Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Umstritten ist dabei insbesondere, ob gemäß §
105 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen ist, weil die Klägerin den Tod ihres Ehemannes vorsätzlich herbeigeführt hat.
Die 1961 geborene Klägerin ist die Witwe des 1966 geborenen und 2006 verstorbenen Gastwirts C. (Versicherter). Der Tod des
Versicherten wurde im Rahmen eines sog. fehlgeschlagenen Doppelselbstmords seitens der Klägerin herbeigeführt. Wegen dieser
Tat wurde sie durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts ZX. (Az. xxxxx) vom 27. Oktober 2006 wegen einer im Zustand der
eingeschränkten Schuldfähigkeit im Sinne des §
21 Strafgesetzbuches (
StGB) begangenen Tötung auf Verlangen nach §
216 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
Der am 8. Dezember 2007 gestellte Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente wurde seitens der Beklagten durch Bescheid
vom 25. Januar 2007 und Widerspruchsbescheid vom 28. August 2007 mit der Begründung abgelehnt, dass der Vorschrift des §
105 SGB VI zufolge kein Anspruch auf Rente wegen Todes für Personen bestehe, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben. Da die genannte
Vorschrift maßgeblich auf das Vorliegen einer vorsätzlichen Tatbegehung abstelle, sei es unbeachtlich, inwieweit die Tat schuldhaft
bzw. im Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit begangen worden sei.
Die Klägerin erhob daraufhin am 28. September 2007 Klage bei dem Sozialgericht Kassel und machte geltend, dass der Tatbestand
der Tötung auf Verlangen nach §
216 StGB seitens der Rechtsordnung mit einem geringeren Unwerturteil belegt sei als die anderen Tötungsdelikte. Aufgrund dessen sei
es gerechtfertigt, den Tatbestand des §
216 StGB aus dem Anwendungsbereich des §
105 SGB VI herauszunehmen. Im Übrigen müsse auch berücksichtigt werden, dass die Tat "hart an der Grenze zur Schuldfähigkeit" im Zustand
der verminderten Schuldfähigkeit begangen worden sei. Die Beklagte wiederholte demgegenüber ihre bereits in den angefochtenen
Bescheiden vertretene Rechtsauffassung.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. März 2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin
keinen Anspruch auf (große) Witwenrente aus §
46 SGB VI habe, weil ein solcher Anspruch nach §
105 SGB VI ausgeschlossen sei für Personen, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben. Die Vorschrift des §
105 SGB VI beruhe zum einen auf dem in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Grundsatz der Solidarität der Versichertengemeinschaft.
Zum anderen solle wegen der Schwere und Verwerflichkeit der Tötungshandlung außerdem der Täter nicht berechtigt sein, aus
der Tat einen materiellen Vorteil zu ziehen (BSG vom 20. Februar 1986 - 4 a RJ 35/85). Für die Feststellung, ob eine Tat vorsätzlich
im Sinne des §
105 SGB VI begangen ist, sei auf die Grundsätze des Strafrechts abzustellen. Die Klägerin sei vom Landgericht ZX. wegen einer (vorsätzlichen)
Tötung auf Verlangen gemäß §
216 StGB verurteilt worden. Nach den Ausführungen des im Strafverfahren als Sachverständiger gehörten Arztes für Psychiatrie Dr. med.
SK. habe sich die Klägerin bei Tatbegehung in einem Zustand befunden, der ihre Steuerungsfähigkeit hochgradig einschränkte,
jedoch nicht aufhob. Damit seien die Voraussetzungen für den gemäß §
105 SGB VI gesetzlich angeordneten Anspruchsausschluss erfüllt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin könne §
105 SGB VI nach Wortlaut und Gesetzeszweck nicht dahingehend ausgelegt werden, dass das Delikt einer vorsätzlichen Tötung auf Verlangen
nach §
216 StGB vom Anwendungsbereich dieser Vorschrift nicht erfasst werde. Zwar seien gerechtfertigte, entschuldigte und im Zustand der
Schuldunfähigkeit begangene Taten vom Anwendungsbereich des §
105 SGB VI ausgenommen. Sofern bei Begehung der Tat wegen einer seelischen Störung eine Schuldunfähigkeit im Sinne des §
20 StGB vorliege, sei der Rentenanspruch nicht nach §
105 SGB VI ausgeschlossen, da es hier in der Regel wegen der dem Täter aus biologischen Gründen mangelnden Steuerungsfähigkeit bereits
an der vorsätzlichen Tatbestandsverwirklichung fehle. Etwas anderes gelte aber für den Fall, dass die Fähigkeit des Täters,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, nicht vollends ausgeschlossen, sondern lediglich erheblich
vermindert war. Eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des §
21 StGB führe - wie im Falle der Klägerin - lediglich zu einer Strafmilderung; der Rentenanspruch sei allerdings auch in diesem Falle
ausgeschlossen (BSG vom 26. November 1981 - 5b 5 RJ 138/80).
