Parallelentscheidung zu LSG Hessen - L 1 KR 17/14 KL – v. 23.05.2015
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine Betriebskrankenkasse, die der Beklagten als zuständiger Bundesaufsicht untersteht. Die Klägerin wendet
sich gegen einen Verpflichtungsbescheid der Beklagten, der die Beendigung einer Vereinbarung der Klägerin mit einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen über die Auslandskrankenversicherung ihrer Versicherten beinhaltet.
Am 03. Juli 2007 schloss die Klägerin mit der A. Krankenversicherung AG (im Weiteren A. KV AG), einer privaten Krankenversicherung,
unter der Versicherungsvertrags-Nr. 12345 einen Gruppenversicherungsvertrag über einen Auslandsreise-Krankenversicherungsschutz
für alle ihre Mitglieder und deren nach §
10 SGB V versicherte Familienangehörigen. Danach erhalten die Versicherten der A. KV AG bei unvorhergesehenen Versicherungsfällen
im Ausland Aufwendungsersatz für Heilbehandlungen. Der Vertrag umfasste die in privaten Auslandskrankenversicherungen üblicherweise
versicherten Fälle und enthielt ebenso übliche Leistungsausschüsse. Den Versicherten wurden des Weiteren verschiedene privatversicherungstypische
Obliegenheiten auferlegt. In einer Vereinbarung zur Abwicklung des Gruppenversicherungsvertrages verpflichtete sich die Klägerin
gegenüber der A. KV AG zur Erfassung aller von den Versicherten eingehenden Erstattungsunterlagen und zur Abwicklung aller
Erstattungsbeträge bis 350,00 Euro pro Vorgang. Den ausgezahlten Erstattungsbetrag sollte die Klägerin anschließend von der
A. KV AG erstattet erhalten.
Im Frühjahr 2008 erhielt die Beklagte über die Internetseite der Klägerin Kenntnis von der "kostenlosen", d.h. beitragsfinanzierten
Auslandsreise-Krankenversicherung für alle Versicherten der Klägerin. Mit Schreiben vom 16.4.2008 forderte die Beklagte die
Klägerin auf, die gemäß §§ 97 Abs. 1 und 80 Abs. 3 SGB X erforderliche Anzeige an die Beklagte über die beabsichtigte Zusammenarbeit mit einem Dritten und die Nutzung von Sozialdaten
durch einen Dritten nachzuholen und hierbei auch über den Sachverhalt und den Vertrag umfassend zu informieren, damit die
Beklagte die rechtliche Zulässigkeit der Kooperation bewerten könne.
Mit Schreiben vom 9.5.2008 teilte die Klägerin der Beklagten den Vertragstext des Gruppenversicherungsvertrages sowie ihre
diesbezügliche Wirtschaftlichkeitsberechnung mit. Der Ausgabenseite, also der Prämie für den Vertrag in Höhe von 409.212,00
Euro stellte die Klägerin vier Kalkulationsposten gegenüber: Zum Ersten einen hypothetischen Betrag für Aufwendungen für Leistungen
im Ausland im Jahr 2007 in Höhe von 246.550,23 Euro. Zum Zweiten wurden Personalausgaben für 3 Personen i.H.v. 97.200,00 Euro
als Einsparung eingestellt, da in der Vergangenheit drei Mitarbeiter die Auslandsleistungen bearbeitet hatten. Als dritten
und vierten Posten stellte die Klägerin Deckungsbeiträge wegen Rücknahme von Kündigungen bzw. für weniger Kündigungen - 54.000,00
Euro und 67.500,00 Euro - ein.
Mit Schreiben vom 11.6.2008 erläuterte die Beklagte der Klägerin den anzuwendenden Wirtschaftlichkeitsmaßstab und führte aus,
dass die mitgeteilte Wirtschaftlichkeitsberechnung den Anforderungen nicht entspreche. So seien die positiven Deckungsbeiträge
für "gehaltene" oder gewonnene Mitglieder nicht einzustellen. Außerdem fehle die Einstellung eines eigenen Ausgabenbetrags
der Klägerin für die Auslandsbehandlungen, die aufgrund der Leistungsausschlüsse nicht von der privaten Auslandskrankenversicherung
übernommen würden - andere Krankenkassen hätten in Parallelfällen weitere Aufwendungen für Leistungen im Ausland i.H.v. 20%
der bisherigen Kosten kalkuliert. Schließlich würden auch die bisher aufgewendeten Verwaltungskosten nicht vollständig entfallen.
Daher sei die Kooperation unwirtschaftlich und könne von der Beklagten nicht geduldet werden, so dass von einer weitergehenden
Prüfung der übrigen Duldungsvoraussetzungen abgesehen werde. Die Vereinbarung solle daher zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet
werden. Alternativ käme eine Herabsetzung der Vergütung in Betracht, sofern hierdurch die Wirtschaftlichkeit erreicht werde.
Daraufhin teilte die Klägerin mit Schreiben vom 2.7.2008 der Beklagten mit, dass sie grundsätzlich an ihrer Wirtschaftlichkeitsberechnung,
also an den einzelnen Ausgaben- und Einsparungsposten festhalte. Allerdings werde die A. KV AG zusätzlich die sog. DVKA-Kosten
ebenfalls übernehmen, also die Kosten die durch die Abrechnung ausländischer Sozialversicherungsträger über die Deutsche Verbindungsstelle
Krankenversicherung - Ausland entstehen. Man verhandele derzeit auch über eine Anpassung der Prämie, so dass die Wirtschaftlichkeit
der Kooperation weiterhin und stetig steigen werde. Nach mehreren schriftlichen und mündlichen Fristverlängerungen für die
Vorlage der Wirtschaftlichkeitsberechnung legte die Klägerin diese am 31.3.2009 vor. Aus ihr ergab sich eine Unterdeckung
i.H.v. 1,31 Euro pro Versichertem. Daher wolle man, so die Klägerin, den Vertrag zum nächstmöglichen Termin kündigen, aber
zugleich neue Verhandlungen mit der A. KV AG aufnehmen.
Den Entwurf einer neuen Prämienvereinbarung mit der A. KV AG legte die Klägerin sodann der Beklagten am 21.4.2009 vor und
bat um Prüfung. Die Prämie sollte sich danach an den jährlichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Klägerin orientieren und
so hoch sein wie die von der Klägerin als erspart eingestellten Leistungsausgaben GKV - nämlich ein Teil der tatsächlich von
der A. KV AG geleisteten Erstattungsbeträge - und die als erspart eingestellten Verwaltungskosten GKV - also die Kosten für
drei Mitarbeiter. Rückwirkend sollte die Differenz zwischen der entrichteten Prämie und den tatsächlich ermittelten Leistungsausgaben
GKV und Verwaltungskosten GKV durch Nachzahlung oder Rückerstattung ausgeglichen werden. Die Beklagte hielt diese Vereinbarung
unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit für unproblematisch, da die Kasse danach - bei korrekter Wirtschaftlichkeitsberechnung
- stets so gestellt sei, als hätte sie die Finanzierung der Leistungen selbst vorgenommen. Auch aus wettbewerbsrechtlicher
Sicht sei die Kooperation letztlich nicht zu beanstanden. Zwar müsse verhindert werden, dass bei einer Betriebskrankenkasse
wie der Klägerin das Trägerunternehmen Leistungsausgaben übernehme und hierdurch der Betriebskrankenkasse Wettbewerbsvorteile
gegenüber anderen gesetzlichen Krankenkassen verschaffe, etwa die Notwendigkeit der Erhebung eines Zusatzbeitrags verhindere
oder die Ausschüttung einer Prämie ermögliche. Dies drohe bei der zu prüfenden Kooperation aber nicht. Das Prämienmodell sei
zwar letztlich risikolos, aber die Klägerin wäre zur Tragung der Auslandskrankenleistungen gemäß §
13 Abs.
4 SGB V verpflichtet. Die Beklagte teilte der Klägerin daher am 27.7.2009 mit, dass aus ihrer Sicht keine Bedenken gegen den Vertragsentwurf
bestünden.
Parallel zu dieser Prüfung des Vertrages erörterten die Beteiligten auch die Anforderungen an die formularmäßige Einverständniserklärung
der Versicherten zur Datenübermittlung an die A. KV AG, so dass den Belangen und gesetzlichen Ansprüchen der Versicherten
Rechnung getragen würde.
