Arbeitsunfall
Suizid des Versicherten
Kausalität
Beweismaßstab
Ausübung einer versicherten Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfallereignisses
Tatbestand
Die Kläger, Ehefrau und Sohn des verstorbenen Versicherten D. A., begehren von der Beklagten Hinterbliebenenleistungen. Streitig
ist, ob der Versicherte einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Der 1959 geborene Versicherte war ausgebildeter Energieanlagenelektriker und erwarb auf eigene Initiative den Abschluss eines
"Industriemeisters". Bereits seit seiner Ausbildung im Jahr 1975 war der Versicherte bei der Firma E. (Deutschland) GmbH beschäftigt
und zuletzt als "Seniortechniker Facilities Management" im Geschäftsbereich Facilities Services and Real Estate tätig. Das
Unternehmen war im Herbst 2008 aus einem in F-Stadt angemieteten Gebäude nach G-Stadt umgezogen. Der eigentliche Umzug aller
Mitarbeiter war bereits am letzten Septemberwochenende 2008 erfolgt. Der Versicherte war mit seinem Büro noch am bisherigen
Sitz der Firma in F-Stadt geblieben, weil bis zum Mietende am 31. Dezember 2008 noch Arbeiten zu verrichten waren.
Am 1. Dezember 2008 betrat der Versicherte das Gebäude in F-Stadt um circa 6:10 Uhr und trug sich beim Empfang in das Anwesenheitsbuch
ein. Gegen 8 Uhr erschienen zwei Mitarbeiter der Umzugsfirma H., die mit dem Versicherten verabredet waren. Der Versicherte
war jedoch in seinem Büro nicht zu erreichen, auch Kollegen konnten nichts über seinen Aufenthaltsort sagen. Nachdem er auch
auf eine Lautsprecherdurchsage nicht reagiert hatte, machten sich einige Mitarbeiter im Haus auf die Suche nach ihm. Gegen
9:40 Uhr wurde der Versicherte leblos im nördlichen Außenbereich des Ost- Flügels aufgefunden. Der Versicherte lag zwei Meter
von der Hauswand entfernt auf einem gepflasterten Weg, der von einem nahgelegenen Parkplatz zu einer von dem Haupteingang
abgelegenen Zugangstür im Tiefgeschoss führt. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen vor Ort wurde bei Begehung des Flachdaches
des vierstöckigen Gebäudes festgestellt, dass auf diesem ein etwa mittig verlaufender gepflasterter Weg als Lauffläche dient
und beiderseitig dieses Weges die Dachfläche mit Kieselsteinen bedeckt ist. Im Randbereich des Daches ist als Begrenzung/Absturzsicherung
umlaufend eine etwa 40 Zentimeter hohe, metallische Brüstung vorhanden. Auf Grund vorhandener Schuhsohlenabdrücke auf den
mit Raureif bedeckten Bodenplatten war nach entsprechendem Abgleich mit den getragenen Schuhen des Versicherten nachvollziehbar,
dass der Versicherte auf den im Randbereich der Dachfläche gelegenen Platten entlang gelaufen und nachfolgend augenscheinlich
über die Kieselsteine bis zum späteren Absturzort weiter gelaufen war. Es wurde deshalb als gesichert angesehen, dass der
Versicherte von dem Dach des Gebäudes in den Tod gestürzt ist. Als auffallend wurde vermerkt, dass bei Sichtung des Lageorts
des Verstorbenen vom Dachbereich aus, sich der Lageort genau auf dem Bereich des einzig vorhandenen Wegbereiches befand und
es sich bei dem restlichen Umgebungsbereich des dortigen Gebäudeteiles um Grünflächen und Heckenbereiche handelte. Weiter
wurde vermerkt, im Bereich der Dachfläche fänden sich ansonsten keinerlei Spuren, die einen weiteren Aufschluss hinsichtlich
eines möglichen Ablaufes vor dem Sturz des Versicherten hätten geben können. Aufnahmen auf Videokassetten der Überwachungsanlage
des Hauses erbrachten keine weiterführenden Erkenntnisse, da der Dachbereich und der eigentliche Aufprallort nicht zum überwachten
Bereich gehören. Eine Durchsuchung des von dem Versicherten genutzten Privatfahrzeugs sowie seines Arbeitsplatzbereiches führten
nicht zur Auffindung eines Abschiedsbriefes oder sonstiger eventuell einen Suizid begründenden Aufzeichnungen oder Hinweise.
