Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente im Rahmen eines Stützrententatbestandes nach einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. beanspruchen kann.
Der im Jahre 1980 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 2001 als Profi-Fußballer bei den "K." angestellt. Am 29. September
2007 erlitt der Kläger einen Unfall, als er mit dem Kopf gegen den Kopf eines Gegenspielers prallte. Der Durchgangsarzt Dr.
K1 diagnostizierte eine Schädelprellung mit Einblutung in die Kiefernhöhle rechts, mit Verdacht auf eine Kieferhöhlenfraktur.
Die Beklagte übernahm die Heilbehandlung der Verletzungsfolgen sowie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In einem Schreiben
vom 11. Oktober 2011 führte der Kläger aus, dass er als Folge eines weiteren Versicherungsfalles vom 28. März 2009 nicht mehr
in der Lage sei, seinen Beruf als Fußballspieler wettbewerbsmäßig auszuüben. Dementsprechend werde ein Antrag auf Rente auf
unbestimmte Zeit gestellt.
Der Leitende Oberarzt der Ambulanz B., Dr. R. wies in seinem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgischen Fachgutachten vom 8. März 2012
darauf hin, dass im Hinblick auf den Versicherungsfall vom 29. September 2007 unfallabhängig noch eine deutliche fassbare
Stufe infraorbital rechtsseitig von ca. 6-7 mm Höhe mittig im Bereich des Infraorbitalrandes bestehe. Desweiteren zeige sich
ein hypästhisches Areal für stumpfe und spitze Qualität in Projektion auf das Foramen infraorbital rechtsseitig mit einer
Ausdehnung von 3x3 cm. Hypästhesien im Bereich der Oberlippe und paranasal lägen nicht vor. Es bestehe derzeit eine Minderung
der Erwerbsfähigkeit von 10v.H. Eine Besserung sei nicht zu erwarten. Der Kläger werde generell für alle Arbeiten für fähig
erachtet. Eine Einschränkung bestehe für Arbeiten, bei denen ein Druckausgleich notwendig sei. In einer weiteren Stellungnahme
vom 27. April 2012 erklärte der Gutachter, dass andere vegetative Begleitverletzungen im Rahmen eines neurologischen Zusatzgutachtens
nicht abgeklärt worden seien, da dies auch nicht zwingend erforderlich sei. Konkrete Funktionseinschränkungen durch Druckbelastungen
lägen bei normalen körperlichen Tätigkeiten nicht vor.
Mit Bescheid vom 6. Juni 2012 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte die
Beklagte eine leicht herabgesetzte Berührungsempfindlichkeit im Bereich der rechten Gesichtshälfte nach in leichter Fehlstellung
verheiltem Jochbeinbruch rechts an. Die Einschätzung des Gutachters entspreche nicht den in Rechtsprechung und Literatur herausgebildeten
Erfahrungswerten, denn die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei nicht im messbaren Bereich einzuordnen. Die dokumentierte einseitige
herabgesetzte Berührungsempfindlichkeit verursache keine Funktionsstörung und habe auch keine kosmetische Beeinträchtigung
zur Folge.
Der Kläger legte gegen den am 8. Juni 2012 zugstellten Bescheid am gleichen Tag Widerspruch ein. Er teilte mit, dass nach
der unfallversicherungsrechtlichen Literatur von Mehrhoff-Meindl-Murr (12. Auflage, 2.3) Brüche des Hirn- oder Gesichtsschädels
ohne weitere Auswirkung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10 v.H. bewertet würden.
In ihrem Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2012, dem Beklagten am 21.Dezember 2012 zugestellt, führte die Beklagte aus,
dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit anhand konkreter Funktionseinbußen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt festgestellt werden
müsse. Allgemeine, diffuse und unqualifizierte Störungen des körperlichen Wohlbefindens könnten nicht ohne weiteres berücksichtigt
werden. Dies gelte insbesondere für leichtere Schmerzen und Sensibilitätsminderungen. Entscheidend sei, ob sich subjektive
Behinderungen dieser Art tatsächlich nachhaltig auf die allgemeine Erwerbsfähigkeit auswirkten. Nicht die Sensibilitätsminderung
selbst, sondern allein ihre Wirkung auf die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen könne in die Entscheidung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
einfließen. Eine solche Wirkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt liege vor, wenn der Betroffene nur unter besonderem Energieaufwand
oder unter Hinnahme außergewöhnlicher Schmerzen arbeiten könne. Dies liege bei dem Kläger nicht vor. Der Gutachtenliteratur
sei explizit für Schädigungen des nervus infraorbitalis zu entnehmen, dass die daraus resultierende Missempfindung im Wangenbereich
kaum je eine messbare MdE bedingen werde (Hinweis auf Hausotter, Neurologische Begutachtung, 2. Auflage 2006, S. 36). Dem
stehe auch eine Bewertung auf Mund-Kiefer-Gesichtschirurgischem Gebiet nicht entgegen, da sich die gesundheitliche Einschränkung
des Klägers allein in der Nervenschädigung äußere und nicht in der Funktionalität des Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Darüber
hinaus bestehe auch keine Entstellung, so dass keine messbare MdE anzunehmen sei.
