Aktiv-Legitimation des Kfz-Haftpflichtversicherers eines Versicherten zur Feststellung eines Arbeitsunfalls des Versicherten
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Kfz-Haftpflichtversicherung des Beigeladenen zu 2) die Feststellung, dass die Beigeladene zu 1) am
6. Juni 2009 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Die am … 1990 geborene Beigeladene zu 1) erlitt am 6. Juni 2009 als Insassin eines Kleinbusses einen schweren Verkehrsunfall.
Zum Zeitpunkt des Unfalls war sie als Werberin für die Firma H. GmbH (im Folgenden: H.) tätig und befand sich mit weiteren
Werbern auf der Fahrt zu ihrem ersten Einsatzort an dem Tag. Im Durchgangsarztbericht vom gleichen Tag wurden unter anderem
ein Gesichtsschädeltrauma mit Frakturen aller Orbitawände rechts, eine Jochbeinfraktur rechts, eine Kieferhöhlenfraktur an
der rechten Seite, ein Abdominaltrauma, eine Leberlazeration links, eine Milzparenchymläsion sowie eine Femurschaftfraktur
links diagnostiziert.
Die Firma H. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17. August 2009 mit, dass die Beigeladene zu 1) als freie Handelsvertreterin
und nicht als Arbeitnehmerin tätig gewesen sei. Es liege daher kein Arbeitsvertrag vor. Es erfolgten Mitteilungen der Beklagten
an die Beigeladene zu 4) und das Klinikum der Universität R., dass sie nicht zuständig sei. Ein rechtsmittelfähiger Bescheid
über das Vorliegen eines Arbeitsunfalles gegenüber der Beigeladenen zu 1) wurde zunächst nicht erlassen.
Die Beigeladene zu 4) trug die Behandlungskosten für die Beigeladene zu 1) und machte Ansprüche aus übergegangenem Recht nach
§ 116 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gegen den Schädiger geltend. Im zivilgerichtlichen Verfahren der Beigeladenen zu 4) gegen die Beigeladenen zu 2) und 3)
berief sich der Beigeladene zu 2) auf die Haftungsprivilegierung nach §
105 Abs.
1 des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII). Das Landgericht Ingolstadt setzte das Verfahren (Az: S 31 O 2011/12) daraufhin mit Beschluss vom 24. September 2013 bis zur Entscheidung der Beklagten aus, ob die Beigeladene zu 1) einen Arbeits-
oder Wegeunfall erlitten habe.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 2013 beantragte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Unfall der Beigeladenen zu 1) als
Arbeitsunfall anzuerkennen. Die Beigeladene zu 1) sei zum Unfallzeitpunkt für die Firma H. als Werberin tätig gewesen und
habe sich gemeinsam mit anderen auf einer Betriebsfahrt befunden. Die Klägerin habe sich gegenüber der Beigeladenen zu 4)
darauf berufen, dass der Fahrer des Kleinbusses haftungsprivilegiert im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gewesen
sei.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. Dezember 2014 die Erbringung von Leistungen gegenüber der Beigeladenen zu 1) ab.
Die Beigeladene zu 1) habe sich am 6. Juni 2009 bei ihrer selbstständigen Tätigkeit als freie Handelsvertreterin verletzt.
Die Möglichkeit, sich freiwillig bei der Beklagten zu versichern, habe sie nicht genutzt. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis
zu ihrem Auftraggeber habe nicht vorgelegen. Die Beigeladene zu 1) legte gegen den Bescheid keinen Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 15. Januar 2015 teilten die Bevollmächtigten der Klägerin mit, dass sie das Verfahren nicht mit Vollmacht
der Beigeladenen zu 1), sondern für die Klägerin als Krafthaftpflichtversicherer des Beigeladenen zu 2) eingeleitet hätten.