In der Bekleidung des Versicherten vorgefundene Schlüssel und anderweitige persönliche Gegenstände (Geldbörse und Brieftasche)
wurden der Klägerin übergeben. Vor Ort polizeilich befragte Beschäftigte der Firma E. konnten keine Mitteilungen hinsichtlich
etwaiger bekannter beruflicher oder privater Probleme des Versicherten machen, die einen möglichen Suizid erklärt hätten.
In einem Bericht der Polizeikommissarin J. heißt es, keiner der vor Ort anwesenden Arbeitskollegen habe sich erklären können,
wie es zu dem Unglücksfall gekommen sei. Die Polizei ging im Ergebnis aufgrund der von der Zeugin K. geschilderten Durchbrechung
der morgendlichen Gewohnheiten und des Aufprallortes auf dem einzig im dortigen Bereich vorhandenen gepflasterten Weg von
einem Suizid des Versicherten aus.
Die Firma E. teilte der Beklagten mit Schreiben vom 12. Januar 2009 mit: "Ein Betreten des gegen unbefugten Zutritt besonders
gesicherten Daches des Gebäudes war dienstlich nicht veranlasst und im Rahmen des Arbeitsauftrages von Herrn A. auch in keiner
Weise erklärbar. Es gab aus Sicht des Arbeitgebers sowie der Vorgesetzten und Kollegen keinerlei mit der betrieblichen Tätigkeit
des Verstorbenen zusammenhängenden Grund für einen Aufenthalt auf dem Dach. Dies umso weniger, als sich Herr A. dorthin bei
widrigen äußeren Bedingungen, am frühen Morgen, und noch vor Anlegen seiner Arbeitsschutzausrüstung begeben hatte. Es ist
daher arbeitgeberseitig von einem Freitod des Herrn A. auszugehen. Dieses Ergebnis wird durch das Untersuchungsergebnis der
Ermittlungsbehörden gedeckt."
Die Beklagte lehnte daraufhin gegenüber der Klägerin zu 1. mit Bescheid vom 5. Juli 2009 die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen
ab, weil von einem Vorliegen eines Arbeitsunfalles nicht ausgegangen werden könne. Der Versicherte sei an seinem Todestag
nicht wie üblich seinen morgendlichen Gewohnheiten nachgegangen und habe ohne ersichtlichen betriebsbezogenen Grund das Dach
des Gebäudes betreten. Er sei auf dem Dach bis zu der Stelle gelaufen, an der sich am Boden ein gepflasterter Weg befindet,
habe die Brüstung des Daches überwunden und sei in den Tod gesprungen. Dabei habe der Versicherte das über der Eingangstür
befindliche Vordach überwunden, so dass ein unbeabsichtigtes Abstürzen ausgeschlossen werden könne. Darüber hinaus seien keine
betrieblichen Ereignisse festzustellen, die zu einem Schock bzw. einer schlagartig auftretenden, schweren psychischen Erschütterung
des Versicherten mit der Vorstellung geführt haben könnten, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin zu 1. am 28. Juli 2009 Widerspruch ein und führte aus, von einem Freitod des Versicherten
könne keine Rede sein. Zum Aufgabengebiet ihres Mannes habe das komplette Gebäudemanagement mit Sicherstellung eines ordnungsgemäßen
Gebäudezustandes und damit selbstverständlich auch das Dach gehört. Zwar sei kein konkreter Grund für das Betreten des Daches
gefunden worden, angesichts des Aufgabengebietes ihres Mannes könne hieraus jedoch unmöglich ein Freitod angenommen werden.
