Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Erforderlichkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt
in Fällen der Verfassungsmäßigkeit der für das Arbeitslosengeld II ab dem 1.1.2011 geltenden Regelsätze
Gründe:
Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.
Nach §
73a Abs.
1 S. 1
SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn
die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§
114 ZPO).
Zunächst kann zwar der am 28. November 2011 erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 12. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25. Oktober 2011 (S 2 AS 1221/11), mit der die Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 20 Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zur Regelsatzhöhe geltend gemacht worden ist, im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. April
2012 (S 55 AS 9238/12) hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht abgesprochen werden (ebenso kritisch die Literatur: vgl. Lenze in Lehr- und Praxiskommentar
- LPK-SGB II -, 4. Aufl., § 20 Rn. 20; Anh. § 20, § 10 RBEG, Rn. 6 ff.) Ob darüber hinaus die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig i.S.d. §
114 ZPO erscheint, ist jedoch bereits zweifelhaft. Insofern wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten,
dass einem Empfänger von Grundsicherungsleistungen, der die gesetzliche Neuregelung des Regelsatzes zum 1. Januar 2011 für
verfassungswidrig hält, zuzumuten ist, ein anhängiges Widerspruchsverfahren nicht weiter zu betreiben und dessen Ruhen bis
zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin gegenüber dem Grundsicherungsträger
anzuregen oder um eine lediglich vorläufige Entscheidung gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. §
328 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (
SGB III) zu bitten (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 9. Juli 2012, L 6 AS 12/12 B PKH; vgl. auch Beschluss des erkennenden Senats vom 31. August 2009, L 6 AS 227/09 B). Beides haben die Kläger zu 1. und 2. offensichtlich nicht angestrebt und stattdessen nach Erteilung des Widerspruchsbescheides
den Klageweg beschritten.
Einer weiteren Vertiefung bedarf es jedoch nicht und die Frage einer mutwilligen Prozessführung kann dahingestellt bleiben,
denn jedenfalls fehlt es an der Erforderlichkeit der Vertretung der Kläger durch einen Rechtsanwalt. Nach §
121 Abs.
2 ZPO wird einem Prozessbeteiligten ein Rechtsanwalt nur beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich
erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Die Vertretung der Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten
im vorliegenden Klageverfahren erscheint nicht erforderlich i.S. der gesetzlichen Vorschrift. Der Rechtsbegriff der Erforderlichkeit
ist durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (zuletzt Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts
vom 24. März 2011, 1 BvR 1737/10 m.w.N.) geklärt. Danach beurteilt sich die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung nach dem Umfang und der Schwierigkeit
der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend ist, ob ein Bemittelter
in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte.
Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht
besteht. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs wäre zwar bei alleiniger Betrachtung des vorliegenden Klageverfahrens gegen
den Bescheid vom 12. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2011 (Leistungszeitraum 1. Dezember
2011 bis 31. Mai 2012) davon auszugehen, dass bereits Umfang und Schwierigkeit der Sache im Hinblick auf den Vortrag zur fraglichen
Verfassungswidrigkeit von § 20 Abs. 2 SGB II eine anwaltliche Vertretung erfordern. Hier kann jedoch der Umstand nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Kläger zwei
vorangegangene eigene Parallelverfahren anhängig gemacht haben, mit denen ebenfalls die Verfassungswidrigkeit von § 20 Abs. 2 SGB II geltend gemacht wird. Die Klage vom 18. März 2011 (S 2 AS 282/11) richtet sich gegen den Bescheid vom 11. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2011 (Leistungszeitraum
1. Januar bis 31. Mai 2011), während mit der weiteren am 21. September 2011 erhobenen Klage (S 2 AS 1005/11) der Bescheid vom 26. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2011 (Leistungszeitraum 1. Juni bis
30. November 2011) angefochten ist. Im erstgenannten Verfahren haben die Kläger über den verfassungsrechtlichen Vortrag hinaus
lediglich gerügt, die Berechnung der Kosten für Unterkunft und Heizung sei nicht nachvollziehbar. Davon abgesehen haben die
Kläger gegenüber dem vorliegenden Klageverfahren wortgleich vorgetragen und jeweils u.a. auf die Stellungnahme des Sachverständigen
E. E. vom 18. November 2010 im Rahmen der Anhörung vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages vom
22. November 2010 Bezug genommen. Für beide Verfahren hat das Sozialgericht Prozesskostenhilfe antragsgemäß bewilligt. Mithin
betreiben die Klägern zwei Verfahren, in denen ohne eigenes Kostenrisiko zur Frage der Verfassungswidrigkeit von § 20 Abs. 2 SGB II mit anwaltlicher Hilfe uneingeschränkt vorgetragen werden kann, ohne dass es im Übrigen dabei auf die einzelnen Leistungszeiträume
ankommt. Bereits in Ansehung des zweiten Klageverfahrens (S 2 AS 1005/11) ist für den Senat nicht ersichtlich, dass ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt
mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Dies gilt erst recht für das vorliegende dritte Klageverfahren, denn
einem vernünftig agierenden Kläger bot sich ganz offensichtlich an, selbst Klage zu erheben und zugleich die Anordnung des
Ruhens des Verfahrens zu beantragen, ohne dass hierfür die Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung ersichtlich ist. Das Sozialgericht
hat zutreffend ausgeführt, dass hierdurch die Rechtsposition der Kläger nicht verschlechtert worden wäre und im Übrigen eine
Klageerhebung bei dem Sozialgericht unproblematisch mündlich und schriftlich zur Niederschrift möglich ist. Insoweit sind
auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Kläger zu 1. und 2. in ihrer Fähigkeit eingeschränkt sein könnten, sich
mündlich und schriftlich auszudrücken. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass diese zu adäquatem Sachvortrag in der Lage
sind, wie dies z.B. das Widerspruchsschreiben vom 26. Januar 2011 ausweist. Nach alledem hätte ein verständiger und kostenbewusster
Kläger einen Rechtsanwalt mit der Erhebung der vorliegenden Klage nicht beauftragt, so dass es an dem Erfordernis einer anwaltlichen
Vertretung i.S.d. §
121 Abs.
2 ZPO fehlt.
Gemäß §
73a Abs.
1 S. 1
SGG in Verbindung mit §
127 Abs.
4 ZPO sind Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu erstatten.
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG).