Zulässigkeit einer Feststellungsklage, mit der der Kläger geltend macht, er werde durch die beklagte Behörde diskriminiert
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie von der Beklagten diskriminiert werde.
Die Klägerin stand im Leistungsbezug bei der Beklagten. Mit Änderungsbescheid vom 26. April 2016 bewilligte die Beklagte der
Klägerin für die Zeit vom 12. März 2016 bis zum 10. November 2016 Arbeitslosengeld. Zuletzt bezog sie aufgrund des Änderungsbescheides
vom 17. August 2020 für die Zeit vom 12. März 2020 bis zum 13. August 2020 Arbeitslosengeld.
Mit Schreiben vom 30. April 2020 sowie vom 11. Mai 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen zur Förderung
der beruflichen Weiterbildung zur Gesundheits- und Pflegeassistentin.
Am 11. Mai 2020 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Es sei zu klären, ob sie diskriminiert werde,
da sie in der Vergangenheit eine Auseinandersetzung mit der Beklagten gehabt habe und sie eine Frau sei. Die Beklagte sei
der Meinung, sie müsse mal „draufhauen“, wenn so ein „Frauchen“ frech werde. Sie erhalte den Bildungsgutschein nicht, weil
die Berater der Beklagten die Macht hätten. Es solle der ärztliche Dienst eingeschaltet werden mit der gutachterlichen Fragestellung,
ob ein Schaden aus einem Verkehrsunfall verblieben sei. Dies sei eine Diskriminierung. Nunmehr solle der berufspsychologische
Service eingeschaltet werden. Sie sei überzeugt, dass sie aufgrund der Tatsache, dass sie sich für technische Berufe interessiere,
frauenfeindlich als „Nerd“ klassifiziert werde. Aufgrund des Streits mit der Beklagten würden ihr zugesagte Leistungen - abschreckend
für andere Arbeitslose - entzogen. Ziel sei, dass sie die Beklagte nicht kritisierten. Die Klageerhebung ist im Zusammenhang
mit von der Klägerin begehrten Leistungen zur beruflichen Weiterbildung erfolgt (vgl. hierzu das Verfahren L 2 AL 46/20).
Zeitgleich mit der Klagerhebung hat die Klägerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Hamburg
gestellt, welcher mit Beschluss vom 30. Juni 2020 abgelehnt wurde (S 14 AL 194/20 ER). Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Beschwerde hat das Landessozialgericht Hamburg mit Beschluss 20. August 2020
zurückgewiesen (L 2 AL 35/20 B ER).
Mit gerichtlichem Schreiben vom 12. Oktober 2020, der Klägerin zugestellt am 14. Oktober 2020, hat das Sozialgericht die Beteiligten
zum beabsichtigten Erlass eines Gerichtsbescheides angehört.
Mit Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Soweit eine Diskriminierung im Zusammenhang
mit der Ablehnung einer Umschulung zur Gesundheits- und Pflegeassistentin geltend gemacht werden sollte, stehe dem der Einwand
der Rechtshängigkeit entgegen. Denn diese Ablehnung sei Gegenstand des Verfahrens S 14 AL 196/20. Soweit eine generelle Diskriminierung geltend gemacht werde, sei die Klage zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin habe
gemäß §
2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz i.V.m. §
19a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) keinen Anspruch auf Feststellung einer allgemeinen Diskriminierung. Denn §
19a SGB IV bestimme, dass Ansprüche nur geltend gemacht werden könnten, wenn deren Voraussetzungen nach den besonderen Teilen des Sozialgesetzbuches
im Einzelnen erfüllt seien. Die Klägerin habe jedoch keine Ansprüche gegen die Beklagte nach dem
SGB III oder anderen Teilen des Sozialgesetzbuches. Bezüglich des erhobenen Diskriminierungsvorwurfs könne deshalb - unabhängig von
dem unsubstantiierten Vortrag - kein Feststellungsanspruch bestehen.
Gegen den ihr am 9. Dezember 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 29. Dezember 2020 Berufung eingelegt.
Es werde die Zurückverweisung an das Sozialgericht beantragt. Es sei ohne Beweis zu erheben und ohne ihre Beweisanträge abzulehnen
entschieden worden. Dies sei ein schwerer Verfahrensfehler, und es sei eine Beweisaufnahme nicht durchgeführt worden. Der
Kammervorsitzende sei befangen. Er kenne sie aus der ÖRA und sei mit ihr in einen erheblichen Konflikt verwickelt gewesen.