Sowohl aus betrieblichen als auch aus privaten Gründen habe kein Anlass für einen Suizid bestanden.
Der unmittelbare Vorgesetzte des Versicherten L. teilte am 26. August 2009 auf Nachfrage der Beklagten, ob es am 1. Dezember
2008 einen Anlass gegeben habe, das Dach des Gebäudes zu inspizieren, oder ein anderer Grund denkbar sei, der den Versicherten
betriebsbedingt am Morgen auf das Dach geführt habe, mit: "Es gab am 1.12.2008 keinen uns bekannten, von uns beauftragten
oder nachvollziehbaren Anlass, das Dach des Gebäudes zu inspizieren."
Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch der Klägerin zu 1. durch Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2009 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin zu 1. am 9. November 2009 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben (Az.: S 23 U 226/09).
Am 14. Januar 2010 erließ die Beklagte gegenüber dem Kläger zu 2. ebenfalls einen ablehnenden Bescheid. Den dagegen eingelegten
Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 26. März 2010 zurück.
Der Kläger zu 2. hat hiergegen am 27. April 2010 beim Sozialgericht Frankfurt am Main (Sozialgericht) Klage erhoben (Az.:
S 8 U 48/10). Das Sozialgericht hat die beiden Verfahren durch Beschluss vom 2. August 2010 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung
verbunden und das Verfahren unter dem Aktenzeichen S 23 U 226/09 fortgeführt.
Die Firma E. teilte dem Sozialgericht auf Anfrage am 25. November 2010 mit, die Arbeit des Versicherten habe im Wesentlichen
in der Betreuung und Koordination der Rückbauarbeiten nach dem Auszug des Unternehmens aus dem seinerzeit angemieteten Bürogebäude
bestanden. Mit der Umzugsfirma H. hätten am 1. Dezember 2008 Details zur Organisation von Transportarbeiten abgestimmt werden
sollen. Die Frage, ob der Versicherte im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit auch zu irgendeinem Zeitpunkt Tätigkeiten auf dem
Dach des Gebäudes zu erledigen hatte, verneinte die Firma E. und ergänzte, es habe keine Tätigkeiten auf dem Dach des Gebäudes
gegeben, die zu erledigen gewesen wären. Probleme aus dem persönlichen oder beruflichen Bereich des Versicherten seien nicht
bekannt.
Der Zeuge L., direkter Vorgesetzter des Versicherten, gab auf schriftliche Befragung des Sozialgerichts an, der Versicherte
sei ihm als E. Mitarbeiter seit 1987 bekannt gewesen. Im Jahr 2000/2001 habe er bei E. in F-Stadt die Abteilung Facility Services
übernommen und sei in dem Zusammenhang der direkte Vorgesetzte des Versicherten gewesen. Der Versicherte sei im Rahmen des
Umzugsprojekts mit der Abwicklung der Restarbeiten am alten Standort beschäftigt gewesen. Bei dem letzten mit dem Versicherten
geführten Gespräch sei es um die Entscheidung gegangen, welche Teile aus den Lagerflächen des Bürogebäudes mit umgezogen oder
vernichtet werden sollten. Er habe ihn zu diesem Gespräch vor Ort in F-Stadt getroffen. Er habe damals sein Büro schon in
G-Stadt gehabt und habe vorwiegend telefonischen Kontakt mit dem Versicherten gehalten. Diese Art von Gesprächen seien regelmäßig
geführt worden. Er habe während des gesamten Projekts den Eindruck gehabt, dass der Versicherte die Selbstständigkeit dieser
Aufgaben gemocht habe und dass er ihn oder seine Kollegen angesprochen habe, wenn es für ihn Unklarheiten gab. Es sei auch
noch ein anderes Thema besprochen worden. Neben dem Umzug habe der ehemalige Vermieter zur ordnungsgemäßen Rückgabe des Bürogebäudes
Forderungen zur Nachrüstung des Brandschutzes gestellt. Der Versicherte habe geglaubt, für die festgestellten Mängel möglicherweise
mitverantwortlich gewesen zu sein. Er habe dem Versicherten in dem Gespräch glaubhaft nachweisen können, dass der Versicherte
keine Verantwortung dafür trage. Das Interesse des Vermieters habe schwerpunktmäßig darin bestanden Mängel zu finden, um einen
möglichst hohen finanziellen Ausgleich zu erzielen. Auf weitere Fragen des Gerichts, ob er es für möglich halte, dass der
Versicherte im Zusammenhang mit den geforderten Brandschutzmaßnahmen am 1. Dezember 2008 das Dach der Firma begangen habe
und welche konkreten Maßnahmen zum Brandschutz vom Vermieter gefordert worden seien, erklärte der Zeuge L. am 20. Juni 2011:
Er halte es für ausgeschlossen, dass der Versicherte in diesem Zusammenhang das Dach betreten habe, da alle geforderten Maßnahmen
sich auf Maßnahmen innerhalb des Gebäudes bezogen hätten. Im Verlauf der Mietzeit ab 1988 habe die Firma E. diverse interne
Umbaumaßnahmen im angemieteten Gebäude durchgeführt. Ende 2007 sei im Auftrag des Vermieters eine Gebäudezustandsbewertung
durchgeführt worden. Ein Gesamtbericht sei im Februar an die Firma E. übergeben worden. Alle brandschutzrelevanten Forderungen
hätten den Bereich innerhalb des Gebäudes betroffen. Seitdem sei strittig gewesen, wer kostenmäßig für welchen Teil der dort
angeforderten Maßnahmen gemäß Mietvertrag verantwortlich sei. E. habe einen Brandschutzgutachter beauftragt. Dessen Stellungnahme
fügte der Zeuge zum besseren Verständnis seiner Aussage bei. Weiter führte er ergänzend aus, er habe in dem von ihm erwähnten
Gespräch mit dem Versicherten bezüglich der Brandschutzmaßnahmen klären können, dass E. aufgrund des Gutachtenergebnisses
wesentlich kostengünstiger aus der mieterseitigen Forderung abschneiden würde. Hinsichtlich des Inhalts der Aussage des Zeugen
L. wird auf Blatt 113 und auf Blatt 132 bis 134 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. Juli 2011 wurde die technische Zeichnerin K., die mit dem Versicherten seit 1995
ein Büro in F-Stadt geteilt hatte und mit dem Versicherten eng zusammen gearbeitet hatte, als Zeugin vernommen. Hinsichtlich
des Inhalts der Zeugenaussage wird auf Blatt 138 bis 139 der Gerichtsakte verwiesen.
