Hinterbliebenenrente
Abtretung
Wirksamkeit einer Abtretungserklärung
Auszahlungsanordnung als Verwaltungsakt
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Auszahlung von Hinterbliebenenrente, die die Beklagte aus einem Nachzahlungsbetrag
an die Beigeladene zu 2) weitergeleitet hat.
Die Klägerin ist die Witwe des verstorbenen Versicherten C. A. Der Versicherte war während seiner beruflichen Tätigkeit von
1960 bis 1972 gegenüber Asbest exponiert. Infolge dessen erkrankte er an einem Adenokarzinom der Lunge. Die Beklagte stellte
deswegen am 11. Januar 2008 einen Lungenkrebs als Berufskrankheit nach Nr. 4104 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v. H. fest und gewährte dem Versicherten ab 20. Juli 2007 Rente in
Höhe von 1.353,10 €.
Aufgrund einer Tätigkeit als Beamter bei der CZ. bezog der Versicherte ab 1. Dezember 1999 ein Ruhegehalt. Ab 1. Januar 2008
erhielt er eine Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf die Versorgungsbezüge angerechnet wurde.
Eine Anrechnung der Verletztenrente auf die Versorgungsbezüge erfolgte im Hinblick auf die Versetzung des Verstorbenen in
den Ruhestand bereits vor dem 1. Januar 2002 und die insoweit geltende Übergangsvorschrift des §
69 e Abs.
1 Beamtenversorgungsgesetz -
BeamtVG - nicht. Der Versicherte verstarb 2008 infolge der anerkannten Berufskrankheit.
Die Beigeladene zu 2) gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 13. November 2008 u. a. Hinterbliebenenversorgung (Witwengeld).
Nachdem die Deutsche Rentenversicherung Hessen mit Bescheid vom 25. November 2008 der Klägerin zudem ab 1. November 2008 eine
Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des verstorbenen Ehemannes gewährt hatte, nahm die Versorgungsdienststelle mit Bescheid
vom 9. Dezember 2008 eine Neuberechnung der Hinterbliebenenversorgung vor unter Anrechnung der Witwenrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung.
Mit Bescheid vom 9. Februar 2009 gewährte die Beklagte der Klägerin Hinterbliebenenleistungen in Form einer Rente ab dem Todestag
des Versicherten bis zum 31. Januar 2009 in Höhe von monatlich 1.367,99 € und anschließend in Höhe von 820,79 € monatlich.
Hinsichtlich des sich errechnenden Nachzahlungsbetrages in Höhe von 6.319,22 € wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass
dieser Betrag wegen eventueller Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger vorerst einbehalten werde.
Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 teilte die Beklagte den Beigeladenen zu 1) und zu 2) unter Beifügung einer Bescheidkopie
mit, dass sie für die Folgen der Berufskrankheit Hinterbliebenenleistungen zahle. Die Beigeladenen wurden aufgefordert ihren
Erstattungsanspruch nach Zeit und Höhe anzugeben.
Die Beigeladene zu 2) meldete der Beklagten zunächst durch Schreiben vom 5. März 2009 eine Überzahlung von insgesamt 3.355,81
€, für deren Ausgleich sie Erstattungsanspruch auf die Rentennachzahlung stellte. Nach Hinweis der Beklagten, dass die Summe
der Erstattungsansprüche nach dem Sterbevierteljahr höher sei als die Witwenrente, nahm die Beigeladene zu 2) eine Neuberechnung
vor und reduzierte den geltend gemachten Erstattungsanspruch auf einen Betrag von 3.048,57 €. Für November 2008 errechnete
die Beigeladene zu 2) eine Überzahlung von 656,95 €, für Dezember 2008 von 682,92 €, für Januar 2009 von 648,92 € und für
Februar und März 2009 von je 529,89 €. Auch gegenüber der Beigeladenen zu 1), der Deutschen Rentenversicherung Hessen, machte
die Beigeladene zu 2) wegen überzahlter Versorgungsbezüge in Höhe von insgesamt 3.355,81 € einen Erstattungsanspruch mit Schreiben
vom 5. März 2009 geltend. Die Deutsche Rentenversicherung Hessen bezifferte in einem Schreiben vom 16. Februar 2009 den von
ihr gegenüber der Beklagten geltend gemachten Erstattungsanspruch auf einen Betrag von 1.166,09 €.
