Zugunstenverfahren für die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung
Tatbestand:
Der Kläger begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) sowie der gesundheitlichen
Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B". Bei dem am xxxxx 1947 geborenen Kläger, der an einem diabetischen Fußsyndrom
litt, wurde am 8. Oktober 2015 eine Vorfußamputation durchgeführt. Die Beklagte stellte im Rahmen eines Erstfeststellungsverfahrens
wegen des Teilverlusts des rechten Fußes und Nervenstörung beider Beine (Einzel-GdB: 40) sowie einer Sehbehinderung (Einzel-GdB:
10) einen Gesamt-GdB von 40 fest. Die vom Kläger beantragte Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen
"G" und "B" wurde abgelehnt (Bescheid vom 17. Dezember 2015; Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2016). Die Beklagte hatte gutachtliche
Stellungnahmen ihres ärztlichen Dienstes (Allgemeinärzte R. und Dr. L.) eingeholt. Medizinische Unterlagen unter anderem des
Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses und Befundberichte der Allgemeinärztin Dr. N., des Orthopäden S. und der Fachärztin
für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. K. hatten ihr vorgelegen. Der Kläger beantragte am 4. Juli 2016 Neufeststellung
bei der Beklagten und wollte dies ausdrücklich als Überprüfungsantrag verstanden wissen. Der ärztliche Dienst der Beklagten
(Chirurg K1) sah nach Auswertung der vom Kläger vorgelegten Unterlagen keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung. Auf
dieser Grundlage lehnte die Beklagte eine Korrektur ihres Bescheids vom 17. Dezember 2015 ab (Bescheid vom 22. September 2016,
Widerspruchsbescheid vom 4. November 2016). Der Kläger, der dagegen zunächst einen "weiteren Widerspruch" einlegen wollte,
reichte am 22. November 2016 seine Korrespondenz mit der Beklagten beim Sozialgericht Hamburg ein, das den Vorgang vorsorglich
als Klage gewertet hat. Das Sozialgericht hat die Akte der Beklagten beigezogen und die Klage nach Anhörung der Beteiligten
(gerichtliches Schreiben vom 17. März 2017) mit Gerichtsbescheid vom 2. Oktober 2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
der Kläger werde durch den Bescheid vom 22. September 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2016 nicht
beschwert, denn er könne eine Korrektur des Bescheids vom 17. Dezember 2015 nicht beanspruchen. Als einzige Anspruchsgrundlage
hat das Sozialgericht § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht gezogen und ausgeführt, die Voraussetzungen würden nicht vorliegen, denn die Beklagte habe die Beeinträchtigungen
des Klägers im vorausgegangenen Feststellungsbescheid mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet. Die Vorfußamputation nach
Lisfranc sei gemäß Nr. 18.14 Teil B AnlVersMedV mit einem Einzel-GdB von 30 zutreffend erfasst worden, denn den vorliegenden
Unterlagen sei kein Hinweis auf eine Fußfehlstellung zu entnehmen. Die diabetische Neuropathie sei gemäß Nr. 13.11 Teil B
AnlVersMedV mit einem Einzel-GdB von 30 schon großzügig bewertet worden, der Kläger habe eine Sensibilität bis in die Zehenglieder
angegeben und Funktionsbeeinträchtigungen seien nicht nachgewiesen. Die Beklagte habe die Beeinträchtigungen durch die Vorfußamputation
und die Polyneuropathie zu einem GdB von 40 für die unteren Extremitäten zusammenfassen können, denn beide Gesundheitsstörungen
würden sich auf die Gehfähigkeit auswirken und die Funktionsbeeinträchtigungen sich zumindest teilweise überschneiden. Auch
die Sehbehinderung, die das Sehvermögen des Klägers beidseits auf 0,5 mindere, sei gemäß Nr. 4.3 Teil B AnlVersMedV mit einem
Einzel-GdB von 10 zutreffend bewertet worden. Die Diabeteserkrankung des Klägers bedinge gemäß Nr. 15.1 Teil B AnlVersMedV
keinen eigenständigen GdB, weil sie mit Metformin behandelt werde, das regelhaft keine Hypoglykämien auslösen könne. Schließlich
entspreche die Bildung des Gesamt-GdB den Grundsätzen in Nr. 3 Teil A AnlVersMedV. Insbesondere wirke sich die Sehbehinderung