Der Kläger hat am 21. Januar 2013 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, dass er als Folge des Versicherungsfalles vom 28. März
2009 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. erhalte. Die ergänzende Stellungnahme
von Dr. R. vom 2. Mai 2012 bekräftige sein Gutachten dahingehend, dass durch die veränderte und durch die Jochbeinfraktur
vorgeschädigte Nebenhöhle der Druckausgleich der Kiefernhöhe nicht erfolgen könne, so dass von diesbezüglichen Arbeiten ausdrücklich
abgeraten werde. Es bestehe eine ausstrahlende Parästhesie und Wetterfühligkeit. Eine weitere dauerhafte Beeinträchtigung
sei die in Fehlstellung verheilte Jochbeinfraktur mit deutlich fassbarer Stufe von ca. 7 mm Höhe infraorbital rechts.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, dass als wesentliche Unfallfolge eine verminderte Berührungsempfindlichkeit
im Bereich der rechten Wange von ca. 3 × 3 cm beschrieben werde. Die vom Gutachter vorgeschlagene unfallbedingte MdE von 10
v.H. bleibe anhand der beschriebenen Befunde und mit Blick auf die Gutachtenliteratur unbegründet, zumal Dr. R. selbst eine
Einsatzfähigkeit für alle Arbeiten bestätige und die minimale Einschränkung bei druckbelastender Tätigkeit nicht den normalen
körperlichen Tätigkeiten zuordne. Die abschließende Bewertung der MdE stelle eine Rechtsfrage dar, über die ohne Bindungspflicht
an ärztliche Gutachten zu entscheiden sei. Auch in der einschlägigen Kommentarliteratur würden MdE-Werte von 10 v.H. erst
bei einseitigen Gesichtsnervenlähmungen vorgeschlagen, die sich kosmetisch auswirkten. Beides liege nicht vor. Es sei nicht
nachzuvollziehen, welche Arbeitsmöglichkeiten dem Kläger aufgrund der Sensibilitätsstörungen der rechten Wange überhaupt verschlossen
seien und weshalb diese einen messbaren Anteil von 10 v.H. des gesamten Arbeitsmarktes ausmachten.
Das Sozialgericht hat ein Sachverständigengutachten des Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen Prof. Dr. H. eingeholt. In seinem Gutachten
vom 14. März 2014 kommt dieser zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger seit dem Beginn der Arbeitsfähigkeit keine unfallbedingte
Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliege. Der Bewertung von Dr. R. mit einer MdE von 10 v.H. könne nicht zugestimmt werden.
In einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 16. Februar 2015 hatte der Sachverständige weiter ausgeführt,
dass es unstrittig sei, dass die verbliebene Schädigung nicht das gesamte vordere und untere Gesicht betreffe, sondern der
nervus infraorbitalis nur teilweise geschädigt sei. Die Teilschädigung eines der sechs sensiblen Gesichtsnerven führe nach
seiner Einschätzung nicht zu einer MdE. Es ergebe sich insgesamt eine MdE-Bewertung von null.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Juli 2016 abgewiesen, da die durch den Unfall vom 29. September 2007 hervorgerufenen
Folgen die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf Dauer nicht um wenigstens 10 v.H. minderten. Deshalb könne für diesen Versicherungsfall
auch keine Stützrente gezahlt werden. Plausibel beschreibe insbesondere Dr. H. in seinem Gutachten vom 14. März 2014 die durch
das Unfallgeschehen verbleibenden Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers. Der Sachverständige lege nachvollziehbar dar,
dass zwar noch von einer leichten Sensibilitätsstörung im Gesichtsbereich ausgegangen werden müsse, aber aufgrund einer lediglich
vorliegenden Teilschädigung eines der sechs sensiblen Gesichtsnerven keine um mindestens 10 v.H. einzuschätzende MdE verblieben
sei. Die Bewertung von Dr. H. stimme auch mit den Erfahrungswerten in der ärztlich-wissenschaftlichen Literatur überein. Zwar
könne nach den einschlägigen Erfahrungswerten eine MdE von bis 10 v.H. festgestellt werden, wenn eine einseitige, kosmetisch
wenig störende Gesichtsnervenlähmung vorliege oder 10 v.H. bei einer Gesichtsentstellung, die kosmetisch nur wenig störend
sei (Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 8. Aufl. 2009, Seite 252 f.). Zu Recht habe
bereits die Beklagte darauf hingewiesen, dass zum einen eine Gesichtsnervenlähmung nicht vorliege, sondern eben nur eine Teilschädigung
eines der sechs sensiblen Gesichtsnerven, mit der Folge von Hypästhesien (Berührungsempfindlichkeit), aber keiner Lähmung.