Mit Schreiben vom 28.12.2009 legte die Klägerin einen am 11. und 18.12.2009 geschlossenen neuen Gruppenversicherungsvertrag
mit der A. KV AG sowie die Wirtschaftlichkeitsberechnung zu den Kosten des Jahres 2008 vor, die zugleich auch die Prämienberechnung
für das Jahr 2010 darstellen sollte. Die Wirtschaftlichkeitsberechnung wies für 2008 einen Überschuss von 81.319,95 Euro aus.
Dies beruhte auf einer Gegenüberstellung zweier Prämienwerte pro Versichertem multipliziert mit der Zahl der Versicherten
im Jahr 2008. Der eine Prämienwert ("errechnete Prämie") meint den Prämienbetrag, den die Klägerin hätte pro Versichertem
ausgeben können, wenn sie rückwirkend ihre Einsparungen durch diesen Vertrag durch die Zahl ihrer Versicherten teilt. Einsparungen
sind dabei derjenige Teil der tatsächlichen Aufwendungen der A. KV AG, der den gesetzlichen Ausgaben entsprechen soll, zuzüglich
ersparter Personalkosten. Daraus errechnete die Klägerin eine "errechnete Prämie" pro Versichertem i.H.v. 3,81 Euro. Dem stellte
die Klägerin als "tatsächlich gezahlte Prämie" pro Versichertem 3,12 Euro gegenüber, der im Wesentlichen aus den umfassenden
tatsächlichen Aufwendungen der A. KV AG ergeben soll. Er umfasst also zusätzlich zu dem Teil, der den gesetzlichen Aufgaben
entsprechen soll, die weiteren privatversicherungsvertraglichen Leistungen.
Da bei der Berechnungsmethode der errechneten Prämie stets ein Überschuss anfällt, wenn die in die "errechneten Prämie" eingestellten,
ersparten Personalkosten höher angesetzt werden als der privatversicherungsrechtliche Teil der tatsächlichen Aufwendungen
in der "tatsächlich gezahlten Prämie", ermittelte die Beklagte bei der Prüfung des Vertrages einen Überschuss und hatte unter
dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit keine Bedenken mehr. Dies teilte sie mit Schreiben vom 21.4.2010 der Klägerin mit.
Zugleich wies sie darauf hin, dass eine Tolerierung weitere Voraussetzungen erfüllen müsse. Die Beklagte müsse zusagen, dass
durch die Kooperation die Rechte und Interessen der Versicherten gewahrt bleiben und diesen keine gesetzlichen Ansprüche verloren
gehen. Nachdem die Klägerin diesen Vorgaben nachgekommen war, teilte die Beklagte ihr am 19.1.2011 mit, dass sie die Kooperation
bis auf weiteres hinnehme. Die Klägerin sei weiterhin verpflichtet, jährlich die Wirtschaftlichkeit der Zusammenarbeit nachzuweisen.
Für das Jahr 2011 kam die Klägerin dieser Pflicht zum Wirtschaftlichkeitsnachweis am 11.7.2011 nach. Danach stand eine "errechnete
Prämie" pro Versichertem i.H.v. 4,43 Euro einer "tatsächlich gezahlten Prämie" i.H.v. 3,91 Euro gegenüber. Dadurch ergab sich
ein Überschuss je Versichertem i.H.v. 0,52 Euro bzw. insgesamt von 64.083,76 Euro.
Mit Schreiben vom 12.9.2011 teilte die Beklagte sodann der Klägerin mit, dass sie ihre bisherige Duldungspraxis nicht fortführen
werde. Als Grund gab sie an, dass der von den Krankenkassen zu führende Nachweis der Wirtschaftlichkeit regelmäßig mit Unsicherheiten
sowohl hinsichtlich der Methodik als auch hinsichtlich der Validität des vorgelegten Zahlenmaterials behaftet sei. Deshalb
würde die Duldung gegenüber allen der Bundesaufsicht unterliegenden Krankenkassen mit entsprechenden beitragsfinanzierten
Angeboten beendet. Eine Alternative könnten die Wahltarife für Kostenerstattung nach §
53 Abs.
4 SGB V darstellen, soweit es um Leistungen nach dem Leistungskatalog der GKV gehe. Für darüber hinausgehende Leistungen könnten
Krankenkassen gemäß §
194 Abs.
1a SGB V zusätzliche private Auslandsreise-Krankenversicherungen vermitteln. Die Klägerin wurde aufgefordert, die Kooperation bis
spätestens zum 31.12.2012 einzustellen. Die Beklagte wies darauf hin, dass sie bei Fortführung der Kooperation über diese
Frist hinaus die Möglichkeit von Regressansprüchen prüfen werde.
Am 29.9.2011 widersprach die Klägerin der Rechtsauffassung der Beklagten, da sie keinen Verstoß gegen §
30 SGB IV sehe.
Hierauf wiederholte und erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 27.12.2011 erneut die Gründe für die Rechtswidrigkeit der
Kooperation, die gegen §
30 SGB IV verstoße. Sie erläuterte, dass die vorübergehende Tolerierung der Praxis bei Nachweis der Wirtschaftlichkeit den Rechtsverstoß
nicht beseitige. Da die Beklagte stets auf die Rechtswidrigkeit und den daraus resultierenden vorübergehenden Charakter der
Tolerierung hingewiesen habe, bestünde auch kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Verwaltungspraxis.
Der Klägerin wurde bis zum 20.1.2012 Frist gesetzt, die Beendigung der Kooperation zu bestätigen.
Mit Schreiben vom 13.2.2012 erklärte die Klägerin, dass sie die geforderte Erklärung über die Einstellung der Kooperation
mit der A. KV AG nicht abgeben werde. Sie berief sich weiter auf Vertrauensschutz und erläuterte zudem ihre Interpretation
des §
30 SGB IV, der danach teleologisch so zu reduzieren sei, dass Krankenkassen Auslandsleistungen auf private Krankenversicherungsunternehmen
verlagern dürften.
Hierauf erläuterte die Beklagte im Wege der aufsichtsbehördlichen Beratung gemäß §
89 Abs.
1 SGB IV dem Vorstand der Klägerin mit Schreiben vom 4.5.2012 die Rechtswidrigkeit der Kooperation und die Rechtmäßigkeit der neuen
Verwaltungspraxis, die bisherige Tolerierung zu beenden. Sie forderte die Klägerin auf, die Einstellung der Kooperation zu
bestätigen und kündigte im Unterlassensfall den Erlass eines Verpflichtungsbescheids i.S.d. §
89 Abs.
1 S. 2
SGB IV an.
Die Klägerin wandte sich dagegen mit Schreiben vom 11.6.2012. Sie machte insbesondere geltend, dass bei einer ungeklärten
Rechtsfrage, wie es die Frage der Rechtmäßigkeit einer Kooperation der gesetzlichen mit der privaten Krankenversicherung "zur
Vermittlung einer Zusatzversicherung" sei, nach der Rechtsprechung des BSG die Aufsichtsbehörde nicht ihre Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen der beaufsichtigten Körperschaft setzen dürfe.
Der Begriff der "Vermittlung" in §
194 Abs.
1a SGB V sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, auf den diese Rechtsprechung anzuwenden sei. Mit der Kooperation betrete man Neuland,
das auch von der Literatur noch immer nicht für eindeutig rechtswidrig angesehen werde. Daher dürfe die Aufsichtsbehörde ihre
Ansicht nicht zur herrschenden Meinung erheben. Die Duldung der Kooperation habe unabhängig von der Frage, ob sie ein Verwaltungsakt
sei oder nicht, Regelungscharakter und Außenwirkung und entfalte daher Bindungswirkung. Aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz
folge, dass sich die Beklagte an ihrer Entscheidung festhalten lassen müsse und sich nicht über einen "Änderungsvorbehalt"
neu legitimieren könne. Nur nachträgliche sachliche Gründe, die im Falle ihres Vorliegens schon im Zeitpunkt der Erstentscheidung
zu einer Ablehnung geführt hätten, könnten nun eine Abkehr von der Duldungspraxis rechtfertigen. Die Begründung der Beklagten,
dass der Nachweis der Wirtschaftlichkeit mit Unsicherheiten behaftet sei, rechtfertige keine Beendigung der Tolerierung, vielmehr
hätte die Beklagte ihre Bedenken konkretisieren und der Klägerin eine faire Chance zur Fortsetzung geben müssen. Zudem handele
es sich bei dem Begriff der Wirtschaftlichkeit ebenfalls um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der nur in absoluten Ausnahmefällen
zur Kontrollnorm aktiviert werden dürfe. Die Grundrechte der Versicherten spielten schließlich durchaus eine Rolle bei der
Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe und womöglich auch nach den Grundsätzen der Drittwirkung im Privatrecht, wenn die
"Vermittlung von Zusatzversicherungen" durch die Klägerin vom Bundesfinanzhof als privatwirtschaftliche Tätigkeit beurteilt
werde, was derzeit noch nicht entschieden sei.