Gleichzeitig legten sie gegen den der Klägerin am 20. März 2015 bekannt gewordenen Bescheid vom 15. Dezember 2014 mit Schreiben
vom 27. März 2015 vorsorglich Widerspruch ein und beantragten gleichzeitig, das Verwaltungsverfahren zu wiederholen. Die Beklagte
erließ auch gegenüber der Klägerin am 7. März 2016 einen Ablehnungsbescheid. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom
7. April 2016 Widerspruch ein und führte aus, dass im Rahmen einer Statusfeststellung durch die DRV Bund festgestellt worden
sei, dass eine in gleicher Weise betroffene Mitinsassin des Kleinbusses, Frau S., die Tätigkeit als Werberin für die Firma
H. im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt habe. Bei der Beigeladenen zu 1) seien exakt dieselben
Voraussetzungen gegeben wie bei Frau S.. Sie sei damals Studentin gewesen und es habe sich um einen Ferienjob gehandelt. Sie
habe vorher schon einmal in den Ferien für mehrere Wochen für die Firma H. als Werberin gearbeitet. Es dürfte abwegig sein,
Studenten, die einen Ferienjob ausübten, als Handelsvertreter einzuschätzen. Das Sozialgericht Freiburg (Az: S 12 R 678/12) habe die gegen das Statusfeststellungsverfahren durch die Firma erhobene Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2013 abgewiesen.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2016 zurück. Sie führte aus, dass es
keinen Anlass zu einer Abänderung des Ablehnungsbescheides gegeben habe. Der Widerspruchsausschuss sei zu der Überzeugung
gelangt, dass am Unfalltag, dem 6. Juni 2009, kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe. Der Hinweis auf andere
noch anhängige Verfahren sei naheliegend, die konkrete Fallgestaltung sei jedoch in jedem Einzelfall verschieden. Die Beigeladene
zu 1) müsse nicht ebenfalls in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben, nur weil dies bei einer Mitinsassin so festgestellt
worden sei. Der Widerspruchsbescheid ist auch der Beigeladenen zu 1) bekannt gegeben worden.
Die Klägerin hat am 12. September 2016 Klage beim Sozialgericht Dresden erhoben, das mit Beschluss vom 28. November 2016 das
Verfahren an das Sozialgericht Hamburg verwiesen hat. Die Klägerin hat zur Klagebegründung vorgetragen, dass die Firma H.
über das Internet in Deutschland, Ö. und P. junge Personen angeworben habe, die in einem Team unter Leitung eines Teamleiters
u. a. kostenpflichtige Mitgliedschaften in gemeinnützigen Vereinen oder Zeitungsabonnenten vermitteln sollten. Das jeweilige
Team sei in von der Firma angemieteten Wohnungen untergebracht und dann unter Führung eines Teamleiters in benachbarten Orten
als Straßen- oder Haustürwerber eingesetzt worden. Die Beigeladene zu 1) sei Mitglied eines sechsköpfigen Teams (Beigeladene
zu 1) und 2), A.S., B.G., M.Z., J.S.) unter der Teamleitung von dem Beigeladenen zu 2) gewesen. Am Unfalltag hätten sie den
Auftrag gehabt, von der gemeinsamen Unterbringung in A. nach K. zu fahren, um hier eine Werbeaktion für den Naturschutzbund
B. durchzuführen. Die Beigeladene zu 1) sei abhängig tätig geworden, die Firma H. habe die Teams zusammengestellt und einen
Teamleiter eingesetzt, jeweils eine Wohnung angemietet und vorgegeben, wann, wo, für wen und wie das Team jeweils als Werber
tätig werden sollte. Sie habe ihnen teilweise sogar Kleidung zur Verfügung gestellt.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass ein Arbeitsunfall seitens der Beklagten bei keinem der Fahrzeuginsassen anerkannt
worden sei. Das von der Klägerin zur Klagebegründung angeführte Urteil des Sozialgerichts Freiburg, in welchem ein abhängiges
Beschäftigungsverhältnis der Fahrzeuginsassin Frau S. angenommen worden sei, sei mit Urteil des LSG Baden-Württemberg vom
20. Januar 2017 (Az: L 4 R 851/14) aufgehoben worden. Das LSG habe festgestellt, dass die Mitinsassin Frau S. bei der zum Unfallzeitpunkt ausgeübten Tätigkeit
nicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung versicherungspflichtig gewesen sei. Dies habe das LSG unter anderem damit begründet,
dass Frau S. nicht im wesentlichen Umfang weisungsgebunden und nicht in die Arbeitsorganisation der Firma H. eingegliedert
gewesen sei. Sie habe auch ein relevantes unternehmerisches Risiko getragen.