Zum anderen lägen auch keine Anhaltspunkte, insbesondere keine medizinischen, für eine Gesichtsentstellung vor.
Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 29. Juli 2016 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 16. August
2016 Berufung eingelegt. Nach den in der medizinischen Fachwelt anerkannten Erfahrungswerten sei im Streitfall eine MdE von
unter 10 v.H. als zu niedrig zu bewerten. Das Sozialgericht habe in unzulässiger Weise seiner MdE- Bewertung dem Sachverständigen
Dr. H. folgend, einen Eckwert aus dem sozialen Entschädigungsrecht zugrunde gelegt. Eine MdE-Bewertung dürfe nicht schemahaft
gleichsam einem mathematischen Formelwerk angewandt werden. Schon die Orbitaboden- und Kieferhölenwandfraktur, die er sich
zugezogen habe, falle unter den Eckwert "Brüche des Hirn- und Gesichtsbereichs", für die nach der einschlägigen Fachliteratur
(Hinweis auf Mehrhoff/Ekkenkamp/Wich, 13. Aufl. 2012, S. 150; Fritze/Mehrhoff, Die ärztliche Begutachtung, 8. Aufl. 2012,
S. 289; Bereiter-Hahn/Mehrtens Anhang 12 J 001) bereits ohne weitere Auswirkungen eine MdE von 10 v.H. vergeben werden könne.
Wegen der negativen Auswirkungen (erhebliche Sensibilitätsstörungen, einer deutlich tastbaren knöchernen Stufe infraorbital
rechts und Parästhesien im rechten Wangenbereich) sei eine MdE von 10 v.H. erst recht angemessen. Auch nach einer Entscheidung
des Landessozialgerichts Bayern (Urteil vom 7. April 2014 - L 2 U 324/13) seien für eine Schädigung des Nervus infraorbitalis die MdE-Bewertungen in der Literatur zu Gesichtsnervenlähmung analog
heranzuziehen. Die bei dem Kläger vorhandene Schädigung sei mit einer einseitigen, wenig störenden Lähmung des Gesichtsnervs,
die mit einer MdE von 10 v.H. bewertet werde, vergleichbar.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 21. Juli 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 29. September
2007 eine Stützrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wendet ein, dass sie den Bewertungsmaßstab des Sachverständigen Dr. H. für zutreffend halte. Soweit in der Fachliteratur
eine MdE von 10 v.H. angenommen werde, entsprächen die Beispiele nicht dem Schadensbild des Klägers. Bei diesem liege nur
eine Teilschädigung des Nervus infraorbitalis vor, die nur ein Teilgebiet des Gesichts betreffe und nicht zu einer Gesichtslähmung
oder Entstellung, sondern nur zu einer äußerst begrenzten oberflächlichen Empfindlichkeit geführt habe. Der Sachverständige
sei auch nicht von falschen Grundlagen ausgegangen, da die MdE-Empfehlungen für das soziale Entschädigungsrecht umfassender
und großzügiger bemessen seien als im Unfallversicherungsrecht, da nicht nur auf Beeinträchtigungen im Bereich des Arbeitslebens
abgestellt werde.
Der früher zuständige 3. Senat hat mit Beweisanordnung vom 10. März 2017 ein fachchirurgisches Gutachten des Chirurgen Dr.