Am 30.8.2012, zugestellt am 31.8.2012, erließ die Beklagte sodann den mit der Klage angegriffenen Verpflichtungsbescheid,
mit dem sie die Klägerin verpflichtete, den Gruppenversicherungsvertrag Nr. 12345 zwischen ihr und der A. KV AG vom 18.12.2009
über einen Auslandsreise-Krankenversicherungsschutz spätestens zum 21.12.2012 zu beenden. Sie begründete die Verpflichtung
im Wesentlichen damit, dass ein Rechtsverstoß vorliege und die aufsichtsrechtliche Verpflichtung notwendig und verhältnismäßig
sei.
Der Rechtsverstoß beruhe auf einer Verletzung des §
30 Abs.
1 1. und 2. HS
SGB IV. Danach dürfen Krankenkassen ausschließlich Geschäfte zur Erfüllung ihrer gesetzlich vorgeschriebenen oder zugelassenen Aufgaben
erfüllen und ihre Mittel nur für diese Aufgaben sowie die Verwaltungskosten verwenden. Der Gegenstand des Gruppenversicherungsvertrages
- die Auslandskrankenversicherung der Versicherten der Klägerin - sei keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe. Denn die gesetzlichen
Ansprüche bei Krankenbehandlung im Ausland gegen die Klägerin blieben neben der Auslandskrankenversicherung erhalten. Deshalb
könne es sich bei dem Gruppenversicherungsvertrag auch nicht um ein zulässiges Outsourcing i.S.d. §
197b SGB V handeln. Ebenso wenig sei aber der Gruppenversicherungsvertrag eine gemäß §
194 Abs.
1a SGB V zulässige Vermittlungstätigkeit. Zwar sehe die Satzung der Klägerin die Möglichkeit einer Vermittlung von privaten Zusatzversicherungen
vor. Der Gruppenversicherungsvertrag, bei dem die Klägerin selbst Versicherungsnehmerin ist, sei aber keine Vermittlungstätigkeit
i.S.d. §
194 Abs.
1a SGB V. Schließlich könne §
30 SGB IV entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Kooperationen zwischen Krankenkassen und
privaten Krankenversicherungen durch Gruppenversicherungsverträge eine zulässige Aufgabe i.S.d. §
30 Abs.
1 SGB IV seien. Gerade die Sonderbestimmungen des
SGB V - konkret §
197b und §
194 Abs.
1a SGB V - regelten für die hier in Frage stehende Kooperation die zulässigen Aufgaben von Krankenkassen abschließend. Eine erweiternde
Auslegung des §
30 Abs.
1 SGB IV würde gerade diese neuen Sonderregelungen umgehen.
Der Erlass des Bescheides sei notwendig und verhältnismäßig. Die Beklagte habe bei dem ihr gemäß §
89 Abs.
1 S. 2
SGB IV eingeräumten Ermessen das öffentliche Interesse an einer Verpflichtung der Klägerin auf ein gesetzeskonformes Verhalten höher
bewertet als das Interesse der Klägerin, weiterhin im Mitgliederwettbewerb durch die streitgegenständliche private Auslandskrankenversicherung
Mitglieder zu halten bzw. zu gewinnen. Die Entscheidung für eine Verpflichtung der Klägerin beruhe auf folgenden Ermessenserwägungen:
Die Beklagte wolle ab dem 1.1.2013 in ihrem Aufsichtsbereich ein einheitliches Verhalten der Krankenkassen sicherstellen und
gebe daher ihre bisher praktizierte Tolerierung rechtswidriger Kooperationen im Bereich der privaten Auslandskrankenversicherung
auf. Zu einer solchen Änderung ihrer Praxis sei sie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stets befugt, um
Fehlentwicklungen gegenzusteuern, und sogar verpflichtet, um zwischenzeitlich erkannte Rechtsverstöße zu beheben. Für die
Beseitigung der Rechtsverletzung, die in der Kooperation der Klägerin mit der A. KV AG liegt, habe die Beklagte als Rechtsaufsichtsbehörde
Sorge zu tragen. Zum Einschreiten sei sie sogar verpflichtet, wenn - wie vorliegend - der Versicherungsträger Mittel der Versichertengemeinschaft
zu einem gesetzlich nicht zugelassenen Zweck verwendet. Der Zeitraum, den die Beklagte der Klägerin hierfür einräume, sei
mit 15 Monaten ausreichend lang bemessen, um den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.
Des Weiteren beruhe die Beendigung der aufsichtsbehördlichen Tolerierungspraxis auch auf sachgerechten Erwägungen. Die vom
Gesetzgeber im Jahr 2011 verschärften Anforderungen an den Wirtschaftlichkeitsnachweis für Wahltarife mache es erforderlich,
das Verbot der Quersubventionierung von Wahltarifen auch nach versicherungsmathematischen Grundsätzen zu überwachen. Dadurch
bestehe nicht mehr der Spielraum der Aufsichtsbehörde, die Wirtschaftlichkeit auch auf andere Weise nachweisen zu lassen.
Vor allem kleinere Krankenkassen würden aber durch die Kosten, die die nun notwendige regelmäßige Vorlage versicherungsmathematischer
Gutachten mit sich bringe, benachteiligt. Solche Verzerrungen wolle man vermeiden und beende daher insgesamt die Tolerierung.
Es bestehe auch kein Vertrauensschutz der Klägerin an der Aufrechterhaltung der Tolerierung. Weder das Umstands- noch das
Zeitelement hierfür seien erfüllt. Die Rechtswidrigkeit der Kooperation sei der Klägerin stets bekannt gewesen, auch weil
die Beklagte hierauf regelmäßig hinwiesen habe. Die Mitteilung vom 19.1.2011, dass die Beklagte die Kooperation bis auf weiteres
hinnehme, entfalte keinen Vertrauensschutz begründenden Regelungscharakter. Zudem sei die Zeitspanne sowohl der Kooperation
als auch der Tolerierung zu kurz, um Vertrauensschutz zu begründen. Nicht nachvollziehbar sei, wie die Klägerin schutzwürdiges
Vertrauen daraus ableiten wolle, dass sie Mittel der Solidargemeinschaft zur Finanzierung der Kooperation eingesetzt habe.
Denn die Kooperation bestehe seit dem 1.7.2007, während die Beklagte erst im April 2008 davon erfuhr und erst mit Schreiben
vom 19.1.2011 tolerierte.
Ein mit der "Selbstbindung der Verwaltung" einhergehender Vertrauensschutz sei außerdem nicht zwingend auf Dauer festgeschrieben,
da nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine ermessensbindende Verwaltungspraxis ebenso wie ermessensbindende
Verwaltungsvorschriften abänderbar seien und keinen Vertrauensschutz für die Zukunft begründeten. Auf diesen Änderungsvorbehalt
habe die Beklagte durch ihren Hinweis, dass die Tolerierung bis auf weiteres gelte, auch hingewiesen.
Der Verpflichtungsbescheid sei auch verhältnismäßig, da keine anderen Maßnahmen zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands
in Betracht kämen als die Beendigung des Gruppenversicherungsvertrages. Zur ordnungsgemäßen Kündigung und ebenso zur Aufklärung
der Versicherten bliebe noch hinreichend Zeit.
Die Klägerin hat am 27.9.2012 Klage gegen den Verpflichtungsbescheid erhoben. Sie stützt sich dabei im Wesentlichen auf die
bereits in der vorgerichtlichen Auseinandersetzung mit der Beklagten ausgetauschten Argumente. Sie hält §
194 Abs.
1a SGB V für einschlägig, jedenfalls müsse §
30 SGB IV über seinen Wortlaut hinaus so ausgelegt werden, dass der Abschluss von Gruppenversicherungsverträgen für eine Auslandskrankenversicherung
der eigenen Versicherten für eine Krankenkasse möglich sei. Dies ergebe sich unter Heranziehung verschiedener Auslegungsmethoden.
