Anerkennung von Kniegelenksverformungen als weitere Folge eines Arbeitsunfalls
Gesundheitserstschaden
Beweismaßstab
Tatbestand:
I.
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Verformungen im rechten Kniegelenk als weitere Folge des Arbeitsunfalls
vom 7. Dezember 2009, bei dem der Kläger ausrutschte, hinfiel und sich eine Verletzung des rechten Knies mit Ergussbildung
zuzog.
Die Beklagte erkannte das Ereignis mit Bescheid vom 20. Mai 2011 als Arbeitsunfall und eine Zerrung mit Ergussbildung als
Unfallfolge an, lehnte es aber gleichzeitig ab, auch eine Verbiegung des Kniegelenks (so genannte Valgus-Gonarthrose) mit
Bewegungseinschränkung und eine verheilte Knieprellung vom 22. August 2005 als (weitere) Folgen anzuerkennen. Den hiergegen
erhobenen Widerspruch wies sie mit Bescheid vom 2. April 2012 zurück. Das Sozialgericht hat die fristgerecht erhobene Klage
durch Urteil vom 16. Januar 2014 abgewiesen. Da der Kläger die vom Durchgangsarzt Dr. W. vorgeschlagene Kernspintomographie
des rechten Kniegelenks nach dem Unfall nicht habe durchführen lassen, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Unfall
mehr als die vom Durchgangsarzt festgestellte deutliche intraartikuläre Ergussbildung bei stabilen Seiten- und Kreuzbändern
unter Ausschluss einer Fraktur verursacht habe. Für diese eher geringe Unfallfolge spreche auch, dass der Kläger bereits eine
Woche nach dem Unfall seine Arbeit wieder aufgenommen habe. Die bei der Arthroskopie am 30. Juni 2010 festgestellten massiven
(degenerativen) Veränderungen im Kniebinnenraum (hauptsächlich im Meniskusbereich) könnten daher nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
kausal auf den Unfall zurückgeführt werden. Gegen einen Unfallzusammenhang sprächen auch die bereits vor dem Unfall geklagten
Kniebeschwerden sowie die angeborene X-Bein-Fehlstellung. Darauf weise der Chirurg M. in seinem Gutachten zutreffend hin.
Dem Gutachten von Dr. P. könne demgegenüber nicht gefolgt werden, denn dieser schließe aus den ein halbes Jahr nach dem Unfall
festgestellten Veränderungen im Knie auf eine notwendige Unfallschädigung, ohne hierfür einen Anhalt zu haben.
Gegen die seinem Prozessbevollmächtigten am 11. Februar 2014 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 11. März 2014 Berufung
eingelegt und diese damit begründet, dass das Sozialgericht, wenn es dem Gutachten von Dr. P. nicht folgen wolle, zumindest
ein Obergutachten hätte einholen müssen. Mittlerweile sei das Knie praktisch steif, er könne sich nur noch humpelnd fortbewegen,
müsse das Bein auf der Treppe nachziehen und könne auf dem Bein nicht stehen.
Der Kläger beantragt ausweislich seiner Schriftsätze sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 2014
aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2012 abzuändern
und die Beklagte zu verurteilen, unter (weiterer) Abänderung des Bescheides vom 20. Mai 2011 auch die Verformungen im rechten
Kniegelenk als Folge des Arbeitsunfalls vom 7. Dezember 2009 anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Prozessakte sowie
die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Sie sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
II.
Das Gericht kann gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher gehört worden.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§
143,
144,
151 SGG) ist nicht begründet.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zwar ist der vom Kläger schriftsätzlich
gestellte Antrag auf Anerkennung der Verformungen im rechten Kniegelenk als weitere Unfallfolge sachgerecht gewesen und seine
in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vorgenommene Erweiterung auf die Gewährung von nicht näher spezifizierten
Entschädigungsleistungen wegen seiner Unbestimmheit nicht sachdienlich, aber das Berufungsgericht ist nicht an den Wortlaut
des Antrages gebunden. Die Klagabweisung beruht darauf, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfall und den Verformungen
im rechten Kniegelenk nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit hergestellt werden kann und verneint aus diesem Grunde einen
Anspruch auf Entschädigungsleistungen, so dass sich die Interpretation des Klagbegehrens durch das Sozialgericht nicht auf
seine Entscheidung auswirkt.
Auf den Rechtsstreit finden die Vorschriften des Sozialgesetzbuchs, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) Anwendung, weil ein Versicherungsfall nach dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, §
212 SGB VII).
Nach §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Für einen Arbeitsunfall
ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper
einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden
oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen
aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für das Vorliegen eines
Arbeitsunfalls (vgl. Bundessozialgericht (BSG) v. 9.5.2006, B 2 U 1/05 R, BSGE 96, 196). Damit gehört die Körperschädigung zur Definition des Unfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung. Dem entspricht seit
jeher die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Inhalt des Versicherungsfalls "Arbeitsunfall". Die Körperschädigung
ist im Vollbeweis festzustellen. Der (durch die Einwirkung von außen verursachte) Gesundheitsschaden im Sinne des §
8 Abs.
1 SGB VII, d.h. die Verletzung der körperlichen (seelischen oder geistigen) Integrität, wird nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung
und Literatur entsprechend der im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Definition bestimmt als regelwidriger
körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand. Das Bundessozialgericht verwendet in seiner jüngeren Rechtsprechung in Abgrenzung
von den erst für die Gewährung von Leistungen maßgeblichen Unfallfolgen nur noch den Begriff des Gesundheitserstschadens oder
Primärschadens, weil die über den Erstschaden hinausgehenden, weiteren Unfallfolgen nicht Voraussetzung für die Anerkennung
eines Arbeitsunfalls, sondern lediglich für die Gewährung einer Verletztenrente sind. Dies entspricht auch der Rechtsprechung
des Senats. Danach gehören diejenigen Schäden, die sich aus dem Erstschaden erst nach dem Unfall entwickeln, nicht mehr zu
den tatbestandlichen Voraussetzungen des Unfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung, können aber gleichwohl als mittelbare
Unfallfolgen bzw. Folgeschäden zu einem Entschädigungsanspruch führen (vgl. Wagner in jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, §
8 Rn. 151 f.).
Es kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass die Verformungen im rechten Kniegelenk, welche nach Abheilung des Ergusses
jetzt einzig und allein die weiteren Beschwerden verursachen, bei dem Arbeitsunfall entstanden sind. Mangels Durchführung
der empfohlenen Kernspintomographie des rechten Kniegelenks zeitnah zum Unfall steht nur fest, dass der Unfall die vom Durchgangsarzt
diagnostizierte deutliche intraartikuläre Ergussbildung bei stabilen Seiten- und Kreuzbändern unter Ausschluss einer Fraktur
verursacht hat.
Es lässt sich eben so wenig feststellen, dass die Verformungen im rechten Kniegelenk mittelbare Unfallfolge sind, sich also
aus dem Primärschaden entwickelt haben, dieser Primärschaden mithin kausal für weitere gesundheitliche Folgen ist.
Nach der das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung beherrschenden Lehre von der wesentlichen Bedingung, die bereits vom
Reichsversicherungsamt entwickelt wurde und die das Bundessozialgericht für seine Rechtsprechung übernommen und in seinen
Entscheidungen als Theorie der wesentlich mitwirkenden bzw. rechtlich erheblichen Ursache bezeichnet hat (vgl. u.a. BSG v. 14.10.1955, 2 RU 16/54, BSGE 1, 254; BSG v. 31.8.1956, 2 RU 129/54, BSGE 3, 240; BSG v. 30.6.1960, 2 RU 86/56, BSGE 12, 242 = SozR Nr. 27 zu § 542
RVO), sind ursächlich (im Rechtssinne) nur diejenigen Bedingungen (im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne), die unter
Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt
haben. Dabei sind die tatsächlichen Grundlagen der Ursachenzusammenhänge im Vollbeweis zu sichern. Das bedeutet, die Umstände
des Falles müssen nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung
geeignet sein, insoweit die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Hierfür bedarf es zwar nicht einer absoluten Gewissheit,
aber doch immerhin eines der Gewissheit nahekommenden Grades der Wahrscheinlichkeit. Zur Feststellung des kausalen Zusammenhangs
reicht indessen nach allgemeiner Auffassung die hinreichende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. schon BSG v. 2.2.1978, 8 RU 66/77, SozR 2200 § 548 Nr. 38 = BSGE 45, 285; BSG v. 30.4.1985, 2 RU 24/84, SozR 2200 § 548 Nr. 70 = BSGE 58, 76; BSG v. 30.4.1985, 2 RU 43/84, SozR 2200 § 555a Nr. 1 = BSGE 58, 80; BSG v. 20.1.1987, 2 RU 27/86, SozR 2200 § 548 Nr. 84 = BSGE 61, 127): Während die einzelnen Glieder der Kausalkette (versicherte Tätigkeit, schädigende Einwirkung und Gesundheitsschaden) mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen müssen, ohne dass eine völlige Gewissheit zu fordern ist, genügt für
den Ursachenzusammenhang eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. es müssen mehr Gesichtspunkte dafür als dagegen sprechen.
Die bloße Möglichkeit genügt allerdings nicht (vgl. BSG v. 9.5.2006, B 2 U 1/05, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 = BSGE 96, 196 m. zahlr. Nachw. aus der Rechtsprechung des BSG).
Beide Gutachter sind sich einig, dass eine Knieverletzung, die lediglich einen Erguss hervorgerufen hat, mithin eine leichte
Verletzung, nicht in der Lage ist, die später beim Kläger festgestellten Verformungen im rechten Kniegelenk hervorzurufen.
Demgegenüber lassen sich die Veränderungen des rechten Knies durch degenerative Prozesse zwanglos erklären. Dafür, dass solche
vorgelegen haben, sprechen die Beschwerden im Knie, die der Kläger bereits vor dem Unfall hatte, sowie die angeborene X-Bein-Stellung,
welche eine besondere Belastungssituation im Kniebereich bedingt. Soweit Dr. P. in seinem Gutachten eine unfallbedingte Verursachung
für möglich hält, kann dies dahinstehen, denn er führt aus, dass solche Verformungen im Kniegelenk, wie sie beim Kläger vorliegen,
nur durch eine schwere Schädigung des Knies hervorgerufen werden können, eine schwere Distorsion des Knies - wie oben dargelegt
- jedoch nicht erwiesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen diesen Beschluss nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen der §§ 153 Abs. 4 Satz 3, 158
Satz 3 i. V. m. §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG nicht vorliegen.