Arbeitnehmerüberlassung
Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs
Arbeitsrechtliche Pflichten
Besondere Verleiherpflichten
Gründe:
Die am 10. August 2015 erhobene Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 7. August
2015, der ihrem Prozessbevollmächtigten am selben Tag zugestellt worden ist, ist gemäß §
172 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben im Sinne von §
173 SGG.
Sie ist jedoch unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs
gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin 21. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September
2015 gemäß §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG in Verbindung mit §
86a Abs.
4 SGG, was ihr infolge von § 2 Abs. 4 Satz 3 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit bis zur Bestandskraft der genannten behördlichen Entscheidungen ermöglichen würde.
Der mit der Beschwerde angegriffene Beschluss des Sozialgerichts, das den Eilantrag (noch vor Erlass des Widerspruchsbescheides
vom 7. September 2015) in der Sache mit der Begründung abgelehnt hat, es spreche mehr gegen als für eine Rechtswidrigkeit
des Bescheides vom 21. Juli 2015, steht in Einklang mit §
86a Abs.
4 Satz 1
SGG, der das Vollzugsrisiko bei einer auf § 3 AÜG gestützten Versagung grundsätzlich auf den Antragsteller verlagert, weswegen nur ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der Versagung ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen können (vgl. Wahrendorf in Roos/Wahrendorf,
SGG, §
86b Rn 103). Hierfür genügt es nicht, wenn im Hauptsacheverfahren, dem die endgültige Aufklärung des maßgeblichen Sachverhaltes
vorbehalten ist, möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss
vom 8. April 2014 - L 8 R 737/13 B ER, juris).
Die von der Antragstellerin vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides
vom 21. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2015 zu wecken. Es spricht - nach der im sozialgerichtlichen
Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage - erheblich mehr dafür als dagegen,
dass die Antragstellerin den Versagungstatbestand aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG erfüllt. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG ist die Erlaubnis oder ihre Verlängerung zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die
für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 AÜG erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die
Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Ausländerbeschäftigung,
die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält.
Hierbei ist zunächst festzustellen, dass die Antragstellerin trotz entsprechender Hinweise seitens der Antragsgegnerin in
der Vergangenheit gegen arbeitsrechtliche Pflichten im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG verstoßen hat. Zu den arbeitsrechtlichen Pflichten im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG zählen grundsätzliche alle Verpflichtungen des Arbeitgebers und hierbei auch die in den §§ 9 bis 11 AÜG normierten besonderen Verleiherpflichten (Sandmann/Marschall/Schneider, AÜG, Art. 1 § 3 Tz. 18 [66. EL Oktober 2014]). Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin bereits mit dem Verlängerungsbescheid vom 6. Juni
2013 darauf hingewiesen, dass es in den Arbeitsverträgen an den Angaben zur Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AÜG, an einer Regelung bezüglich Art und Höhe der Leistungen für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht verliehen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AÜG) sowie an Regelungen zur Dauer des jährlichen Erholungsurlaubs sowie der vereinbarten Arbeitszeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nrn. 7 und 8 Nachweisgesetz (NachwG) gefehlt hatte.
Jedenfalls hinsichtlich der vereinbarten Arbeitszeit hat die Antragstellerin dies weder bei den zum damaligen Zeitpunkt bereits
bestehenden Arbeitsverträgen nachgeholt noch bei Abschluss (aller) späterer Arbeitsverträge berücksichtigt, wie sich im Gegenschluss
aus den von ihr vorgelegten Zusatzvereinbarungen zu den Arbeitsverträgen ergibt, die vom 1. Juli 2015 datieren. Soweit sie
bis zuletzt die Auffassung vertritt, einer schriftlichen Vereinbarung der Arbeitszeit habe es nicht bedurft, da die Arbeitszeit
mündlich vereinbart worden sei und sich außerdem im Wege ergänzender Vertragsauslegung ergebe, verkennt sie Zweck und Funktion
des NachweisG. Dieses Gesetz unterwirft nicht etwa den Arbeitsvertrag selbst einem konstitutiven Formerfordernis, sondern
es verpflichtet den Arbeitgeber dazu, den Inhalt der Vereinbarung deklaratorisch niederzulegen (zu alledem Preis in Erfurter
Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. 2014, Einführung zum NachwG, Rn. 6 ff.), was nicht zuletzt der Sicherung der Entgeltfortzahlung dient. Dieser letztgenannten Verpflichtung, die § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung nochmals bekräftigt, genügen weder das Vorliegen einer mündlichen Abrede noch
eine Ermittelbarkeit des Vereinbarten im Wege ergänzender Vertragsauslegung. Dies gilt insbesondere für Verträge, die - wie
zwei der im Verwaltungsverfahren vorgelegten - nur den Stundenlohn sowie einen maximalen Monatslohn nennen (und damit lediglich
den Schluss auf eine Obergrenze des Vereinbarten zulassen). Ob eine ergänzende Vertragsauslegung angesichts § 12 Abs. 1 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz überhaupt greifen kann, braucht daher vorliegend nicht entschieden zu werden.