Die Klägerin hat erwidert, dass eine Bindungswirkung der Entscheidung des LSG Baden-Württembergs hinsichtlich der Frau S.
für das hiesige Klageverfahren nicht eintreten könne, da wesentlich andere Voraussetzungen für die Beigeladene zu 1) vorgelegen
hätten. So sei die Beigeladene zu 1) noch Schülerin bzw. Studentin gewesen und damit – während ihres Ferienjobs – über den
Arbeitgeber versichert. Die Beigeladenen zu 1) sei bei einem mündlichen Gespräch in einem Café von dem Beigeladenen zu 2)
nicht über ihre rechtliche Stellung, sondern nur über die tatsächlichen Verhältnisse und Abläufe bei der Arbeit als Werberin
im Team und über die Bezahlung informiert worden. Sie habe daraus nicht erkennen können, dass sie nunmehr als selbstständige
Handelsvertreterin tätig werden solle. Die Beigeladene zu 1) habe hinsichtlich der Gestaltung ihrer Erwerbstätigkeit keine
Handlungsfreiheit gehabt und habe auch keinen Handelsvertreter-Vertrag unterzeichnet. Der Beigeladene zu 2) habe als Teamleiter
eingeteilt, wer jeweils mit wem und in welchen Straßen oder Bezirken Haustürwerbung habe betreiben sollen. Die Materialien
und teilweise auch die zu tragende Kleidung seien von der Firma H. gestellt worden. Die Beigeladene zu 1) habe nicht selbst
aussuchen können, für welches Unternehmen und wo und zu welchen Zeiten sie als Haustürwerberin tätig werden wollte. Sie sei
fest in den Tag eingebunden gewesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. August 2018 abgewiesen. Die Klägerin sei analog §
109 SGB VII prozessbefugt und habe einen eigenen/originären Anspruch auf Feststellung eines Arbeitsunfalls. Die angefochtenen Bescheide
seien rechtmäßig. Die Beigeladene zu 1) habe keinen Arbeitsunfall erlitten. Es habe insbesondere kein Versicherungsschutz
nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII bestanden, da die Beigeladene zu 1) nicht bei der Firma H. versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Es überwögen die
für eine selbstständige Tätigkeit als Handelsvertreterin sprechenden Umstände, denjenigen, die für ein Beschäftigungsverhältnis
sprächen. Mit der Firma H. sei eine freie Bestimmung von Lage und Dauer des Arbeitseinsatzes sowie eine rein erfolgsorientierte
Vergütung vereinbart gewesen seien. Diese Vereinbarung sei nach Auffassung der Kammer für die Beigeladene zu 1) auch klar
erkennbar gewesen. Die Beigeladene zu 1) habe laut Protokoll der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Ingolstadt am 4. September
2014 selber ausgeführt, dass sie den Job schon vorher einmal für drei oder vier Wochen gemacht habe. Zudem habe sie ausgeführt,
dass es kein Fixum gegeben habe: „Das Gehalt hat sich danach bemessen, wie viele Mitglieder man geworben hat, wie viel diese
Mitglieder als Beitrag zu zahlen bereit waren und wie lange man schon Mitarbeiter war. Diesbezüglich gab es eine Tabelle,
in der man genau ablesen konnte, wieviel die nächste Einheit wert gewesen ist.“
Ein weiteres Indiz für die Selbstständigkeit von der Beigeladenen zu 1) ergebe sich daraus, dass sie nicht in die Betriebsordnung
der Firma eingegliedert und auch nicht weisungsgebunden gewesen sei. Die Ausführung der Tätigkeit habe im Wesentlichen frei
bestimmt werden können. Trotz der Bildung eines Teams seien die Werber bei Ausführung der Tätigkeit alleine gewesen. Darüber
hinaus sprächen ebenso die weiteren Merkmale der Tätigkeit für eine Selbstständigkeit, denn die Beigeladene zu 1) habe in
der Protokollniederschrift vom Landgericht Ingolstadt auch angegeben, dass nicht festgelegt gewesen sei, wie lange man habe
arbeiten müssen. Wenn sie hätte abreisen oder die Tätigkeit hätte abbrechen wollen, dann hätte sie Bescheid geben können.
Es habe zudem keine Kontrollen dahingehend gegeben, ob die Leute tatsächlich Mitglieder warben und nichts anderes machten.
Überdies spreche auch das relevante unternehmerische Risiko, das im Rahmen der Würdigung des Gesamtbildes zu beachten sei,
für eine selbstständige Tätigkeit. Die Beigeladene zu 1) habe eine erfolgsabhängige Vergütung erhalten. Das reine Tätigwerden
habe keinen Entgeltanspruch begründet und den Beteiligten sei auch kein erfolgsunabhängiges Mindesteinkommen garantiert worden.