Das Sozialgericht hat durch Urteil vom 6. Juli 2011 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt,
dass es sich bei dem Ereignis vom 1. Dezember 2008 um einen Arbeitsunfall des Versicherten gehandelt hat. Es hat die Beklagte
verurteilt, den Klägern Hinterbliebenenleistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren. In den Gründen hat es ausgeführt, aus
welchen Gründen der Versicherte das Dach des Gebäudes begangen habe, könne nicht mehr geklärt werden. Allerdings stehe fest,
dass der Versicherte am Morgen des 1. Dezember 2008 seine Arbeit aufgenommen und er während seiner Arbeitszeit verstorben
sei. Zu seinem unter Versicherungsschutz stehenden Arbeitsplatz als Seniortechniker Facilities Management habe dabei zur Überzeugung
des Gerichts das vollständige Gebäude inklusive des Daches gehört. Der Versicherte sei aufgrund seiner Funktion als Haustechniker
für das komplette Gebäude inklusive der Außenanlagen zuständig gewesen. Aus diesem Grunde habe er auch über Zugang zu sämtlichen
Gebäudeteilen und damit auch dem Dach verfügt. Die Zeugin K. habe insofern auch mitteilen können, dass der Versicherte in
der Vergangenheit Tätigkeiten auf dem Dach auszuführen hatte, bei welchen sie anwesend gewesen sei. Das Gericht könne damit
nicht vollständig ausschließen, dass der Versicherte das Dach in Ausübung der versicherten Tätigkeit betreten habe. Zu berücksichtigen
sei, dass der Versicherte eigenständig handeln konnte und seinen Arbeitgeber nicht im Vorhinein über jeden Schritt habe informieren
müssen. Die Tatsache, dass der Arbeitgeber einen Grund für das Betreten des Daches nicht habe nenne können, spreche also nicht
zwingend für eine private Handlung. Vielmehr könne es kurzfristig einen dienstlichen Anlass für eine Begehung des Daches gegeben
haben, von dem der direkte Vorgesetzte erst im Nachhinein hätte informiert werden sollen. Eine gesicherte Unterbrechung des
sachlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der Verrichtung zum Zeitpunkt des Unfalls für eigenwirtschaftliche
Zwecke durch das Betreten des Daches liege damit nicht vor. Verunglücke ein Versicherter wie hier unter ungeklärten Umständen
an seinem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt betriebliche Arbeit verrichtet hatte, so entfalle der innere Zusammenhang zwischen
der Verrichtung des Versicherten zum Zeitpunkt des Unfallereignisses und der versicherten Tätigkeit und damit der Versicherungsschutz
nur dann, wenn bewiesen werde, dass er die versicherte Tätigkeit im Unfallzeitpunkt für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit
unterbrochen habe (so das Urteil des BSG vom 24. Oktober 2004 - B 2 U 24/03 R - BSGE 93, 279, 282 f.). Im Falle des Versicherten könne nicht sicher festgestellt werden, dass er in Selbsttötungsabsicht von dem Gebäude
gesprungen sei. Dies sei nur möglich, möglich sei aber auch, dass der Versicherte unbeabsichtigt vom Dach gestürzt sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 15. Juli 2011 zugestellte Urteil am 4. August 2011 beim Hessischen Landessozialgericht Berufung
eingelegt und vorgetragen, der Versicherte sei primär ein Schreibtischarbeiter gewesen, der sich mit drei Kollegen ein Büro
geteilt habe. Er sei kein ständig im und am Gebäude umhergehender Hausmeister gewesen, bei dem spontane Kontrollgänge auf
dem Dach zum Berufsbild zählen könnten. Die Zeugin K. habe sich lediglich an einen einzigen, betrieblich bedingten Aufenthalt
des Versicherten auf dem Dach ein bis zwei Jahre vor dem tragischen Geschehen erinnern können. Durch die Mitteilung des Vorgesetzten
L. sei die These, der Versicherte habe dort am Todestag seinen Arbeitsplatz gehabt, noch unwahrscheinlicher. Dieser habe betont,
dass es am 1. Dezember 2008 keinen Grund oder Anlass gegeben habe, das Dach des Gebäudes zu inspizieren.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Juli 2011 aufzuheben und die Klagen abzuweisen,
hilfsweise,
ein physikalischtechnisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob der konkrete Fundort des Versicherten am 1. Dezember 2008
mit einem unbeabsichtigten Sturz zu vereinbaren ist.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie machen geltend, als Haustechniker habe der Versicherte sowohl Bürotätigkeiten als auch praktische Tätigkeiten verrichten
müssen, wobei vieles, was im Büro geplant und bearbeitet worden sei, im Gebäude vor Ort begutachtet, kontrolliert und ins
Werk habe gesetzt werden müssen. Er sei unter anderem für Rückbaumaßnahmen zuständig gewesen. Dies habe selbstverständlich
eine permanente Präsens im gesamten Gebäude erfordert. Deshalb sei der Versicherte auch mit einem Piepser ausgestattet gewesen.