Er habe sie in der ÖRA nicht beraten wollen. Sie erkläre ihn für befangen. Sie werfe der Beklagten keine allgemeine Diskriminierung
vor. Die Diskriminierung sehe sie darin, dass die Beklagte sie aufgrund ihres beruflichen Werdegangs und ihrer persönlichen
Situation anders behandele als beispielsweise eine ausgebildete Ingenieurin. Für die Beklagte scheine die Grenze beim Prekariat
zu liegen. Sie rüge, dass sie die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten nicht habe einsehen dürfen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Dezember 2020 aufzuheben und
die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte sie diskriminiere, und dass diese Feststellung so wirkt, dass sie auch im Parallelverfahren
L 2 AL 46/20 Beachtung findet.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung an das Sozialgericht nach §
159 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) lägen nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass aufgrund eines etwaigen Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme
zu den entscheidungserheblichen Tatsachen notwendig wäre. Anders als das Sozialgericht halte die Beklagte die Klage auch insoweit
für unzulässig, soweit eine generelle Diskriminierung geltend gemacht werde. Es sei nicht ersichtlich, dass eine Tatbestandsvoraussetzung
von §
55 SGG erfüllt wäre. Im Urteil werde eine solche auch nicht benannt.
Mit Beschluss vom 3. März 2021 hat der Senat die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg auf die Berichterstatterin
übertragen, die zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Am 7. Juli 2021 hat die Klägerin Akteneinsicht beantragt. Dem Akteneinsichtsgesuch hat die Berichterstatterin am 8. Juli 2021
stattgegeben. Der Klägerin ist an demselben Tage persönlich durch eine Mitarbeiterin des Gerichts im Serviceschalter mitgeteilt
worden, dass sie am 9. Juli 2021 in der Zeit von 11.00 bis 13.00 Uhr Akteneinsicht nehmen könne. Zu diesem Termin ist die
Klägerin nicht erschienen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Prozessakte S 14 AL 194/20 ER / L 2 AL 35/20 ER sowie der Sitzungsniederschrift vom 14. Juli 2021 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Die von der Klägerin begehrte Zurückverweisung an das Sozialgericht nach §
159 SGG kommt nicht in Betracht.
Gemäß §
159 Abs.
1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen,
wenn 1. dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, oder 2. das Verfahren an einem wesentlichen
Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Das Verfahren leidet insbesondere nicht an einem wesentlichen Verfahrensmangel.
Der Kammervorsitzende war von der Ausübung des Richteramtes nicht ausgeschlossen. Gemäß §
60 Abs.
1 SGG gelten für die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen die §§
41 bis
46 Abs.
1 und die §§
47 bis
49 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) entsprechend. Die in §
41 ZPO geregelten Fälle, in denen ein Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, liegen nicht
vor. Der Kammervorsitzende war in dieser Angelegenheit insbesondere nicht außergerichtlich beratend oder mitwirkend tätig.
Die Klägerin moniert gerade, dass der Kammervorsitzende sie nicht im Rahmen der ÖRA außergerichtlich beraten habe. Im Übrigen
ist ein Ablehnungsgesuch nach §
60 SGG i.V.m. §
42 ZPO wegen Besorgnis der Befangenheit verspätet, weil es nicht bis zur Beendigung der Instanz angebracht wurde (vgl. Keller, in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
60, Rn. 11; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2007 – L 5 KA 3077 06, juris).
Auch ansonsten ist ein wesentlicher Verfahrensmangel, der eine Zurückverweisung an das Sozialgericht nach §
159 SGG rechtfertigte, nicht ersichtlich. Die Klägerin ist vor Erlass des Gerichtsbescheides, dessen Voraussetzungen gemäß §
105 Abs.
1 SGG vorlagen, gehört worden. Eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme - wie von der Klägerin gefordert - war weder angezeigt
noch entscheidungserheblich.
Die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage gemäß §
55 Abs.
1 SGG ist bereits unzulässig. Es fehlt das Feststellungsinteresse.
Mit einer Feststellungsklage kann nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn die Klägerin ein berechtigtes
Interesse an der baldigen Feststellung hat.
Es muss sich in der Regel um ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis handeln. Darunter versteht man die Rechtsbeziehungen
zwischen Personen, die sich aus einem Sachverhalt aufgrund einer Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander ergeben.
Eine Feststellungsklage ist nur zulässig, wenn konkrete Rechte in Anspruch genommen oder bestritten werden, wenn also die
Anwendung einer Norm auf einen konkreten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Gegenstand der Feststellungsklage
können auch einzelne Rechte oder Pflichten sein, die auf dem Rechtsverhältnis basieren. Vergangene Rechtsverhältnisse können
grundsätzlich Gegenstand einer Feststellungsklage sein (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
55, Rn. 6, 8).