Der Erfolg des Arbeitseinsatzes der Werber für die Firma H. sei durchaus ungewiss gewesen. Belastet seien diese zusätzlich
durch die von ihnen zu tragenden Fahrt- und Unterkunftskosten vor Ort gewesen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. September 2018 zugestellte Urteil am 4. Oktober 2018 Berufung eingelegt. Die Tätigkeit
der Beigeladenen zu 1) sei weisungsgebunden gewesen. Die Arbeitsmittel seien von der Firma H. gestellt worden. Sie habe keine
Entscheidungsfreiheit gehabt. Zwar habe sie aus besonderen Gründen, wie z. B. Krankheit mal einen Tag allein in der Ferienwohnung
zurückbleiben können. Im Übrigen sei sie aber voll in die Firma H. eingegliedert gewesen. Die Firma H. habe entschieden, wann
und wo und für welche Zeitschriften sie als Werberin habe tätig werden sollen und müssen. Unterkunft, Einsatzort sowie Hin-
und Rückfahrt seien betrieblich organisiert gewesen. Sie habe auch kein Unternehmerrisiko getragen. Allein der Umstand, dass
ihr Einkommen als Werberin erfolgsabhängig gewesen sei, mache die übernommene Haustürwerbung nicht zu einer selbstständigen
Tätigkeit. Die Beigeladene zu 1) habe auch nicht erkennen können, dass sie als selbstständige Handelsvertreterin tätig gewesen
sei. Im Internet wäre sie sehr schnell auf die Broschüre „Gesetzliche Unfallversicherung beim Ferienjob“ gestoßen. Sie und
ihre Eltern hätten in der Broschüre nicht erfahren, dass Ferienjobber ausnahmsweise auch selbstständig hätten tätig sein können.
Es habe sich daher um eine Scheinselbstständigkeit gehandelt, weil sie bewusst im Unklaren darüber gelassen worden sei, dass
es sich um eine selbstständige Tätigkeit handeln solle.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. August 2018 und den Bescheid vom 7. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 10. August 2016 aufzuheben und festzustellen, dass der Unfall der Beigeladenen zu 1) vom 6. Juni 2009 ein Arbeitsunfall
ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich auf ihre bisherigen Ausführungen.
Die Beigeladene zu 1) ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu ihrer Tätigkeit bei der Firma H. befragt worden. Hinsichtlich
ihrer Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. März 2021 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die beigezogene Verwaltungsakte und
die Sitzungsniederschrift vom 24. März 2021 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (§§
143,
144 des
Sozialgerichtsgesetzes <SGG>) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§
54 Abs.
1 i.V.m. §
55 Abs.
1 Nrn. 1 und 3
SGG) zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in
ihren Rechten.
Die Klägerin war nach §
109 Satz 1
SGB VII befugt, die Rechte der Beigeladenen zu 1) gegen die Beklagte im Wege der Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend zu machen.
Nach dieser Vorschrift können Personen, deren Haftung nach den §§
104 bis
107 SGB VII beschränkt ist und gegen die Versicherte, ihre Angehörigen oder ihre Hinterbliebenen Schadensersatzforderungen erheben, statt
der Berechtigten die Feststellungen nach §
108 SGB VII beantragen oder das entsprechende Verfahren nach dem
Sozialgerichtsgesetz betreiben. Sie sind mithin berechtigt, im eigenen Namen eine Rechtsposition feststellen zu lassen, die materiell-rechtlich
nicht ihnen selbst, sondern dem vermeintlichen Versicherten zusteht, und damit gleichzeitig verfahrensrechtlich befugt, eine
behördliche oder gerichtliche Entscheidung, die gegenüber dem potentiell Versicherten ergangen ist, an dessen Stelle anzugreifen
und überprüfen zu lassen (gesetzliche Verfahrens- und Prozessstandschaft, vgl. dazu BSG vom 29. November 2011, B 2 U 27/10 R – BSGE 109, 285). Die Sozialgerichte entscheiden insoweit prozessrechtlich bindend für die ordentlichen Gerichte und die Arbeitsgerichte
(§
108 SGB VII). Die Voraussetzungen der Prozessstandschaft liegen vor. Die verunfallte Beigeladene zu 1) war zum Unfallzeitpunkt möglicherweise
nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII kraft Gesetzes unfallversichert. Zwar hat die Beigeladene zu 1) die Klägerin nicht selbst in Anspruch genommen, aber in analoger
Anwendung sind auch die Fälle zu erfassen, in denen nicht die geschädigte Person selbst, sondern Dritte auf sie übergegangene
Ansprüche der geschädigten Person geltend machen, wie hier die Krankenkasse der Beigeladenen zu 1) hinsichtlich der auf sie
nach § 116 SGB X übergegangenen Ansprüche der geschädigten Person (vgl. Kranig, in: Hauck/Noftz,