gemäß Nr. 3 Buchs. d Doppelbuchst. ee Teil A AnlVersMedV nicht weiter erhöhend aus. Da dem Kläger demnach die Schwerbehinderteneigenschaft
fehle, würden die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen schon deswegen nicht vorliegen, Der Gerichtsbescheid
ist dem Kläger am 14. Oktober 2017 zugestellt worden. Mit seiner am 20. Oktober 2017 dagegen eingelegten Berufung verfolgt
er sein Begehr weiter. Er beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Oktober 2017 sowie
den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2016 aufzuheben
und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheids vom 17. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni
2016 zu verurteilen, bei ihm einen GdB von 100, hilfsweise einen höheren GdB als 40, sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen
der Merkzeichen "G" und "B" festzustellen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene
Urteil für zutreffend. Mit Beschluss vom 8. Januar ist die Berufung auf die Berichterstatterin übertragen worden. Mit Beschluss
vom 22. Januar 2018 hat der Senat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts
L.K. mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Mit Beschlüssen vom 8. Mai, 26. Juni und 9. Juli 2018 hat der Senat
die erneuten Prozesskostenhilfeanträge des Klägers als unzulässig abgelehnt. Die mündliche Verhandlung hat am 10. Juli 2018
stattgefunden, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf
den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
I. Die zulässige Berufung ist weder mit dem Haupt- noch dem Hilfsantrag begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. November 2016
ist rechtmäßig und beschwert den Kläger daher nicht im Sinne des §
54 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der Kläger kann nicht verlangen, dass die Beklagte unter Änderung ihres bestandskräftigen Bescheids vom 17. Dezember 2015
in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2016 einen GdB von 100 oder auch nur einen höheren GdB als 40 sowie
die gesundheitlichen Voraussetzungen der begehrten Merkzeichen feststellt. Allerdings könnte sich der geltend gemachte Rücknahme-
und Neufeststellungsanspruch allenfalls aus § 44 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren
und Sozialdatenschutz - (SGB X) ergeben. Die speziellere Regelung in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift erfasst nur Verwaltungsakte, die unmittelbare Regelungen
über Sozialleistungen oder Beiträge enthalten. Das trifft auf die Feststellung einer (Schwer-)Behinderung und des GdB nicht
zu (vgl. etwa Merten in: Hauck/Noftz,
SGB XI, Stand: 4/18, §
44 Rn. 81), ebenso wenig auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen von Merkzeichen. Daraus folgt indes keine
Änderung des Prüfungsmaßstabs. Eine Rücknahme nach § 44 Abs. 2 Satz 1 iVm Satz 2 SGB X setzt gleichermaßen einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraus. Der Bescheid vom 17. Dezember 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 16. Juni 2016 ist hingegen rechtmäßig. Wie das Sozialgericht zutreffend und mit zutreffender Begründung dargelegt hat,
sind die Auswirkungen, welche die Schäden an den unteren Extremitäten und die Sehbehinderung auf die Teilnahme des Klägers
am Leben in der Gesellschaft haben, mit einem Gesamt-GdB von 40 angemessen, aber auch ausreichend bemessen, und sind weitere
Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu berücksichtigen. Wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, liegen die
gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B" nicht vor. Mit dieser Richtigstellung bezüglich der in Betracht
zu ziehenden Anspruchsgrundlage folgt der Senat den in Übrigen überzeugenden Gründen des angefochtenen Urteils, auf die er
Bezug nimmt, und sieht gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe ab.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.
III. Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.