Jedenfalls liege eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes vor, die im Wege einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung
zur Zulässigkeit des Gruppenversicherungsvertrages führe. Der gesetzliche bzw. unionsrechtliche Krankenversicherungsschutz
im Ausland sei lückenhaft und versage in der Praxis, so dass die Klägerin den Gruppenversicherungsvertrag benötige, um ihre
Verpflichtung nach §
17 Abs.
1 SGB I zu erfüllen. All dies ergebe sich auch aus Art.
2 und
3 des
Grundgesetzes, die den Versicherten ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Gleichbehandlung gewährten. Als sogenannte Auffanggrundrechte
hätten sie Ausstrahlungswirkung auf die Staatszielbestimmungen in Art.
20 GG. Damit die Versicherten bei der Geltendmachung ihrer Grundrechtsverletzungen, etwa im Fall eines "von der Klägerin eben nicht
gewollten lächerlichen Leistungsbescheid[s] im Sinne einer 'kleinen Zuzahlung'" im Fall einer Kostenerstattung bei Auslandsbehandlung,
nicht auf sich allein gestellt seien, sei die Klägerin berechtigt und verpflichtet, gegenüber der Beklagten auf die Staatszielbestimmungen
in Art.
20 GG zu verweisen, der "für die gesamte Staatsgewalt, also alle drei Gewalten nach den Staatsphilosophen Locke und Montesquieu"
gelte. Alle diese staatsrechtlichen und demokratischen Prinzipien verlören ihren Sinngehalt, wenn der Bürger letztendlich
dennoch benachteiligt und auf die ihm selbst zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten vor dem Bundesverfassungsgericht
verwiesen wäre. Auch sei die Ermessensausübung der Beklagten bei Erlass des Verpflichtungsbescheides fehlerhaft. Denn sie
habe zuvor die angebliche Rechtsverletzung geduldet. Die Duldung sei eine mit Nebenbestimmungen i.S.v. § 34 VwVfG versehene behördliche Erlaubnis oder sogar eine Zusicherung gemäß § 34 SGB X, die die Beklagte spätestens mit Erlass des Verpflichtungsbescheides widerrufen habe. Die Grundsätze zum Widerruf begünstigender
Verwaltungsakte habe sie aber nicht eingehalten. Denn der Gruppenversicherungsvertrag sei rechtmäßig, auch gebe es keine gewichtigen
sachlichen Gründe, um von der Duldungspraxis abzuweichen. Insbesondere dürfe die nach §
53 Abs.
9 S. 3
SGB V für Wahltarife geforderte Vorlage eines versicherungsmathematischen Gutachtens für den Wirtschaftlichkeitsnachweis des Gruppenversicherungsvertrages
ohnehin nicht verlangt werden. Das Leistungspaket der Auslandsreisekrankenversicherung sei von der Kooperationspartnerin der
Klägerin erstellt worden und dabei seien auch die nun geforderten versicherungsmathematischen Gutachten schon längst erstellt
worden. Auch hätten mildere Mittel wie etwa weitere Auflagen zum Nachweis der Wirtschaftlichkeit zur Verfügung gestanden.
Die Auffassung der Beklagten, dass ihr bei rechtswidrigem Verhalten der Klägerin ein Duldungsermessen zugestanden habe, sei
ebenfalls unzutreffend, da dies womöglich in der Politik so sei, aber keiner gesetzeskonformen und pflichtgemäßen Staatsaufsicht
entspreche. Deshalb könne aus der Duldung nicht auf einen Rechtsverstoß geschlossen werden. Schließlich sei der der Klägerin
zugutekommende Vertrauensschutz verletzt. Die Ermessenserwägungen der Beklagten seien unzutreffend und die mittelbar betroffenen
Grundrechte der Versicherten und ihr Vertrauensschutz auf den Fortbestand der Kooperation seien nicht berücksichtigt. Auch
die Klägerin habe viel in diese Kooperation investiert. Die Drohung mit einer möglichen Vorstandshaftung sei ein besonders
scharfes und völlig unverhältnismäßiges Druckmittel. Zudem sei die Kooperation auch weiterhin wirtschaftlich, was die Klägerin
auch belegen könne. Schließlich sei das Beratungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Denn die Beklagte habe
nur beharrlich ihren Standpunkt vertreten und im Ergebnis stets die Beendigung der Kooperation gefordert, ohne wirkliche Handlungsalternativen
aufzuzeigen. Die Begründung, weshalb die bisherige Duldungspraxis keine Fortsetzung finden könne, enthalte keine Individualaspekte,
sondern erschöpfe sich in Pauschalanschuldigungen. Von dem Vorwurf, dass der Nachweis der Wirtschaftlichkeit regelmäßig mit
Unsicherheiten sowohl hinsichtlich der Methodik als auch hinsichtlich der Validität des vorgelegten Zahlenmaterials behaftet
sei, sei die Klägerin überhaupt nicht betroffen.
Außerdem sei §
30 SGB IV im Lichte des Unionsrechts anzuwenden. Zwar stünden der Europäischen Union auf dem Gebiet des Gesundheitswesens nur sehr
eingeschränkte Befugnisse zu. Gleichwohl sei sie als Staatengemeinschaft verpflichtet, ein hohes Gesundheitsschutzniveau herzustellen.
Die Koordinierungsverordnungen (EG) Nr. 883/2004 und (EG) Nr. 987/2009 wie auch die Patientenmobilitätsrichtlinie 2011/24/EU
und nicht zuletzt die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Dienstleistungsfreiheit in Bezug auf Gesundheitsleistungen
führten dazu, dass die territoriale Begrenzung des deutschen Sozialstaates nicht mehr eng verstanden werden dürfe. Auch das
SGB V reagiere hierauf durch Ausnahmen vom Ruhensgrundsatz des §
16 Abs.
1 Nr.
1 SGB V. Daher sei eine auf nationalem Recht beruhende Bestimmung des Aufgabenkreises der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
mehr haltbar. Dass die "allzu oft zitierten Sozialstaatsabkommen und die EHIC als Klammer im europäischen Gesundheitssystem"
versagt hätten, stehe fest, so dass großzügige Leistungsangebote einer Krankenkasse nicht verboten werden dürften.
Die Klägerin beantragt,
den Verpflichtungsbescheid der Beklagten vom 30.8.2012 aufzuheben,
hilfsweise
die mündliche Verhandlung zu vertagen, um den Beteiligten Gelegenheit zu geben, zu den europarechtlichen Fragen noch mehr
vorzutragen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie begründet dies mit den gleichen Erwägungen wie ihren Verpflichtungsbescheid. Das Beratungsverfahren sei ordnungsgemäß
durchgeführt. Der Gruppenversicherungsvertrag stelle eine Rechtsverletzung i.S.d. §
89 Abs.
1 SGB IV dar, da er gegen §
30 SGB IV verstoße. Die Klägerin nehme mit dem Vertrag keine gesetzlichen oder zugelassenen Aufgaben war, sondern überschreite ihren
Aufgabenbereich. Sie sei auch nicht Vermittlerin eines Krankenversicherungsvertrages, sondern selbst Vertragspartnerin. Daher
scheide §
194 Abs.
1a SGB V als gesetzliche Grundlage aus. Die Ausführungen zu einer Analogie oder gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung des §
30 SGB IV und §
194 Abs.
1 SGB V gingen fehl. Vielmehr bestehe bei den Grenzen des Krankenversicherungsschutzes im Ausland keine planwidrige Regelungslücke.
Auch aus §
17 SGB I könne die Klägerin kein Recht auf einen solchen Vertragsabschluss herleiten, ebenso wenig aus Art.
20 GG. Die Ermessensausübung beim Erlass des Verpflichtungsbescheids sei nicht fehlerhaft. Es bestehe kein Vertrauensschutz der
Klägerin. Das Tolerierungs-Schreiben vom 19.1.2011 sei kein Verwaltungsakt und ebenfalls keine Zusicherung, da ihm generell
kein Regelungscharakter zukomme. Auch habe die Klägerin nicht auf die Rechtmäßigkeit ihres Handelns vertrauen können. Die
Tolerierungspraxis führe nicht zu einer Bindung der Verwaltung in der Zukunft, sondern ermögliche bei sachgerechten Erwägungen
eine Änderung. Die veränderten Anforderungen an den Wirtschaftlichkeitsnachweis seien hier ausschlaggebend. Schließlich habe
sie ihre Aufsichtstätigkeit auch maßvoll ausgeübt. Die Rechtswidrigkeit des Gruppenversicherungsvertrages sei eindeutig und
ein milderes Mittel zur Behebung des rechtswidrigen Zustands bestand nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte
der Beklagten und der Gerichtsakte Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
A. Die Klage ist zulässig.
Das Landessozialgericht ist nach §
29 Abs.
2 Nr.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (-
SGG -, in der seit dem 1. April 2008 anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Änderung des
SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes - SGGArbGGÄndG - vom 26. März 2008, BGBl. I, S. 444) zur Entscheidung berufen. Es handelt sich um eine Aufsichtsangelegenheit gegenüber einem Träger der Sozialversicherung.