SGB VII, Stand März 2020, §
109 SGB VII, Rn. 5a; vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. September 2008 – L 31 U 467/08, juris).
Die Klägerin ist als Kfz-Haftpflichtversicherer des in Anspruch genommenen Schädigers, dem Beigeladenen zu 2), ebenfalls analog
§
109 SGB VII berechtigt, die Rechte der Beigeladenen zu 1), die diese nicht weiter verfolgt, gegen den Unfallversicherungsträger im eigenen
Namen geltend zu machen und das Verfahren unter der Voraussetzung selbst zu betreiben (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27. März 2012 – B 2 U 5/11 R, juris). Dies folgt daraus, dass der Verletzte auch berechtigt ist, seine Schadensersatzansprüche aus einem im Straßenverkehr
erlittenen Unfall unmittelbar gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer geltend zu machen (BSG, Urteil vom 1. Juli 1997 – 2 RU 26/96, BSGE 80, 279). Das Versicherungsunternehmen und der möglicherweise ersatzpflichtige Schädiger (zugleich Versicherungsnehmer) haften als
Gesamtschuldner. Der Kfz-Haftpflichtversicherer ist aufgrund der gesamtschuldnerischen Haftung in gleicher Weise wie der (möglicherweise)
haftungsprivilegierte Schädiger berechtigt, gegen die Schadensersatzforderung die Haftungsfreistellung aus §§
104 bis
107 SGB VII einzuwenden (BSG, a.a.O.).
Der Beigeladene zu 2) als Schädiger und die Klägerin können sich auf die Haftungsprivilegierung des §
105 Abs.
1 SGB VII aber nur dann berufen, wenn der Beigeladene zu 2) den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeigeführt hat und es sich nicht
um einen Wegeunfall im Sinne des §
8 Abs.
2 Nr.
1 bis 4
SGB VII gehandelt hat. Die Beigeladene zu 1) müsste daher nicht nur möglicherweise als Beschäftigte gesetzlich unfallversichert gewesen
sein, sondern es müsste sich auch um einen Unfall auf einem Betriebsweg gehandelt haben und nicht um einen Wegeunfall. Ein
Betriebsweg unterscheidet sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und
nicht – wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von §
8 Abs.
2 Nr.
1 SGB VII – der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt (BSG, Urteil vom 9. November 2010 – B 2 U 14/10 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 39). Der vertraglich vereinbarte Ort der Tätigkeit ließ sich nicht mehr zweifelsfrei klären. Der Senat
lässt es aber im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Annahme einer Prozessstandschaft genügen, dass zumindest die
Möglichkeit besteht, es habe sich bei Annahme einer versicherten Beschäftigung um einen Unfall auf einem Betriebsweg und nicht
um einen Wegeunfall gehandelt.
Der gegenüber der Beigeladenen zu 1) bestandskräftig gewordene Ablehnungsbescheid hindert eine durch die Klägerin betriebene
Feststellung nicht (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2020 – B 2 U 19/18 R, juris). Nach §
109 Satz 2
SGB VII wirkt auch der Ablauf von Fristen, die ohne ihr Verschulden verstrichen sind, nicht gegen die Klägerin, da die Beigeladene
zu 1) das Verfahren nicht betrieben hat. Die Klägerin hat insoweit vorsorglich nachträglich Widerspruch eingelegt.
Die Beigeladene zu 1) ist nicht als Beschäftigte tätig geworden. Nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII sind kraft Gesetzes Beschäftigte versichert. Die Beigeladene zu 1) ist jedoch nicht abhängig beschäftigt gewesen. Beschäftigung
ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (st. Rspr. BSG, Urteil vom 14. März 2018 – B 12 R 3/17 R, BSGE 125, 177): Anhaltspunkte für eine Beschäftigung seien eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation
des Weisungsgebers. Eine Beschäftigung setze voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Bei einer
Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und dabei
einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege. Demgegenüber sei eine
selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die
Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild
der Arbeitsleistung und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen würden. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild
zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbstständigen Tätigkeit setze dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls
als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau
mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander
abgewogen würden.
