Versicherungspflicht eines angestellten Rechtsanwalts
Aussetzung des Verfahrens
Verschiedene rentenversicherungsrechtlich bedeutsame Sachverhalte
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Klägerin ab dem 1. April 2011 für die Beschäftigung, die sie bei der
Beigeladenen zu 2. ausübt, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreien muss.
Die 1960 geborene Klägerin ist Volljuristin, seit dem 20. Juni 2010 zugelassene Rechtsanwältin und Mitglied im Versorgungswerk
der Rechtsanwälte in Hessen, der Beigeladenen zu 1. Die Beigeladene zu 2. ist ein Versicherungsunternehmen und bietet Versicherungs-
und Finanzdienstleistungen an.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Oktober 2000 befreite die Beklagte die Klägerin rückwirkend für den Zeitraum ab 1.
Juli 2000 für ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin bei der Beigeladenen zu 2. im Bereich "Haftpflicht-Unfall-Kraftfahrt-Großschaden".
Zum 1. Oktober 2000 schied die Klägerin aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der Beigeladenen zu 2. aus und war fortan als
Rechtsanwältin wegen Kindererziehung in Teilzeit tätig.
Ab 1. April 2011 war die Klägerin wieder als Volljuristin bei der Beigeladenen zu 2. im Bereich "Schadensservice zur Regulierung
von Großschäden und Spezialschäden" beschäftigt und beantragte am 10. Mai 2011 die Fortgeltung der mit Bescheid vom 16. Oktober
2000 ausgesprochenen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht. Nach Auswertung der Arbeitsplatzbeschreibungen der Beigeladenen
zu 2. vom 13. April 2011 und 7. Juni 2011 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. August 2011 die Weitergeltung der mit Bescheid
vom 16. Oktober 2000 ausgesprochenen Befreiung ab 1. Juli 2000 mit der Begründung ab, die gesetzlichen Voraussetzungen der
Befreiungsvorschrift des §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) lägen nicht vor. Die Klägerin übe für die Beigeladene zu 2. keine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit aus. Die Befreiung
erfolge tätigkeits- und nicht personenbezogen; die Zulassung als Rechtsanwältin reiche nicht aus. Nach der Stellenbeschreibung
erfülle sie nicht kumulativ die vier Kriterien einer anwaltlichen Tätigkeit. Weder das Tätigkeitsfeld der Rechtsgestaltung
sei nachvollziehbar dargelegt, noch sei belegt, inwieweit die Klägerin tatsächlich im Rahmen von Versicherungsverträgen zur
Schaffung neuer oder zur Veränderung bestehender Versicherungsbedingungen befugt sei.
Den Widerspruch der Klägerin vom 9. September 2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2011 zurück.
Das Sozialgericht hat auf die hiergegen am 20. Dezember 2011 erhobene Klage zunächst mit Beschluss vom 5. Juli 2012 das Versorgungswerk
der Rechtsanwälte im Lande Hessen gemäß §
75 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum Verfahren notwendig beigeladen und mit Urteil vom 27. März 2013 den Bescheid vom 15. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 1. Dezember 2011 aufgehoben sowie die Beklagte verurteilt, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. ab 1. April 2011 zu befreien. Die Klägerin sei für die ab
1. April 2011 ausgeübte Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. zu befreien. Die Voraussetzungen des §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI seien erfüllt. Die Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer und somit die Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk beruhten
zwar nicht auf ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 2., sondern aufgrund ihrer Zulassung als Rechtsanwältin. Eine kausale
Beziehung zwischen ihrer Beschäftigung bzw. ihrer Tätigkeit einerseits und einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen
Versorgungseinrichtung andererseits müsse nach Auffassung der Kammer aber nicht vorliegen. Ein innerer Zusammenhang zwischen
der Tätigkeit, für die die Befreiung begehrt werde und dem Versicherungsschutz im Versorgungswerk sei nicht erforderlich.
Eine entsprechende Auslegung der Formulierung in §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB V ("wegen der") sei mit dem Zweck der Regelung nicht zu vereinbaren. Das Sozialgericht schließe sich insoweit einer Entscheidung
des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Februar 2013 (L 11 R 2182/11) an.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 25. April 2013 zugestellte Urteil am 3. Mai 2013 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht
erhoben.