Hiernach ist die Feststellungsklage der Klägerin statthaft. Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand aufgrund des Bezuges
von Arbeitslosengeld ein vergangenes Rechtsverhältnis. Hinsichtlich dessen begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die
Beklagte sie diskriminiere. Dieses Begehren kann grundsätzlich im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden.
§
55 SGG verlangt als weitere Voraussetzung ein berechtigtes Interesse. Daran fehlt es hier.
Ein schutzwürdiges Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Natur sein (Bundessozialgericht (BSG) SozR 4100 § 91 Nr 5 mwN; SozR 3-7815 Art 1 § 3 Nr 4 mwN). Bei einem vergangenen Rechtsverhältnis besteht ein berechtigtes Interesse an der Feststellung nur noch dann, wenn
das Rechtsverhältnis über seine Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugt (Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl., §
55 SGG (Stand: 16.03.2021), Rn. 60).
Ein Feststellungsinteresse bei einem vergangenen Rechtsverhältnis besteht, wenn eine Wiederholungsgefahr vorliegt. Eine Wiederholungsgefahr
setzt voraus, dass eine konkrete, in naher Zukunft oder doch in absehbarer Zeit unmittelbar bevorstehende Gefahr der Wiederholung
bei im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen besteht. Entscheidend ist dabei das konkrete Rechtsverhältnis.
Dass möglicherweise eine Vielzahl ähnlich gelagerter Sachverhalte besteht oder bestanden hat, bei denen es zu vergleichbaren
Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beteiligten kommt oder gekommen ist, reicht für die Annahme einer Wiederholungsgefahr
nicht aus (Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl., §
55 SGG (Stand: 16.03.2021), Rn. 60).
Im Weiteren begründet ein Rehabilitationsinteresse bei vergangenen Rechtsverhältnissen ein berechtigtes Interesse an der Feststellung.
Ein solches besteht bei Entscheidungen mit diskriminierender, die Menschenwürde bzw. Persönlichkeitsrechte oder das Ansehen
erheblich beeinträchtigender Wirkung, ggf. auch generell bei Verletzung von Grundrechten (Senger in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl., §
55 SGG (Stand: 16.03.2021), Rn. 60). Erforderlich ist hierfür eine Stigmatisierung des Betroffenen, die geeignet ist, dessen Ansehen
in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch
in der Gegenwart andauern (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14/12; Hessisches Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 17. Februar 2017 – L 7 AS 412/16, juris).
Vom Rechtsuchenden sind die Umstände darlegen, die sein Feststellungsinteresse begründen, weil nur er selbst dazu in der Lage
ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 1996 – 7 KlAr 1/95 –, BSGE 79, 71-80, SozR 3-4100 § 116 Nr 4, Rn. 44 - 47).
Nach dieser Maßgabe hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse nicht substantiiert dargelegt.
Eine Wiederholungsgefahr, die ein Feststellungsinteresse begründen könnte, ist hier nicht gegeben. Die Klägerin steht nicht
mehr im Leistungsbezug bei der Beklagten, sodass die hinreichend bestimmte konkrete Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten
tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Situation wie die, um deren Feststellung es hier geht, sich wiederholt,
nicht besteht.
Es besteht auch kein Rehabilitationsinteresse der Klägerin. Der Vortrag der Klägerin bietet keine hinreichenden Anhaltspunkte
für eine Stigmatisierung, die geeignet wäre, das Ansehen der Klägerin in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen.
Die Rüge der Klägerin, sie habe die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten nicht einsehen dürfen, führte nicht
dazu, dass der Rechtsstreit zu vertagen und der Klägerin Akteneinsicht zu gewähren gewesen wäre. Dem Akteneinsichtsgesuch
der Klägerin vom 7. Juli 2021 hat die Berichterstatterin am 8. Juli 2021 stattgegeben. Der Klägerin ist an demselben Tage
persönlich durch eine Mitarbeiterin des Gerichts im Serviceschalter mitgeteilt worden, dass sie am 9. Juli 2021 in der Zeit
von 11.00 bis 13.00 Uhr Akteneinsicht nehmen könne. Zu diesem Termin ist die Klägerin nicht erschienen. Die Klägerin hätte
ihre prozessualen Rechte sonach durchaus vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung wahrnehmen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG sind nicht gegeben.