Mangels zwingender gesetzlicher Rahmenvorgaben kann die Tätigkeit als Werberin von Mitgliedern für wohltätige Organisationen
und Abschluss von Zeitschriftenabonnements an der Haustür sowohl in der Form einer Beschäftigung als auch in der einer selbstständigen
Tätigkeit ausgeübt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt daher den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmer/Auftragnehmer und Arbeitgeber/Auftraggeber zwar keine
allein ausschlaggebende, aber doch eine gewichtige Rolle zu (BSG, a.a.O.). Zwar hätten es die Vertragsparteien nicht in der Hand, die kraft öffentlichen Rechts angeordnete Sozialversicherungspflicht
durch bloße übereinstimmende Willenserklärung auszuschließen. Dem Willen der Vertragsparteien, keine sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung begründen zu wollen, komme aber indizielle Bedeutung zu, wenn dieser Wille den festgestellten sonstigen tatsächlichen
Verhältnissen nicht offensichtlich widerspreche und er durch weitere Aspekte gestützt werde bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen
für Selbstständigkeit wie für eine abhängige Beschäftigung sprächen.
Die Beigeladene zu 1) und die Firma H. haben – unabhängig davon, dass ein schriftlicher Vertrag nicht ermittelt werden konnte,
kein Arbeits- sondern ein selbstständiges Dienstverhältnis vereinbart. Es oblag dabei nicht der Firma H. ausdrücklich darauf
hinzuweisen, dass es sich nicht um eine abhängige Beschäftigung gehandelt hat. Zudem war es bereits der zweite Einsatz der
voll geschäftsfähigen Beigeladenen zu 1) für die Firma H.. Ihr muss bekannt gewesen sein, dass es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis
gehandelt hat und weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge vom Verdienst abgeführt worden sind. Tatsächliche Umstände,
die bei einer Gesamtschau zwingend zu einer Beurteilung des Vertragsverhältnisses als abhängige Beschäftigung führen, liegen
nicht vor.
Die Beigeladene zu 1) unterlag keiner Verpflichtung hinsichtlich der Arbeitszeit. Sie konnte entscheiden, zu welchen Zeiten
sie Mitgliederwerbung betrieb und wurde auch nur erfolgsabhängig bezahlt. Diese Einschätzung wird dadurch nicht berührt, dass
das Team sich absprach und gleichzeitig auf Werbetour ging. Nach Angaben der Beigeladenen zu 1) habe man auch mal einen Tag
in der Unterkunft bleiben können, wenn es einem z. B. nicht gut gegangen wäre. Es habe kein Druck bestanden. Auch die Einsatzorte
waren nur grob vorgegeben. Die konkreten Einsätze wurden unter den Werbern selbst aufgeteilt. Die Beigeladene zu 1) hatte
daher auch die Möglichkeit, einzelne Häuser auszulassen oder Vertragsschlüsse mit bestimmten Personen abzulehnen. Die Notwendigkeit
der Aufteilung der Straßen unter den Werbern folgt bereits daraus, dass es sinnlos sein dürfte, bei den gleichen Personen
mehrmals am Tag für den Abschluss eines Haustürgeschäftes zu werben. Dies spricht daher nicht für eine abhängige Beschäftigung.
Die Bezahlung erfolgte rein erfolgsabhängig. Für etwaige Stornierungen der Haustürgeschäfte wurden Rücklagen einbehalten,
die erst nach zwei Jahren ausbezahlt wurden. Bestimmte Erfolgsquoten mussten nicht nachgewiesen werden. Ansprüche auf bezahlten
Erholungsurlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, wie sie für ein Arbeitsverhältnis typisch sind, standen der Beigeladenen
zu 1) nicht zu. Nach den Angaben der Beigeladenen zu 1) wäre eine Beendigung der Tätigkeit jederzeit ohne Einhaltung von Kündigungsfristen
möglich gewesen.
Konkrete tätigkeitsbezogene Weisungen lagen ebenfalls nicht vor. Es wurden Materialien und Kleidung der wohltätigen Organisationen,
für die geworben wurde, zur Verfügung gestellt. Die Beigeladene zu 1) hat hierzu ausgeführt, dass keine Pflicht bestanden
habe, diese auch zu tragen, aber es sei gern gesehen gewesen. Die Klägerin trägt vor, dass die Firma H. nicht nur die Einsatzorte
bestimmt habe, sondern auch genau vorgegeben habe, für welche wohltätige Organisationen an welchem Tag gesammelt werden sollte.