Die Klägerin ist als Krankenkasse Trägerin der GKV, §
1 Abs.
1 Satz 1
SGB IV.
Das Landessozialgericht ist für die Klage auch örtlich zuständig. Die Klägerin hat ihren Sitz im Land Hessen und damit im
Bezirk des erkennenden Landessozialgerichts Hessen, §
57 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Die Anfechtung des Verpflichtungsbescheides ist als Aufsichtsklage nach §
54 Abs.
3 SGG, wonach eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren
kann, wenn sie behauptet, dass die Anordnung Aufsichtsrecht überschreitet, statthaft. Vorliegend bestreitet die Klägerin die
Rechtmäßigkeit des Verpflichtungsbescheides der Beklagten vom 12. Dezember 2013.
Eines Vorverfahrens bedarf es gemäß §
78 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 SGG nicht.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn der Verpflichtungsbescheid der Beklagten beruht auf §
89 Abs.
1 S. 2
SGB IV und ist rechtmäßig. Die Beklagte überschreitet nicht ihr Aufsichtsrecht.
Nach §
87 Abs.
1 SGB IV unterliegen die Versicherungsträger staatlicher Aufsicht. Sie erstreckt sich auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht,
das für die Versicherungsträger maßgebend ist. Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht
verletzt, soll die Aufsichtsbehörde beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt
der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten,
die Rechtsverletzung zu beheben, §
89 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2
SGB IV.
I. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Weigerung der Klägerin, den Gruppenversicherungsvertrag mit der A. KV AG über
einen Auslandsreisekrankenversicherungsschutz für alle ihre Versicherten zu beenden, stellt eine Rechtsverletzung dar.
Dabei genügt noch nicht, dass die Aufsichtsbehörde nur eine andere Rechtsauffassung vertritt als der Versicherungsträger (BSG, Urteil vom 22.3.2005 - B 1 A1/03 = BSGE 94, 221 = SozR4-2400 § 89 Nr. 3). Vielmehr muss ein Verstoß gegen zwingende Vorschriften vorliegen, diese also fehlerhaft angewandt
worden oder nicht beachtet worden sein (Engelhard, in Schlegel/Voelzke, juris-PK -
SGB IV, 2. Aufl. 2011, §
89 Rn. 17; Fattler in: Hauck/Noftz,
SGB IV, Kommentar, Stand: 10/09, §
89 Rn. 3 ff.).
Die Klägerin begeht mit dem Gruppenversicherungsvertrag Nr. 12345 mit der A. KV AG eine solche Rechtsverletzung. Denn dieser
Vertragsschluss verstößt gegen §
30 Abs.
1 SGB IV, sowohl gegen HS 1 als auch gegen HS 2.
1. Der Gruppenversicherungsvertrag ist kein Geschäft zur Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen (a.) oder zugelassenen
(b.) Aufgaben der Klägerin gemäß §
30 Abs.
1, 1. HS
SGB IV.
Da §
30 Abs.
1, 1. HS
SGB IV den allgemeinen Gesetzesvorbehalt für das Tätigwerden der Sozialversicherungsträger konkretisiert, kann die Zulassung einer
Aufgabe nicht aus dieser Norm selbst abgeleitet werden. Vielmehr ist eine eigene gesetzliche Ermächtigung für die fragliche
Aufgabenwahrnehmung erforderlich.
Aus diesem Grund gehen die Überlegungen der Klägerin zu einer erweiternden Auslegung oder teleologischen Reduktion oder gesetzesimmanenten
Rechtsfortbildung des §
30 SGB IV fehl. §
30 SGB IV ist Ausdruck und Konkretisierung des Gesetzesvorbehalts, der aus Art.
20 Abs.
3 GG folgt und für das Sozialrecht grundsätzlich in §
31 SGB I niedergelegt ist. Die Klägerin als Teil der vollziehenden Gewalt i.S.d. Art.
20 Abs.
3 GG ist an Gesetz und Recht gebunden. Ihre Rechte und Pflichten sind gemäß §
31 SGB I stets durch Gesetz vorgeschrieben oder zugelassen. Daher ist die Begrenzung der Geschäfte eines Sozialversicherungsträgers
gemäß §
30 SGB IV darauf, dass sie nur zur Erfüllung gesetzlich vorgeschriebener oder zugelassener Aufgaben erfolgen darf, notwendige Konsequenz
eines rechtsstaatlichen Sozialstaats. Aufgrund dieser Gesetzesbindung obliegt es allein dem Gesetzgeber, die Aufgaben und
damit die Tätigkeitsbereiche zu bestimmen, in denen die Selbstverwaltungsträger tätig werden können. Eine eigenständige Aufgabenbestimmung
steht den sozialrechtlichen Selbstverwaltungsträgern nicht zu. Das
Grundgesetz sichert eine solche Aufgabenautonomie allein den kommunalen Selbstverwaltungsträgern durch Art.
28 Abs.
2 GG zu. Diese Kompetenzgrenze funktionaler Selbstverwaltung kann weder von den Selbstverwaltungsträgern noch von der Rechtsprechung,
die ebenfalls gemäß Art.
20 Abs.
3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, überspielt werden. Daher sind die Aufgabenzuweisungen des Gesetzgebers an die Sozialversicherungsträger
und konkret an die Krankenkassen ebenso ernst zu nehmen wie die Vorenthaltung von Aufgaben.
Auch aus Unionsrecht folgt nichts anderes. Weder verlangt die Richtlinie 2011/24/EU eine erweiternde Auslegung des § 30 Abs. 1, 1. HS
SGB V, noch stehen Bestimmungen der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 oder (EG) Nr. 987/2009 dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage
für die Aufgabenwahrnehmung der Selbstverwaltungsträger entgegen.
a. Die Beschaffung eines weltweiten Auslandskrankenversicherungsschutzes für die Versicherten ist kein Geschäft, das einer
gesetzlich vorgeschriebenen Aufgabe dient.
Gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der Klägerin ist die Absicherung der Versicherten gegen Krankheit bei Aufenthalt im Ausland
bzw. die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im Ausland nur in einem gesetzlich eng begrenzten Umfang. Zum einen
haben die Versicherten Ansprüche aus dem Sozialkoordinationsrecht der Europäischen Union, konkret Verordnung (EG) Nr. 883/2004
und Verordnung (EG) Nr. 987/2009, sowie aus zwischenstaatlichen Sozialversicherungsabkommen. Die hierfür von der Klägerin
zu erfüllenden Aufgaben, wie etwa die Bereitstellung der europäischen Krankenversicherungskarte oder die Information der Versicherten,
oder die Erfüllung der aus der Sachleistungsaushilfe ausländischer Sozialversicherungsträger entstehenden Zahlungsverpflichtungen
der Klägerin sind gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben. Zum anderen ist auch die Erfüllung der Kostenerstattungsansprüche,
wie es die Patientenmobilitätsrichtlinie 2011/24/EU vorgibt, gemäß §
13 Abs.
4 und
5 SGB V für Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen im EU-Ausland gesetzlich vorgeschrieben. Für Krankenbehandlung außerhalb
der EU und der EWR-Staaten gewährt §
18 Abs.
1 SGB V einen Anspruch auf Kostenübernahme, wenn eine inländische Versorgungslücke besteht. §
18 Abs.
3 SGB V räumt zudem unter bestimmten Voraussetzungen einen Kostenübernahmeanspruch für Behandlungen ein, die auch im Inland möglich
wären, aber während eines Auslandsaufenthalts wegen einer Vorerkrankung oder des Lebensalters des Versicherten unverzüglich
erforderlich werden. Darüber hinaus besteht aber keine Aufgabe der Klägerin, ihren Versicherten Auslandskrankenversicherungsschutz
zu bieten. Vielmehr begrenzt §
16 Abs.
1 SGB V gerade den Aufgabenbereich der Klägerin in allen anderen Fällen, in denen sich Versicherte im Ausland befinden (vgl. LSG
Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.10.2014 - L 1/4 KR 570/12 KL - juris, Rn. 41-46).