Der Senat hat vor dem Hintergrund anhängiger Revisionsverfahren mit Beschluss vom 11. Juli 2013 auf Antrag der Beteiligten
das Ruhen des Verfahrens angeordnet und nach Fortsetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 6. Januar 2015 den Arbeitgeber der
Klägerin, die C., gemäß §
75 SGG zum Verfahren notwendig beigeladen.
Zur Berufungsbegründung nimmt die Beklagte Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den so genannten
Syndikusanwälten (BSG, Urteile vom 3. April 2014, B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) und trägt vor: Das Bundessozialgericht habe
in den Urteilen vom 3. April 2014 ein Recht auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für abhängig beschäftigte Rechtsanwälte
bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern verneint. Die entschiedenen Sachverhalte seien uneingeschränkt auf den vorliegenden Fall
übertragbar. Syndikusanwälte seien danach nicht als Rechtsanwälte bei ihren jeweiligen Arbeitgebern beschäftigt. Nach gefestigter
verfassungsrechtlicher und berufsrechtlicher Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwaltes nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) werde derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Angestelltenverhältnis zu einem bestimmten
Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig. Unabhängiges Organ der Rechtspflege und damit Rechtsanwalt
sei der Syndikus nur in seiner freiberuflichen, versicherungsfreien Tätigkeit außerhalb seines Dienstverhältnisses. Auf die
von der Rechtsprechungspraxis entwickelte so genannte "Vier-Kriterien-Theorie" komme es nicht (mehr) an. Einem Ruhen des Verfahrens
werde nicht zugestimmt; Gründe, die ein Aussetzen des Verfahrens rechtfertigten, lägen nicht vor.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 27. März 2013 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin regt im Hinblick auf die anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des Bundessozialgerichts vom 3.
April 2014 (B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) ein Ruhen des Verfahrens an. Sie hält die Entscheidung des Bundessozialgerichts
für unzutreffend und weist auf Gesetzesvorhaben hin, welche die Befreiung von Syndikusanwälten und Volljuristen in Verbänden
von der Versicherungspflicht vorsähen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte
der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. und 2. verhandeln
und entscheiden, da diese durch Empfangsbekenntnisse bzw. Postzustellungsurkunde vom 25. Februar 2015 zum Termin der mündlichen
Verhandlung ordnungsgemäß geladen worden sind. Die Ladungen enthielten den Hinweis gem. §§
153 Abs.
1,
110 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), dass auch im Falle des Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
Auf den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 20. April 2015 war der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
Senat am 23. April 2015 auch nicht aufzuheben bzw. zu vertagen. Soweit der Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 20.
April 2015 vorgetragen hat, er habe am 23. April 2015 einen langfristig geplanten Arzttermin wahrzunehmen, ist insoweit ein
Hinderungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin wurde bereits mit gerichtlicher
Verfügung vom 6. Januar 2015 auf den beabsichtigten Senatstermin am 23. April 2015 hingewiesen. Die Ladung erfolgte am 24.
Februar 2015 und ging dem Prozessbevollmächtigten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 25. Februar 2015 zu. Im Hinblick
auf diesen Ablauf mit einem zeitlichen Abstand von mehr als drei Monaten zwischen Terminsmitteilung und Sitzungstermin ist
bereits nicht anzunehmen, dass der vom ihm mit Schriftsatz vom 20. April 2015 mitgeteilte Arzttermin zeitlich vor der gerichtlichen
Terminierung vereinbart worden ist. Jedenfalls hätte aber ausreichend Zeit bestanden, den Arzttermin zu verlegen. Trotz entsprechenden
gerichtlichen Hinweises vom 21. April 2015 erfolgte keine Glaubhaftmachung. Auch die Ankündigung im Schriftsatz vom 23. April
2015, ein ärztliches Attest nachzureichen, ist unzureichend. Ebenso ist mit einem pauschalen Verweis auf den Lokführerstreik
am 23. April 2015 nicht glaubhaft gemacht, warum es dem Prozessbevollmächtigten am Sitzungstag nicht möglich war, ein anderes
Verkehrsmittel bzw. den trotz Streiks verbliebenen Bahnverkehr zu nutzen.
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für ihre Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. ab 1. April 2011
zu befreien. Der Bescheid vom 15. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2011 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten kein Recht auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht aufgrund ihrer Beschäftigung
für die Beigeladene zu 2.
Nach §
6 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI (in der Neufassung von Art. 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze - SGB6uaÄndG - vom 15. Dezember 1995 - BGBl I 1824 2, der am 1. Januar 1996 in Kraft getreten und durch
Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Organisationsreform in der gesetzlichen Rentenversicherung - RVOrgG - vom 9. Dezember 2004 -
BGBl I 3242 - ab dem 1. Januar 2005 durch Art. 86 Abs. 1 geringfügig modifiziert worden ist) werden von der Versicherungspflicht
befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund
einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung
oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung
Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn
a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1. Januar 1995
eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,
b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze
zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und
c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene
erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen
ist.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
Die Klägerin kann in ihrer Erwerbstätigkeit für die Beigeladene zu 2. als so genannter Syndikusanwalt (ständiger Rechtsberater
in einem festen Dienst2 oder Angestelltenverhältnis bei einem bestimmten Arbeitgeber), der zudem als Rechtsanwalt zugelassen
ist, nicht dem Berufsbild des Rechtsanwalts zugeordnet werden.
