Urteil vom 7. November 2017 - B 1 KR 24/17 R - Juris).
Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz gilt indes der von dem Kläger mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 gestellte Antrag
auf Übernahme der Kosten für eine Diagnosestellung und Behandlung bei Dr. L. nicht gemäß §
13 Abs.
3a SGB V als genehmigt. Nach §
13 Abs.3a
SGB V hat eine Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang
oder in Fällen, in denen eine gutachterliche Stellungnahme insbesondere des MDK eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen
nach Antragseingang zu entscheiden. Kann eine Krankenkasse diese Fristen nicht einhalten, teilt sie das den Leistungsberechtigten
unter Darlegung der Gründe rechtzeitig mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf
der Frist als genehmigt.
Zweifelhaft ist insoweit bereits, ob das Schreiben des Klägers vom 23. Dezember 2013 die im Rahmen des §
13 Abs.
3a SGB V an einen Antrag zu stellenden Voraussetzungen erfüllt. Der Kläger schildert in diesem Schreiben im Wesentlichen seinen rezidivierend
auftretenden Trigeminusschmerz, die Besuche bei verschiedenen Zahnärzten und Neurologen und die Ergebnisse seiner Internetrecherche.
Am Schluss folgt die Frage "Würde die Kasse für die Diagnose und Behandlung bei Dr. L. (Anlage 9) aufkommen?". Dem ist für
sich genommen kein klares Behandlungsziel und keine bestimmbare Behandlungsleistung zu entnehmen. Die Anlage 9 enthält dann
eine Email der Praxis Dr L., mit welcher eingesendete Röntgenbilder des Klägers befundet werden und dem Kläger eine Störfelduntersuchung
angeraten wird. Außerdem müsse vor Ort eine erneute Digitale Volumentomografie ("3-D-Röntgen", DVT) angefertigt werden. Der
Email war angehängt eine allgemeine Patienteninformation, die das gesamte privatärztliche Leistungsspektrum des Dr. L. aufführt.
Hierin kann ein Antrag auf eine Störfelduntersuchung und ggfs. noch auf die Anfertigung einer weiteren DVT gesehen werden;
einen darüber hinausgehenden ausreichend bestimmten Antrag auf eine hinreichend konkretisierte Behandlung vermag der Senat
hierin bereits nicht zu erkennen. Zwar sind nach der Rechtsprechung des BSG sind an die Bestimmtheit eines Antrags keine besonders hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt hierfür, dass das Behandlungsziel
klar ist. Dass hinsichtlich der Mittel zur Erfüllung der Leistungspflicht verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen,
beeinträchtigt den Charakter einer Leistung als vertretbare Handlung nicht. Diese allgemeinen Grundsätze gelten ebenso, wenn
Patienten zur Konkretisierung der Behandlungsleistung auf die Beratung des behandelnden Arztes angewiesen sind (BSG, Urteil vom 11. Juli 2017 - B 1 KR 1/17 R -, Juris). Dies kann aber nach Auffassung des Senats nur gelten, wenn zumindest die grobe Richtung der beantragten Behandlungsleistung
sich bereits aus dem Antrag selbst ergibt und nicht zunächst eine Diagnostik voraussetzt. Ist zunächst lediglich eine diagnostische
Maßnahme ausreichend konkret beantragt, so kann auch die Fiktion des §
13 Abs.
3a SGB V nicht dazu führen, dass in der Folge dieser Maßnahme ziellos alle vom Behandler nach Abschluss der beantragten Diagnostik
ins Auge gefassten, nicht dem Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegende Behandlungsmethoden von
der Genehmigungsfiktion mit umfasst sind und dann gewissermaßen nach Gutdünken des Behandlers vorgenommen werden können. Entgegen
der Auffassung des Sozialgerichts war damit zur Überzeugung des Senats vorliegend eine "Störfeldtherapie" - welchen Inhalts
auch immer - nicht mit beantragt.