Auch aus §
197b SGB V folgt nichts anderes. Schon systematisch greift diese Bestimmung zur Aufgabenausführung erst dann, wenn es sich um Aufgaben
der Krankenversicherung handelt. Sie eröffnet in diesem Fall die Möglichkeit, bestimmte Aufgaben nicht selbst, sondern durch
Dritte erledigen zu lassen. Dadurch erweitern sich aber nicht die Aufgaben selbst.
Die Klägerin ist offenbar der Auffassung, dass sie mit dem Gruppenversicherungsvertrag auch ihre gesetzliche Aufgabe der Sicherstellung
von Krankenversicherungsschutz im EU-Ausland auf die A. KV AG übertragen habe. Anders lassen sich weder die Ausführungen zum
Outsourcing und der Aufgabenverlagerung verstehen noch der Gruppenversicherungsvertrag selbst. Denn die A. KV AG verpflichtet
sich in dem Vertrag vom 11./18.12.2009 auch zur Übernahme der DVKA-Kosten, also der Erstattungskosten für die Sachleistungsaushilfe
ausländischer Sozialversicherungsträger, an die Klägerin. Zudem stellt die Klägerin bei ihrer Wirtschaftlichkeitsberechnung
für diesen Gruppenversicherungsvertrag die Ersparnis für Ausgaben zur Bedienung gesetzlicher Ansprüche ihrer Versicherten
ein. Zwar hat die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 12.5.2010 zugesichert, dass die Versicherten ihre gesetzlichen
Ansprüche unmittelbar gegenüber der Klägerin behalten. Aber dies findet keinen Niederschlag in der Wirtschaftlichkeitsberechnung.
Für die Fälle, in denen die Klägerin unmittelbar von ihren Versicherten in Anspruch genommen wird, müsste die Wirtschaftlichkeitsberechnung
Abzüge von den ersparten Aufwendungen einstellen. Auch dürfte sie nicht annehmen, dass sie sich die Personalkosten vollständig
erspart.
Diese Annahme einer Aufgabenerledigung durch Dritte gemäß §
197b SGB V ist nicht nur unzutreffend, weil die gesetzlichen Ansprüche unmittelbar gegen die Klägerin erhalten bleiben. Auch wäre ein
solches Outsourcing unzulässig.
§
197b Abs.
1 S. 2
SGB V begrenzt die im Grundsatz durch diese Norm eröffnete Outsourcing-Möglichkeit. Wesentliche Aufgaben zur Versorgung der Versicherten
dürfen nicht Dritten in Auftrag gegeben werden. Die Kostentragung für den gesetzlich bestehenden Auslandskrankenschutz der
Versicherten ist aber eine solche wesentliche Aufgabe der Klägerin. Denn die Kostentragung für Krankenbehandlungen ist der
eigentliche Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung. Dafür erhält sie Beitragsmittel und dafür gibt sie sie aus. Würde
eine Krankenkasse die Kostentragung für die Krankheitskosten ihrer Versicherten bei Dritten versichern, wäre dies eine Auslagerung
von Beitragsmitteln. Dies erlaubt das Sozialversicherungsrecht nicht. Eine echte Rückversicherung ist schon deshalb unzulässig,
da sie grundsätzlich bei einem Missverhältnis von Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben greifen und das Defizit decken würde.
Für ein solches Defizit sieht aber das Beitragsrecht des
SGB V die Pflicht zur Erhebung von Zusatzbeiträgen gemäß §§
242 ff.
SGB V vor. Nichts anderes kann daher auch für andere Versicherungsformen gelten, durch die eine Krankenversicherung Beitragsmittel
zunächst in die Rechtssphäre von Dritten verschiebt und zu einem anderen Zeitpunkt von dort im Ergebnis zurückerhält. Genau
diese Wirkung hat aber der Gruppenversicherungsvertrag der Klägerin. Anstelle kontinuierlicher Kostenerstattungspflichten
gegenüber ihren Versicherten und anstelle ihrer Zahlungspflicht im Rahmen der DVKA-Kosten führt sie monatlich Beitragsmittel
als Versicherungsprämie an die A. KV AG ab und erhält von dort entweder Zahlungen, soweit sie die Auszahlung an Versicherte
zunächst selbst vorgenommen hat (gemäß Nr. 2 der Vereinbarung über Regelungen zur Zusammenarbeit zwischen der Klägerin und
der A. KV AG im Rahmen des Gruppenversicherungsvertrages Nr. 12345 für Ansprüche der Versicherten bis 350,00 Euro) oder soweit
sie die DVKA-Kosten beglichen hat. Oder sie wird von zeitlich nachgelagerten Kostenerstattungsansprüchen ihrer Versicherten
verschont. In jedem Fall entledigt sich die Klägerin dadurch ihrer wesentlichen Kernaufgabe, Krankheitskosten ihrer Versicherten
zu begleichen oder anders ausgedrückt, das Krankheitsrisiko ihrer Versicherten zu versichern.
Der Gruppenversicherungsvertrag lässt sich daher entgegen der Auffassung der Klägerin nicht als von §
197b SGB V gedeckt ansehen. Der weltweite Auslandskrankenversicherungsschutz kann dadurch nicht eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe
werden.
Auch aus anderen Bestimmungen des
SGB V lässt sich nicht ableiten, dass der weltweite Auslandskrankenversicherungsschutz eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe
ist. Weder kann sich diese Aufgabe aus §
1 Satz 3
SGB V oder §
2 SGB V ergeben, da diese so genannten Einweisungsvorschriften lediglich für die Auslegung und Anwendung des Krankenversicherungsrechts
heranzuziehen sind und weder einen konkreten Tatbestand noch eine konkrete Rechtsfolge benennen. Noch findet sich eine Rechtsgrundlage
für die Aufgabe eines weltweiten Auslandsreisekrankenversicherungsschutzes in einer Annexkompetenz zu anderen gesetzlich bestimmten
Aufgaben (vgl. Parallelentscheidung des Senats vom 23.04.2015 - L 1 KR 17/14).
b. Der Gruppenversicherungsvertrag dient auch nicht einer gesetzlich zugelassenen Aufgabe.
§
194 Abs.
1a SGB V eröffnet den Krankenkassen die Möglichkeit, ihren Versicherten einen privaten Auslandskrankenversicherungsschutz zu vermitteln.
Der Gesetzgeber sah ausweislich der Gesetzesbegründung diesen Gegenstandsbereich in einem hinreichenden Zusammenhang zu den
gesetzlichen Aufgaben der Krankenkassen und wollte deshalb eine neue Aufgabe, die zuvor nicht bestand, zulassen (BT-Drs. 15/1525
S. 138; vgl. Becker in Hauck/Noftz,
SGB V, §
194 Rn. 16). Er bestimmte und begrenzte damit diese neue Aufgabe aber inhaltlich klar und eindeutig auf die Vermittlung eines
privaten Krankenversicherungsschutzes. Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich hieraus gerade nicht ableiten, dass
der Gesetzgeber die Bereitstellung eines weltweiten Auslandskrankenversicherungsschutzes als eigene Aufgabe der Krankenkassen
ermöglichen wollte. Dies hätte der Gesetzgeber systematisch im Rahmen der Wahltarife gemäß §
53 SGB V tun können, hat hiervon aber gerade Abstand genommen. Der Unterschied zwischen Leistungen, die im Rahmen von Wahltarifen
gewährt werden können, und GKV-fremden Leistungen, die eine gesetzliche Krankenkasse aber gemäß §
194 Abs.
1a SGB V vermitteln darf, besteht gerade darin, dass erstere grundsätzlich im Rahmen des §
2 SGB V zum gesetzlichen Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, letztere hingegen nicht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg,
Urteil vom 13.6.2014 - L 1 KR 435/12 KL - juris, Rn. 66 ff., zu Satzungsleistungen gemäß §
11 Abs.
6 SGB V; s. auch Schneider-Danwitz, juris-PK
SGB V §
53, Rn. 104-110 zu Kostenerstattungstarifen für Chefarztbehandlung und Einbettzimmer). Deshalb kann §
194 Abs.
1a SGB V nicht dahingehend verstanden werden, dass der Auslandskrankenversicherungsschutz insgesamt eine zulässige Aufgabe der Krankenkassen
sei.