Zu der Vorgängervorschrift des § 1277 Abs. 1 Satz 2
Reichsversicherungsordnung (
RVO), die ebenso wie die aktuell geltende Vorschrift des §
105 SGB VI allein auf das Kriterium des Vorsatzes und nicht auf den Grad der Schuldfähigkeit abstellte, habe das Bundesverfassungsgericht
bereits in einer Entscheidung vom 17. Mai 1982 (Az.: 1 BvR 43/82) entschieden, dass diese Regelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Insbesondere liege kein Verstoß gegen das
Gleichbehandlungsgebot des Art.
3 Grundgesetz (
GG) oder gegen den Eigentumsschutz des Art.
14 GG vor.
Auch die Tatsache, dass eine Tötung auf Verlangen gemäß §
216 StGB einen geringeren Strafrahmen aufweise als die Tötungsdelikte des Mordes nach §
211 StGB und des Totschlags nach §
212 StGB, führe zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Der Gesetzgeber habe aus dem Anwendungsbereich des §
105 SGB VI lediglich die fahrlässigen Tötungen ausgenommen. Es sei davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber dabei durchaus bewusst gewesen
sei, dass es bei den Tötungsdelikten solche verschiedener Schweregrade gibt. Der Umstand, dass eine Körperverletzung mit Todesfolge
nach §
227 StGB trotz Herbeiführung des Todes nicht zum Rentenausschluss nach 105
SGB VI führe, liege nach Auffassung der Kammer darin begründet, dass sich der Vorsatz hier nicht auf die Todesfolge erstreckt. Bei
einer Tötung auf Verlangen beziehe sich der Vorsatz jedoch gerade auf den Tod. Der Gesetzgeber habe durch das Verbot in §
216 StGB eine eindeutige Wertentscheidung getroffen, die im Sozialversicherungsrecht nachzuvollziehen sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 23. März 2010 zugestellte Urteil des Sozialgerichts am 23. April 2010 Berufung eingelegt.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und macht nochmals geltend, dass eine im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit
begangene Tötung auf Verlangen bei sachgerechter Auslegung der gesetzlichen Regelung ebenso aus dem Anwendungsbereich des
§
105 SGB VI herauszunehmen sei wie eine fahrlässige Tötung.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. März 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. Januar
2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2007 zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 8. Januar 2007 eine
Witwenrente in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie sieht sich in ihrer Auffassung durch das erstinstanzliche Urteil bestätigt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 28. Juni 2010 darauf hingewiesen, dass das Landessozialgericht die Berufung
gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Beschluss zurückweisen kann, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf die gewechselten
Schriftsätze sowie auf den Inhalt der den Versicherten betreffenden Rentenakten der Beklagten Bezug genommen.
II. Der Senat hat nach Anhörung der Beteiligten von der in §
153 Abs.
4 SGG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht und zur Beschleunigung des Verfahrens durch Beschluss entschieden, weil er das
Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. März 2010 ist nicht zu beanstanden. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom
25. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2007 ist zu Recht ergangen. Die Klägerin hat gegen
die Beklagte keinen Anspruch auf Witwenrente.
Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, haben gemäß §
46 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwenrente oder kleine Witwerrente, wenn der versicherte Ehegatte
die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht der Vorschrift des §
46 Abs.
1 Satz 2
SGB VI zufolge längstens für 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist.
Nach §
46 Abs.
2 Satz 1
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem
Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente,
wenn sie
1. ein eigenes Kind oder ein Kind des versicherten Ehegatten, das das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen,
2. das 45. Lebensjahr vollendet haben oder
3. erwerbsgemindert sind.
Anspruch auf Rente wegen Todes besteht der Vorschrift des §
105 SGB VI zufolge allerdings nicht für die Personen, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben.
Ausgehend von diesen gesetzlichen Bestimmungen beruft sich die Beklagte zu Recht darauf, dass die Klägerin durch rechtskräftiges
Urteil des Landgerichts ZX. vom 27. Oktober 2006 einer im Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit im Sinne des §
21 Strafgesetzbuch (
StGB) begangenen vorsätzlichen Tötung auf Verlangen nach §
216 StGB schuldig ist und deshalb keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des von ihr getöteten Ehemannes hat.