Auch dies spricht nicht für eine abhängige Beschäftigung. Denn auch im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit dürfte der Auftraggeber
Vorgaben machen, welche Mitgliederwerbung von ihm vergütet wird und welche nicht. Insoweit hängt er selbst von seinem jeweiligen
Kundenstamm ab. Zudem hat die Beigeladene zu 1) von einem Kommunikationstraining berichtet, das von erfahrenen Werbern durchgeführt
worden sei. Aber es sei nicht verpflichtend gewesen, sich an bestimmte Sätze zu halten, sondern es habe sich um eine bloße
Hilfestellung gehandelt. Eine Vergütung gab es für die Teilnahme nicht, da rein erfolgsabhängig bezahlt wurde. Es war für
die Beigeladene zu 1) auch nicht verpflichtend, in der gemeinsamen Unterkunft zu wohnen. Die Ferienwohnungen wurden jeweils
gemeinsam ausgesucht und die Kosten hierfür geteilt.
Dass die Beigeladene zu 1) über keine eigene Betriebsstätte verfügte, ist angesichts der Art ihrer Tätigkeit offensichtlich
und nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Die Beigeladene zu 1) hatte auch ein eigenes unternehmerisches Risiko zu tragen.
Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen (BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – B 12 KR 17/11 R, juris) ist maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr
des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings
sei ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten
in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstünden (BSG, a.a.O.). Die Beigeladene zu 1) hat als Werberin im Wesentlichen ihre Arbeitskraft eingesetzt und dieses mit einem Verlustrisiko
getan. Die Annahme eines gewissen Unternehmerrisikos ist gerechtfertigt, wenn im Zusammenhang mit der Verwertung der Arbeitskraft
bei der Durchführung der "Einsatzaufträge" das Risiko des Ausfalls des Verdienstes zu tragen ist (BSG, a.a.O.). Die Beigeladene zu 1) ist nicht für den Versuch der Mitgliederwerbung bezahlt worden bzw. ihrem Zeitaufwand, sondern
nur für erfolgreiche Vertragsabschlüsse. Der Belastung mit dem Ausfallrisiko stand auf der anderen Seite bei der Gestaltung
und der Bestimmung des Umfangs des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft und der Zeit des Arbeitseinsatzes eine größere Freiheit
gegenüber.
Nach einer Gesamtabwägung ist von einer selbstständigen Tätigkeit der Beigeladenen zu 1) auszugehen. Dies entspricht dem Willen
der Vertragsparteien und wurde auch tatsächlich so gelebt. Ausschlaggebend ist, dass die Beigeladene zu 1) hinsichtlich Arbeitszeit,
Arbeitsort und Art der Ausführung keinem direkten Direktionsrecht der Firma H. unterlag. Zudem hatte sie ein für eine selbstständige
Tätigkeit typisches Unternehmerrisiko zu tragen. Zwingende Gesichtspunkte, die eine andere Einschätzung rechtfertigten, liegen
nicht vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a SGG i. V. m. §
154 Abs.
2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Klägerin und Beklagte sind nach §
183 SGG nicht kostenprivilegiert. Die Beigeladene zu 1) verfolgt keinen eigenen Anspruch auf Feststellung eines selbst erlittenen
Arbeitsunfalls. Allein die Verfolgung eines fremden Anspruchs der Klägerin nach §
109 SGB VII genügt nicht, um die Kostenprivilegierung des §
183 SGG auszulösen, denn die verfahrensrechtliche Position im Sinne des §
109 SGB VII beruht nicht auf ihrer eigenen Eigenschaft als Versicherte. Der Haftpflichtversicherer ist daher auch als Prozessstandschafter
nicht kostenprivilegiert (vgl. BSG, Beschluss vom 30. August 2016 – B 2 U 40/16 B, SozR 4-1500 § 183 Nr. 12). Die Kosten der Beigeladenen, die keine Anträge im Berufungsverfahren gestellt haben, waren der
Klägerin nach §
197a SGG i.V.m. §
162 Abs.
3 VwGO nicht aufzuerlegen, da dies nicht der Billigkeit entspricht.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.