Zugleich eröffnet §
194 Abs.
1a SGB V auch nicht Krankenkassen die Möglichkeit, Gruppenversicherungsverträge für ihre Mitglieder abzuschließen. Der Begriff der
Vermittlung einer Versicherung kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht in diesem Sinne verstanden werden. Die Versicherungsvermittlung
ist unionsrechtlich seit der sog. Vermittler-Richtlinie 2002/92/EG begrifflich bestimmt und rechtlich reguliert. Nach der Begriffsbestimmung des Art. 2 Nr. 3 der Richtlinie umfasst die Vermittlung von Versicherungen "das Anbieten, Vorschlagen oder Durchführen anderer Vorbereitungsarbeiten
zum Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Abschließen von Versicherungsverträgen oder das Mitwirken bei deren Verwaltung
und Erfüllung, insbesondere im Schadensfall". Das deutsche Recht definiert den Versicherungsvermittler in § 34d GewO und § 59 VVG als Versicherungsmakler oder Versicherungsvertreter. Versicherungsvermittler sind von einem Versicherer oder einem Versicherungsvertreter
beauftragt, Versicherungsmakler übernehmen für einen Auftraggeber die Vermittlung oder den Abschluss von Versicherungsverträgen.
Beide bedürfen gemäß § 34d GewO einer Erlaubnis und sind in ein Vermittlerregister einzutragen. Dies gilt nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem
Jahr 2013 auch für Krankenkassen, die gemäß §
194 Abs.
1a SGB V private Krankenversicherungen vermitteln (BGH, Urteil vom 18.9.2013 - I ZR 183/12 - juris; vgl. auch die Mittelung der BaFin vom 3.2.2014; a.A. zuvor Kaempfe, in Becker/Kingreen,
SGB V, 3. Aufl. 2012, §
194, Rn. 10). Aber auch ohne diese gewerberechtliche Einordnung bestanden keine Zweifel daran, dass die Vermittlung i.S.d. §
194 Abs.
1a SGB V in der Sache die Tätigkeit erfasst, die im Versicherungs- und Gewerberecht als Versicherungsvermittlung definiert ist. Dass
der Gesetzgeber davon ausging, dass die Vermittlungstätigkeit in der Regel auf einer Rahmenvereinbarung zwischen Krankenkasse
und privatem Krankenversicherungsunternehmen beruht, mit der die Krankenkasse günstige Gruppentarife für ihre Versicherten
verhandelt (vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 138), ändert hieran nichts. Umgekehrt stellt sich die Frage, ob der Abschluss von Rahmenverträgen
als Versicherungsvermittlung i.S.d. § 34d GewO bzw. § 59 VVG einzustufen ist, nur dann, wenn hiermit Verträge gemeint sind, in denen gerade nicht der Vertragspartner des Rahmenvertrages
selbst Versicherungsnehmer ist (vgl. die Beispiele bei Schwintowski, VuR 2008, 286). Der Abschluss eines Gruppenversicherungsvertrags durch die Krankenkasse als Versicherungsnehmerin ist in keinem Fall als
Versicherungsvermittlung anzusehen.
2. Zugleich ist der Einsatz von Beitragsmitteln für die Prämien des Gruppenversicherungsvertrages eine unzulässige Mittelverwendung
i.S.d. §
30 Abs.
1, 2. HS
SGB IV.
Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin dadurch Einsparungen erzielt. Selbst wenn eine Krankenkasse zumindest faktisch
geringere Ausgaben für gesetzlich vorgesehene Aufgaben aufwenden muss, da die Versicherten anstelle ihrer gesetzlichen Leistungsansprüche
das gesetzlich nicht zugelassene Angebot der Krankenkasse nutzen, bleibt der Einsatz von Beitragsmitteln für die Bereitstellung
dieses Angebots unzulässig.
II. Die Beklagte hat auch das abgestufte Verfahren durchgeführt, dass bei dem Erlass eines Verpflichtungsbescheides zu beachten
ist. Denn grundsätzlich hat eine Beratung gemäß §
89 Abs.
1 S. 2
SGB IV Vorrang vor dem Erlass eines Verpflichtungsbescheides (BSG, Urteil vom 20.6.1990 - 1 RR 4/89 = BSGE 67, 85 = SozR3-2400 § 89 Nr. 1). Sie ist Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht (BSG, Urteil vom 11.12.2003 - B 10 A 1/02 R = SozR4-2400 § 89 Nr. 2). Dem hat die Beklagte Rechnung getragen, indem sie der Klägerin zunächst mit Schreiben vom 12.9.2011
die Änderung der Tolerierungspraxis ankündigte und neben der Kündigung des Vertrages auf andere Möglichkeiten wie die Entwicklung
eines Wahltarifs zur Kostenerstattung gemäß §
53 Abs.
4 SGB V und die Vermittlung einer privaten Auslandskrankenversicherung gemäß §
194 Abs.
1a SGB V verwies. Sodann hat die Beklagte mit Schreiben vom 4.5.2012 auf die Weigerung der Klägerin reagiert und in einer förmlichen
Beratung die rechtlichen Gründe sowie die Ermessenserwägungen für die Beendigung der Tolerierung auseinandergesetzt und auf
die Handlungspflicht der Klägerin zur Beendigung des rechtswidrigen Zustands in Form einer Vertragskündigung hingewiesen.
III. Die Entscheidung der Beklagten für den Verpflichtungsbescheid ist im Rahmen des ihr hierbei zustehenden Ermessens rechtlich
nicht zu beanstanden. Der Beklagten war bewusst, ein Ermessen zu haben und sie hat dieses auch ausdrücklich betätigt, so dass
keine Ermessensunterschreitung vorliegt. Diese Ermessensbetätigung der Beklagten ist gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu
kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Beklagte für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige
Interessensabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in
die Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und
privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde - in den gesetzlichen Grenzen
ihres Ermessens - grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung
im Ergebnis stützen möchte (Bundessozialgericht, Urteile vom 30. Oktober 2013, B 12 R 14/11 R m.w.N. und vom 21. Mai 2003, B 6 KA 32/02 R). Es liegt bezüglich der Verpflichtung zur Beendigung der Vereinbarung der Klägerin mit der A. KV AG kein Ermessensfehlgebrauch
vor, weil die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Regelung ausgeübt hat. Es ist insbesondere nicht
zu beanstanden, dass die Beklagte der Rechtstreue und dem öffentlichen Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Verbot
der Leistungsgewährung außerhalb des gesetzlichen Rahmens), insbesondere im Hinblick auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit
des Systems der GKV (Mitgliederwettbewerb zwischen den Krankenkassen) ein höheres Interesse eingeräumt hat als den wirtschaftlichen
Interessen der Klägerin.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt dem Schreiben der Beklagten vom 19.1.2011 keine rechtliche Selbstbindungswirkung der
Beklagten zu. Sie ist weder ein "faktischer Verwaltungsakt" noch eine Zusicherung.
Denn die Beklagte informiert nur über eine gegenwärtige Verwaltungspraxis, nämlich die Tolerierung. Diese Tolerierung selbst
bedeutet nichts anderes als den Verzicht auf aufsichtsrechtliches Einschreiten trotz Feststellung eines Rechtsverstoßes. Der
Mitteilung hierüber kommt daher gerade kein Regelungscharakter zu, so dass ein Verwaltungsakt schon deshalb nicht in Frage
kommen kann (vgl. ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.10.2014 - L 1/4 KR 570/12 KL, juris, Rn. 69 f.).