K2 eingeholt. Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten vom 28. April 2017 zu dem Ergebnis, dass als Gesundheitsstörung
durch das Unfallereignis vom 29. September 2007 eine verheilte Orbitabodenfraktur rechts mit kleiner Stufenbildung und fortbestehender
Teilschädigung des Nervus infraorbitalis rechts verblieben sei. Eine Symmetrie des Gesichts bestehe, die Kontur über den Wangen
sei seitengleich symmetrisch ausgebildet. Die Fraktur des Augenhöhlenbodens sei (äußerlich nicht sichtbar) mit geringer Fehlstellung
knöchern verheilt. Bei dem Kläger liege eine Gesichtsnervenlähmung mit kosmetischem Effekt nicht vor, da die mimische Muskulatur
nicht eingeschränkt sei, keine Schluck- und Kaustörungen beständen und der Lidschluss nicht beeinträchtigt sei. Auch ein chronisches
Schmerzsyndrom könne bei dem Kläger nicht objektiviert werden, da weder eine schmerztherapeutische Dauerbehandlung stattgefunden
habe noch stärkere Schmerzmedikamente mit Dauerwirkung und zentraler Wirksamkeit eingesetzt oder abgefordert worden seien.
Die MdE werde mit kleiner 10 v.H. eingeschätzt.
Der Kläger hält eine neurologische Zusatzbegutachtung für erforderlich, denn nur ein fachmedizinischer Sachverständiger könne
klären, wie die wiederkehrenden Schmerzen, die sich wie ein "heißer Strom" anfühlten, einzuordnen seien und inwieweit sich
daraus für den Kläger Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergäben. Im Übrigen habe sich der Sachverständige nicht
mit dem auch in der Literatur benannten Erfahrungswert, wonach Brüche des Hirn- und Gesichtsschädels mit einer MdE von 10
v.H. bewertet werden können (Hinweis auf Mehrhoff/Ekkernkamp/Wich, 13. Aufl. 2012, S. 150 12.3) auseinandergesetzt.
Die Beklagte verweist demgegenüber darauf, dass der Sachverständige ausführlich und im Detail auch die neurologischen Aspekte
der Gesundheitsstörung herausgearbeitet habe. Ohne entsprechende medizinische Kenntnisse wäre ihm dies nicht möglich gewesen.
Die zitierte Literaturstelle belege die Behauptung des Klägers gerade nicht, da dort Brüche des Hirn- und Gesichtsschädels
mit MdE bis 10 v.H. bewertet werden könnten.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter
erklärt. Am 17. Januar 2018 hat eine mündliche Verhandlung vor dem Einzelrichter stattgefunden. In der mündlichen Verhandlung
hat der Kläger folgenden Beweisantrag gestellt:
Es wird beantragt, durch Einholung eines Gutachtens auf neurologischem Fachgebiet gemäß §
103 SGG über folgende Fragen Beweis zu erheben:
1. Welche Gesundheitsstörungen liegen beim Kläger auf neurologischem Fachgebiet vor?
2. In Falle der Feststellung einer Nervenschädigung:
a) Welcher Art ist die festgestellte Nervenschädigung?
b) Wo ist die Nervenschädigung lokalisiert?
c) Welches Ausmaß und welche Stärke hat die festgestellte Nervenschädigung?
3. Wie hoch ist die unfallbedingte MdE auf neurologischem Fachgebiet?
4. Ab wann lag diese MdE vor?
Auf die Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug genommen wie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat konnte, da die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben, gemäß §
155 Abs.
3 und
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter über die Berufung entscheiden.
2. Die form- und fristgerecht eingelegte statthafte Berufung ist gemäß §§
143,
151 SGG zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
4 SGG) zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in dessen Rechten. Der Kläger
hat aus dem Versicherungsfall vom 29. September 2007 keinen Anspruch auf eine Stützrente.
a) Ist bei Versicherten die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze
zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht gemäß §
56 Abs.
1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls
sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§
56 Abs.
1 Satz 3
SGB VII).
Die MdE richtet sich gemäß §
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten
Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit
des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen (BSG, Urteil vom v. 26. November 1987 - 2 RU 22/87, SozR 2200 § 581 Nr. 27). Maßgeblich ist aber nicht die konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten, sondern eine
abstrakte Berechnung (vgl. Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2017, § 56 Rz. 10.1). Die Gesundheitsbeeinträchtigung
muss in einem notwendigen ursächlichen Zusammenhang mit der schädigenden Einwirkung stehen. Die Beurteilung, ob und in welchem
Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie
auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Dabei ist allerdings die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen
Würdigung. Verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z.B.
Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung
war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache). Eine wesentliche Mitursache liegt dann
nicht vor, wenn beim Versicherten eine Anlage so stark und leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen
keiner besonderen, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende
ähnlich gelagerte Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte. Die für die Bejahung des Zusammenhangs der
Gesundheitsstörungen mit dem Arbeitsunfall notwendige Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn nach der medizinisch-wissenschaftlichen
Lehrmeinung zu Ätiologie und Pathogenese den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt.
Die Bemessung des Grades der MdE ist eine Tatsachenfeststellung, die das Gericht gemäß §
128 Abs.
1 S. 1
SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R, SozR 4-2700 § 56 Nr. 4).
b) Im Streitfall war der Arbeitsunfall am 29. September 2007 zwar ursächlich für die Gesundheitsstörung des Klägers, doch
rechtfertigt die dadurch eingetretene Funktionsbeeinträchtigung keine MdE von wenigstens von 10 v.H.
aa) Der Sachverständige Dr. K2 ist in seinem überzeugenden Gutachten vom 28. April 2017 zu dem Ergebnis gelangt, dass bei
dem Kläger als Gesundheitsstörung durch das Unfallereignis vom 29. September 2007 eine verheilte Orbitabodenfraktur rechts
mit kleiner Stufenbildung und fortbestehender Teilschädigung des Nervus infraorbitalis rechts verblieben ist. Das Gericht
schließt sich den schlüssigen und gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, dessen Untersuchungsbefunde sich
mit den Vorgutachten decken, an. Der Sachverständige schildert in seinem ausführlichen Gutachten, das das Beschwerdebild des
Klägers detailliert miteinbezieht, im Einzelnen, wie er zu dem Untersuchungsergebnis gelangt ist.
bb) Das Gericht schließt sich auch der plausiblen Einschätzung der MdE durch den Sachverständigen Dr. K2 an, der zu Recht
davon ausgeht, dass diese im Streitfall unter 10 v.H. liegt. Das Gutachten würdigt die verbliebenen Einschränkungen überzeugend
und erschöpfend. Der Sachverständige hat zu Recht darauf abgestellt, dass sich eine MdE im Streitfall sowohl wegen der Folgen
einer Gesichtsnervenlähmung als auch wegen einer verbliebenen erheblichen Entstellung des Gesichts ergeben könnte. In diesem
Zusammenhang hat er sich ausführlich mit den einzelnen Faktoren, die eine erhebliche Entstellung des Klägers bedingen können,
auseinandergesetzt. Da rein äußerlich keine Veränderung des Gesichts des Klägers zu erkennen ist und auch eine komplette Lähmung
des Nervus infraorbitalis nicht vorliegt, schließt ich das Gericht seiner Einschätzung an, dass die MdE unter 10 v.H. liegt.
cc) Die Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens ist nicht veranlasst. Für die Einschätzung der MdE ist einerseits
von Bedeutung, inwieweit eine durch die Schädigung des Nervus infraorbitalis hervorgerufene Entstellung Arbeit und Fortkommen
des Klägers erschweren. Die Sachverständigen Prof. Dr. H. und Dr. K2 haben sich hiermit im Einzelnen auseinandergesetzt und
damit zusammenhängende Fragen, wie Veränderung der Gesichtsform, Achsabweichungen und symmetrische Ausbildung der Wangenkontur
in die Überlegungen miteinbezogen. Bedacht wurde auch, ob bei dem Kläger typische Folgen einer Gesichtslähmung festgestellt
werden können, z.B. hängende Mundwinkel, Ess- und Schluckstörungen, Einschränkung des Stirnrunzelns und Lidschlusses oder
Sprachstörungen. All diese Symptome liegen bei dem Kläger nicht vor; seine mimische Muskulatur ist nicht eingeschränkt. Unter
diesen Umständen ist eine zusätzliche neurologische Untersuchung zu der Einordnung der von dem Kläger geschilderten Schmerzen,
die sich wie ein "heißer Strom" anfühlen, nicht angezeigt, da mögliche weitere Erkenntnisse auf diesem Gebiet für den Grad
einer möglichen Entstellung nicht maßgeblich sind. Aber auch mit dem weiteren Gesichtspunkt, der zu einer MdE führen könnte,
einer chronischen Schmerzstörung, hat sich der Sachverständige Dr. K2 eingehend auseinandergesetzt. Er hat in diesem Zusammenhang
auch den von dem Kläger geschilderten Schmerz (stechender Schmerz dreimal wöchentlich für 1 - 2 Sekunden) in sein Gutachten
miteinbezogen und bewertet. In Übereinstimmung mit der medizinischen Fachliteratur geht der Sachverständige davon aus, dass
Schmerz an sich noch keine Diagnose und auch kein Mittel zur Sicherung eines Körperschadens sei. Auch angesichts der offenkundig
fehlenden Notwendigkeit für den Kläger, den Schmerz in den vergangenen zehn Jahren gezielt zu behandeln, kann der Sachverständige
ein chronisches Schmerzsyndrom nicht feststellen. Entscheidend ist hier aber vor allem, dass der Schmerz für die Bewertung
nur insoweit von Bedeutung ist, als er sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall
und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 244). Dafür haben sich im Streitfall keine Hinweise ergeben. Angesichts der sicherlich
unangenehmen, aber hinsichtlich Häufigkeit und Dauer eher geringfügigen Schmerzauswirkung kann eine derartige Beeinträchtigung
nicht in Betracht kommen. Die Einholung eines neurologischen Gutachtens ist deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt nicht
angezeigt.