Die Beklagte teilte der Klägerin in dem ohne Rechtsmittelbelehrung versehenem Bescheid vom 23. März 2009 mit, auf den im Bescheid
vom 9. Februar 2009 ausgewiesenen Nachzahlungsbetrag der Witwenrente in Höhe von 6.319,22 € werde von der Deutschen Rentenversicherung
Hessen ein Erstattungsanspruch in Höhe von 1.166,09 € und von der CZ. AG NL Rentenservice ein Erstattungsanspruch von 3.048,57
€ geltend gemacht. Demnach stehe ihr noch ein Betrag in Höhe von 2.104,56 € zuzüglich 5,83 € Zinsen zu.
Die zur Erstattung angemeldeten Beträge überwies die Beklagte an die Beigeladene. Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom
23. März 2009 am 2. April 2009 Widerspruch, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 6. August 2009 zurückwies.
Wegen der Anrechnung ihrer Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Witwenrente im Bescheid der
Beigeladenen zu 1) vom 16. Februar 2009 gemäß §
93 Sechstes Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) und auf die Hinterbliebenenversorgung im Bescheid der Beigeladenen zu 2) vom 5. März 2009 (Widerspruchsbescheid vom 21.
Januar 2010) gemäß §
55 BeamtVG erhob die Klägerin jeweils Klage. Die Klage gegen die Beigeladene zu 1) beim Sozialgericht Kassel - Az.: S 8 R 505/09 - nahm die Klägerin am 15. März 2012 zurück. Die Klage gegen die Beigeladene zu 2) wies das Verwaltungsgericht Kassel am
15. Juli 2011 ab - Geschäftsnummer xxx1 -. Den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil lehnte der
Hessische VGH durch Beschluss vom 29. Juli 2012 ab - Geschäftsnummer xxx2 -.
Die Klägerin hat gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. März 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2009
am 2. September 2009 beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben und geltend gemacht, eine Anrechnung der von der Beklagten wegen
der Berufskrankheit des verstorbenen Versicherten gewährten Entschädigung auf die Hinterbliebenenversorgung und die Witwenrente
sei rechtswidrig. Die Leistung der Beklagten habe Schmerzensgeld- und Entschädigungscharakter. Die der Anrechnung zu Grunde
liegenden rechtlichen Regelungen verstießen gegen Art.
2 und Art.
3 des
Grundgesetzes (
GG).
Die Beigeladene zu 2) hat geltend gemacht, die Klägerin habe in einer Erklärung vom 1. November 2008 ihren Anspruch auf Rentennachzahlungen
auf die CZ. AG als Versorgungsträger übertragen. Sie hat ein von der Klägerin am 1. November 2008 unterschriebenes Formular
vorgelegt das folgende Überschrift trägt: "Achtung: Betrifft Rente Ihres verstorbenen Ehegatten, die in eine Hinterbliebenenrente
umzuwandeln ist. Ihre eigene Rente bleibt unberücksichtigt." Es folgt im Kleingedruckten der "Hinweis": "Diese Erklärung ist
nicht nur abzugeben bei einem Anspruch auf Renten aus der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, sondern auch bei einem
solchen auf Renten aus der zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversicherung für Angehörige des öffentlichen Dienstes (z.B.
VAP) sowie Leistungen aus einer berufsständischen Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung, zu
denen der Arbeitgeber aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im öffentlichen Dienst mindestens die Hälfte der Beiträge
oder Zuschüsse in dieser Höhe geleistet hat. Bei Waisen sind auch Renten aus einem Versicherungsverhältnis des anderen Elternteils
oder einer anderen Person - z. B. Großeltern - anzugeben." Unter der Überschrift "Rente ihres verstorbenen Ehegatten, die
in eine Hinterbliebenenrente umzuwandeln ist:" gab die Klägerin die CZ. und die LVA als für die Rentenleistung zuständige
Versicherungsträger an. Nicht angekreuzt wurden von ihr die Aussage "ich erhalte eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung"
und die Aussage "ich werde zu folgendem Zeitpunkt einen Rentenantrag stellen". Weiter enthielt das Formular folgende Erklärungen:
"Ich versichere, dass meine Angaben vollständig und richtig sind. Mir ist bekannt, dass ich verpflichtet bin, jede künftig
eintretende Änderung, insbesondere die Beantragung oder Bewilligung einer Rente, unverzüglich schriftlich anzuzeigen und eine
infolge unterlassener, verspäteter oder fehlender Mitteilung sowie rückwirkender Bewilligung der Rente entstandene Überzahlung
der Versorgungsbezüge zu erstatten habe.
