Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendiger Ernährung
Kuhmilchallergie
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger ein Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendigerer Ernährung zusteht.
Der Kläger ist am 13. Dezember 1945 geboren. Er bezieht Altersrente und ergänzend von der Beklagten Grundsicherung nach dem
Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Der Kläger ist multimorbide. In ärztlichen Äußerungen ist insbesondere auch von Psoriasis, Allergien, abdominellen Beschwerden
und Dysphagie die Rede.
Im Juli 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen Mehrbedarfszuschlag, nachdem das Institut b. aufgrund eines sogenannten
IgG4-Tests verschiedene Nahrungsmittelunverträglichkeiten festgestellt hatte. Nach dem Testbericht vom 10. Mai 2012 wird dem
Kläger empfohlen, bestimmte Lebensmittel nur alle drei oder vier Tage zu essen, Banane, Kuhmilch, Paprikaschoten, Schafsmilch,
Spinat, Stutenmilch, Tomaten und Ziegenmilch für zwei Monate zu meiden sowie Sellerie mindestens drei Monate lang zu meiden.
Am 27. Juli 2012 bescheinigte die Hausärztin des Klägers unter Hinweis auf die Testung von b. multiple Nahrungsmittelallergien
bei Psoriasis vulgaris und eine Verstärkung der Psoriasis bei Aufnahme dieser Nahrungsmittel; es sei eine aufwendigere Kost
bei nur geringerer Lebensmittelauswahl erforderlich.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendigere Ernährung
ab: Nach Stellungnahme des Gesundheitsamtes bestehe kein Mehrbedarf. Es werde eine nach Verträglichkeit abgewandelte Normalkost
(Weglassen bestimmter Nahrungsmittel) empfohlen. Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf sei nur bei schweren Verläufen als Einzelfallentscheidung
zu bewilligen. Diese Voraussetzungen seien beim Kläger nicht gegeben.
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, er dürfe Milch und Milchprodukte nicht verzehren. Ersatzlebensmittel seien
wesentlich teurer.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Der Kläger habe keinen
Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Er bedürfe aufgrund seiner Lebensmittelallergien lediglich einer abgewandelten Form der Normalkost. Ausreichend sei das
Weglassen bestimmter Lebensmittel, wobei die Firma b. lediglich von einem zeitlich begrenzten Weglassen bestimmter Lebensmittel
ausgehe.
Der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger am 29. Januar 2013 zugestellt worden. Am 13. Februar 2013 hat er vor dem Sozialgericht
Hamburg Klage erhoben.
Der Kläger hat geltend gemacht, er müsse Milchprodukte meiden. Dies sei wegen bestehender Osteoporose ein Problem.
Das Sozialgericht hat zum Gesundheitszustand des Klägers diverse Befundberichte eingeholt. In dem Bericht von Dr. K. vom 17.
Juni 2013 heißt es, der Kläger habe passager eine abdominelle Beschwerdesymptomatik mit Blähbauch, Unwohlsein und Meteorismus
berichtet. Er bemerke eine Verschlechterung nach Einnahme von bestimmten Lebensmitteln und vermute Lebensmittelunverträglichkeiten
und Arzneimittelinteraktionen. In diesen Phasen habe er unter einer Verschlechterung der Hauterscheinungen und seiner Gelenkbeschwerden
gelitten. In dem beigefügten Bericht des Facharztes für Orthopädie Dr. D. vom 31. Januar 2012 ist unter anderem als Diagnose
"Dermatitis durch aufgenommene Nahrungsmittel, alle Milchprodukte, Nüsse" genannt.
Das Sozialgericht hat außerdem Beweis erhoben durch Einholung eines ökotrophologischen Gutachtens durch Prof. Dr. B. vom 7.
April 2014. Diese hat insbesondere die Diagnosen Psoriasis, Allergien, abdominelle Beschwerden und Dysphagie in Betracht gezogen
sowie auf eine möglicherweise bestehende Laktoseintoleranz hingewiesen. Aufgrund der danach dem Kläger zu empfehlenden Diät
ergäben sich keine Mehrkosten. Auf das Gutachten (Blatt 158-165 der Prozessakten) wird Bezug genommen.
Mit Urteil vom 18. November 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Es lasse sich beim Kläger ein Mehrbedarf nach
§ 30 Abs. 5 SGB XII nicht begründen. Die Sachverständige habe die vom Gericht eingeholten ärztlichen Berichte ausgewertet und die danach aus
ernährungswissenschaftlicher Sicht relevanten Diagnosen, das seien die Schuppenflechte, Allergien, abdominelle Beschwerden
und Dysphagie einer Bewertung unterzogen, ob diese ein Abweichen von einer normalen Vollkosternährung nach den Empfehlungen
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung begründeten. In ihrem Gutachten habe die Sachverständige überzeugend und nachvollziehbar
ausgeführt, dass die attestierten Erkrankungen einer leichten Vollkosternährung bedürften und dass eine solche keine besonderen
Mehrkosten verursache; auch aus Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe
lasse sich ein kostenaufwendigerer Mehrbedarf nicht ableiten.