Insoweit folgt der Senat nach eigener Überprüfung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu den Syndikusanwälten (zugelassene
und abhängig beschäftigte Rechtsanwälte - Bundessozialgericht, Urteile vom 3. April 2014, B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und
B 5 RE 3/14 R), wobei mit dem Urteil im Verfahren B 5 RE 9/14 R auch das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg
vom 19. Februar 2013 (L 11 R 2182/11), auf das sich das erstinstanzliche Gericht stützt, aufgehoben worden ist.
Das Bundessozialgericht führt in den Urteilen vom 3. April 2014 aus:
"Ihre anwaltliche Berufsausübung ist in der äußeren Form der Beschäftigung nicht möglich. Umgekehrt bedarf es - worauf bereits
das LSG zutreffend hingewiesen hat - mangels Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen
gegenüber einem Arbeitgeber keiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 2 Abs 1, § 3 des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen - RDG). Die im Rahmen der Beschäftigung erbrachte Erwerbstätigkeit ist damit für ihre Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 2.
und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung,
sodass es bereits deshalb an der Grundvoraussetzung von §
6 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI fehlt und sich eine weitergehende inhaltliche Prüfung erübrigt. (...)
Der Senat legt seiner Beurteilung der sozialrechtlichen (Vor2)Frage, ob eine Erwerbstätigkeit dem Bereich anwaltlicher Berufstätigkeit
zugeordnet werden kann, obwohl sie im Rahmen einer Beschäftigung einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber geschuldet ist, die ständige
übereinstimmende Rechtsprechung des für das Berufsrecht der Rechtsanwälte zuständigen BGH, des BVerfG und des EuGH zugrunde.
Er sieht auch nach eigener Prüfung keinen Rechtsgrund, hiervon abzuweichen, was grundsätzlich ohnehin erst nach Vorlage an
den EuGH (Art 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV), das BVerfG (Art
100 Abs.
1 GG) und/oder durch Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (§ 11 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes - RsprEinhG) möglich gewesen wäre. (...)
Damit ist insbesondere geklärt, dass ungeachtet im Einzelfall arbeitsrechtlich eröffneter Möglichkeiten, auch gegenüber dem
Arbeitgeber sachlich selbständig und eigenverantwortlich zu handeln, allein die Eingliederung in die von diesem vorgegebene
Arbeitsorganisation mit dem Berufsbild des Rechtsanwalts unvereinbar ist. Das für die Zulassung unverzichtbare Berufsbild
des Rechtsanwalts kann sich damit nur daraus ergeben, dass der Syndikus rechtlich und tatsächlich in der Lage ist, neben (!)
seiner Tätigkeit im Unternehmen Rechtsuchende als freier Anwalt zu beraten und zu vertreten. Der Syndikusanwalt ist Rechtsanwalt,
nicht weil er Syndikus ist, sondern weil er sich aufgrund einer nur deshalb zu erteilenden Zulassung unabhängig hiervon und
daneben gesondert als Rechtsanwalt betätigt. Beide Tätigkeiten sind grundsätzlich getrennt zu betrachten (vgl BGH Beschluss
vom 22.3.1999 - PatAnwZ 10/98 - EBE/BGH 1999, 150 f, zum Erfordernis einer mindestens halbjährigen Tätigkeit "bei einem Patentanwalt", das nur dann erfüllt ist, wenn der Antragsteller
auf dem Gebiet eines Patentanwalts tätig geworden ist und nicht lediglich im Rahmen eines "Beschäftigungsverhältnisses in
einem Unternehmen" bei einem dort ebenfalls angestellten Syndikusanwalt). (...)