Auch liegt in dem Schreiben keine Zusicherung gemäß § 34 Abs. 1 2. Alt. SGB X, einen bestimmten Verwaltungsakt zu unterlassen. Der Aussage der Beklagten, dass man den Gruppenversicherungsvertrag der
Klägerin "bis auf Weiteres hinnehme", lässt sich ein solcher Erklärungsinhalt gerade nicht beimessen. Aus der Perspektive
eines durchschnittlichen Empfängers kann das Schreiben vom 19.1.2011 gerade nicht dahingehend verstanden werden, dass die
Beklagte den rechtswidrigen Zustand auf Dauer hinnehmen und auf aufsichtsrechtliche Maßnahmen verzichten werde. Dem Schreiben
war ein längerer Prozess vorangegangen. Die Beklagte hat bereits in dem ersten Schreiben nach (verspäteter) Anzeige der Kooperation,
vom 11.6.2008, die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Kooperation der Klägerin mit der A. KV AG gegen §
30 SGB IV verstoße und nur unter sehr engen Voraussetzungen toleriert werden könne. Deshalb verlangte sie zunächst einen Nachweis der
Wirtschaftlichkeit. Im Schreiben vom 21.4.2010 sah die Beklagte die Wirtschaftlichkeit zu diesem Zeitpunkt für gegeben an
und wandte sich daher weiteren Aspekten zu. Das Schreiben vom 19.1.2011 schloss diesen Informations- und Erörterungsprozess
ab. Damit hat die Beklagte aber die Kooperation erkennbar nicht gut geheißen oder gar als rechtmäßig bestätigt. Vielmehr hat
die Beklagte stets ihre Rechtsauffassung offengelegt, dass ein Verstoß gegen §
30 SGB IV vorliege. Deshalb wollte sie die Kooperation nur "hinnehmen". Weitere Aspekte, die bisher nicht erörtert wurden, aber in
Zukunft dieses Hinnehmen beenden könnten, wollte die Beklagte gerade nicht ausschließen. Dies hat sie mit dem Zusatz "bis
auf Weiteres" auch deutlich zum Ausdruck gebracht.
Eine Bindungswirkung an die bisherige Duldungspraxis besteht aber auch nicht aufgrund allgemeiner Rechtsgrundsätze. Gesetzliche
Vorgaben zur Bindungswirkung von Verwaltungspraxis bestehen nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dem SGB X nur die Bindungswirkung von Verwaltungsakten und eben der Zusicherung kodifiziert. Daher sind die vertrauensschützenden Beschränkungen
der Rücknahme und des Widerrufs von Verwaltungsakten gemäß § 45 ff. SGB X gerade nicht auf schlichtes Verwaltungshandeln ohne Regelungscharakter übertragbar.
Im Zusammenhang mit rechtsstaatlichen Grundsätzen wird auch für informales Verwaltungshandeln eine Selbstbindung der Verwaltung
zum Schutz von Vertrauen der Handlungsadressaten diskutiert (vgl. Grzeszick, in Maunz/Dürig,
GG, Art.
20, VII, Rn. 99 f. m.w.N.).Publizierte oder praktizierte Verwaltungsvorschriften können in Verbindung mit dem Grundrecht auf
Gleichbehandlung gemäß Art.
3 Abs.
1 GG einen Anspruch auf Beachtung dieser Vorschriften im Einzelfall begründen. Dies schließt aber eine allein auf die Zukunft
gerichtete Änderung der Verwaltungspraxis gerade nicht aus.
Unabhängig davon, dass sich die Klägerin als Selbstverwaltungskörperschaft nicht auf Grundrechte berufen kann (vgl. BSG, Urteil vom 18.07.2006 - B 1 A 2/05 R), ist die Beklagte auch nicht unter Anwendung dieser Selbstbindungsgrundsätze an einer Beendigung ihrer Tolerierungspraxis
gehindert. Vielmehr macht die Beklagte deutlich, dass sie mit der neuen Praxis eine einheitliche, alle ihrer Aufsicht unterliegenden
Krankenkassen gleich behandelnde Vorgehensweise wählt und gerade zur Durchsetzung dieser Gleichbehandlung die Beendigung der
Kooperation der Klägerin mit der A. KV AG durchsetzen will. Unstreitig verfährt die Beklagte auch dementsprechend gegenüber
anderen Krankenkassen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.10.2014 - L 1/4 KR 570/12 KL und das Parallelverfahren
LSG Darmstadt, L 1 KR 17/14 KL).
Ebenso wenig trägt vorliegend das Argument einer vermeintlichen Selbstbindung der Beklagten im Hinblick auf den Einwand der
Klägerin, dass sie alle im Rahmen der Tolerierungspraxis von der Beklagten gestellten Anforderungen erfüllt habe. Wie oben
im Einzelnen dargelegt, war diese Tolerierungspraxis nach der Auffassung des Senats rechtswidrig. Zutreffend hat die Beklagte
im Rahmen der Abwägung darauf hingewiesen, dass in den Fällen, in denen der Versicherungsträger Mittel der Versichertengemeinschaft
zu einem gesetzlich nicht zugelassenen Zweck verwendet, die Beklagte gegen die gesetzwidrige Mittelverwendung einschreiten
muss (Schirmer/Kater/Schneider, Aufsicht in der Sozialversicherung, Stand: 6/14, 230, S. 8). Wegen der vorrangigen Bindung
der Verwaltung an Gesetz und Recht (Rechtsstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz) hat ein Betroffener kein schutzwürdiges Vertrauen mit Wirkung für die Zukunft, dass bei gleicher Sachlage wiederum in gleicher
Weise entschieden werden müsste. Einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht kennt die Rechtsordnung nicht (Bundessozialgericht,
Urteil vom 21. Mai 2003, B 6 KA 32/02 R; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Februar 1993, 8 C 20/92; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 14. Auflage 2013, §
40 Rdnr. 42; Fehling/Kastner/Strimer, Verwaltungsrecht, Kommentar, 3. Auflage 2012, zu §
114 VwGO, Rdnr. 3 ff, 28). Die Behörde hat grundsätzlich die Möglichkeit, sich für die Zukunft von einer in der Vergangenheit geübten
Praxis zu lösen und für künftige Fälle ihr Ermessen in anderer Weise zu betätigen. Insoweit kommt es nur darauf an, dass dargelegt
werden kann, dass die Neuausrichtung der Ermessenspraxis für die Zukunft eine allgemeine ist und nicht nur für den einen zur
Entscheidung anstehenden Fall angenommen wird (Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 40 Rdnr. 50).
Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Bewertung der Kooperation durch die Beklagte als wirtschaftlich, also die von
der Beklagten aufgestellte Tolerierungsanforderung (vgl. Schreiben vom 11.6.2008, und vom 21.4.2010), einer rechtlichen Prüfung
standhielte. Der Senat hat Zweifel daran, dass der Wirtschaftlichkeitsnachweis, den die Beklagte akzeptierte, diese Bewertung
tragen kann. Denn die Beklagte hat zunächst aufgestellte Forderungen, wie die Einstellung von bei der Klägerin trotz der Kooperation
verbleibender Auslandsausgaben und Personalkosten, ohne erkennbaren Grund nicht weiterverfolgt. Fragwürdig ist auch, dass
die Wirtschaftlichkeitsberechnung der Klägerin auf der Gegenüberstellung zweier nicht überprüfbarer Größen beruhte, nämlich
dem nicht näher belegten Anteil der tatsächlichen Ausgaben der A. KV AG - konkret 45,32 % der Ausgaben für ambulante Auslandsleistungen
- einerseits und den ersparten Personalkosten, die - wie dargestellt - ohne Berücksichtigung der verbleibenden Verwaltungslasten
der Klägerin angesetzt wurden, andererseits.
Der Verpflichtungsbescheid ist auch verhältnismäßig. Ein milderes Mittel als die konkrete Verpflichtung, die Kündigung des
Gruppenversicherungsvertrages in einer rund 15 monatigen Frist mit Wirkung für die Zukunft, ist nicht ersichtlich. Sie bedeutet
für die Klägerin keine unverhältnismäßigen Zumutungen. Auch im Wettbewerb zu anderen Krankenkassen sind für die Klägerin hierdurch
keine weiteren Nachteile erkennbar, wenn sie mit ihnen gerade hinsichtlich des Werbepotentials, den eine solche Kooperation
bieten mag, gleichgestellt wird.
C. Angesichts der dargelegten Rechtslage bestand für den Senat kein Anlass, dem Antrag der Klägerin auf Vertagung der mündlichen
Verhandlung zu folgen. Noch erörterungsbedürftige europarechtliche Fragen, zu denen bisher keine Gelegenheit zum Vortrag bestand,
hat die Klägerin weder dargelegt noch sind solche ersichtlich.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a SGG i.V.m. §§ 52, 63 Gerichtskostengesetz (GKG). Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen
zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein
Streitwert von 5.000,00 EUR anzunehmen, § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Dies ist nach der Auffassung des Senats vorliegend der Fall. Wie die Klägerin auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung
ausgeführt hat, besteht das Interesse der Klägerin an der weiteren Durchführung der Vereinbarung mit der X. in erheblichem
Umfang darin, durch ein attraktives Leistungsportfolio Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Krankenkassen zu nutzen. Dieses
wirtschaftliche Interesse ist nicht zu beziffern (vgl. insoweit: Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, 4. Auflage
2012, S. 18 m.w.N.).