Es kann nicht beanstandet werden, dass die Beklagte hinsichtlich der im Rentenverfahren vorzunehmenden Prüfung, ob der Tod
des Versicherten seitens der Klägerin vorsätzlich herbeigeführt worden ist, auf die im vorangegangenen Strafurteil getroffenen
Feststellungen Bezug genommen hat. Zwar trifft die Beklagte auch in den Fällen des §
105 SGB VI die sich aus § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ergebende Untersuchungs- bzw. Amtsermittlungspflicht. Tatsachenfeststellungen, die auf einer Würdigung der im vorangegangenen
Strafverfahren erhobenen Beweise beruhen, verletzen jedoch grundsätzlich nicht die Grenzen einer freien Beweiswürdigung (BSG
vom 26. November 1981 - 5b/5 RJ 138/80 = SozR 2200 § 1277 Nr. 3). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der sozialrechtlich relevante Sachverhalt unter anderen rechtlichen
Kriterien zu prüfen ist als im Strafverfahren oder wenn erfolgversprechende Ansatzpunkte für neue Ermittlungen auftauchen
(vgl. BSG vom 10. November 1993 - 9 RVg 2/93 m.w.N. - sowie im Anschluss daran Hessisches Landessozialgericht vom 5. März 1998 - L 5 VG 151/94). Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend allerdings nicht gegeben. Der Rentenausschluss nach §
105 SGB VI beruht gerade auf der Überlegung, dass ein von der Rechtsordnung missbilligtes (strafrechtlich relevantes) Verhalten nicht
geeignet ist, einen an dessen Folgen (hier: an den vorsätzlich herbeigeführten Tod des Versicherten) anknüpfenden Rentenanspruch
zu begründen (vgl. jurisPK-SGB VI/Reyels § 105 Rdnr. 12 m.w.N.) Es bedurfte deshalb insoweit keiner weitergehenden Ermittlungen
im Verwaltungsverfahren oder im nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren. Bislang unberücksichtigt gebliebene Anhaltspunkte
für die Annahme, dass es sich im Falle der Klägerin - entgegen den im Strafurteil getroffenen Feststellungen - nicht um eine
vorsätzlich begangene Tötungshandlung gehandelt haben könnte, sind weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst erkennbar.
Der Senat brauchte sich angesichts dessen zu weiteren Ermittlungen nicht gedrängt zu fühlen.
Wie das Sozialgericht im Einzelnen zutreffend dargelegt hat, verlangt "Vorsatz" im Sinne des §
105 SGB VI, dass die Straftat mit Wissen und Wollen verwirklicht oder die Erfüllung des strafbaren Tatbestandes für möglich gehalten
und bewusst in Kauf genommen wurde. Dabei ist es ausreichend, wenn zwar keine direkte Tötungsabsicht bestand, der Tod aber
billigend in Kauf genommen wurde (bedingter Vorsatz).
Eine solche Willensentscheidung bzw. ein solches Bewusstsein ist nicht gegeben, wenn die Tat in einem Zustand erfolgte, der
die freie Willensbildung ausschließt. Diese Sachlage ist beim Vorliegen einer (völligen) Schuldunfähigkeit nach §
20 StGB gegeben, denn diese Vorschrift verlangt gerade, dass der Täter wegen seiner psychischen Verfassung nicht "vorsätzlich" handeln
konnte (vgl. Hessisches Landessozialgericht vom 28. November 1995 - L 2 An 80/95; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
vom 5. Februar 1999 - L 14 RA 39/98).
Wurde die Tötungshandlung hingegen - wie im vorliegenden Fall - im Zustand einer lediglich verminderten Schuldfähigkeit im
Sinne des §
21 StGB begangen, so liegt entgegen der Auffassung der Klägerin eine vorsätzliche Handlung nach §
105 SGB VI vor. Das Bundessozialgericht hat bereits in seiner Entscheidung vom 26. November 1981 (AZ: 5b/5 RJ 138/80 = SozR 2200 § 1277 Nr. 3) klar herausgestellt und hervorgehoben, dass die vorsätzliche Tötung des versicherten Ehegatten
auch bei einem geringeren Grad des Vorsatzes oder der Schuldfähigkeit das Eintreten der Solidargemeinschaft für die Folgen
als unzumutbar erscheinen lässt. Die Tatsache, dass §
105 SGB VI allein auf den Vorsatz, nicht dagegen auf den Grad der Schuldfähigkeit abstellt, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
(BVerfG vom 17. Mai 1982 - 1 BvR 43/82 = SozR 2200 § 1277 Nr. 4). Der Anspruch ist selbst dann ausgeschlossen, wenn bei dem Hinterbliebenen mildernde Umstände im
Sinne des Strafrechts vorliegen (BSG vom 1. Juni 1982 - 1 RA 45/81 = SozR 2200 § 1277 Nr. 5).
Da die durch sachkundige Prozessbevollmächtigte vertretene Klägerin keine im Vergleich zur I. Instanz neuen Gesichtspunkte
vorzutragen vermochte, die den von ihr erhobenen Anspruch stützen könnten, sieht der Senat gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist bezüglich der sonstigen Einzelheiten auf die zutreffenden
Ausführungen im angefochtenen Urteil vom 4. März 2010.
Die Berufung der Klägerin konnte damit insgesamt keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.