Auch die am 1. Juli 2015 geschlossenen Zusatzvereinbarungen haben diesen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 ÄUG in Verbindung
mit § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 7 NachwG nicht beseitigt. Zur Niederlegung der vereinbarten Arbeitszeit gehören Angaben zu Dauer und Lage der Arbeitszeit (Jürgen
Ulber in Ulber, AÜG, 4. Aufl. 2011, § 11 Rn. 43; Preis in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. 2014, § 2 NachwG Rn. 20). Hierbei muss hinsichtlich der Dauer angesichts der besonderen Regelung zum Annahmeverzug (§ 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG) stets eine dem Umfang nach genau feststehende Dauer der Arbeitszeit angegeben sein, die nicht von den Einsatzmöglichkeiten
bei den Entleihern abhängig sein darf (Ulber a.a.O., Rn. 45). Lage der Arbeitszeit meint deren Verteilung auf bestimmte Wochentage
(Ulber a.a.O., Rn. 46).
Die Arbeitsverträge in Gestalt der Zusatzvereinbarungen sind so ausgestaltet, dass die Antragstellerin den Arbeitnehmern (schriftlich
und vier Tage im Voraus) Einsätze im Umfang der vertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit anbietet und erst hierbei die Lage
der Arbeitszeit benennt (§ 3a Abs. 2 Satz 1 und 2 der Arbeitsverträge in der Fassung der Zusatzvereinbarungen vom 1. Juli
2015). Dem Arbeitnehmer steht es sodann nach § 3a Abs. 2 Satz 3 der Arbeitsverträge frei zu entscheiden, "welche Dienste er
annimmt und welche Dienste er ablehnt." In Satz 5 heißt es, die vereinbarte Wochenarbeitszeit könne "je nach den Bedürfnissen
des Arbeitnehmers also auch auf mehrere Wochen ungleichmäßig verteilt werden."
Diese Ausgestaltung genügt den Anforderungen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 NachwG nicht. Wenn nämlich § 3a Abs. 2 Satz 1 der Arbeitsverträge die Antragstellerin lediglich dazu verpflichtet, Dienste "in dem unter Absatz 1 (sc. der Bestimmung
der regelmäßigen Wochenarbeitszeit) geregelten Umfang pro Woche" anzubieten, und Satz 3 der Vorschrift dem Arbeitnehmer die
Wahl lässt, diese Dienste anzunehmen oder abzulehnen, so bedeutet dies für einen Arbeitnehmer - jedenfalls wenn er seiner
in § 3a Abs. 1 des Arbeitsvertrages festgelegten Verpflichtung vollständig nachkommen will - letztlich die Arbeit auf Abruf,
deren Vereinbarkeit mit der zwingenden Risikoverteilung in § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG mit guten Gründen bezweifelt wird (so etwa von Ulber, a.a.O., Rn. 47 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29. Juli 1992 - 11 RAr 51/91, SozR 3-7815 Art 1 § 3 Nr. 5). Weiterhin trifft § 3a Abs. 2 Satz 5 der Arbeitsverträge für den Fall, dass der Arbeitnehmer
hingegen die angebotenen Arbeiten ganz oder teilweise ablehnt, eine nicht hinreichend eindeutige Regelung, die offenbar davon
ausgeht, dass die Wochenarbeitszeit infolge abgelehnter Arbeiten über- und unterschritten werden kann, hierzu allerdings außer
einer unklaren Bezugnahme auf Bedürfnisse des Arbeitnehmers keinerlei nähere Bestimmungen enthält. Selbst wenn sich die in
§ 3a Abs. 2 der Arbeitsverträge angestrebte Flexibilisierung der Arbeitszeit im Rahmen des rechtlich Zulässigen bewegen sollte,
bedürfte es gewisser äußerer Grenzen, um den Erfordernissen aus § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 NachwG gerecht zu werden.