Soweit aufgrund eines Rentenanspruchs Versorgungsbezüge zu viel gezahlt sind, übertrage ich meinen Anspruch auf Rentennachzahlungen
auf die CZ. AG als Versorgungsträger (§
53 Abs.
2 Nr.
1 SGB I). Mit der Erteilung von Auskünften des Versicherungsträgers an die CZ. AG über meine Rentenansprüche bin ich einverstanden
(§
35 Abs.
2 SGB I i.V.m. § 69 Abs. 2 SGB X). Eine Ausfertigung dieser Erklärung habe ich erhalten."
Das Sozialgericht hat die Beklagte "unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 23. März 2009 und des Widerspruchsbescheides
vom 6. August 2009 verpflichtet, an die Klägerin 3.048,57 € zu zahlen". Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. In den
Gründen hat das Sozialgericht ausgeführt, die Beklagte sei, was ihre Erstattung an die Beigeladenen zu 1) betreffe, zur Leistung
frei geworden. Hier sei die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 Zehntes Sozialgesetzbuch Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X - wegen des Bestehens eines Erstattungsanspruchs nach §§ 103, 105 SGB X eingetreten. §
93 SGB VI verstoße nicht gegen das
Grundgesetz. Die Klägerin habe jedoch gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung der Hinterbliebenenrente in Höhe von 3.048,57
€. Insoweit sei die Beklagte durch die Zahlung an die Beigeladene zu 2) nicht zur Leistung frei geworden. Eine Erfüllungsfiktion
gemäß § 107 Abs. 1 SGB X sei insoweit nicht eingetreten, weil ein Erstattungsanspruch der Beigeladenen zu 2) nach den Vorschriften des SGB X nicht bestanden habe. Die Beigeladene zu 2) sei kein Leistungsträger im Sinne der §§ 102 ff. SGB X. Die Beklagte sei auch nicht nach §
407 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) von der Leistung frei geworden. Zwar habe die Klägerin unter dem 1. November 2008 gemäß §
53 Abs.
2 Nr.
1 SGB I eine Abtretungserklärung des Inhalts abgegeben, dass, soweit aufgrund eines Rentenanspruchs Versorgungsbezüge gezahlt worden
seien, sie ihren Anspruch auf Rentennachzahlungen auf die CZ. AG als Versorgungsträger übertrage. Diese Abtretungserklärung
erfasse jedoch nicht die von der Beklagten geleistete Unfallrente. Der ausgefüllte Vordruck bezeichne als zuständige Versicherungsträger
lediglich die CZ. und die Beigeladene zu 1). Die Beklagte findet dort keinerlei Erwähnung. Es fehle mithin an einer Bezeichnung
der abgetretenen Forderung, so dass die Abtretungserklärung zu unbestimmt sei. Es stehe nicht unzweifelhaft fest, dass auch
die Forderung gegenüber der Beklagten von der Abtretung umfasst sei.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 4. Oktober 2010 zugestellte Urteil am 3. November 2011 beim Hessischen Landessozialgericht
per Telefax Berufung eingelegt und vorgetragen, das Sozialgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich im vorliegenden
Fall auch hinsichtlich der Versorgungsbezüge durch die CZ. um gesetzlich vorgeschriebene Anrechnungs- und Erstattungsverfahren
handele. Wenn das Sozialgericht die Vorschrift des §
55 BeamtVG für nicht anwendbar erkläre, so könne der Betrag von 3.048,57 € nicht nochmals von der Beklagten zu zahlen sein, sondern
müsse von der Beigeladenen CZ. zurückerstattet werden, da die Erstattung dorthin in diesem Fall zu Unrecht erfolgt wäre. Das
Klagebegehren könne sich allenfalls gegen die CZ. richten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 20. September 2011 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen keinen Antrag.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die zum Verfahren beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten sowie der Beigeladenen zu 2), deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist rechtens. Der Bescheid vom 23. März
2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 2009 und die darin getroffene Auszahlungsanordnung ist rechtswidrig,
soweit sie den Rentennachzahlungsbetrag von 3.048,57 € betrifft. Die Beklagte ist verpflichtet, Hinterbliebenenrente in Höhe
von 3.048,57 € an die Klägerin auszuzahlen. Denn die Beklagte ist durch die Weiterleitung dieses Rentennachzahlungsbetrages
an die Beigeladene zu 2) nicht von ihrer Leistungspflicht gegenüber der Klägerin frei geworden. Die Beklagte kann sich insoweit
gegenüber der Klägerin nicht auf eine Erfüllungswirkung nach § 107 SGB X berufen. Sie hat auch nicht aufgrund einer wirksamen Abtretung des Hinterbliebenenrentenanspruchs mit befreiender Wirkung
gemäß §
362 Abs.
1 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB - an die Beigeladene zu 2) geleistet.
Zu Recht hat das Sozialgericht festgestellt, dass hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs der Klägerin gegen die Beklagte
keine Erfüllungswirkung nach § 107 SGB X eingetreten ist. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift gilt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht, der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten
Leistungsträger als erfüllt. Voraussetzung für die Erfüllungsfiktion ist, dass ein Leistungsträger als ein vorläufig zur Leistung
Verpflichteter (§ 102 SGB X), als ein nachrangig zur Leistung Verpflichteter (§ 104 SGB X) oder als unzuständiger Leistungsträger (§ 105 SGB X) eine Leistung erbracht hat oder seine Leistungsverpflichtung nachträglich weggefallen ist (§ 103 SGB X) und ihm deswegen gegen den endgültig zur Leistung verpflichteten Leistungsträger ein Erstattungsanspruch nach den §§ 102 bis 105 SGB X zusteht. Aufgrund der Leistung des erstattungsberechtigten Leistungsträgers gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den
erstattungsverpflichteten Leistungsträger in Höhe des Erstattungsanspruchs als erfüllt. Wer Leistungsträger im Sinne des Sozialgesetzbuches
und im Sinne der §§ 102 ff. SGB X ist, definiert §
12 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (
SGB I). Dies sind die in den §§
18 bis
29 SGB I genannten Körperschaften, Anstalten und Behörden. Die Beigeladene zu 2) als Träger der Beamtenversorgung ist in diesen Vorschriften
nicht genannt, die von ihr zu erbringenden Versorgungsleistungen sind keine "Sozialleistungen" im Sinne des Sozialgesetzbuches.
Die Beklagte kann sich folglich nicht darauf berufen, sie habe durch Überweisung eines Teil der Rentenzahlung in Höhe von
3.048,57 € einen der Beigeladenen zu 2) zustehenden Erstattungsanspruch gemäß § 103 SGB X erfüllt und die Klägerin habe, weil die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X gilt, insoweit keinen Anspruch auf Auszahlung der Hinterbliebenenrente.
Die Klägerin hat den ihr aufgrund des Bescheides vom 9. Februar 2009 zustehenden Anspruch auf Hinterbliebenenrente gegen die
Beklagte nicht wirksam gemäß §
53 Abs.
2,
3 Sozialgesetzbuch I. Teil -
SGB I - i. V. m. §§
398 Satz 1,
362 Abs.
1 BGB an die Beigeladene zu 2) abgetreten. Die Beigeladene zu 2) ist mit Abschluss des Abtretungsvertrages nicht nach §
398 Satz 2
BGB als neue Gläubigerin an die Stelle der Klägerin als bisherige Gläubigerin getreten, so dass die Beklagte nicht mit befreiender
Wirkung (§
362 Abs.
1 BGB) an die Beigeladene zu 2) leisten konnte.
Der Leistungsberechtigte kann nach §
53 Abs.
2 und
3 SGB I grundsätzlich rechtsgeschäftlich über einen ihm gegen einen Leistungsträger zustehenden Sozialleistungsanspruch im Wege einer
Abtretung verfügen. Da es sich bei dem abgetretenen sozialrechtlichen Anspruch um eine öffentlich-rechtliche Berechtigung
handelt, ist auch das Verhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Zessionar öffentlich-rechtlicher Natur. Bei der Abtretung
handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag auf den die Abtretungsvorschriften des
BGB (§
398 ff.) unter Berücksichtigung der sozialrechtlichen Besonderheiten entsprechend anwendbar sind (vgl. Häusler in: Hauck/Noftz,
SGB, 12/05, §
53 SGB I Rdnr. 13). Streitig ist, ob der Abtretungsvertrag der Schriftform bedarf (vgl. Lilge in: Lilge,
SGB I, 3. Auflage 2012, §
53 Übertragung und Verpfändung; Rdnr.10). Ausreichend ist jedoch, falls eine Schriftform für erforderlich gehalten wird, dass
nur der Zedent oder die Zedentin die Abtretung schriftlich erklärt hat, wenn auf die Annahme des Abtretungsantrags - auch
nur stillschweigend - verzichtet wurde oder eine solche Erklärung nicht zu erwarten ist (§
151 Satz 1
BGB; vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 1995 - 11 RAr 109/94 - BSGE 76, 184 und BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R BSGE 97, 6). Voraussetzung für eine wirksame Abtretung ist, dass der übertragene Anspruch ausreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar
ist. Auch künftige Ansprüche können abgetreten werden, wenn der Rechtsgrund dafür bereits gelegt ist und sie bei ihrer Abtretung
nach Gegenstand und Umfang bestimmbar sind. Der abgetretene Anspruch geht dann zum Zeitpunkt seines Entstehens auf den Zessionar
über (vgl. Häusler in: Hauck/Noftz, SGB, 12/05, §
53 SGB I Rdnr. 14). Eine Abtretungserklärung ist nur dann hinreichend bestimmt und damit wirksam, wenn die betreffende Forderung und
ihr Rechtsgrund so genau bezeichnet sind, dass bei verständiger Auslegung (gemäß §§
133 und
157 BGB) unzweifelhaft feststeht, auf welche Ansprüche sie sich bezieht. Das kann entweder durch konkrete Bezeichnung oder auch einen
Sammelbegriff geschehen. Tritt der Zedent z.B. seine "Rentenansprüche" ab, so fallen darunter seine Ansprüche auf eigene Rente
wie etwaige Hinterbliebenenrentenansprüche, nicht aber z.B. auf Witwenrentenabfindung oder Beitragserstattungsansprüche aus
der Rentenversicherung (so Pflüger in: Schlegel/Voeltzke, juris PK-
SGB I, 2. Auflage 2011, §
53 SGB I Rdnr. 25).
Neben diesen allgemeinen Voraussetzungen regelt §
53 SGB I spezielle Voraussetzungen für die Abtretung von Sozialleistungsansprüchen:
Abs. 2: Ansprüche auf Geldleistungen können übertragen und verpfändet werden
1. zur Erfüllung oder zur Sicherung von Ansprüche auf Rückzahlung von Darlehen und auf Erstattung von Aufwendungen, die im
Vorgriff auf fällig gewordene Sozialleistungen zu einer angemessenen Lebensführung gegeben oder gemacht worden sind oder,
2. wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass die Übertragung oder Verpfändung im wohlverstandenen Interesse des
Berechtigten liegt. Abs. 3: Ansprüche auf laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt
sind, können in anderen Fällten übertragen und verpfändet werden, soweit sie den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren
Betrag übersteigen.
In jedem Fall einer Abtretung hat der Sozialversicherungsträger zu prüfen, ob die allgemeinen und die in §
53 Abs.
2 und
3 SGB I genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Prüfung nach Abs.
2 Nr.
1 und
2 des §
53 SGB I hat der Sozialversicherungsträger im Rahmen einer Auszahlungsanordnung zu treffen, wenn er die Wirksamkeitsvoraussetzungen
als erfüllt ansieht. Es handelt sich dabei um einen Verwaltungsakt, der gegenüber dem Berechtigten zu erlassen ist. Hält er
die Voraussetzungen für nicht erfüllt, hat er dies ebenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen (vgl. zu Vorstehendem: Lilge,
a.a.O., Rdnr. 29; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27. März 2012 - L 18 KN 233/10 - juris; BSG, Urteil vom 29. Juni 1995 - 11 RAr 109/94 -, BSGE 76, 184 und BSG, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 24/05 R - BSGE 97, 6; BSG, Urteil vom 14. August 1984 - 10 RKg 19/83 - und BSG, Urteil vom 6. April 2000 - B 11 AL 47/99 R - juris).
Der Abtretungsvertrag ist, sofern die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen vorliegen, bis zur endgültigen, bindenden Entscheidung
des Leistungsträgers schwebend unwirksam. Während des Schwebezustandes kann der Abtretungsvertrag durch einseitige Erklärung
nicht widerrufen werden (vgl. Lilge, a.a.O., Rdnr. 40).
Hier hat die Beklagte keine Entscheidung über die Wirksamkeit der Abtretungserklärung getroffen. Der Bescheid vom 23. März
2009 ist keine Entscheidung in diesem Sinne. Vielmehr ging die Beklagte bei Erlass dieses Bescheides davon aus, dass dem Beigeladenen
zu 2) ein sozialrechtlicher Erstattungsanspruch zusteht. Die Abtretungserklärung der Klägerin wurde erst im Klageverfahren
vorgelegt.
Ob hier die Voraussetzungen des §
53 Abs.
2 oder 3
SGB I vorliegen, ist von der Beklagten nicht mehr zu prüfen und bedarf keiner Entscheidung des Senats. Denn die Abtretungserklärung
der Klägerin vom 1. November 2008 ist unwirksam, weil sie nicht hinreichend bestimmt ist.
In der Abtretungserklärung ist im vorliegenden Fall allgemein von "Rentenanspruch" und "Anspruch auf Rentennachzahlung" die
Rede. Werden die Ausführungen in dem Formular, insbesondere in dessen Überschrift und in dessen "Hinweis", zur Auslegung der
Abtretungserklärung herangezogen - unter Außerachtlassung der handschriftlichen Angaben seitens der Klägerin - können unter
"Renten" die Hinterbliebenenrenten aus der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung, Renten aus der zusätzlichen Alters-
und Hinterbliebenenversicherung für Angehörige des öffentlichen Dienstes, aber auch Leistungen aus einer berufsständischen
Versorgungseinrichtung oder aus einer befreienden Lebensversicherung verstanden werden. Diese Leistungen "gelten als Renten"
gemäß §
55 Abs.
1 Satz 2
BeamtVG und werden dort im Einzelnen aufgeführt. In diesem Fall würden alle diese Renten betreffenden möglichen Rentennachzahlungsansprüche
der Klägerin an die Beigeladene zu 2) in der Höhe abgetreten, in der eine Überzahlung von Versorgungsleistungen wegen eines
Rentenanspruches eingetreten ist. Unklar bleibt, ob der "Rentenanspruch", der zur Überzahlung der Versorgungsbezüge geführt
hat, mit dem abgetretenen "Anspruch auf Rentennachzahlungen" identisch sein muss (dies wäre eindeutig der Fall, wenn formuliert
wäre: "N, übertrage ich meinen diesbezüglichen Anspruch auf Rentennachzahlungen N") oder im Falle einer Überzahlung wegen
eines Anspruches auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung auch ein Rentennachzahlungsanspruch auf Hinterbliebenenrente
aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgetreten werden soll. Da in der Abtretungserklärung von "Rentenanspruch" und nicht
von "einer Rentengewährung" oder "einer Rentenbewilligung" die Rede ist, könnte auch eine Rente, die nicht beantragt oder
auf die verzichtet wurde, unter den Begriff "Rentenanspruch" subsumiert werden. Denn an die Stelle dieser Renten tritt der
Betrag, der vom Leistungsträger ansonsten zu zahlen wäre (§
55 Abs.
1 Satz 3
BeamtVG). Dieser Betrag kann ebenfalls zu einer Überzahlung von Versorgungsbezügen führen. Ob auch für den Fall solcher Überzahlungen
Rentennachzahlungsansprüche auf die Beigeladene zu 2) übertragen werden sollten, ist ebenfalls unklar.
Werden die Angaben der Klägerin unter der Überschrift "Rente ihres verstorbenen Ehegatten, die in eine Hinterbliebenenrente
umzuwandeln ist" bei der Auslegung berücksichtigt, kann die Abtretungserklärung auch so verstanden werden, dass nur diese
von der Klägerin angegebene Rente, d. h. die Witwenrente der "LVA" bzw. der Deutschen Rentenversicherung Hessen von der Abtretungserklärung
erfasst werden sollte. Zumal aus der damaligen Sicht der Klägerin es sich nur um derartige Rentenansprüche handeln konnte,
die auf die Versorgungsbezüge hätten angerechnet werden können.
Die erstinstanzliche Entscheidung war folglich zu bestätigen und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.