Die Klägerin habe ihn meist in seinem Büro gar nicht erreichen können, weil er unterwegs gewesen sei. Auch das Dach habe zum
Bereich der Gebäudetechnik gehört. Denkbar sei nicht nur, dass der Versicherte das Dach selbst habe inspizieren wollen, denkbar
sei auch, dass er von oben etwas habe betrachten wollen, was anders nicht in Augenschein zu nehmen gewesen sei. Es könne auch
um Geräte auf dem Dach gegangen sein, um Ablüftungsöffnungen oder Ähnliches. Auf den in der Ermittlungsakte enthaltenen Fotos
vom Dach sei erkennbar, dass dort zahlreiche Aufbauten zu sehen seien. Jeder einzelne könnte die Anwesenheit gerechtfertigt
haben. Neben Abluftöffnungen könne es auch um Installationsschächte gegangen sein. Im Termin zur mündlichen Verhandlung trug
die Klägerin ergänzend vor, als sie am 3. oder 4. Dezember 2009 am späteren Vormittag das Gebäude in F-Stadt auf der Seite
des Haupteingangs betreten habe, um Sachen ihres Ehemannes abzuholen, habe sie festgestellt, dass sich an der Hausfront Eiszapfen
gebildet hatten. Sie halte es für denkbar, dass ihr Ehemann am Morgen des 1. Dezember sich auf das Dach begeben hatte, um
solche Eiszapfen zu entfernen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogene Verwaltungsakte
der Beklagten, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und in der Sache auch begründet.
Ein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen besteht, wenn der Tod des Versicherten in Folge eines Versicherungsfalles eingetreten
ist (§
63 Abs.
1 SGB VII). Der Tod des Versicherten ist in Folge eines Versicherungsfalls im Sinne des §
7 Abs.
1 SGB VII eingetreten, wenn er durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde. Das Vorliegen eines Arbeitsunfalls
kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.
Nach §
8 Abs.
1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse,
die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist folglich in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls
einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung wesentlich ein zeitlich
begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) verursacht hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis
wesentlich einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. BSG, Urteil vom 21. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R - In [...], m. w. N. aus der Rechtsprechung).
Die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung zur Zeit des Unfalls", "Unfallereignis" sowie
"Gesundheitsschaden" erfüllen sollen, müssen im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit,
feststehen. Für den Nachweis des naturphilosophischen Ursachenzusammenhangs zwischen diesen Voraussetzungen genügt hingegen
der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und nicht die bloße Möglichkeit (vgl.
BSG a.a.O. m. w. N.). Die objektive Beweislast für die Tatsachen, welche zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale sowie des inneren
Zusammenhangs zwischen der grundsätzlich versicherten Tätigkeit und der Verrichtung im Unfallzeitpunkt erforderlich sind,
trägt grundsätzlich der Versicherte bzw. seine Hinterbliebenen, da diese zu den anspruchsbegründenden Tatsachen gehören. Zu
den anspruchsbegründenden Tatsachen, für welche den Versicherten die objektive Beweislast trifft, zählt auch die Ausübung
einer versicherten Tätigkeit im Zeitpunkt des Unfallereignisses. Verunglückt der Versicherte aber unter ungeklärten Umständen
an seinem Arbeitsplatz, wo er kurz zuvor eine betriebliche Tätigkeit verrichtet hatte, entfällt der Versicherungsschutz nur,
wenn feststeht, dass er die versicherte Tätigkeit für eine private Tätigkeit unterbrochen hatte (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - B 2 U 24/03 R - in BSGE 93, 279 ff., BSG Urteil vom 4. September 2007 - B 2 U 28/06 R - in [...]). Diese Abweichung von der üblichen Beweislastverteilung rechtfertigt sich dadurch, dass eine Unterbrechung während
der laufenden Arbeit als Ausnahme vom Regeltatbestand angesehen werden kann. Voraussetzung ist aber, dass der Versicherte
den räumlichen Bereich, wo er am Unfalltag seine Tätigkeit zu verrichten hatte, nicht verlassen und zudem zuvor ausschließlich
betriebliche Zwecke verfolgt hatte (Keller in Hauck/Nostz,
SGB VII, § 8 Randnummer 340 und BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 a.a.O.).
Im vorliegenden Fall kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der Versicherte
am Morgen des 1. Dezember 2008 auf dem Dach des vierstöckigen Bürogebäudes in F-Stadt eine betriebliche Tätigkeit ausgeübt
hat oder ausüben wollte, bzw. dass auch das Dach des Gebäudes an diesem Tag "Arbeitsplatz" des Versicherten war.
Nach den Angaben seitens der Arbeitgeberin und den Aussagen der Zeugen L. und K. steht fest und ist unstreitig, dass der Versicherte
im November und Dezember 2008 im Wesentlichen damit beschäftigt war, im Rahmen des Büroumzugsprojekts der Firma nach G-Stadt
Restarbeiten am alten Standort abzuwickeln und die erforderlichen Rückbauarbeiten nach dem Auszug des Unternehmens aus dem
Bürogebäude zu betreuen und zu koordinieren. Die Zeugin K. hat ausgesagt, sie habe mit dem Versicherten zusammen zuletzt bis
circa Mitte November die Abwicklung der Lagerräume sowie die Verbringung des Aktenmaterials nach G-Stadt geplant. Dabei sind
der Versicherte und die Zeugin den Keller durchgegangen, haben die Größe der Regale und die Menge der Akten angeschaut, um
den Umzug zu koordinieren. Zu diesem Aufgabenbereich ist den Auskünften des Zeugen L. zu entnehmen, dass im Keller des Gebäudes
noch Lagerfläche zu räumen war und in diesem Zusammenhang Entscheidungen zu treffen waren, welche Teile zu vernichten waren
und welche Teile nach G-Stadt verbracht werden sollten. Aufgrund der polizeilichen Ermittlungen und den Angaben der Arbeitgeberin
im Schreiben vom 25. November 2010 an das Sozialgericht steht auch fest, dass der Versicherte am Morgen des 1. Dezember 2008
um 8:00 Uhr eine Verabredung mit Mitarbeitern der Umzugsfirma H. hatte, um mit diesen Details zur Organisation von Transportarbeiten
abzustimmen. Im Zusammenhang mit der Abwicklung des Restumzugs von F-Stadt nach G-Stadt ist kein Grund ersichtlich, der den
Versicherten hätte veranlassen können, das Dach des Gebäudes am Morgen des 1. Dezember 2008 aufzusuchen.
Dies gilt auch für den anderen Aufgabenbereich des Versicherten, die Betreuung und Koordination der Rückbauarbeiten. Nach
Aussage des Zeugen L. hatte die Firma E. im Verlauf der Mietzeit ab 1988 verschiedene interne Umbaumaßnahmen im angemieteten
Gebäude durchgeführt. Nach dem Auszug der Firma E. waren im Gebäude Rückbaumaßnahmen vorzunehmen und dabei Brandschutzbestimmungen
zu beachten. Die Frage, ob es am 1. Dezember 2008 gegebenenfalls aufgrund von Baumaßnahmen für den Versicherten einen Anlass
gegeben habe, das Gebäudedach zu inspizieren, hat der Zeuge L. gegenüber der Beklagten in seinem Antwortschreiben vom 26.
April 2009 eindeutig verneint. Gleiches gilt für die Frage seitens des Gerichts, ob er es für möglich halte, dass der Versicherte
im Zusammenhang mit den vermieterseits geforderten Brandschutzmaßnahmen am 1. Dezember 2008 das Dach des Gebäudes begangen
habe. Der Zeuge L. hielt es für ausgeschlossen, dass der Versicherte im Zusammenhang mit den Baumaßnahmen das Dach betreten
hat, weil sich alle geforderten Maßnahmen des Brandschutzes auf Maßnahmen innerhalb des Gebäudes bezogen haben.
Es gibt auch keine anderen Umstände, die die Annahme rechtfertigen, das Dach des Gebäudes sei üblicherweise auch Arbeitsplatz
des Versicherten gewesen. Die Tatsache, dass der Versicherte als Haustechniker auch Zugang zu einem Generalschlüssel hatte,
mit dem auch der Zugang zum Dach möglich war, rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, auch das Dach habe zu dem üblichen
Arbeitsplatz des Versicherten gehört. Die Frage, ob der Versicherte im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit auch zu irgendeinem
Zeitpunkt Tätigkeiten auf dem Dach des Gebäudes zu erledigen hatte, wurde seitens der Arbeitgeberin verneint. Es wurde hinzugefügt,
dass es keine Tätigkeiten auf dem Dach des Gebäudes zu erledigen gab. Die Zeugin K., die eng mit dem Versicherten zusammen
arbeitete und mit ihm seit dem Jahre 1995 ein Büro geteilt hat, konnte nur einen Anlass benennen, bei dem sie zusammen mit
dem Versicherten dienstlich das Gebäudedach betreten hatte. Anlass war die Erstellung eines Dachflächenplans. Das Dach wurde
gemeinsam begangen und der Versicherte hat ihr Aufbauten gezeigt, die in den Plan aufgenommen werden mussten. Weitere Anlässe,
die die Begehung des Daches erforderten, konnte die Zeugin nicht benennen. Die Zeugin konnte keine Angaben dazu machen, was
der Versicherte in der Woche vor seinem Tod betrieblich gemacht hat. Sie wusste jedoch, dass der Versicherte in den letzten
Monaten vor seinem Tod unter anderem mit dem Leerräumen der Keller betraut war und er etwas mit einer Elektrofirma zu tun
hatte, er die einzelnen Büroräume kontrollieren musste, ob da noch etwas zu renovieren war oder Ähnliches. Sie hatte auch
davon gehört, dass wegen Forderungen seitens des Vermieters noch Rückbauarbeiten im Zusammenhang mit dem Brandschutz erforderlich
waren. Die Zeugin K. konnte jedoch keinen Aufgabenbereich oder Anlass benennen, der den Versicherten veranlasst haben könnte,
das Gebäudedach aufzusuchen. Da der Versicherte für die Firma E. als Mieter der Büro- und Lagerräume tätig war und es zu seinen
Aufgaben gehörte, dafür zu sorgen, dass die gemieteten Räumlichkeiten in einem ordnungsgemäßen Zustand an den Vermieter übergeben
werden konnten, lässt sich aufgrund dieses Aufgabenbereiches auch kein ersichtlicher Grund finden, weshalb der Versicherte
sich in diesem Zusammenhang auf das Gebäudedach hätte begeben sollen.
Es gibt auch keine Hinweise darauf, dass sich der Versicherte auf das Dach begeben haben könnte, um am Rand des Daches Eiszapfen
zu entfernen.
Die am 1. Dezember 2008 aufgenommenen Fotos vom Dach und der Fassade des Gebäudes im Bereich der Absturzstelle geben keine
Hinweise auf Vereisungen am Rand des Daches oder der Fassade. Auf der Dachfläche hatte sich dem Ermittlungsbericht der Polizei
zufolge lediglich Raureif gebildet.
Da folglich weder Gründe ersichtlich sind, dass das Gebäudedach generell zum Arbeitsplatz des Versicherten gehörte, noch Gründe
erkennbar sind, dass das Dach am 1. Dezember 2008 Arbeitsplatz des Versicherten gewesen ist, kann das Vorliegen eines Arbeitsunfalls
nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Der Berufung der Beklagten ist
deshalb stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG, die über die Nichtzulassung der Revision aus §
160 SGG.