Die Regelung in § 4 Abs. 5 der Arbeitsverträge, wonach der Arbeitnehmer das Tarifentgelt für Zeiten, in denen er nicht in
Kundenbetrieben eingesetzt werden kann, nur dann erhält, wenn er sich in diesem Zeitraum während der Bürozeiten der Antragstellerin
erreichbar und verfügbar hält, dürfte zwar den Anforderungen des seinem Wortlaut nach nur auf Art und Höhe beschränkten §
11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AÜG genügen, erweist sich jedoch jedenfalls im Rahmen einer summarischen Prüfung als nicht vereinbar mit § 11 Abs. 1 Satz 1 AÜG in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 NachwG sowie mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG (dessen Regelungsgehalt ebenfalls zu den arbeitsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers zählt). Der Arbeitsvertrag fordert
von einem nur geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer (dem § 3 Abs. 3a Abs. 4 der Arbeitsverträge in der Fassung der Zusatzvereinbarungen
vom 1. Juli 2015 jetzt sogar die Zusicherung abverlangt, dass er neben der Beschäftigung bei der Antragstellerin "noch in
einem Hauptarbeitsverhältnis beschäftigt ist und aus diesem Hauptarbeitsverhältnis den Lohn zur Bestreitung seines Lebensunterhalts
bezieht") zur Aufrechterhaltung seiner Entgeltansprüche eine Erreichbarkeit und Verfügbarkeit für eine Zeitdauer, die erheblich
über die vereinbarte regelmäßige Wochenarbeitszeit hinausgeht und im Arbeitsvertrag überdies nur durch Verweis auf die Bürostunden
der Antragstellerin bezeichnet wird. Dies macht im Ergebnis die Entlohnung von den Einsatzmöglichkeiten bei den Entleihern
abhängig, was § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG gerade verhindern will. Überdies belastet es den Arbeitnehmer mit dem Risiko, nicht genau zu wissen, was er bei ausbleibenden
Angeboten genau zu tun hat, um seine Entgeltansprüche zu sichern.
Angesichts dieser festgestellten Verstoßes kann dahinstehen, ob weitere Verstöße gegen arbeitsrechtliche Pflichten im Sinne
von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG oder weitere Versagungsgründe nach § 3 AÜG vorliegen.
An dieser Beurteilung ändert auch die prognostische Natur der Entscheidung nach § 3 Abs. 1 AÜG (dazu BSG, Urteil vom 6. Februar 1992 - 7 RAr 140/90, SozR 3-7815 Art 1 § 3 Nr. 3) nichts. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu beachten, dass die Behörde nicht das Vorliegen
des Versagungsgrundes selbst zu beweisen hat, sondern nur die Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen (Landessozialgericht
Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. März 2011 - L 13 AL 3438/10 ER-B, juris). Was die eigentliche Prognoseentscheidung angeht, so fällt hierbei ins Gewicht, dass die Antragstellerin (abgesehen
von solchen Fehlern, für die sie DATEV eG verantwortlich macht) auch nach Bestellung einer neuen Geschäftsführerin zum 10.
August 2015 an ihrem Vorbringen festhält, sie habe zu keinem Zeitpunkt (also selbst vor Abschluss der Zusatzvereinbarungen
vom 1. Juli 2015) gegen ihre arbeitsrechtlichen Pflichten im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG verstoßen. Dieses prozessuale Verhalten lässt erhebliche Zweifel daran aufkommen, dass die Antragstellerin zukünftig bereit
ist, ihre Pflichten als Leiharbeitgeberin zu erfüllen.
Da sich die Entscheidungen der Antragsgegnerin nach dem derzeitigen Erkenntnisstand mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit als
weit überwiegend rechtmäßig erweisen werden, braucht der Senat nicht zwischen dem für sich betrachtet erkanntermaßen gewichtigen
Aussetzungsinteresse der Antragstellerin und dem Interesse der Allgemeinheit an der Vollziehung der Entscheidung abzuwägen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 und § 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§
177 SGG).