Ungeachtet möglicher inhaltlicher Übereinstimmungen kommt für das Deckungsverhältnis der gesetzlichen Rentenversicherung nicht
in Betracht, abhängige Beschäftigung und eine daneben ausgeübte selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt im Sinne einer einheitlichen
Betrachtung "zusammenzuziehen". Die isolierte Fragestellung, ob eine anwaltliche Tätigkeit in Gestalt einer abhängigen Beschäftigung
ausgeübt werden kann und damit grundsätzlich eine Befreiungsmöglichkeit eröffnet ist, würde damit gerade verlassen. Die beiden
(einzigen) Formen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die selbständige Tätigkeit und die abhängige Beschäftigung, schließen
sich im Übrigen wechselseitig aus. Wo - wie vorliegend - die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen
Beschäftigung in Frage steht, können Gesichtspunkte der selbständigen Erwerbstätigkeit keine Rolle spielen. Es entspricht
daher ständiger Rechtsprechung des BSG im Rentenversicherungsrecht, dass, wenn nebeneinander verschiedene rentenversicherungsrechtlich bedeutsame Sachverhalte vorliegen,
das Bestehen von Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit bzw. Versicherungsbefreiung) hinsichtlich des einen Sachverhalts
grundsätzlich keine Wirkung für den anderen Sachverhalt hat, jeder Sachverhalt mithin, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt
ist, selbständig zu beurteilen ist und es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht
kommen kann (vgl BSG Urteile vom 4.11.2009 - B 12 R 7/08 R - SozR 422600 §
2 Nr 13 RdNr 19 mit Hinweis auf die Rechtslage bereits vor Inkrafttreten des
SGB VI, vom 13.9.1979 - 12 RK 26/77 - BSGE 49, 38, 39 f = SozR 2200 § 1227 Nr 29 S 67, 68 f, mwN und vom 2.6.1982 - 12 RK 66/80 - SozR 5800 § 2 Nr 3; s auch - hieran anknüpfend - die Begründung zum Entwurf eines Rentenreformgesetzes 1992, BT-Drucks
11/4124 S 148)."
Vertrauensschutzgesichtspunkte sind nach der Auffassung des Senats vorliegend nicht berührt. Insoweit nimmt der Senat erneut
auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 3. April 2014 Bezug (B 5 RE 13/14 R, RdNr. 58 zit. nach juris). Lediglich
ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin keine Rechte aus der früheren Befreiung von der Rentenversicherungspflicht
mit bestandskräftigem Bescheid vom 16. Oktober 2000 für ihre Tätigkeit für die Beigeladene zu 2. ableiten kann. Die Befreiung
von der Rentenversicherungspflicht war lediglich bezogen auf die bis 1. Oktober 2000 ausgeübte Beschäftigung.
Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Ruhens des Verfahrens gemäß §
202 SGG in Verbindung mit §
251 Zivilprozessordnung (
ZPO) liegen nicht vor. Die Beteiligten haben ein Ruhen des Verfahrens gerade nicht übereinstimmend beantragt, denn die Beklagte
hat ein Ruhen des Verfahrens ausdrücklich abgelehnt.
Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß §
114 Abs.
2 Satz 1
SGG kam vorliegend nicht in Betracht. Nach §
114 Abs.
2 SGG kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung
einer Verwaltungsstelle auszusetzen ist, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen
eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle
festzustellen ist. Diese Voraussetzungen sind hier weder im Sinne der unmittelbaren noch im Sinne einer entsprechenden Anwendung
der Norm gegeben. Hierfür reicht die bloße Parallelität im Rechtlichen, z.B. die Anwendbarkeit derselben Rechtsnorm, nicht
aus. Vorgreiflichkeit im Sinne von §
114 Abs.
2 SGG ist deshalb nicht gegeben, wenn in dem anderen Verfahren nur über dieselbe oder eine vergleichbare Rechtsfrage, z.B. in einem
Musterprozess, oder über eine abstrakte Rechtsfrage, etwa über die Gültigkeit oder Auslegung einer Rechtsnorm, zu entscheiden
ist. Es stellt keinen Aussetzungsgrund dar, wenn beispielsweise eine Änderung der Gesetzeslage erwartet wird oder wenn beim
Bundessozialgericht oder Bundesverfassungsgericht ein Rechtsstreit über einen gleichliegenden Streitgegenstand schwebt (Bundessozialgericht,
Beschluss vom 1. April 1992, 7 RAr 16/91; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 3. Juli 2001, L 19 B 293/00 RJ; Kopp/Schenke,
Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 20. Auflage 2014, §
94 Rdnr. 4 ff.). Auch der Referententwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 26. März 2015 (Fundstelle:
z.B: http://vsw-ra-nw.de/aktuelles) rechtfertigt ein Aussetzen des Verfahrens nicht. Insbesondere ist nicht absehbar, ob und
in welcher Form eine rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, wie in §
231 Abs.
4 SGB VI (geplante Fassung) vorgesehen, umgesetzt wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Kosten der Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da diese keine Anträge gestellt haben (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, §
193 Rdnr. 11a).
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.