Das Urteil ist dem Kläger am 5. Dezember 2014 zugestellt worden. Am 5. Januar 2015 hat er Berufung eingelegt.
Der Kläger macht schriftlich geltend, es sei bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass er höhere Kosten deswegen
habe, weil er bestimmte Lebensmittel, insbesondere Milchprodukte, durch wesentlich teurere Lebensmittel ersetzen müsse. In
der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend ausgeführt, dass er an einer Allergie gegen Kuhmilcheiweiß leide.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom
19. Oktober 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2013 zu verpflichten, ihm einen Mehrbedarf für kostenaufwendige
Ernährung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.
Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer Einzelheiten
des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nach den Vorschriften des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthaft. Dem steht §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG nicht entgegen. Es dürfte, da die Beklagte die Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlags uneingeschränkt abgelehnt hat und bestimmte
Bewilligungszeiträume im Sozialhilferecht nicht in Rede stehen, um wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr gehen (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Auch sonst ist die Berufung form- und fristgerecht eingelegt.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Ein Anspruch des Kläger auf Mehrbedarfszuschlag zur Grundsicherung nach § 30 Abs. 5 SGB XII ist nicht gegeben. Zu Recht hat das Sozialgericht daher die Klage abgewiesen. Darauf wird Bezug genommen. In der ersten Instanz
sind die medizinischen Sachverhalte, soweit sie vom Kläger vorgebracht und sonst ermittelt werden konnten, umfassend ausgewertet
und gewürdigt worden. Ein Mehrbedarf für eine Krankenkost hat sich daraus nicht ergeben.
Zudem ist festzuhalten, dass beim Kläger eine Laktoseintoleranz, wie sie zunächst in Betracht gezogen worden ist, nach seinen
Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landdessozialgericht gar nicht besteht, so dass sich die Frage eines daraus
resultierenden Mehrbedarfs in seinem Falle nicht stellt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14.2.2013, B 14 AS 48/12 R). Allerdings könnte eine Kuhmilchallergie, wie der Kläger sie nunmehr behauptet, zu ähnlichen Einschränkungen bei der Ernährung
führen wie eine Laktoseintoleranz, die freilich nach neueren Erkenntnissen zu ernährungsbedingten Mehrkosten gar nicht führt.
Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Krankheitsbild einen Mehrbedarf auslöst, kann zunächst auf die "Empfehlungen des Deutschen
Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" zurückgegriffen
werden (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 57). Auch wenn das Bundessozialgericht z.B. in seinen Entscheidungen vom 22. November 2011
(B 4 AS 138/10 R) und vom 14. Februar 2013 (B 14 AS 48/12 R) betont, dass es sich bei den Empfehlungen nicht um ein sog. antizipiertes Sachverständigengutachten handele, ist allerdings
nicht zweifelhaft, dass die Empfehlungen zumindest eine wichtige Orientierungshilfe darstellen (so bereits BVerfG, Beschl.
v. 20.06.2006 - 1 BvR 2673/05; BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R; BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R). Im Dezember 2014 hat der Deutsche Verein seine Empfehlungen zu den Krankenkostzulagen überarbeitet und erstmals auch
Aussagen zu Mehrbedarfen bei Laktose- und Fruktoseintoleranzen getroffen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass im Regelfall
die Ernährung bei Bestehen dieser Unverträglichkeiten nicht kostenaufwendiger sei (Empfehlungen, S. 8).
Einer näheren Untersuchung der Auswirkungen dieser Erkenntnisse auf den Fall des Klägers bedarf dies jedoch schon deswegen
nicht, weil es für die von ihm behauptete Kuhmilchallergie keinen direkten medizinischen Hinweis gibt, auch nicht in den von
ihm zum Beleg genannten Entlassungsberichten des Krankenhauses E ... Hier ist lediglich von einem Verdacht auf Nahrungsmittelunverträglichkeit
gegenüber Mais, Rind, Fisch, Avocado, Banane, Paprika, Sellerie, Spinat, Tomate, Sojabohne und Mandel die Rede (Entlassungsberichte
des Krankenhauses E. vom 23.9.2014 und vom 10.12.2014), und eine Vorstellung beim niedergelassenen Dermatologen zur Durchführung
spezieller Allergie-Nahrungsmittelteste soll der Kläger, der deswegen beim Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg vorstellig geworden
war, abgelehnt haben (Bericht des Krankenhauses B. vom 9.2.2015). Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt,
sich in diesem Zusammenhang nicht mehr weiter untersuchen lassen zu wollen. Unter diesen Voraussetzungen sieht sich der Senat
nicht veranlasst, selbst weitere Ermittlungen anzustellen (vgl. BSG, Urt. v. 9.6.2011, B 8 SO 11/10 R, Rn. 24).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.