dd) Deshalb musste auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers nicht nachgegangen werden. Dabei
kann dahinstehen, ob es sich überhaupt um einen Beweisantrag oder nicht eher um einen sogenannten Beweisermittlungsantrag
handelt. Denn der Kläger gibt zwar das Beweisthema konkret an, umreißt aber nicht, was die Beweisaufnahme ergeben soll. Anhaltspunkte
dafür, dass eine weitere neurologische Begutachtung des Klägers neue Gesichtspunkte ergeben könnte, sind nicht ersichtlich.
Sowohl der Sachverständige Prof. Dr. H., wie auch der Sachverständige Dr. K2 haben die in dem Beweisantrag gestellten Fragen
in ihren Gutachten bereits behandelt. Beide haben sich insbesondere auch mit den neurologischen Folgen des Unfallereignisses
beschäftigt und sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger nur eine Teilschädigung des Nervus infraorbitalis
rechts vorliege. Gesichtspunkte, die in diesem Zusammenhang nicht berücksichtigt worden sein sollten, hat der Kläger nicht
benannt. Der Kläger hat auch den von ihm angenommenen weiteren Aufklärungsbedarf nicht in Auseinandersetzung mit den bereits
vorliegenden Gutachten näher erläutert und auf noch konkret erläuterungsbedürftige Punkte hingewiesen. Es fehlt auch an der
erforderlichen Darlegung der Voraussetzungen von §
118 Abs.
1 S. 1
SGG i.V.m. §
412 Abs.
1 ZPO. Danach erfordert eine neue Begutachtung, dass die bereits vorhandenen Gutachten "ungenügend" sind. Davon kann im Streitfall
keine Rede sein. Das umfassende und erschöpfende Gutachten des Sachverständigen Dr. K2 setzt sich auf S. 14 seines Gutachtens
gerade auch mit einer möglichen Nervenschädigung ausführlich auseinander. Detailliert werden dort die Funktionen des Nervus
supraorbitalis und des Nervus infraorbitalis beschrieben und herausgearbeitet, inwieweit beim Kläger eine Teilschädigung des
Nervus infraorbitalis vorliegt. Der Sachverständige hat die von dem Kläger geschilderten Beschwerden im Einzelnen in seine
Würdigung einbezogen und dargelegt, weshalb hier (vor allem wegen der verbliebenen Berührungsempfindlichkeit) nicht von einer
kompletten Lähmung des Gesichtsnervs ausgegangen werden kann. Das Gericht hat keinen Zweifel an der Sachkunde dieses Sachverständigen.
Als Chirurg gehören zu seinem Tätigkeitsgebiet auch Eingriffe am Gefäß- und Nervensystem (vgl. zu den Tätigkeitsgebieten eines
Facharztes für Allgemeinchirurgie die (Muster) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer 2003 in der Fassung vom 28. Juni 2013 Ziff. 7.1). Dessen Feststellungen decken sich auch mit den Befunden
des Sachverständigen Prof. Dr. H ... Als Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie - Plastische Operationen - ist
Prof. Dr. H. auch sachkundig für die Behandlung von Erkrankungen des peripheren Nervensystems (vgl. zu den Tätigkeitsgebieten
eines Facharztes für plastische Chirurgie die (Muster) Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer 2003 in der Fassung vom 28. Juni 2013 Ziff. 7.6). Die Voraussetzungen für eine erneute bzw. zusätzliche
Begutachtung liegen damit nicht vor.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
4. Gründe, gem. §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.