Letztlich kann dies aber dahinstehen, denn die Herleitung eines Anspruchs aus §
13 Abs.
3a SGB V scheitert hier auch hinsichtlich der Störfelduntersuchung und der Anfertigung eines weiteren DVT daran, dass diese Vorschrift
eine Vertrauensschutzregelung ist, deren Anwendbarkeit voraussetzt, dass der Versicherte auf das Ergehen einer Genehmigung
vertrauen durfte (vgl. etwa BSG v. 11. Juli 2017 - B 1 KR 16/16 R - juris Rn 20). Hierbei kommt es nicht darauf an, ob nicht die begehrte Diagnostik bereits offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs
der gesetzlichen Krankenversicherung gelegen hat. Denn der Kläger durfte die begehrte Behandlung auf der Grundlage der bei
Antragstellung gegebenen Umstände nicht für erforderlich halten. In subjektiver Hinsicht hält das BSG regelmäßig für ausreichend, dass der Versicherte sich mit einem befundgestützten Antrag an seine Krankenkasse wendet (BSG v. 26. September 2017 - B 1 KR 6/17 R - juris Rn 20, 22; v. 11. September 2018 - B 1 KR 1/18 R - juris Rn 22). Unter dieser Voraussetzung darf er darauf vertrauen, dass sein Antrag genehmigt werden wird, so dass §
13 Abs.
3a SGB V Anwendung findet. Der Kläger hatte aber bei der Stellung des Antrags am 23. Dezember 2013 keine Verordnung für eine Störfelduntersuchung,
kein Attest und keine sonstige medizinische Stellungnahme in der Hand und der Beklagten vorgelegt, aus der sich ergab, dass
die von ihm in Aussicht genommene Untersuchung medizinisch indiziert gewesen wäre. Insbesondere ergibt sich eine derartige
Empfehlung weder aus dem Befund des Dr. Volkmer vom 13. Dezember 2013 - also kurz vor der Antragstellung -, noch aus den radiologischen
Befunden vom 22. Oktober 2013 und vom 1. November 2013 und auch nicht aus der Auskunft der Kassenzahnärztlichen Vereinigung
vom 6. November 2013. Ein berechtigtes Vertrauen darauf, dass eine Krankenkasse aufwändige medizinische Untersuchungen und
Behandlungen gleichsam auf Zuruf bewilligen wird, ist nicht anzuerkennen.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass Dr. L. selbst die Störfelddiagnostik dem Kläger empfohlen hat. Der Senat vertritt
insoweit die Auffassung, dass nur ein Arzt den entsprechenden Befund erstellen kann, der den Versicheerten selbst persönlich
untersucht hat. Offen bleiben kann insoweit, ob nicht auch zu fordern ist, dass es sich bei Untersuchungen und Behandlungen,
die außerhalb des Leistungsspektrums der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen, um einen anderen Arzt handeln muss, als
um denjenigen, der die Behandlung als Privatbehandlung durchführen wird. Hinzu kommt, dass dem Kläger aufgrund seines Internetkontakts
und der Website des Dr. L. auf der Laiensphäre durchaus bekannt und bewusst war, dass die begehrte Untersuchungsmethode nicht
zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehört ("Die Krankenkasse übernimmt keine Kosten ", Bl. 4 VA ".Wir
behandeln in unserer Praxisklinik sowohl Kassen- als auch Privatpatienten. Alle Untersuchungen im Bereich Störfelddiagnostik
und die dazu anfallenden Störfeldsanierungen sind allerdings reine Privatleistungen und werden von den gesetzlichen Versicherungen
nicht übernommen.", Website des Dr. L.) Nur unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt kann der Kläger sich daher
die Vorstellung gemacht haben, dass die Beklagte den Antrag so wie er gestellt wurde auch bewilligen würde (Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. November 2018 - L 1 KR 416/16 -, Rn. 18, juris).
Eine andere Anspruchsgrundlage kommt vorliegend nicht in Betracht. Insoweit wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Nach alledem war der angefochtene Gerichtsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach §
160 Abs.
2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Bislang ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob die
Vorlage von ärztlichen Befunden oder einer Verordnung bei Antragstellung zwingende Voraussetzung für das Eingreifen der Regelung
des §
13 Abs.
3a SGB V ist. Der Senat konnte die Revision auch nach Übertragung auf die Berichterstatterin gemäß §
153 Abs.
5 SGG in der Besetzung mit Berichterstatterin und ehrenamtlichen Richtern (kleiner Senat) zulassen (BSG, Urteil vom 9. März 2016 - B 14 AS 20/15 R - Juris)